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Wolfgang Bunzel

Einleitung

Es spricht viel dafür, die Romantik – zumal die deutsche – als Etappe eines umfassenden soziokulturellen Umstrukturierungsprozesses zu verstehen, der etwa im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in Gang kommt, dabei aber nicht linear, sondern schubweise verläuft (was einerseits Binnenzäsuren erzeugt, andererseits Retardierungserscheinungen hervorruft) und sich letztlich bis in die Gegenwart erstreckt. Grund für das Einsetzen diesen epochalen Umbruchs, der die Makroperiode der ‘Moderne’ von einer vormodernen Phase scheidet,1 ist die fortschreitende funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft in einzelne soziale Subsysteme, die irgendwann einen Grad an Selbstständigkeit erreichen, dass sie nach je eigenen Logiken zu funktionieren beginnen und sich in Folge davon gegenseitig voneinander abschließen. Genau das geschah im Bereich der Kunst, die bis zum späten 18. Jahrhundert nur eine relative Existenzberechtigung besaß und neben ästhetischen Aufgaben immer auch andere, heteronome Zwecke zu erfüllen hatte. Sie sollte – die Literatur der Aufklärung legt beredtes Zeugnis ab von dieser wohlmeinenden Indienstnahme – beispielsweise dem Lobpreis Gottes dienen (d.h. sie übernahm theologische Aufgaben), sie sollte Kenntnisse und Wissen vermitteln (erfüllte damit nebenher auch Funktionen der Wissenschaft) oder sie sollte erzieherisch wirken (hatte also pädagogische Dienste zu leisten). Um 1770 herum aber begann sich die Kunst von diesen sekundären Zwecken zu emanzipieren. Sie erklärte sich als autonom und gewann fortan einen neuen Status. Der Eintritt in die Phase der ästhetischen Eigengesetzlichkeit – der mit tiefgreifenden sozialen Umschichtungen wie der zunehmenden Emanzipation des Bürgertums2 einherging und begleitet wurde von einem Programm der Autonomieästhetik, das vor allem Immanuel Kant, Karl Philipp Moritz und Friedrich Schiller entwickelten – markiert den Beginn der Makroperiode ‘Moderne’. Der hier skizzierte Wandlungsprozess vollzog sich natürlich nicht von heute auf morgen, es dauerte vielmehr eine Weile, bis er vollständig Platz gegriffen hatte (und auch dann kam es noch wiederholt zu Versuchen, ihn ungeschehen zu machen, was sich im Rückgriff auf ältere Literaturkonzepte zeigt), aber er war – und das ist das Entscheidende – in seinem Kern irreversibel. Das bedeutet, dass die Zeitschwelle um 1770 zwei Großepochen voneinander trennt: die Vormoderne und die – in einem weiten Sinne verstandene – ‘Moderne’.

Die Geniebewegung der siebziger Jahre mit ihrer zuweilen übersteigert wirkenden produktionsästhetischen Emphase kann als erster, noch reichlich ungelenker Ausdruck dieses neuen Selbstverständnisses von Literatur angesehen werden. Ihr folgt als konsequente Ausprägung des Autonomieprinzips dann die Ästhetik der Weimarer Klassik, welche die Sphäre der Kunst ausdrücklich von den übrigen sozialen Bereichen separiert denkt. In auf mehreren Ebenen stattfindender Abgrenzung von dieser mit ihrem Antike-Bezug als rückwärtsgewandt erscheinenden und mit ihrem transnationalen Anspruch als ‘undeutsch’ empfundenen Gruppierung konstituierte sich in den frühen neunziger Jahren die romantische Bewegung. Die Autoren dieser Diskursformation rebellierten gegen die Selbstghettoisierung einer im Bereich anerkannter Ausdrucksmuster und Gestaltungsformen verharrenden, von der konkreten Lebenspraxis abgelösten Kunst und suchten den gerade erst erstrittenen Freiraum des Ästhetischen dadurch zu erweitern, dass sie seine Geltungskraft auf sämtliche Wirklichkeitsbereiche ausdehnten. Als deutlichster Ausdruck eines solchen Bestrebens kann das unter dem Stichwort „progressiver Universalpoesie“ entworfene Programm einer Entgrenzung literarischer Formen und Verfahrensweisen gelten, das Friedrich Schlegel in den sog. Athenaeums-Fragmenten (1798) formuliert hat:

Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie, und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie, und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen (KFSA, Bd. 2, S. 182).

Schlegels Definition amalgamiert nicht nur einzelne Textsorten, divergente Ausdrucksmodi und unterschiedliche Künste miteinander, sie zielt auch darauf ab, die Grenze zwischen Literatur und Leben insgesamt aufzuheben. Das Bestreben nach entgrenzender Auflösung des ästhetischen Diskurses zeigt sich insgesamt in den vielfältigen Versuchen der Romantik, „die Differenz zwischen fiktionaler Rede und Realität zu neutralisieren“3. Beispiele hierfür sind die Bemühungen um die Etablierung einer ‘neuen Mythologie’,4 die in der Poetik des Fragments wirksam werdende Demontage des ‘klassischen’ Werkbegriffs5 und die in der (früh-)romantischen Enzyklopädistik6 zu beobachtenden Anstrengungen, Wissenselemente aus anderen sozialen Bereichen in die Literatur zu integrieren und sie damit entgegen allen sich herausbildenden Differenzierungen frei zu kombinieren. Mit dem Anspruch auf Totalität kippt das Programm radikaler künstlerischer Autonomie indes um in eine Strategie der Entdifferenzierung, die das Ästhetische zum universalen Interdiskurs und damit zum Funktionsmodus der gesamten Gesellschaft machen möchte. Deshalb muss die Romantik als die erste Entdifferenzierungsbewegung der deutschen Literaturgeschichte angesehen werden. (Als solche wurde sie dann zu einem zentralen Bezugspunkt für nachfolgende Generationen von Künstlern, die an ‘romantische’ Argumentationsmuster anknüpften und einschlägige Verfahrensweisen übernahmen.)

Das Bewusstsein, einer neuen Ära anzugehören bzw. eine solche heraufführen zu helfen, bewog die Vertreter der Romantik dazu, eine Zeitenwende zu postulieren.7 Auf diese Weise konnte man sich erfolgreich von der Konkurrenz der Weimarer Klassik absetzen und trotz faktischer Koexistenz ein schwer überbietbares Alleinstellungsmerkmal installieren, das in der Reklamierung von Novität bestand. Dass die Kategorie des ‘Neuen’ mit einem Mal eine so große Strahlkraft entwickelte, lag freilich nicht zuletzt an jenem übergreifenden „Führungswechsel der Zeithorizonte“ (Niklas Luhmann), der um 1800 zu beobachten ist. Da alle Wissensbestände zunehmend und nachhaltig dynamisiert wurden und vormals als unumstößlich geglaubte ästhetische Normen eine radikale Verzeitlichung erfuhren, kam es sowohl im Bereich der Wissenschaft als auch im Bereich der Kunst – vor allem aber in letzterem – statt auf Tradition nun auf Innovation an.8

Unmittelbar greifbaren Ausdruck fand dieser Paradigmenwandel im Selbstverständnis und Auftreten der frühromantischen Bewegung als literarischer Jugendbewegung. Auch wenn man damit in gewisser Weise Verfahrensweisen der Sturm- und Drang-Autoren, die sich als erste entsprechend profiliert hatten, kopierte, gehen die Vertreter der Romantik in der Konsequenz, mit der sie sich durch ‘moderne’ Vermarktungspraktiken im Literaturbetrieb ihrer Zeit zu etablieren trachteten, über ihre Vorgänger deutlich hinaus. Erst um 1800 verbinden sich nämlich rhetorische Strategien der Selbstinszenierung mit lebensweltlichen Skandalpraktiken, und erst jetzt gewinnt die virtuose Form der Mediennutzung als Verfahren, sich öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen, eine eigene Qualität. In gewisser Weise generierten die romantischen Autoren überhaupt erst jene Formen der Selbstdarstellung und jene Muster der Etablierung im literarischen Feld, die dann für nahezu alle späteren Generationen von Schriftstellern obligatorisch geworden sind.9 Insofern ist die Romantik eben nicht eine literarische Bewegung unter anderen, sondern so etwas wie die Ahnenformation der Moderne, die, indem sie das Bestreben nach künstlerischer Autonomie mit einem Programm ästhetischer Entdifferenzierung verkreuzt und dieses alles andere als widerspruchsfreie Konzept mit konsequent marktstrategischem Verhalten begleitet, performativ vorexerziert, welche ab der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die neuen und fortan konstitutiven „Regeln der Kunst“ (Pierre Bourdieu) – verstanden als Funktionsmechanismen, die einzelnen Aktanten bzw. Aktantenkollektiven innerhalb des Literatursystems bestimmte transpersonale Verhaltensdispositionen vorgeben – sind.

Romantik

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