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Die Spätromantik
ОглавлениеDie Romantik ist eine Diskursformation, die sich insgesamt über einen Zeitraum von rund 50 Jahren erstreckt und im Zuge ihrer Entwicklung mehrere Etappen durchläuft: an eine vergleichsweise kurze Frühphase schließt sich eine etwas länger andauernde mittlere Phase an, der eine rund drei Dekaden umspannende Spätphase folgt. Das Forschungsinteresse hat sich bislang überwiegend auf die Frühromantik konzentriert, was mit dem revolutionären Aufbruchsgestus dieser Etappe und ihrer Theoriefreudigkeit zusammenhängt. In jüngerer Zeit ist aber auch der mittleren Phase vermehrt Beachtung zuteil geworden. Nur die Spätromantik gilt – trotz den zahlreichen Spezialstudien zum Werk einzelner Autoren, die mittlerweile vorliegen – nach wie vor als wenig ergiebig und steht unter dem Generalverdacht, eine Phase „politischer Reaktion, weltanschaulicher Regression und ästhetischer Verflachung“1 zu sein. Diese Marginalisierung in der literaturwissenschaftlichen Forschung steht freilich in krassem Gegensatz zu den tatsächlichen historischen Kräfteverhältnissen. Ein flüchtiger Blick auf die literarische Landschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts genügt, um zu sehen, dass die Spätromantik alles andere als ein ephemeres Phänomen darstellt; vielmehr übertrifft die kulturelle Breiten- und Tiefenwirkung, die von ihr ausgegangen ist, anfangs eindeutig die der vorangehenden Phasen.
Niedergeschlagen hat sich die asymmetrische Bewertung nicht zuletzt in den Termini, mit denen man den Verlauf der romantischen Bewegung zu periodisieren versuchte. Schon früh war es in der Literaturgeschichtsschreibung üblich, die einzelnen Phasen der Romantik in Analogie zu organischen Prozessen als Entwicklungstrias von „Ausbreitung, Blütezeit und Verfall“2 zu beschreiben – eine Denkfigur, die auf der Vorstellung aufruht, dass das literarische Geschehen einer quasi naturhaften inneren Entwicklungslogik folgen würde. Als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang vor allem die damit verbundene implizite Wertung, die am deutlichsten in der Prägung des missverständlichen Begriffes ‘Hochromantik’ greifbar wird. Auf eine dergestalt postulierte Aufgipfelung aber kann zwangsläufig nur noch ein Stadium der Degeneration folgen. Erst die neuere Forschung hat sich um die Erarbeitung wertneutraler Beschreibungstermini bemüht. So wurde etwa vorgeschlagen, die romantische Bewegung in eine „theorie-typische“, eine „produktions-typische“ und eine „rezeptions-typische Phase“3 einzuteilen. Tatsächlich sind damit gewisse Grundtendenzen benannt, allerdings fehlt diesen Unterscheidungskriterien letztlich die nötige Trennschärfe. Die Theoriefreudigkeit der Frühromantik jedenfalls hat die Anzahl ihrer poetischen Hervorbringungen nicht erkennbar geschmälert, und auch die stärker selbstreflexiv (und insofern rezeptiv) ausgerichtete letzte Periode der Romantik bleibt natürlich gleichermaßen auf die Produktion von Texten ausgerichtet wie die vorhergehende.
Anstatt Beschreibungskategorien zu wählen, die den Blick vorwiegend auf interne Entwicklungsprozesse richten, empfiehlt es sich, stärker darauf zu achten, welche externen Faktoren eine Rolle beim Wandel ästhetischer Konzepte innerhalb der Diskursformation Romantik gespielt haben. Am Anfang der Bewegung steht fraglos ein sowohl gegen die Aufklärung wie gegen die Klassik gerichtetes und in Abgrenzung zu beiden konzipiertes ästhetisches Programm der Entdifferenzierung. Es stellt als utopischer, erst in der Zukunft einzulösender Entwurf das eigentliche künstlerische Versprechen der Romantik dar, erweist sich im Lauf der Zeit aber zugleich als ihre drückendste Hypothek, an deren Abtragung sich nahezu alle Autoren dieser Diskursformation abarbeiten. Auch wenn die damit verkoppelte Absolutsetzung des Ästhetischen in den folgenden Perioden der Romantik sicher nicht mehr als Leitprinzip fungiert, bleibt sie doch das eigentliche Kernproblem und als solches zentraler Bezugspunkt selbst sehr spät erst entstehender Texte.
Zum ersten Mal fundamental in Frage gestellt wurde der Primat der Ästhetik durch die politischen Ereignisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Denn:
Erst jetzt, mit dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803, mit dem Ende des [Heiligen römischen] Reiches [deutscher Nation] 1806, mit der Gründung des Rheinbunds und den Kriegen mit und gegen Napoleon war die Revolution wirklich in Deutschland angekommen4.
Diese „wirklich erfahrene Revolution“5 mit ihren unmittelbar in das soziale Leben eingreifenden Auswirkungen (im Unterschied zur lediglich intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Umbruch in Frankreich in der Zeit davor) nötigte die Autoren zu einer grundlegenden Überprüfung der eigenen ästhetischen Prämissen und, damit einhergehend, zu einer Neubestimmung ihrer ideologischen Position. Forciert wurde beides durch eine Umstrukturierung des die Bewegung tragenden Personengefüges: Der frühe Tod Wilhelm Heinrich Wackenroders (1798) und Friedrich von Hardenbergs – genannt Novalis – (1801) schwächte die intellektuelle Vorherrschaft der Gründungsfiguren Friedrich und August Wilhelm Schlegel sowie Ludwig Tieck und gestattete den nachrückenden Schriftstellern (Achim von Arnim, Clemens Brentano, Joseph Görres, Joseph von Eichendorff, E. T. A. Hoffmann und andere), eigene Akzente zu setzen. Äußerlich erkennbar wird diese Umschichtung der Kräfteverhältnisse in der Auflösung des bisherigen topografischen Zentrums Jena und dem Entstehen von kleineren Teilzentren in Heidelberg, Dresden und Berlin, später auch Wien und München.
Die Romantik ist eine jener wenigen künstlerischen Strömungen, denen es gelungen ist, sich im Lauf ihrer Entwicklung selbst zu erneuern. Ihre ästhetischen Grundprinzipien erwiesen sich als so tragfähig und entfalteten eine solche Attraktivität, dass neben die älteren Vertreter nach und nach eine deutlich jüngere Schicht von nachrückenden Autoren trat, die deren Bestrebungen aufnahm, in Teilen modifizierte und verändert weitertradierte. Während die meisten literarischen Programme von Ein-Generationen-Gruppen entwickelt und von einem altersmäßig weitgehend kohärenten Kreis von Personen getragen werden, die zumeist nur für einen begrenzten Zeitraum eine Allianz eingehen, umspannt „die Romantik [...] zwei Generationen“6 von Schriftstellern. Nur so gelang es ihr, den die Frühphase überdeutlich prägenden Charakter einer literarischen „Jugendbewegung“7 abzulegen und in den Rang einer Diskursformation mit gesamtkultureller Wirkung aufzurücken, die über eine Spanne von rund einem halben Jahrhundert hinweg eine bestimmende Rolle im literarischen Feld spielte und zwischenzeitlich eine nachgerade hegemoniale Machtposition errang.
Angestoßen von den sozialen, politischen und epistemologischen Umbrüchen nach 1800 kam es in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zu Revisionen, aber auch Erweiterungen der bisherigen Programmatik, die von einer polyphonen Allianz jüngerer und älterer Autoren betrieben wurden: Der absolut gesetzte autonomieästhetische Anspruch wurde relativiert zugunsten zweckästhetischer Zielsetzungen, der ursprünglich kosmopolitische Ansatz erfuhr eine Verengung ins Nationale, und Romantikkritik wurde fortan zu einem integralen Bestandteil des eigenen Schreibprojekts.8 Später geborene Schriftsteller, wie etwa Eichendorff oder E. T. A. Hoffmann, welche die Konstitutionsphase der Bewegung nicht mehr selbst miterlebt hatten, schnitten ihre poetischen Entwürfe von vornherein auf die veränderten Gegebenheiten zu, ältere Autoren wiederum modifizierten ihr Kunstprogramm entsprechend. Allen gemeinsam ist freilich, dass sie implizit oder explizit weiterhin auf universalpoetische Dichtungskonzepte Bezug nehmen, d.h. die Auseinandersetzung mit Elementen der frühromantischen Kunstlehre bleibt verpflichtend und bestimmt weiterhin in entscheidender Weise die einzelnen Autorpoetiken.
Das Ende der Befreiungskriege und die faktische Wiederherstellung der europäischen Landkarte auf dem Stand vor der napoleonischen Invasion durch die Karlsbader Beschlüsse (1819) hätte von den politischen Bedingungen her eigentlich eine mindestens partielle Rückkehr zu den Prämissen der romantischen Anfänge möglich gemacht. Allerdings erwies sich die zwischenzeitlich gemachte Erfahrung der letztlich nur begrenzten Reichweite und Tragfähigkeit des universalistisch gedachten romantischen Programms absoluter künstlerischer Autonomie mit seinem radikalen Anspruch auf poetische Umgestaltung der Lebenswelt im Sinne einer weitreichenden Entdifferenzierung sozialer Funktionsbereiche für viele Autoren als so einschneidend, dass sie ihre Schriftstellerexistenz insgesamt zu hinterfragen begannen. Ludwig Tieck verstummte, nachdem er bereits ab 1812 seine Publikationstätigkeit deutlich gedrosselt hatte, in den Jahren 1816 bis 1820 völlig, und Clemens Brentano wandte sich nach dem Ablegen der Generalbeichte 1817 radikal von seinem bisherigen Autorschaftskonzept ab und separierte im Zuge der Revidierung seines Literaturverständnisses die eigenen dichterischen Hervorbringungen fortan in ein lediglich privates, nach wie vor an der romantischen Ästhetik orientiertes und ein für die Öffentlichkeit bestimmtes, zweckhaft gebundenes Werk. Als beredtes Zeugnis für die zu dieser Zeit allgemein verbreitete Ernüchterung und Verunsicherung der romantischen Autoren kann ein Brief von Henrik Steffens dienen, den dieser am 11. September 1814 an Tieck schrieb. Dort heißt es im Rückblick auf die eigenen ästhetischen Anfänge bitter:
Ein geistiger Babelsthurm sollte errichtet werden, den alle Geister aus der Ferne erkennen sollten. Aber die Sprachverwirrung begrub dieses Werk des Hochmuth[s] unter seine eigene Trümmer – Bist du der, mit dem ich mich vereinigt träumte? fragte einer den andern – Ich kenne deine Gesichtszüge nicht mehr, deine Worte sind mir unverständlich, – und ein jeder trennte sich in den entgegengesetztesten Weltgegenden [...]. Dann kam der politische Druck [...]. Nun ist der riesenhafte Dämon verschwunden ... [ebenso] wie das geistige Riesenbild, welches [...] mit so unsäglichen Versprechungen lockte – und es liegt nun alles da, wie ein verschwundener Traum.9
Nicht zufällig ist Steffens’ Absage an die frühromantische Poetik von christlichen Motiven und Allusionen auf die Bibel durchsetzt. Die Erkenntnis der Grenzen – um nicht zu sagen: der Undurchführbarkeit – des einstmals entworfenen ästhetischen Projekts ließ die Autoren fortan nach Wegen suchen, wie eine auf dem Prinzip radikaler Subjektivität beruhende Konzeption von Kunst nachträglich so gesellschaftlich verankert werden konnte, dass sie ihren tendenziell asozialen Charakter verliert. Die Religion bot sich hierfür in geradezu idealer Weise als Bezugspunkt an. Anstatt Künstler und Kunstwerk in quasireligiöser Form zu auratisieren, wie das die Frühromantik getan hatte, sollte Religion nun umgekehrt wieder als übergreifender Sinn- und Verständnishorizont von Kunst dienen. Das ursprüngliche ästhetische Entdifferenzierungsbestreben wurde also in die phantasmatische Wunschvorstellung eines verbindlichen religiösen Interdiskurses überführt, der alle sozialen Funktionsbereiche miteinander verknüpft und in dessen Rahmen ästhetische Kommunikation soweit legitimiert ist, dass sie ungefährdet weiterexistieren kann. Damit war der eigenständige Status von Literatur angesichts ihrer fundamentalen Infragestellung durch politische Ereignisse und die allmählich um sich greifende Technisierung der Lebenswelt gesichert – ein Anliegen, das für fast alle Autoren im Umkreis der Romantik entscheidende Bedeutung besaß. Zu den Autoren, die diesen Weg einschlugen, gehören u.a. Friedrich Schlegel, Joseph Görres und Clemens Brentano, aber auch Joseph von Eichendorff.
Natürlich ließen sich nicht alle Schriftsteller, vor allem die protestantisch geprägten nicht, auf das Muster einer ‘christlichen Literatur’ verpflichten. Tieck etwa entwickelte ein säkulares Gegenmodell dazu, das von dem Gedanken getragen war, Kunst wieder stärker auf ihre sozialkommunikative Funktion zu verpflichten. Letztlich ist aber in beiden Fällen das Ziel, durch eine Reaktivierung vormoderner ästhetischer Konzepte die von der – transzendentalphilosophisch orientierten – frühromantischen Poetik vernachlässigte lebensweltliche Verbindlichkeit der Literatur erneut zurückzugewinnen. Aus einer einstmaligen Entdifferenzierungsbewegung, die vehement das Prinzip absoluter ästhetischer Autonomie verfocht, wurde so im Lauf ihrer Entwicklung eine literarische Strömung, die eine maßvolle Begrenzung des Ästhetischen propagiert.
Zu denjenigen Autoren, die schon früh die Aporien romantischer Ästhetik zu ihrem Thema gemacht haben, gehört E. T. A. Hoffmann. Auch wenn er die von seinen Kollegen geforderte Absolutsetzung der Kunst übernimmt, teilt er doch nicht deren „Glauben an das utopische Potential von Kunst, an ihre Vermittlungsfähigkeit zwischen Endlichem und Unendlichem“10. Indem Hoffmanns Texte aber die „prinzipielle Unvermittelbarkeit“11 von Kunst und ‘Leben’ inszenieren, artikulieren sie Zweifel an der Realisierbarkeit des frühromantischen Programms einer „progressiven Universalpoesie“. Ritter Gluck (1814), Die Elixiere des Teufels (1815) oder Der Sandmann (1817) führen, indem sie die Protagonisten konsequent in Tod und Wahnsinn enden lassen, die Problematik einer von allen Bezügen losgelösten und damit a-sozialen Kunst vor. In seinem Spätwerk hat sich der Autor dann erkennbar um den Entwurf eines Gegenmodells bemüht. In der Erzählung Prinzessin Brambilla (1820) beispielsweise ist eine deutliche Tendenz zur „‘Entsakralisierung’ der Kunst“12 zu beobachten. In Abgrenzung sowohl von der Realitätsferne der Weimarer Klassik13 als auch von der Hypertrophierung der Kunst durch die Romantik skizziert Hoffmann versuchsweise, wie sich Ästhetik und Ethik – erneut – miteinander vermitteln lassen. Eine solche „Hinwendung zum Sozialen“14 läßt sich – beginnend ungefähr mit den zwanziger Jahren – auch bei anderen Autoren der romantischen Bewegung beobachten und kann als ein wesentliches Charakteristikum der Spätromantik angesehen werden.
In Achim von Arnims Werk werden spätestens ab der zweiten Dekade des 19. Jahrhunderts Vorbehalte gegenüber dem utopischen Kunstprogramm der Frühromantik artikuliert. Von nun an lassen sich vermehrt Vorbehalte des Autors gegenüber dem Konzept einer totalistisch gedachten, von sozialen Bezügen losgelösten und tendenziell apolitischen „Universalpoesie“ erkennen. Nicht zufällig enthält die Vorrede des Romanfragments Die Kronenwächter (1817) eine deutliche Spitze gegen Novalis, der das „Romantisi[e]ren“ bekanntlich als künstlerische Verfahrensweise definiert hatte, bei der „dem Gemeinen ein hoher Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnißvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen ein unendlicher Schein“ (Novalis-WTB, Bd. 2, S. 334) verliehen werde. Arnim indes warnt gerade davor, dass das „Zeitliche überheiligt“ (AvA-DKV, Bd. 2, S. 13) werde, und erteilt deshalb der utopischen Verklärung der Vergangenheit ebenso eine Absage wie der daraus abgeleiteten Idee einer „Restauration historisch überkommener Herrschaft“15. Indem er in den Kronenwächtern das universalpoetische Prinzip der Gattungsmischung und den von der Frühromantik geforderten Arabeskenstil mit dem neuen Erzähltypus des historischen Romans (den parallel dazu Walter Scott entwickelt und populär gemacht hat) amalgamiert, kreiert er ein Formmodell, das zeigen soll, wie außerliterarische Wirklichkeit in der Literatur repräsentiert werden kann, ohne dass diese einfach im Sinne einer naiven Wiederspiegelungsästhetik mit den Mitteln der Sprache kulissenhaft simuliert wird. In der „Dichtung und Geschichte“ überschriebenen Einleitung – einem der wichtigsten Programmtexte der Zeit – reflektiert der Autor das Verhältnis beider Sphären auf grundlegende Art und Weise und bestimmt den Aufgabenbereich von Literatur im Wechselbezug zu der ihr vorgängigen Ebene der historischen Ereignisse: Dichtung ist demnach nicht „geschichtliche Wahrheit [...], sondern [...] eine geahndete Füllung der Lücken in der Geschichte“ (ebd., S. 15). Arnims Konzept einer Literatur, die sich bewusst für den Raum des Historischen öffnet, stellt eine direkte Reaktion auf die veränderten politischen Verhältnisse dar.
Für die Spätromantik als Ganzes ist ein Gestus des Selbstbefragung charakeristisch, weshalb diese Phase der literaturgeschichtlichen Entwicklung auch im Zeichen einer „zitierten Romantik“16 steht. Die Selbstbezüglichkeit, die zu Beginn der Bewegung noch zentraler Bestandteil des ästhetischen Programms war, wird nun zu einem Kennzeichen der Selbsthistorisierung. Allerdings bedeutet „die nochmalige Heraufbeschwörung der Romantik“ nicht zwangsläufig auch „eine Form des Abschieds von ihr“17. Vielmehr findet eine kritische Selbstüberprüfung statt mit dem Ziel, wesentliche Elemente des eigenen ästhetischen Entwurfs in – wenn nötig: modifizierter Form – zu bewahren. Wenn beispielsweise Tieck in Des Lebens Überfluß (1839) nachgerade allegorisch das romantische Unbedingtheitsstreben mit seiner Loslösung von allen Bindungen als verhängnisvollen Weg aus der Gesellschaft in die Selbstisolierung darstellt, dann betreibt er zwar eine rabiate Form von „Entzauberung“, doch darf dieser Akt der Desillusionierung nicht als „Entromantisierung“18 missverstanden werden. Der Autor verabschiedet die Romantik nicht, sondern treibt lediglich die Aporien hervor, in die eine naive, weil vor den Folgen den Blick verschließende Verabsolutierung des Konzepts der Lebenskunst verbunden mit dem antibürgerlichen Impuls jugendlichen Unbedingtheitsstrebens führt. Dabei verfolgt er das Ziel, der Leser möge aus der als Warnerzählung gestalteten Geschichte lernen und sich vor dem Weg in den Solipsismus, den die Frühromantik fahrlässig mit einer glanzvollen Aura umgeben hat, hüten. Tieck bejaht deshalb in der als vielstimmiges Echo auf das Konzept des Bildungsromans konzipierten, umfangreichen Novelle Der junge Tischlermeister (1836) ausdrücklich die „ Verwandlung des gemeinen Lebens in ein poetisches Schauspiel“ (Tieck-DKV, Bd. 11, S. 79), wie sie etwa im Rahmen von Aufzügen, Volksfesten und Prozessionen stattfindet. Doch ist diese theatrale Überhöhung des Alltagslebens eben an besondere Gelegenheiten gebunden und unterscheidet sich damit vom Modus ubiquitärer Ästhetisierung in Permanenz, wie ihn die frühromantische Poetik imaginierte.
Die Rücknahme bzw. Relativierung des Konzepts der Lebenskunst läßt sich auch am Personal der in den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren entstandenen Texte ablesen. Waren Künstler in der Frühromantik der beliebteste Figurentypus, so werden diese in spätromantischen Texten entweder als Warngestalten eingesetzt oder durch bodenständigere Protagonisten abgelöst. Tiecks „junger Tischlermeister“ Wilhelm Leonhard beispielsweise ist ein begabter Handwerker, der es zwar versteht, die Kunst lebenspraktisch zu machen, ihren Geltungsbereich freilich begrenzt, indem er ihr im wesentlichen eine dienende bzw. schmückende Funktion zumißt. Umgekehrt veranschaulicht Tieck in seinem historischen Roman Vittoria Accorombona (1840), der mit gezieltem Rückgriff auf entsprechende Werke der Frühromantik in der Renaissance und damit einer – die Romantik spiegelnden – Epoche der Autonomwerdung und der beispiellosen Entfaltung der Künste spielt, dass das Individuum letztlich gesellschaftliche Zwänge nicht völlig abzuschütteln vermag und eingelassen ist in ein Koordinatensystem historischer Rahmenbedingungen, die eine Absolutsetzung der Kunst nicht erlauben und der Selbstermächtigung des Subjekts Grenzen setzen, die nur um den Preis des Untergangs überschritten oder ignoriert werden dürfen.
Ähnliches ist auch bei Eichendorff zu beobachten. Schon in seinem ersten Roman Ahnung und Gegenwart (1815) wird die Verwirrung thematisiert, die eintritt, wenn das Ich seiner Grenzen verlustig geht. Als unterschiedliche Dichtertypen vorgeführt werden mit Leontin der erfolglose Poet, mit Faber der Schriftsteller, der Literatur als Profession betreibt, mit Romana eine Gestalt, die auf den Zusammenhang von Romantik und Selbstverlust hindeutet, und mit Friedrich eine Figur auf der Suche nach der Poesie. Leontin erkennt schließlich den phantasmatischen Charakter seiner jugendlichen Entgrenzungswünsche – die denen der Frühromantik entsprechen – und gesteht: „Glaubte ich doch einmal in allem Ernste, ich sei die Weltseele, und wußte vor lauter Welt nicht, ob ich eine Seele hatte, oder umgekehrt.“ (Eichendorff-DKV, Bd. 2, S. 80f.) Friedrich wiederum findet Halt im Glauben:
Der Entschluß, sein Dasein Gott zu widmen, und die Absage an die Poesie greifen komplementär ineinander. Der Glaube an das romantische Programm der Poetisierung und Poetisierbarkeit des Daseins – das naturpoetische Postulat der Einheit von Leben und Posie – ist in Ahnung und Gegenwart im Schwinden begriffen19.
Der späte Roman Dichter und ihre Gesellen (1834), in dem Eichendorff laut eigener Aussage das Ziel verfolgte, „die verschiedenen Richtungen des Dichterlebens dar[zu]stellen“ (Eichendorff-HKA², Bd. 12, S. 129). knüpft daran unmittelbar an. Indem der Autor hier diverse Figuren auftreten läßt, „die auf jeweils verschiedene Weise [...] Leben und Dichten miteinander zu verbinden suchen“ (Eichendorff-DKV, Bd. 3, S. 710), nimmt er Bezug auf eine zentrale Forderung der frühromantischen Ästhetik – nämlich die nach einem poetischen Leben bzw. einer Lebenskunst – und überprüft diese auf ihre Realisierbarkeit sowie ihre Folgen. Graf Victor lässt er ganz unverblümt fragen: „ Warum sollte man so ein lumpiges Menschenleben nicht ganz in Poesie übersetzen können?“ (Ebd., S. 174) Im Zuge der Evaluation werden allerdings deutliche Zweifel laut angesichts der Tragfähigkeit eines solchen Konzeptes. Dementsprechend benennt die Figur des gelehrten Poeten Dryander die abschreckenden Konsequenzen einer unmittelbaren Umsetzung von Dichtung in Leben: „kaum beträte man das Revier eines Poeten, so schössen verstorbene Doppelgänger, gleich wahnsinnigen Pilzen, aus dem unvernünftigen Boden und säßen auf den Klippen umher und wackelten mit den Köpfen“ (ebd., S. 346). Indem Eichendorff hier in Texten seiner Schriftstellerkollegen verbreitete Motivkonstellationen karikiert, grenzt er sich von den ästhetischen Entgrenzungsbestrebungen einer ethisch blinden und damit letztlich „dummen Romantik“ (ebd.) ab. Das Reich der Poesie erscheint zwar als Faszinosum, wird aber auch als Sphäre der Illusion und Gefährdung (Otto, Lothar/Victor/Vitalis, aber auch Dryander) erkennbar. Fortunat ist die einzige Figur, der es gelingt, Leben und Kunst in eine existenzfähige Balance zu bringen. Deshalb kann der Autor sie auch den Ausruf tun lassen: „Ach [...], ich wollte, die Romantik wäre lieber gar nicht erfunden worden!“ (Ebd., S. 329)
Zuweilen geht die Selbstevaluation bis zur Infragestellung der eigenen ästhetischen Prämissen. Ludwig Tieck wendet sich in Das alte Buch (1834) zeitgenössischen Ausprägungsformen der Romantik zu, die er als Entstellungen begreift. Besonders die sog. Schwarze Romantik ist es, die mit ihrer Vorliebe für Schauereffekte und ihrer prononcierten Akzentuierung des Hässlichen seinen Widerwillen erregt. Er dekonstruiert deshalb den Begriff des Romantischen, indem er ihn unter Zuhilfenahme historisch bewusst unzutreffender, phonetischer Etymologie auf die Tätigkeit eines „rohen Mantschens“ (Tieck-DKV, Bd. 11, S. 851) zurückführt und sich und seine Kollegen einer Mitverantwortung an den künstlerischen Fehlentwicklungen der Gegenwart bezichtigt. Eichendorff seinerseits thematisiert in den Satiren Auch ich war in Arkadien! und Viel Lärmen um Nichts (1832) unverhohlen das „Scheitern der romantischen Bewegung“, wobei er parallel dazu aber eben auch den Versuch unternimmt, in kritischer Auseinandersetzung „mit den Ideen der Frühromantik [...] eine erneuerte, zeitgemäße Romantik zu entwickeln“ (Eichendorff-DKV, Bd. 3, S. 714). Man kann in diesem Zusammenhang durchaus vom Konzept einer „entdämonisierten“20 oder „domestizierten Romantik“21 sprechen. Wie besonders Eichendorffs zahlreiche Anspielungen auf Texte Brentanos (Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl, „Mährchen vom Rhein“, Spätfassung von Gockel, Hinkel und Gakeleia) in Dichter und ihre Gesellen, Libertas und ihre Freier sowie in Das Incognito verdeutlichen, gehen die Angriffe auf die Widersacher im Lager der politisch engagierten Schriftsteller mit einer Abgrenzung von den Idealen der Jugendzeit und all jenen Weggefährten einher, die sich von den Idealen der Romantik vermeintlich verabschiedet haben. So zitiert Eichendorff – nach einer Erwähnung in Dichter und ihre Gesellen (vgl. ebd., S. 316) – im Puppenspiel Das Incognito erneut die von Tieck geprägte Formel „ Waldeinsamkeit“, auf die dieser selbst 1840 in der gleichnamigen Erzählung ironisierend Bezug genommen hat. In Viel Lärmen um Nichts beschuldigt er den Kollegen gar des Verrats an der Romantik. Zu beobachten ist hier ein intensiver – zuweilen polemischer – intertextueller Dialog zwischen den übrig gebliebenen Vertretern der romantischen Bewegung. Diese ausgeprägte Intertextualität der spätromantischen Literatur, die aus dem Gestus der Selbstbefragung und Selbsthistorisierung resultiert, führt dazu, dass die einzelnen Texte stellenweise den Charakter von Palimpsesten annehmen.
Sentimentale Nostalgie ist den spätromantischen Autoren dabei fremd, vielmehr dient die zeitliche Rückschau einer kritischen Überprüfung der eigenen künstlerischen Prämissen. Deshalb wird sie auch flankiert von einer offensiven Auseinandersetzung mit den seither entstandenen neueren literarischen Strömungen. Selbstverortung findet also statt im Rückblick auf die eigene Vergangenheit und auf die Gegenwart – und zwar sowohl ästhetisch als auch zeitgeschichtlich. Da freilich die Zukunft vorwiegend skeptisch gesehen wird, fehlt der Spätromantik das utopische Element. Statt dessen sucht sie zu bewahren, was im Zuge der geschichtlichen Entwicklung verlorenzugehen droht. Daher rührt der restaurativ wirkende Zug, der sowohl von den Zeitgenossen als auch von der späteren Forschung vielfach konstatiert worden und nicht selten als ihr Hauptmerkmal ausgegeben worden ist. Die spätromantischen Autoren wollen aber nicht einfach die Vergangenheit wieder-holen,22 sondern nur jene Impulse in eine veränderte historische Situation weitervermitteln, die ihnen für die Bewahrung der Poesie in einer zunehmend dichtungsfeindlichen und unpoetischen Zeit unverzichtbar erscheinen.
Diese Selbstbeschränkung indes, die angesichts der restaurativen politischen Verhältnisse und der dadurch bedingten eingeschränkten Öffentlichkeit geradezu zwangsläufig quietistisch, wenn nicht gar reaktionär wirken musste, eröffnete einer nachwachsenden Generation von Autoren die Möglichkeit, sich effektvoll von der kulturell nach wie vor dominierenden Romantik abzugrenzen. Schon in den zwanziger Jahren entwickelten Schriftsteller wie Ludwig Börne und Heinrich Heine alternative Konzeptionen von Literatur, die sich stark an wirkungsästhetischen Prämissen orientierten und Operativität zur obersten Maxime ihrer Poetik erklärten. Rasch fanden sie Anhänger – erst bei den Autoren des Jungen Deutschland (Karl Gutzkow, Ferdinand Gustav Kühne, Heinrich Laube, Ludolf Wienbarg), dann auch bei Vertretern einer politischen Lyrik (Anastasius Grün, Georg Herwegh, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Ferdinand Freiligrath). Auf diese Weise begann nach der Julirevolution (1830) und dem Tod Goethes (1832) – Ereignissen, die sofort im Sinne der eigenen Programmatik als Zeitenwende gedeutet und zu symbolischen Markierungen des Geschichtsverlaufs erklärt wurden – eine nachrückende Generation von Schriftstellern den literarischen Diskurs nachhaltig zu prägen.
Da aber viele Autoren der Romantik auch in den dreißiger und vierziger Jahren noch künstlerisch aktiv waren, ergab sich ein eigentümliches Phänomen: Die Diskursformation Romantik wurde nicht einfach von einer nachfolgenden abgelöst, sondern eine historisch jüngere, die der Einfachheit halber mit dem Sammelbegriff ‘ Vormärz’ bezeichnet werden soll, schob sich neben und teilweise auch über die bestehende, was einerseits zu eigentümlichen Interferenzerscheinungen führte, andererseits eine Konkurrenzsituation begründete, die sich – auf Grund des eintretenden Verdrängungswettbewerbes auf dem literarischen Markt – hier wie dort in überaus heftigen Abwehrreaktionen und Selbstprofilierungserscheinungen entlud. Die besondere Pointe dieser Konstellation besteht darin, dass Romantik und Vormärz im Grunde als rivalisierende, weil konträr zueinander stehende ästhetische Entdifferenzierungsbewegungen begriffen werden müssen. Während die Frühromantik eine Verbindung von Kunst und ‘Leben’ unter dem Primat der Kunst anstrebte, sollte im Vormärz die Verknüpfung beider Sphären unter dem Primat des ‘Lebens’ geschehen, was zu einer Relativierung des Autonomiepostulats und, in Folge davon, einer Depotenzierung des „ästhetischen Imperativs“23 führte.
Die Diskursformationen Romantik und Vormärz bieten sich also als in sich komplementäre Reaktionsmuster dar, die eine Gegenposition zu dem in Deutschland am deutlichsten im Produktionsbündnis von Goethe und Schiller (‘ Weimarer Klassik’) Programm gewordenen Prinzip der – relativen – Kunstautonomie markieren, das Kunst nur für sich, d.h. abgegrenzt von der Gesellschaft als autonom konzipiert und gleichwohl eine ethische Verpflichtung der Kunst aufrechterhalten möchte. Die Romantik mit ihren vielgestaltigen Entgrenzungsstrategien und ihrem Konzept der Lebenskunst antwortet auf die Aporien der – von Immanuel Kant vorgedachten und von Karl Philipp Moritz ausformulierten – Autonomieästhetik, indem sie die von dieser geforderte autoreferentielle Beschränkung der Kunst auf sich selbst teils subvertiert, teils aber auch wieder bestätigt. Unterlaufen wird der selbstreferentielle Charakter der Kunst, indem die Schranken, in denen sich ästhetische Kommunikation nach der klassizistischen Theorie zu bewegen hat, in alle Richtungen geöffnet werden. Auf Umwegen bestätigt wird er freilich dadurch wieder, dass der Modus des Ästhetischen auf alle Seinsbereiche ausgeweitet und so gewissermaßen absolut gesetzt wird. Wenn aber alles Kunst ist bzw. sein kann, dann ist die auf Grund des künstlerischen Autonomiestatus gebotene Autoreferenzialität des Kunstwerks auf einer sekundären Ebene wieder gegeben.
Der Begriff Spätromantik bezieht sich mithin auf jene Phase der romantischen Bewegung, in der die Autoren unter den Bedingungen der Restauration (und damit vor dem Hintergrund der ihr vorausgehenden politischen Erfahrungen) und begleitet von den durch die Industrialisierung bewirkten sozialen Umbrucherscheinungen auf die ökonomische und ästhetische Konkurrenz der nachfolgenden Generation von Schriftstellern treffen und in Auseinandersetzung mit ihr das eigene Kunstprogramm redefinieren. Zeitlich setzt die dritte Etappe der Romantik etwa mit den Karlsbader Beschlüssen (1819) ein, welche die auf dem Wiener Kongress beschlossene Restauration der alten politischen Ordnung exekutiv umsetzen und direkte Auswirkungen auf die Zirkulationsbedingungen und Wirkungsmöglichkeiten von Literatur haben. Die rigide Einschränkung der öffentlichen Meinungsfreiheit mit Hilfe von Zensur, Bespitzelung und der Verfolgung unliebsamer Intellektueller zwingt der Kunst nachgerade wieder Funktionen auf, die sie bereits abgelegt hatte: nämlich die, als Ersatzöffentlichkeit zu fungieren und Agitation bzw. politische Willensbildung unter dem Deckmantel des Ästhetischen zu betreiben. Erst die europäischen Revolutionen von 1848/49 beenden diese Phase durch politischen Druck eingeschränkter Kommunikation und setzen dem Vormärz wie der Spätromantik gleichermaßen ein Ende.
Die Bemühungen der spätromantischen Autoren zielen – wie bereits angedeutet – im wesentlichen auf eine Selbstkorrektur der eigenen ästhetischen Prämissen ab: Literatur soll wieder ethische Verbindlichkeit erhalten, das absolut gesetzte Ich wieder in soziale Kontexte eingebunden und dem Künstlertum wieder der Status einer gesellschaftlich verantwortlichen Tätigkeit zugeschrieben werden.24 Darüber hinaus sollte auch eine möglichst trennscharfe Abgrenzung vom breiten Feld der Epigonen erreicht werden. Zu diesem Zweck entwerfen die Autoren in ihren Texten vielfach Beispielfiguren einer „falschen Romantik“25, die dazu dienen sollen, gleichsam ex negativo die Umrisse eines adäquaten Verständnisses von Romantik hervortreten zu lassen. Indem sie so explizit Fehlentwicklungen des eigenen ästhetischen Ansatzes thematisieren, reihen sich die Vertreter der Spätromantik allerdings faktisch in den seit Beginn des 19. Jahrhunderts immer stärker anschwellenden Chor der Romantikkritiker ein, was zum einen die Überzeugungskraft des spätromantischen Literaturentwurfs beeinträchtigte und zum anderen die Außenwirkung der Bewegung schwächte. Fortan fiel es ihren Vertretern denn auch immer schwerer, sich als einheitliche literarische Phalanx zu präsentieren, vielmehr erweckte die Romantik in ihrer Spätphase zunehmend den Eindruck, als habe sich der einstige schlagkräftige Verbund in eine Reihe isolierter Einzelkämpfer aufgelöst.
In der Tat fehlen in der letzten Periode der Romantik Gruppenkonstellationen fast völlig, jene meist regional definierten Sozialstrukturen, welche für die frühe und mittlere Phase der Romantik so charakteristisch sind. Die damit verbundene Vereinzelung der Autoren läßt sich im übrigen als deutlicher Hinweis darauf werten, dass das anfangs mit Emphase entwickelte Konzept der ‘Symphilosophie’ bzw. der ästhetischen Sympraxis endgültig gescheitert ist. Angesichts der ideologischen Unterschiede der Literaten, vor allem aber angesichts der modernen Marktbedingungen, denen sie sich ausgesetzt sehen, hat sich die utopische Vision künstlerischer Gemeinschaftsarbeit offenkundig als unhaltbar erwiesen. Und auch die lebensreformerischen Versuche im Hinblick auf die soziale Organisation der privaten Existenz haben sich letztlich als nicht tragfähig herausgestellt. Die einzelnen Schriftsteller sahen sich mithin nicht nur auf konventionelle bürgerliche Umgangsformen zurückverwiesen, sondern mussten darüber hinaus auch erkennen, dass sie auf dem Markt der symbolischen Güter ganz allein auf sich selbst gestellt und gezwungen waren, ohne den Rückhalt eines Kollektivs zu agieren. Sie hatten zwar dem romantischen Gruppenzusammenhang die Erringung ihres Autorstatus zu verdanken und profitierten von einer gewissen ästhetischen Hegemonialstellung, doch fehlten ihnen großenteils die nötigen operativen Mittel, um sich wirksam gegen die immer bestimmter auftretende Konkurrenz der Vormärzschriftsteller zu behaupten. Als Manko erwies sich vor allem das Fehlen eigener Publikationsorgane. Während die jungen Autoren zumindest anfangs weitgehend geschlossen als Generationengruppe auftraten und ihre dauerhafte Präsenz in der Öffentlichkeit vor allem mit Hilfe selbstredigierter Periodika nachhaltig sicherten, stand den Vertretern der Spätromantik zwar nahezu das gesamte Spektrum der Presseerzeugnisse offen, doch erreichten sie keine größere Durchschlagskraft mehr, weil sie auf die Nutzung von Tagespublizistik weitgehend verzichteten. Diese Abstinenz, die freilich dem eigenen, zwischenzeitlich modifizierten ästhetischen Programm entsprach, ließ sie gegenüber der aggressiven Selbstdarstellung der Vormärzautoren mehr und mehr ins Hintertreffen geraten. Heine konnte deshalb Tieck als in die Jahre gekommenen Kläffer karikieren, dem es an der nötigen Durchsetzungskraft fehle:
In Dresden sah ich einen Hund,
Der einst sehr scharf gebissen,
Doch fallen ihm jetzt die Zähne aus,
Er kann nur bellen und pissen.26
Die Autoren der Spätromantik sahen sich demnach einer ständigen Doppelverpflichtung ausgesetzt. Sie mußten die Historisierung der eigenen literarischen Bewegung und die Korrektur ihrer ästhetischen Grundlagen von der – in ihren Augen: pauschalen – Romantikkritik der jüngeren Schriftstellerkollegen abrücken und damit die eigene Selbstverortung mit Abgrenzung gegenüber antiromantischen Kunstprogrammatiken verbinden. Es galt, einerseits die Panästhetisierungsversuche der Frühromantik zu relativieren und andererseits den Entliterarisierungsbestrebungen der konkurrierenden Schriftsteller des Vormärz entgegenzutreten. Auch wenn der permanente Kampf an zwei Fronten die Bemühungen der Spätromantiker zwangsläufig defensiv erscheinen ließ, trug er doch entscheidend dazu bei, dass sich die romantische Bewegung in erstaunlichem Ausmaß der zeitgenössischen Gegenwart öffnete. Beispielsweise fand auf mehreren Ebenen eine Auseinandersetzung mit dem Kunstprogramm der Widersacher statt.
Eichendorff etwa rechnet in der späten, zu Lebzeiten unpubliziert gebliebenen Erzählung Libertas und ihre Freier (1849) scharf mit den Idealen der 1848er Revolution ab und attackiert im Versepos Julian (1853) sowie im satirischen „Puppenspiel“ Das Incognito die von den Jungdeutschen verfochtene „Emanzipation des Fleisches“. Tieck verfasst Mitte der dreißiger Jahre einige Texte, die sich direkt gegen die ästhetischen und politischen Bestrebungen der jungdeutschen Autoren wenden. So lässt er in seiner „Märchen-Novelle“ Das alte Buch oder die Reise ins Blaue hinein Ludwig Börne und Heinrich Heine als Anführer eines Heers von Gnomen auftreten, die als Inkarnation des Hässlichen und Bösen das Gegenprinzip aller Poesie verkörpern. In der als Erzählzyklus in nuce konzipierten Novelle Der Wassermensch (1835) wird mit Blick auf die Autoren des Jungen Deutschland die Figur eines unbedachten, zum Fanatismus neigenden politischen Schwärmers gezeichnet, dessen naive wie übertriebene Begeisterung für die Tagespolitik ihn nicht nur blind für sein unmittelbares Lebensumfeld macht, sondern sogar „Kunst und Wissenschaft“ verachten lässt, die ihm als unnützer Zeitvertreib erscheinen, der „den Menschen“ vom „Kampfe, der uns allen bevorsteht“ (Tieck-DKV, Bd. 11, S. 864), abhält. Eigensinn und Laune (1835) wiederum geht mit den vom Sensualismus der Saint-Simonisten abgeleiteten Postulaten einer Neugestaltung des Verhältnisses der Geschlechter zueinander scharf ins Gericht. Tiecks Novelle führt anhand der ebenso koketten wie kapriziösen Emmeline, die schließlich zur Bordellbesitzerin herabsinkt, die Folgen unbedingten weiblichen Selbstverwirklichungsstrebens in aller Drastik vor. Sein Text ist eine Antwort auf das Erscheinen von Karl Gutzkows Skandalroman Wally, die Zweiflerin (1835), muss aber zugleich auch als Auseinandersetzung mit der Person Bettine von Arnims gesehen werden, die vor allem deshalb ins Blickfeld gerät, weil sie den Jungdeutschen als Vorbildgestalt galt. Der Titel der Novelle jedenfalls zitiert eine Stelle aus ihrer im Frühjahr 1835 erschienenen teilfingierten Quellenedition Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde.27 Gerade der Bezug auf ihre Person zeigt, dass Tieck abermals den Blick über das Junge Deutschland hinaus auf die Ursprünge der eigenen Bewegung richtet, schließlich ist die junge Bettine, mit der er zwischenzeitlich gut bekannt war, ganz wesentlich von der Romantik geprägt worden. Indem Eigensinn und Laune in einem hochpolemischen allegorischen Handlungsentwurf „die Irrung einer exaltiert emanzipatorischen ‘Romantik’“ (BvA-DKV, Bd. 2, S. 923) nachzeichnet, stellt der Autor rückwirkend die vor allem in Friedrich Schlegels Roman Lucinde entworfene, frühromantische Neukonstellierung der gender-Ordnung in Frage.
Auch wenn die Vertreter der Romantik und des Vormärz neben der Produktion der eigenen Weggefährten auch die der Konkurrenten aufmerksam wahrnahmen und in vielfältiger Weise auf die ästhetischen und politischen Gegenpositionen reagierten,28 kam es doch zu keinem wirklichen Austausch über die ideologischen Gräben hinweg. Es gibt letztlich nur eine einzige Gestalt, deren Biografie und Werk eine Brücke zwischen beiden Bewegungen schlägt und deren Konzepte miteinander zu vermitteln versucht: Bettine von Arnim geb. Brentano. Möglich war dies, weil die Schwester Clemens Brentanos und Ehefrau Achim von Arnims spät zu publizieren begann. Ihr erstes Werk, Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde, erschien erst 1835 und damit etwa in der Mitte der spätromantischen Phase und zu einem Zeitpunkt, zu dem das Junge Deutschland gerade dabei war, sich zu konstituieren. Daher konnte die Autorin auf beide Entwicklungen reagieren und diese zu einem eigenen künstlerischen Ansatz synthetisieren. Bettine von Arnim ist tief von romantischen Denkstrukturen geprägt, macht es sich aber zur Aufgabe, diese Konzepte mit der Vormärz-Gegenwart zu vermitteln. Romantische Themen und Motive setzt sie bewusst ein, um sie auf ihre Validität hin zu überprüfen. Dementsprechend „erweisen die romantisch anmutenden Elemente“ in ihren Texten „sich schnell als Versatzstücke der Romantik: „Etwa der Anruf der Musen, das nächtliche Schreiben bei Mondschein, das Ansprechen einer beseelten Natur, die nächtliche Kutschfahrt durch fackelerhellten Wald.“29 Da die Romantik in den späten dreissiger und vierziger Jahren bereits historisch geworden ist, kann sie ihre Anfänge mit dem Gestus der Erinnerung wieder wachrufen und danach fragen, welchen Platz romantische Konzepte in der Gegenwart noch haben. Zugleich klagt sie aber auch die Umsetzung romantischer Forderungen ein.
So revitalisiert sie – in deutlichem Gegensatz zu ihren Schriftstellerkollegen, die allesamt Relativierungen daran vornehmen – mit aller Entschlossenheit das Konzept einer Verbindung von Leben und Kunst. Allerdings ist diese Verschränkung bei ihr weniger Ausdruck ästhetischer Spielfreude, vielmehr fungiert sie als Instrument, um die soziale Realität mit den Mitteln der Phantasie umzugestalten. Der ästhetische Totalitätsanspruch, der dem Programm einer „progressiven Universalpoesie“ zu eigen ist, garantiert nicht nur das Weiterleben der Kunst in einer kunstfernen Zeit, sondern verhilft ihr obendrein zu sozialer Wirksamkeit. Bettine von Arnim klagt demnach mit Nachdruck die Versäumnisse der Romantik ein. Das utopische Projekt, das unter diesem Namen begonnen wurde, ist aus ihrer Sicht nicht wegen der ihm innewohnenden Aporien in eine Krise geraten, sondern es wurde nicht konsequent genug umgesetzt, so dass es als unabgegoltene Aufgabe angesehen werden muss, deren Umsetzung die Autorin nun in Angriff nimmt.
Eingedenk der von der Frühromantik im Zuge des universalpoetischen Ansatzes betriebenen Aufwertung lebensweltlicher Ausdrucksformen – „Der wahre Brief ist seiner Natur nach poetisch“ (Novalis-WTB, Bd. 2, S. 249), hatte Novalis im 56. Blüthenstaub-Fragment postuliert –, macht Bettine von Arnim den Brief (und später dann das Gespräch) zu ihrem bevorzugten Artikulationsmedium. All ihre Bücher geben sich als Editionen tatsächlich gewechselter Briefdokumente bzw. Dokumentationen „der Erinnerung abgelauschter Gespräche“ und unterlaufen damit gezielt die für literarische Werke geltenden ästhetischen Normen.30 Tatsächlich aber hat die Autorin das ihr vorliegende Material tiefgreifend bearbeitet – und zwar mit Blick auf die eigene Gegenwart. Auf diese Weise verbindet sie den romantischen Impetus, alle Lebensäußerungen auch als künstlerische Verlautbarungen zu werten, mit der jungdeutschen Vorliebe für Gebrauchsformen der Literatur, die zum Zweck des „Ideenschmuggels“31 instrumentalisiert werden.
Durch die ebenso kühne wie naheliegende Verkreuzung verschiedenartiger ästhetischer Programme schafft es Bettine von Arnim, ein hochfliegendes Konzept autonomer Subjektivität in die Praxis sozialer Verantwortung zu überführen. Indem sie mit den Mitteln und dem Motivrepertoire der Romantik ein Entdifferenzierungsprogramm im Sinne des Vormärz betreibt, führt sie die Romantik als ästhetische Bewegung an ihr Ende: Das romantische Programm wird umfunktionalisiert und so in gewisser Weise dekonstruiert. Schon Richard Benz hat deshalb Bettine von Arnim als jene Autorin angesehen, „die als Letzte die Bewegung in [die] Zukunft weiterführt und -denkt“32: „diese angewandte Romantik bleibt als Vorbild aufgerichtet dessen, was die Bewegung erstrebte [...]; hier war ihr Ethos am Ziel, [...] hier ward es, als letztes Wort der Romantik, noch einmal vernehmlich gekündet“33.