Читать книгу Migration|Integration|Exklusion - Eine andere deutsch-französische Geschichte des Fußballs - Группа авторов - Страница 12
Migrantenclubs und „Umwegsintegration“
ОглавлениеMigrantenvereine und „clubs ethniques“: für diverse Beobachter*innen damals schlicht ein Symbol für Abschottungstendenzen und Integrationsverweigerung sowie ein Hemmschuh für das Überwinden ethnisch-kultureller Barrieren. Ein nüchterner Blick freilich, der zudem berücksichtigt, dass sich selbst herkunftshomogene Clubs zumeist durch eine „Pluralität kultureller Orientierungen“ auszeichnen,1 vermag den Argwohn kaum zu bestätigen und fördert stattdessen ganz andere Effekte und Strategien zutage. Fußballspielen in herkunftshomogenen Sportstrukturen, die ein zeitweises Bewahren durchaus diverser mitgebrachter Kulturelemente und deren sukzessives Anpassen an aktuelle Lebenslagen erlaubten, generierte auf mittlere Sicht vielfach ein Mehr an Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein, an Alltagsorientierung, Handlungsfähigkeit und Partizipationsoptionen:2 potenzielle Wirkungen, die gerade nicht im Widerspruch standen zu gesellschaftlichen Teilhabe- oder gar künftigen Bleibeabsichten. Zumal etliche Clubs aktive „Integrationspolitik“ betrieben, sei es durch das Organisieren von Sprachkursen oder durch Kultur- und Floklorefeste, die sich nicht allein an „Landsleute“ richteten.3
„Entre soi“ und „ouverture“ entsprachen zwei Seiten einer Medaille. Denn schließlich waren sportliche Präsenz und fußballerisches Können eine nachhaltige Ressource, eine „marchandise culturelle“, die sich trefflich mobilisieren ließ, um Anklang zu finden und Respekt zu erfahren, um teilzuhaben an den vielfältigen örtlichen Veranstaltungen, die sich jahrein jahraus besonders im Arbeitermilieu abspielten: Eine tragende Säule darunter bildete der Fußballsport als gesamtgesellschaftlich breit nachgefragte Freizeitaktivität.4 Fußballerische Praktiken und damit verbundene Umfeldaktivitäten im lokalen und regionalen Raum erlaubten es Menschen aus Migrationskontexten vor Ort sowohl in der einen („entre soi“) als auch in der anderen („ouverture“) Welt zu leben und damit zugleich zu bekunden, an der französischen bzw. der westdeutschen Gesellschaft teilhaben zu wollen.5
Bei aller Variabilität von Vor-Ort-Situationen und abseits aller Teleologie bleibt doch festzuhalten, dass die Migrantenclubs der langen 1960er Jahre in beiden Ländern ganz vorwiegend Übergangsphänomene für eine just eingewanderte Generation junger Männer darstellten. Über kurz oder lang, bewusst oder unbewusst, obsiegten in der Regel sportliche Logiken gegenüber nationalen Herkunftslogiken: Zumeist gingen die Clubs in den lokalen Gesellschaften und Vereinswelten auf.6 Im französischen Fall, für den deutlich mehr empirisch unterfütterte Beispiele vorliegen, hat sich offenbar mancher, zunächst argwöhnisch beäugter „club ethnique“ mittelfristig zu einem Aushängeschild des regionalen Fußballgeschehens und einem Identitätsanker für lokale Milieus weit über die ursprüngliche Migrantengemeinde hinaus entwickelt.7 Doch auch in Westdeutschland dürfte es kein Einzelfall gewesen sein, dass damals schon die zweite Generation „italienisch-fränkischer Fußballer […] in deutschen Jugendmannschaften“ kickten, da sich die Idee einiger Migrantenvereine im Raum Nürnberg / Fürth, ein eigenes Jugendteam auf den Platz zu bringen, letzten Endes kaum umsetzen ließ.8 Integrative Effekte indirekter Natur konnten mittelfristig kaum ausbleiben.
Auf der einen Seite stehen damit die „Ausländervereine“ der langen 1960er Jahre durchaus für einen „tiers espace“, der parallele Trends von Eigensinn und Integration erlaubt. Auf der anderen Seite spiegelten die Praktiken und Erfahrungen auf dem Spielfeld vielfach eine zwar unrealistische, oftmals aber realitätsbestimmende Außenwirkung herkunftshomogener Clubs sowie die entsprechenden verbandspolitischen Unkenrufe wider. Sport kann nie einfach nur Sport sein, ob im Profi- oder Amateurbereich: Fußballspiele und Sportplätze sind stets auch Inszenierungsräume und symbolische Kampffelder,9 die in Migrationskontexten Differenzen und Divergenzen zwischen Einheimischen und Zugewanderten zutage fördern können: in beiden Ländern etwa, wenn es um das Zuteilen der spärlichen Fußballfelder durch lokale Politikakteure und Stadtverwaltungen ging. Mithin entsprechen die hehren Bedeutungsgehalte, die Verbände und Funktionäre dem Sport als Sinnbild für gelebte Völkerverständigung und Friedfertigkeit, für Gemeinsinn und Toleranz beharrlich zuweisen, allenfalls der halben Wahrheit. Zudem birgt ein solch idealisiertes Weltbild die Gefahr, sportlich wie gesellschaftlich unvermeidbare Spannungen und Konflikte umstandslos als desintegrativ abzuqualifizieren.
Tatsächlich bewegten sich auch in den 1960er Jahren interethnische Sportbegegnungen innerhalb eines Teams oder zwischen konkurrierenden (Migranten-)Clubs fortwährend in einem Schnittfeld individueller wie gruppenspezifischer „sentiments, tantôt solidaires et fraternels, tantôt empreints de rejet et de haine“10. Manche Konstellationen mochten wachsende Vertrautheit mit Fremdem, ein mehr und mehr offenes Denken in Kategorien kultureller Diversität oder ein integratives Klima dank gemeinsam bestrittener sportlicher Erfolge entstehen lassen; andere Situationen wiederum werden tendenziell Missstimmungen, z.B. wegen anhaltender Erfolglosigkeit, generiert haben, eher hierarchische als gleichberechtigte Kommunikationsmodi, Unmut über die Spielweise oder das harte Einsteigen von Migrantenfußballern, auch herablassende bis fremdenfeindliche Kommentare bis hin zu körperlichen Übergriffen.11 Auch im Amateursport legen fußballerische Praktiken das „paradoxe du sport“ frei, je nach Zeit, Ort und Kontext sowohl als Laboratorium für Toleranz, Integration und Emanzipation fungieren zu können, wie auch als Hort für Ausgrenzung, Diskriminierung und einen „racisme ordinaire“.12 Fest steht: Von einer unmittelbaren Integration durch Sport lässt sich jedenfalls ebenso wenig ausgehen wie von einem linearen Entwicklungsprozess oder einer Zwangsläufigkeit etappenweiser Zuwächse an wechselseitiger Verständigung und Annäherung.13
Es mag im Einzelfall zutreffen, dass sportlich bedingte Kulturkontakte zwischen Deutschen bzw. Franzosen und ausländischen Arbeitskräften in den langen 1960er Jahren als beidseitig bereichernd erfahren worden sind, dass Fußball „Türen geöffnet“ und eine „Pionierrolle“ für die Integration gespielt hat.14 Entsprechende Beispiele aber gesamtgesellschaftlich zu verallgemeinern und damalige Begegnungen im Sport umstandslos als eine „Pluralisierung der Gesellschaft“ zu beschreiben, die „neue Formen des Miteinanders und des Kontaktes ermöglicht hat“,15 geht an der Realität vorbei. Eine Realität, die zunächst fußballspielende Migranten unter sich bleiben sah, während mehrheitsgesellschaftliche Sporttreibende deren Praktiken gar nicht oder als etwas Abseitiges verbuchten, gegebenenfalls als lästige Konkurrenz im Kampf um knappe Fußballplätze. Erst allmählich, häufig eher indirekt als fußballerisch unmittelbar, manchmal eher unbewusst als beabsichtigt, ließen sich integrative Momente beobachten: bis hin zum potenziellen strategischen Nutzen des allgegenwärtigen Integrationsvokabulars durch migrantische Akteure, um bessere Chancen auf öffentliche Hilfe oder kommunale Sportgelände zu haben.16 Herkunftshomogenes Fußballspielen in der Fremde konnte Formen einer „Integration auf Umwegen“ mit sich bringen, als „Generator der Transformation“ im Migrationsprozess dienen und „dem Wandel von Handlungsmustern und Weltbildern einen sozialen Rahmen“ geben.17
Überhaupt sind weitreichende Folgerungen und belastbare Aussagen mangels empirischer Studien weder für den bundesdeutschen noch den französischen Fall zu leisten. Wir wissen weiter wenig über außersportliche Berührungspunkte fernab von Training und Wettkampf, auch darüber, ob sich fußballerisch erworbener Respekt und gestärktes Selbstvertrauen auch auf den beruflichen Alltag auswirkten, ob durch sportliches Engagement auch Vorteile im privaten und familiären Umfeld zu generieren waren, etwa was Einkommen oder Wohnsituation anbelangte. Oder wie Sportaktivitäten von Migranten damals zur Konstruktion der Geschlechterbeziehungen beitrugen, wie das Fußballspielen, das trotz steter Zunahme von Frauenfußballteams in den langen 1960er Jahren doch eine Männerdomäne blieb, das Verhältnis junger Männer zu jungen Frauen vor Ort prägte und welche Vorstellungen sich unter Eingewanderten wie Einheimischen damit verbanden.18