Читать книгу Migration|Integration|Exklusion - Eine andere deutsch-französische Geschichte des Fußballs - Группа авторов - Страница 17
Die bürgerlichen Fußballvereine als Forschungsgegenstand in transnationaler Perspektive
ОглавлениеDie sogenannten bürgerlichen Fußballvereine im Saarland und im angrenzenden Departement Moselle sind Forschungsgegenstand einer Dissertation, die 2014 als Monografie erschien.1 Analysiert wurden die Vereine von ihrer Gründung um die Jahrhundertwende bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Es war ein Zeitraum, der von mehreren politischen und sozialen Umstürzen und Verwerfungen überlagert war. Verwiesen sei an dieser Stelle beispielsweise auf den Retour der Moselle nach Frankreich im Jahr 1919 sowie die Herausbildung des Saarlandes als kulturelle Einheit unter dem Eindruck zweier Besatzungserfahrungen, aber auch unter dem Eindruck der dynamischen montanindustriellen Entwicklung an der Saar. Zugleich waren die ersten fünfzig Jahre des 20. Jahrhunderts auch ein Zeitraum, in dem es im Fußballsport – verstärkt nach dem Ersten Weltkrieg – zu einer dynamischen Weiterentwicklung des Sports selbst kam, der bereits die Zeitgenossen überforderte. Die Schlagworte zur Charakterisierung dieser Epoche sind bis heute gültig: Popularisierung, Kommerzialisierung und Professionalisierung.
Die Fußballvereine befanden sich im Spannungsfeld des autonomen Agierens einerseits und der Indienstnahme des Sports durch Dritte andererseits. Gefragt wurde nach den Gründen und den Motiven, warum die Vereine und Verbände so agierten, wie sie agierten. Nur zwei Beispiele: Obwohl die aus dem bürgerlichen Umfeld stammenden Vereine vor dem Ersten Weltkrieg eine stramme patriotische Gesinnung an den Tag legten, war eine Mitgliedschaft der Vereine im Jungdeutschland-Bund höchst umstritten. 1911 von deutschen Regierungsstellen als paramilitärische Dachorganisation von Jugendvereinigungen gegründet, sollte dieser dazu dienen, die Jugend vormilitärisch auszubilden und an die Armee heranzuführen.2 Gerade viele Fußballvereine sahen eine Mitgliedschaft allerdings kritisch, da sie einerseits eine Militarisierung ihrer Vereine befürchteten und andererseits die männliche Jugend lieber auf dem eigenen Sportfeld sahen als bei Übungen der Wehrerziehung.3
Als nach dem Ersten Weltkrieg der Umsturz im Deutschen Kaiserreich erfolgte, stellte es für den Süddeutschen Fußballverband nach jahrelanger Kooperation mit den kaiserlichen Eliten und einer zweifellos nationalistischen Ausrichtung kein Widerspruch dar, im Februar 1919 auf einem Verbandstag öffentlichkeitswirksam einen „Revolutionsgruß“ abzusetzen.4 In der Zeit des Nationalsozialismus zeigten sich die Vereine dann wiederum – wie die gesamte Gesellschaft – sehr kooperativ, wenn der Ausschluss jüdischer Vereinsmitglieder gefordert wurde.
Was waren die Motive der Sporttreibenden? In der Dissertation wurden die Fußballvereine als aktive gesellschaftliche und sportpolitische Akteure beschrieben, die „eigene Interessen“ verfolgten, die „aus dem Bereich des Sports selbst kamen“. Bei diesem Selbstverständnis stand pragmatisches Vorgehen im Vordergrund aller Handlungs- und Verhaltensweisen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen: Alles musste sich dem Streben nach sportlichem Erfolg unterordnen. Das performative Geschehen auf dem grünen Rasen – im Saarland war dies eher der rote Hartplatz – stand somit in direktem Zusammenhang mit dem (sport-)politischen Handeln der Vereinsfunktionäre. Dies war der signifikante Unterschied zu den Turnvereinen und bestimmte deren Tätigkeit. Beschrieben werden kann dies als Vereinspragmatismus. Es setzte eine Dynamik frei, die für den Fußballsport eine sich immer steigernde Professionalisierung und Kommerzialisierung mit sich brachte und zu Zielformulierungen führte, die mit jenen des außersportlichen Umfelds und des Staats kollidieren konnten – aber nicht mussten. Denn die Ziele der Vereine implizierten nicht generell oppositionelle Verhaltensweisen, vielmehr waren die Vereine in der Regel staatstragende Akteure. Sie waren in der bürgerlichen Vereinskultur verwurzelt und affirmatives Verhalten war grundsätzlich auch eine wichtige Grundvoraussetzung dafür, überhaupt erfolgreich agieren zu können.
Im Folgenden werden zwei Beispiele dafür gezeigt, wie der Fußballsport bereits in seiner Frühphase sowohl der Integration wie auch der Exklusion dienen konnte. Voraussetzung war dabei, dass der Fußball von Dritten für außersportliche Zwecke instrumentalisiert werden sollte. Dabei geht es zum einen um die Versuche sozialer und konfessioneller Milieus, den Fußballsport für sich nutzbar zu machen. In einem zweiten Beispiel wird am Beispiel der Moselle nach dem Ersten Weltkrieg aufgezeigt, wie sehr der Fußball von staatlicher Seite, aber auch vom Sport selbst als sportpolitischer Inszenierungsraum genutzt wurde.