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aa) Tötung durch Unterlassen

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124Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen ist zunächst, dass der untätig Bleibende i.S.v. § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, also eine auf die Verhinderung des Todeseintritts gerichtete Garantenstellung innehat. Hiervon könnte zum einen bei Ehegatten und Familienangehörigen, zum anderen aber auch bei Hausärzten u.ä. ausgegangen werden, die die Pflege des Sterbewilligen übernommen haben. Unabhängig von der Frage, welche Personen im Einzelfall eine auf die Verhinderung der Selbsttötung gerichtete Garantenstellung innehaben, ist in diesem Zusammenhang jedoch zu erörtern, ob im Fall eines eigenverantwortlichen Suizids die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines daneben untätig Bleibenden nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Hintergrund ist der Umstand, dass zumindest im Fall eines eigenverantwortlichen Handelns des Suizidenten allein dieser das zum Tode führende Geschehen beherrscht, ihm also die Tatherrschaft zufällt. Da dies zur Folge hat, dass sich derjenige, der den Suizidenten aktiv unterstützt (etwa in der Form, dass er ihm die Schlaftabletten besorgt und überreicht) nicht strafbar macht, leuchtet nicht ein, warum eine Person, die nicht gegen den bereits in Gang gesetzten Sterbeverlauf vorgeht und hierdurch den Willen des Suizidenten respektiert, einer strafrechtlichen Verantwortung unterfallen sollte.

125Trotz dieser grundsätzlichen Bedenken hat der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 1984 zu erkennen gegeben, dass er in entsprechenden Konstellationen eine Strafbarkeit des untätig Bleibenden aus einem unechten Unterlassungsdelikt prinzipiell für möglich erachtet. Zu beurteilen war ein Fall, in dem ein Arzt im Rahmen eines Hausbesuches erkannte, dass seine bereits bewusstlose 76-jährige Patientin Morphium und Schlafmittel in Selbsttötungsabsicht zu sich genommen hatte. Der Arzt unternahm nichts zu ihrer Rettung, da die Patientin ihm gegenüber mehrfach ausdrücklich ihren Sterbewillen bekundet hatte und der Arzt davon ausging, sie nicht ohne schwere Dauerschäden retten |59|zu können. Obgleich der BGH die Strafbarkeit des Arztes im konkreten Fall verneinte, wies er darauf hin, dass sich ein Garant in vergleichbaren Konstellationen grundsätzlich nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB strafbar machen könne. Zur Begründung führte er aus, dass ab dem Moment, in dem »der Suizident die tatsächliche Möglichkeit der Beeinflussung des Geschehens (›Tatherrschaft‹) endgültig verloren hat, weil er infolge Bewußtlosigkeit nicht mehr von seinem Entschluß zurücktreten kann, […] der Eintritt des Todes […] allein vom Verhalten des Garanten [abhänge]. In dessen Hand [läge] es nunmehr, ob das Opfer, für dessen Leben er von Rechts wegen einzustehen hat, gerettet wird oder nicht. In diesem Stadium des sich […] oft über viele Stunden hinziehenden Sterbens [habe] dann nicht mehr der Selbstmörder, sondern nur noch der Garant die Tatherrschaft und, wenn er die Abhängigkeit des weiteren Verlaufs ausschließlich von seiner Entscheidung in seine Vorstellung aufgenommen hat, auch den Täterwillen.«[212] Zusammenfassend nimmt der BGH also einen (ggf. strafbarkeitsbegründenden) Tatherrschaftswechsel ab dem Zeitpunkt an, in dem der Suizident selbst nicht mehr einschreiten kann, der Garant aber noch in der Lage ist, den Todeseintritt zu verhindern.

126In der Literatur ist der Ansatz des BGH stets auf weitgehende Ablehnung gestoßen. Tatsächlich leuchtet nicht ein, warum auf der einen Seite eine gegen den Willen aufgedrängte ärztliche Heilbehandlung grundsätzlich unzulässig sein soll, sich der Sterbewillige aber auf der anderen Seite einer von ihm abgelehnten ärztlichen Rettungsaktion soll unterwerfen müssen, wenn er den Sterbevorgang selbst eigenverantwortlich in die Wege geleitet hat, ihn aber nunmehr infolge des Eintritts seiner Bewusstlosigkeit nicht mehr abbrechen kann.[213] Richtigerweise ist daher zumindest für den Fall, dass der Entschluss des Suizidenten als freiverantwortlich i.S.v. § 216 StGB anzusehen ist, seinem Selbstbestimmungsrecht der Vorrang gegenüber der Rettungspflicht eines Garanten einzuräumen und eine Strafbarkeit des untätig bleibenden Garanten aus §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB abzulehnen. In diese Richtung deuten auch jüngere Entscheidungen der Strafverfolgungsorgane,[214] zu denen sich der BGH bislang aber noch nicht abschließend geäußert hat. Unter Berücksichtigung seiner jüngeren Rechtsprechung zum Behandlungsabbruch, die eine prinzipielle Bereitschaft erkennen lässt, einem ausdrücklich geäußerten Sterbewillen weitgehende Beachtung zukommen zu lassen, ist allerdings davon auszugehen, dass der BGH für den Fall, dass er erneut mit der Fragestellung konfrontiert wird, nicht an seiner Entscheidung aus dem Jahr 1984 festhalten würde.[215]

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