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1. Rechtsstaatliche Vorgaben für die Abgabenerhebung

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Sämtliche Abgaben unterliegen dem Vorbehalt des Gesetzes, denn bei ihrer Auferlegung handelt es sich um Freiheitseingriffe[109]. Das gilt für Steuern und führt zum sog. Steuergesetzesvorbehalt; es gilt jedoch für jegliche Abgabe, d.h. auch für Gebühren, Beiträge, Sonderabgaben und sonstige Abgaben einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge und der Rundfunkgebühr. Da somit stets zumindest ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG vorliegt, besteht für jeden Eingriff durch Abgaben die Klagebefugnis des Belasteten bzw. Verpflichteten – sei es im Verwaltungs- (§ 42 Abs. 2 VwGO), sei es im Finanzrechtsweg (§ 33 FGO); auch die Beschwerdebefugnis für eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht oder – soweit vorgesehen – zu einem Landesverfassungsgericht ist damit gegeben.

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Der Steuer- bzw. Abgabengesetzesvorbehalt gehört zu den „Urformen“ der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes: „No taxation without representation“ war ein Kampfruf des amerikanischen Unabhängigkeitskampfes, der im konstitutionellen Staatsrecht domestiziert zu der Forderung mutierte, dass jeder „Eingriff in Freiheit und Eigentum“ für das Handeln der (monarchischen) (Finanz-)Verwaltung einer formalgesetzlichen Grundlage bedarf. Der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes findet seinen Ursprung u.a. im Steuergesetzesvorbehalt[110]. In der deutschen Verfassungsgeschichte suchten die Volksvertretungen im Lauf des 19. Jh. zunehmend auch Einfluss auf die Ausgabenseite des staatlichen Finanzgeschehens, d.h. auf den Haushalt zu gewinnen. Dadurch hätten sie Einfluss auf die nach dem konstitutionellen Dualismus allein dem Monarchen verantwortlichen Exekutiven erhalten[111]. Dadurch, dass das in den Volksvertretungen repräsentierte steuerzahlende Bürgertum jeglicher Steuererhebung- bzw. -erhöhung zustimmen musste, war – ohne dass es auf inhaltliche verfassungsrechtliche Vorgaben ankam – gesichert, die Finanzlasten zu mäßigen und gleichheitsgerecht zu verteilen[112].

Unter dem Grundgesetz wurde seit der frühen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der steuerliche Gesetzesvorbehalt als Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung ausgeformt. Er bringt als bereichsspezifische Ausprägung der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes für das Steuerrecht die besondere Gesetzesgebundenheit dieses Regelungsbereichs auf den Begriff[113]. „Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im Bereich des Abgabenwesens fordert, dass steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuer vorausberechnen kann.“[114] Bei der Anwendung dieses Grundsatzes auf mehrstufige Rechtsetzungsvorgänge, d.h. bei der Delegation von Steuerrechtsetzungsbefugnissen, sind Modifikationen anzubringen. Das Bundesverfassungsgericht lehnt einen zwingenden gesetzesförmlichen Gesetzesvorbehalt (Parlamentsvorbehalt), der die Delegation der Regelung von Abgaben verbieten würde, ab[115]. Die entscheidende Frage ist dann, welche Elemente des Steuertatbestands von der formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage geregelt werden müssen und welche der untergesetzlichen Normstufe überlassen bleiben dürfen.

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Das Bundesverfassungsgericht kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen und Wertungen, je nachdem, um welche Form untergesetzlicher Steuerrechtsetzung es sich handelt: um Rechtsverordnungen oder um autonome Satzungen. Im Bereich der Steuerrechtsetzung mittels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage und ausführender Rechtsverordnung, d.h. im Bereich der Rechtsetzung durch die Exekutive als Ausfluss des Prinzips der Dekonzentration der Staatsgewalt[116], steht mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ein spezieller verfassungsrechtlicher Maßstab zur Verfügung, der entsprechend strenge Anforderungen an die Bestimmtheit der formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage stellt: „Ein Gesetz, das eine Steuer einführt und es dem Verordnungsgeber überlässt, das für sie Wesentliche zu bestimmen, verstößt gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich, dass die Ermächtigung an den Verordnungsgeber so bestimmt sein muss, dass schon aus ihr und nicht erst aus der auf sie gestützten Verordnung erkennbar und vorhersehbar sein muss, was von dem Bürger gefordert werden kann.“[117] Deutlich geringere Anforderungen werden von dem Gericht an Ermächtigungsgrundlagen für Abgabensatzungen, d.h. für den Bereich der Steuerrechtsetzung, der dem staatsrechtlichen Prinzip der Dezentralisation[118] folgt, gestellt. In den Entscheidungen zur Kirchensteuer- bzw. Kirchgelderhebung in Hamburg aus den Jahren 1965[119] und 1986[120] umreißt das Gericht die Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage, nachdem es die Anwendbarkeit des Maßstabs aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG für die Rechtsetzung mittels autonomer Satzungen abgelehnt hat[121]: „Dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, der als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im Bereich des Abgabenwesens fordert, dass steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen kann . . ., wird durch entsprechend detaillierte kirchliche Regelungen Genüge getan.“[122]

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Die kommunale Selbstverwaltung lässt sich in deutlicher Abgrenzung zur funktionalen Selbstverwaltung als Ausdruck demokratischer Partizipation und demokratischer Rückbindung von Verwaltung verstehen. Kommunen sind Teile des Staates, üben selbst demokratisch legitimierte Staatsgewalt aus. Das Gemeindevolk ist ein Ausschnitt aus dem Staatsvolk. Die im Facharzt-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts[123] scharfsichtig diagnostizierten Gefahren, die aus der in der funktionalen Selbstverwaltung institutionalisierten Partizipation der Betroffenen resultieren, gelten für die kommunale Selbstverwaltung grundsätzlich nicht. Diese Einordnung hat Rückwirkungen auf das Verhältnis von formell-gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage und ausführender Satzung in den gestuften Rechtsgrundlagen für die Abgabenerhebung von Selbstverwaltungskörperschaften. Im Bereich der kommunalen Abgaben, vorzugsweise der kommunalen Steuern, sind an die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage keine zu großen Anforderungen zu stellen[124]. Hier ist ausnahmsweise eine im Übrigen stets mit Vorsicht zu behandelnde „Legitimationskompensation“ möglich: Da Parlamentsgesetz und kommunale Satzung letztlich auf der gleichen demokratischen Legitimationsgrundlage beruhen, können Bestimmtheitsdefizite der formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage durch die ausführende und konkretisierende kommunale Satzung teilweise ersetzt werden[125]. Erst die „Zusammenschau“ von Gesetz und Satzung bietet dem Bürger gegenüber die rechtliche Grundlage für die Abgabenerhebung durch die Gemeinde. Dies ist wegen der anders gearteten Legitimationsstruktur weder im Verhältnis zwischen Gesetz und Rechtsverordnung, noch zwischen Gesetz und Satzungen im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung verfassungsgemäß. Die Elemente des Steuertatbestands müssen sich demnach nicht aus dem Parlamentsgesetz selbst ergeben[126]. Der Gesetzgeber darf jedoch selbstverständlich konkretere Anforderungen im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG treffen, nur muss er es nicht[127]. Die zu leistende Aufgabe besteht in der Entwicklung einer „kommunalspezifischen Regelungsdichte“ der Ermächtigungsgrundlagen zum Erlass von kommunalen (Abgaben-)Satzungen: „Vom Gesetzgeber einzufordern ist … ein kommunalspezifischer Regelungszuschnitt seiner Normen. Wenn das in Art. 28 Abs. 2 GG nach neuerer verfassungsrechtlicher Rechtsprechung verankerte gemeindefreundliche Aufgabenverteilungsprinzip ein ‚materiell verstandenes Prinzip‚ sein soll, dann muss es nicht nur die einzelne gesetzliche Sachregelung steuern, sondern, um seine Wirksamkeit zu sichern, ‚vorwirkend‚ auf die Programmstruktur der Gesetze selbst ausstrahlen. Dann aber sind die gesetzlichen Grundlagen des Satzungsrechts so zu gestalten, dass sich Satzungsgebung eigenständig entfalten kann, ohne fortlaufend in Gefahr zu stehen, gegen Schranken gesetzlich fixierter Detailregelungen zu verstoßen . Das bedingt eine modifizierte Fassung einiger vertrauter rechtsstaatlicher Dogmen, an erster Stelle des Bestimmtheitsgebotes.“[128] Dies soll nicht bedeuten, dass die Gewährung von Satzungsautonomie als solche durch die Gemeindeordnungen allein ausreicht, beliebige Grundrechtseingriffe durch Satzungen zu rechtfertigen. Die h.M. lehnt dies nach wie vor ab[129], während die Gegenmeinung mit beachtlichen Argumenten für eine stärkere Stellung der kommunalen Satzungsautonomie auch im Eingriffsbereich ficht[130]. Die Funktion des parlamentsbeschlossenen Gesetzes, im kommunalen Raum (rechtsstaatlich) notwendige Distanz und die Einbindung des Subgebiets in den gesamtstaatlichen Willen sicherzustellen, spricht für die überkommene Lehre[131]. Für den Bereich der Steuer- und Abgabenerhebung durch Gemeinden hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage gefordert[132]. Jenseits dieses auch hier nicht zu klärenden allgemeinen Problems, sind die konkreten Anforderungen an die Bestimmtheit der speziellen formell-gesetzlichen Eingriffsgrundlagen sachbereichsspezifisch festzulegen[133]. Es ist nicht einzusehen, warum die verschiedenen Sach- und Rechtsbereiche, die gemeindlicher Regelung offen stehen, hier gleichen Anforderungen unterfallen sollen. Das (kommunale) Baurecht mit seinem stark planungsrechtlichen Einschlag etwa mag von anderen Gesetzmäßigkeiten geprägt sein als das klassisches Eingriffsrecht darstellende kommunale Steuer- und Abgabenrecht. Nur durch die Berücksichtigung sachbereichsspezifischer Besonderheiten kann der Gemeinde ein angemessener Gestaltungsspielraum durch ihre Satzunggebung erhalten bleiben. Andernfalls müssten sich sämtliche Regelungsbereiche an demjenigen Bereich, der die stärkste Determination durch die formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erfordert, ausrichten.

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Im Bereich der kommunalen Abgabenerhebung kommt noch Folgendes hinzu: Da die Kommunal-Abgabengesetze in der Regel den Gemeinden bestimmte Arten von Steuern oder sonstigen Abgaben im Rahmen von Art. 105 Abs. 2a GG oder im Rahmen der allgemeinen Kompetenzen zur Erhebung von Gebühren, Beiträgen und sonstigen Abgabenarten einräumen, können die verfassungsrechtlichen Abgaben- und Steuerbegriffe die hinreichende Bestimmtheit der formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen bewirken. Die dem äußeren Anschein nach „formelle Delegationsfunktion“[134] dieser Normen bekommt dadurch einen materiellen Gehalt, der Rückwirkung auf ihre Beurteilung anhand der Bestimmtheitserfordernisse des Gesetzesvorbehalts erzeugt. Die spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Steuersatzung kann ihre Regelung auf ein notwendiges Minimum beschränken, es reicht die Normierung der Abgabepflicht „dem Grunde nach“ aus. Der verfassungsrechtliche Steuerbegriff weist zwei Dimensionen auf[135]: Im finanzverfassungsrechtlichen System der Abgaben[136] dient der (allgemeine) verfassungsrechtliche Steuerbegriff der Zuständigkeitsabgrenzung nach den Art. 105 ff. GG und damit zusammenhängend der Abgrenzung von den anderen Abgabenarten wie den Gebühren, Beiträgen, Sonderabgaben usw. Daneben treten die verfassungsrechtlichen Einzelsteuerbegriffe der Art. 105 und 106 GG. Aus dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Steuerbegriff des Grundgesetzes lassen sich nur wenige konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung und die Begrenzung der jeweiligen Steuern herleiten. Dessen Garantiefunktion für den Bürger liegt darin, dass ohne einen fassbaren verfassungsrechtlichen Steuerbegriff die Kompetenzaufteilung unscharf und ihre normative Funktion relativiert wird. Die inhaltliche Ausgestaltung der einzelnen Steuernormen gewinnt demgegenüber durch die verfassungsrechtlichen Einzelsteuerbegriffe, die in den Art. 105 und 106 GG verwendet werden, Kontur[137]. Die Notwendigkeit, diese Begriffe inhaltlich konkret zu fassen, ergibt sich aus der zentralen Funktion der Steuerertragsverteilungsnorm des Art. 106 GG in der bundesstaatlichen Finanzverfassung des Grundgesetzes[138]. Soll die Steuerungskraft der Finanzverfassung als eines „tragenden Eckpfeiler[s] der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes“[139] gewahrt bleiben, kann ein freies Steuererfindungsrecht jenseits der in Art. 105 und vor allem Art. 106 GG aufgezählten Steuern nicht bestehen. Aus dieser Lehre folgt zugleich, dass die in den genannten Bestimmungen verwendeten Steuerbegriffe inhaltlich konkretisiert werden müssen, um ihre Abgrenzungsfunktion erfüllen zu können[140]. Klaus Vogel hat mit der von ihm entwickelten „Typenlehre der verfassungsrechtlichen Einzelsteuerbegriffe“ einen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angelegten Ansatz[141] entfaltet und handhabbar gemacht. Danach werden die Steuerbezeichnungen der Art. 105 und 106 GG als Verweisungen auf historisch – durch die „Vorbilder“ der genannten Steuern – bestimmte Steuertypen verstanden[142]. Gleichwohl werden so eigenständige verfassungsrechtliche Steuerbegriffe geschaffen, andernfalls könnten sie ihre Maßstabfunktion gegenüber dem einfachen (Steuer-)Gesetzgeber nicht mehr erfüllen[143]. Für die Zuordnung einer konkreten Steuer unter einen Steuertypus ist dann ein umfassender Gesamtvergleich der Steuertatbestände erforderlich. Durch eine primär bundesstaatlich motivierte Norm werden so auch Grenzen und Maßstäbe für den Steuergesetzgeber markiert, die als materielle Gehalte bundesstaatlicher Kompetenznormen bezeichnet werden können[144]. Die Entwicklung und Ausformung dieser verfassungsrechtlichen Einzelsteuerbegriffe befindet sich – je nach Steuerart – in unterschiedlichem Stadium. Für die besonders wichtigen Steuern, voran die Einkommensteuer, liegen hier bereits Ergebnisse vor[145]. Im Bereich der kommunalen Verbrauch- und Aufwandsteuern sind entsprechende Bemühungen zu verzeichnen[146]. Die weitere Ausformung und Konkretisierung kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. Die Kritik, aus dem Begriff der „Aufwandsteuer“ lasse sich für die hier interessierende Fragestellung nichts herleiten[147], verfehlt den hier skizzierten Ansatz. Sogar die Steuerhöhe könnte beeinflusst werden, sofern ein typusbildendes Charakteristikum der entsprechenden kommunalen Steuer durch einen übermäßigen Steuersatz beeinträchtigt wäre. Im Bereich der kommunalen Aufwandsteuern[148] wäre das etwa dann der Fall, wenn die vom Gesetzgeber in typisierend-pauschalierender Betrachtungsweise unterstellte prinzipielle – nicht auf den Einzelfall bezogene – Möglichkeit der Überwälzung der Steuer auf die Benutzer oder Verwender unmöglich werden sollte.

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Die dargelegte Überlegung kann auf die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben durch Selbstverwaltungskörperschaften übertragen werden. Gebühren und Beiträge bieten – folgt man dem materiellen Gebühren- bzw. Beitragsbegriff – als gegenleistungsabhängige Abgabeformen aus sich heraus eine Begrenzung. Aus der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Gebühr oder Beitrag als gegenleistungsabhängige Abgabeformen folgen zugleich deren Grenzen[149].

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Zu berücksichtigen ist ferner das Rückwirkungsverbot, wonach mit Rückwirkung ausgestattete Gesetzesänderungen erhöhten verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen unterliegen.

Das Rückwirkungsverbot greift allerdings nur, wenn eine Gesetzesänderung die Rechtslage tatsächlich zu Lasten des Bürgers umgestaltet (sog. konstitutive Änderung)[150]. Das Bundesverfassungsgericht spricht hier von einer Rückwirkung in „materiellrechtlicher Hinsicht“[151] in Abgrenzung zu einer verfassungsrechtlich unproblematischen formellen Rückwirkung, welche dann vorliegt, wenn die Gesetzesänderung lediglich die bereits bestehende Rechtslage wiederholt (sog. deklaratorische Änderung)[152]. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem KAGG-Beschluss klargestellt, dass allein die Gerichtsbarkeit darüber entscheidet, ob eine formelle oder materielle Rückwirkung vorliegt[153]. Ein Verweis in der Gesetzesbegründung, dass die Änderung „rein klarstellend“ sei, ist für die Gerichte somit nicht verbindlich[154]. Ferner hat das Bundesverfassungsgericht in der KAGG-Entscheidung deutlich gemacht, dass im Zweifel eine materielle Rückwirkung anzunehmen ist. Denn führt die Gesetzesfassung zu Auslegungszweifeln, was bereits dann der Fall sein kann, wenn das erste Instanzgericht abweichend urteilt, so liegt eine konstitutive Änderung, mithin eine Rückwirkung in „materiellrechtlicher Hinsicht“ vor[155].

Liegt eine konstitutive Rechtsänderung/materielle Rückwirkung vor, so unterscheiden die Senate des Bundesverfassungsgerichts weiter zwischen echter und unechter Rückwirkung (Erster Senat)[156] bzw. zwischen der Rückbewirkung von Rechtsfolgen und der tatbestandlichen Rückanknüpfung (Zweiter Senat)[157]. Diese Unterscheidung hat Auswirkung auf die verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen.

Die echte Rückwirkung ist von Verfassungs wegen grundsätzlich unzulässig und nur dann ausnahmsweise hinzunehmen, wenn der Betroffene mit ihr rechnen musste, die bisherige Rechtslage unklar und verworren war und die Rückwirkung diese Unklarheit aufhebt, wenn eine nichtige Norm bzw. eine Norm, an deren Verfassungsmäßigkeit ernsthafte Zweifel bestehen, durch eine rechtmäßige ersetzt wird, wenn zwingende Gründe des gemeinen Wohls das Gebot der Rechtssicherheit überwiegen oder wenn es sich um eine Bagatelle handelt[158]. Eine solche echte Rückwirkung liegt vor, wenn die Rechtsfolge einer Norm „mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll“[159].

Eine unechte Rückwirkung hingegen liegt vor, wenn die rechtliche Regelung einen Sachverhalt betrifft, der zwar in der Vergangenheit begonnen hat, jedoch noch in die Gegenwart hineinragt (Erster Senat)[160] bzw. wenn die rechtliche Regelung künftige Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig macht (Zweiter Senat)[161]. Solche unechten Rückwirkungen sind grundsätzlich zulässig, müssen aber einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten, wobei das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand der Rechtslage gegen das öffentliche Interesse an einer Neuregelung abzuwägen ist.

Die Terminologie des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts überwindet manche Unschärfe, insbesondere des Begriffs der unechten Rückwirkung, korrespondiert in der Sache freilich weitgehend mit der Unterscheidung des Ersten Senats[162]. Mittlerweile benutzt der Zweite Senat sogar in jüngeren Entscheidungen beide Terminologien parallel[163]. Von Anfang an sollte klar sein, dass die Abgrenzung, ob ein Sachverhalt abgeschlossen ist oder nicht, kaum formal-logisch entschieden werden kann, sondern stets eine durch die Rechtsordnung angeleitete Wertung erfordert.

Bis heute nicht geklärt ist die dogmatische Herleitung des Rückwirkungsverbots[164]. Das Bundesverfassungsgericht stützte sich in seiner Rechtsprechung sowohl auf die im Rechtsstaatsprinzip als auch in den Grundrechten wurzelnde Prinzipien des Vertrauensschutzes sowie der Rechtssicherheit.[165] Die zeitweise differenzierende Begründung[166] der echten Rückwirkung (primär anhand des Rechtsstaatsprinzips) und der unechte Rückwirkung (primär anhand der Grundrechte) hat das Bundesverfassungsgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung wieder aufgegeben[167]. Herrschend wird das Rückwirkungsverbot zwar subjektiv-rechtlich begründet.[168] Dass aber bereits ein abstraktes Vertrauen in die objektive Geltung von Gesetzen geschützt ist und es nicht zwingend eines subjektiven, konkreten Vertrauens bedarf, hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem KAGG-Beschluss deutlich gemacht.[169]

Im Abgabenrecht stellt sich das Problem der Rückwirkung insbesondere bei periodisch erhobenen Abgaben. Das Bundesverfassungsgericht qualifiziert eine Gesetzesänderung vor Ablauf des Veranlagungszeitraums als unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung. Denn nach § 38 AO (etwa i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG) entsteht der Steueranspruch erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, sodass der durch die Regelung berührte Sachverhalt noch nicht abgeschlossen ist[170]. Dieser formale Ansatz wird der Realität im Steuerrecht jedoch nicht stets gerecht. Denn der Steuerpflichtige hat seine Dispositionen – insbesondere Investitionen – im Vertrauen auf den Fortbestand des in dem betreffenden Jahr geltenden Steuerrechts bereits getroffen, so dass die Qualifikation als unechte Rückwirkung dem Sinn und Zweck des Rückwirkungsverbots, Vertrauensschutz und Rechtssicherheit zu schaffen, nicht gerecht wird[171]. Folglich wird im Steuerrecht seit langem ein sogenannter dispositionsbezogener Ansatz vertreten.[172]

Das Bundesverfassungsgericht scheint die Kritik der Literatur aufgenommen zu haben und hat seine Rückwirkungsdogmatik im steuerlichen Bereich neu justiert. Zwar hält das Gericht auf Tatbestandsebene an seiner überkommenen Differenzierung der echten und unechten Rückwirkung fest[173], auf Rechtsfolgenseite hat es jedoch die Rechtfertigungsanforderungen für eine unechte Rückwirkung erheblich verschärft[174]. Rückwirkende Regelungen innerhalb eines Veranlagungs- oder Erhebungszeitraums stünden „in vielerlei Hinsicht den Fällen echter Rückwirkung nahe“ und unterlägen ähnlichen „gesteigerten Anforderungen“[175]. Das Gericht fordert nunmehr eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung[176]. Erster sowie Zweiter Senat sehen die unechte Rückwirkung nunmehr als „nicht grundsätzlich unzulässig“ an[177]. Sie deuten damit eine Umkehr der Argumentationslast an, sodass nunmehr der Staat darlegen muss, warum das staatliche Interesse an der rückwirkenden Gesetzesänderung den Vertrauensschutz des Bürgers überwiegt.[178] Kirchhof spricht von einem Schutz verfestigter Rechtspositionen, den das Bundesverfassungsgericht anstrebe. Gewähre das Gesetz dem Bürger eine gefestigte Rechtsposition, so sei eine rückwirkende Gesetzesänderung grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig, außer es liege eine der bereits oben erwähnten Fallgruppen[179] fehlenden Vertrauensschutzes vor.[180] Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend in seiner Entscheidung zur Fünftel-Regelung für außerordentliche Einkünfte (§ 34 EStG) die rückwirkende Belastung von Einkommen, das vor Inkrafttreten der Neuregelung vereinbart und zugeflossen und damit bereits zu individuell erworbenen Eigentum, d.h. einer gefestigten Rechtsposition geworden ist, als verfassungswidrig angesehen.[181]

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Nach dieser neuen Rechtsprechung sind Lenkungsabgaben, die den Bürger/das Unternehmen zu einem bestimmten Verhalten motivieren, als Maßnahmen mit „exemptorischem Charakter“ zu werten, sodass der Vertrauensschutz entgegen der früheren Rechtsprechung eher gering ist[182].

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