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II. Fehlerfolgen
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Nichtigkeitsdogma und Vernichtbarkeit
Die Fehlerfolgenlehre von Rechtsnormen wird durch zwei Grundpositionen abgesteckt.[290] Nach dem Nichtigkeitsdogma ist die rechtswidrige Norm ipso iure unwirksam und vermag keinerlei Rechtswirkungen zu entfalten. Denkbar erscheint es aber auch, von der bloßen Vernichtbarkeit der rechtswidrigen Norm auszugehen. Die Norm bleibt solange wirksam, bis sie durch den Gesetzgeber selbst aufgehoben oder durch Richterspruch vernichtet wird. Diese Auffassung hat den Vorzug, den Widerspruch zwischen rechtlicher Geltung im Außenbereich und soziologischer Geltung sowie der Normgeltung im Binnenbereich zu vermeiden, mit dem sich das Nichtigkeitsdogma konfrontiert sieht. Bis zu dem Zeitpunkt einer autoritativen Normverwerfung (gesetzliche Aufhebung der Norm oder judikative Nichtigkeitserklärung) ist die Norm jedenfalls seitens der Verwaltung mangels Normverwerfungsbefugnis zu beachten. Ebenso handelt auch der Bürger, der von der Nichtigkeit ausgeht, auf eigenes Risiko. Haupteinwand gegen die Vernichtbarkeitsthese ist ihre Abhängigkeit vom Prozessrecht. Wenn der Prozessgesetzgeber über die Voraussetzungen der Normvernichtung disponieren kann, wird ihm auch in materiell-rechtlichen Fragen Rechtssetzungsmacht zugeschrieben.[291]
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Verfassungsrechtliche Vorgaben
Dem deutschen Recht liegt jedenfalls im Ausgangspunkt das Nichtigkeitsdogma zugrunde.[292] Verfassungsrechtlich ist dies nicht zwingend geboten.[293] Gefordert ist allein eine gewichtige Sanktion,[294] sodass es dem Gesetzgeber frei steht, das Nichtigkeitsdogma bei überwiegenden gegenläufigen Belangen zu durchbrechen. Von dieser Option ist insbesondere im Planungsrecht (Grundsatz der Planerhaltung, §§ 214 ff. BauGB),[295] aber auch für kommunalrechtliche Satzungen für Form- und Verfahrensfehler Gebrauch gemacht worden (z. B. § 4 Abs. 4 GemO Bad.-Württ.[296], § 7 Abs. 6 GemO NRW[297]).[298] Darüber hinaus ist mit der richterrechtlich entwickelten Unvereinbarkeitserklärung, die durch §§ 31 Abs. 2 S. 2, 79 Abs. 1 BVerfGG einfachgesetzlich bestätigt wurde, eine bedeutende Ausnahme anerkannt worden. Dies ist bei Gleichheitsverstößen geboten,[299] aber auch dann, wenn die Nichtigkeitsfolge dem verfassungsmäßigen Rechtszustand noch ferner steht als die bestehende Regelung.[300] Eine bloße Unvereinbarkeitserklärung wird auch bei untergesetzlichen Rechtsvorschriften als zulässig angesehen.[301]
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Vernichtbarkeitsdoktrin
Die Rechtsprechung des EuGH wählt einen anderen Ausgangspunkt, der in der Vernichtbarkeitsdoktrin gründet. Für Rechtsakte der Unionsorgane soll grundsätzlich die Vermutung der Gültigkeit[302] bzw. der „Rechtmäßigkeit“[303] sprechen. Abweichendes gilt für Rechtsakte, die mit einem Fehler behaftet sind, dessen Schwere so offensichtlich ist, dass er von der Unionsrechtsordnung nicht geduldet werden kann. Solche Rechtsakte entfalten keine auch nur vorläufige Rechtswirkung, sondern sind von Anfang an als rechtlich inexistent zu betrachten.[304] Aus Gründen der Rechtssicherheit soll dies aber allein „ganz außergewöhnlichen Fällen vorbehalten“ bleiben.[305] Die Nichtigkeitsklage ist folglich als Gestaltungsklage mit ex tunc Wirkung anzusehen.[306] Die Befugnis, einen Rechtsakt der Union für nichtig zu erklären, steht ausschließlich dem EuGH zu, der damit über ein Normverwerfungsmonopol verfügt.[307]