Читать книгу Handbuch des Verwaltungsrechts - Группа авторов - Страница 70
2. Spannungen und Prüfsteine
Оглавление34
Zivilkabinett und Militärkabinett
Am preußischen Hof bestanden bis November 1918 zwei in Staatsverfassung 1848/50 und Reichsverfassung 1867/71 nicht vorgesehene organisierende Kabinette neuerer Art, das Geheime Zivilkabinett und das Geheime Militärkabinett (analog seit dem Flottenbau Wilhelms II. auch noch das Marinekabinett). Das Militärkabinett als „Personalministerium“ und der Generalstab der Armee wurden 1883 gänzlich unabhängig vom preußischen Kriegsministerium. Politische und militärische Strategien und Entscheidungen waren in diesem System nun mehr denn je einzig durch die Person des Monarchen als Souverän und Oberster Kriegsherr koordinierbar – und diese Koordination hing allein von seiner Persönlichkeit, Auffassung und Beeinflussbarkeit ab.[39]
35
Prüfstein Braunschweig 1830
Erster Prüfstein für die Spannungen in den Verfassungsstaaten wurde die einseitige Aufhebung der Verfassung von 1820 durch Herzog Karl von Braunschweig 1830 und seine Vertreibung durch das Volk. Den danach im herzoglichen Hause entschiedenen Thronwechsel zu Herzog Wilhelm sanktionierte die Frankfurter Bundesversammlung unvollständig. Sie vermied es, den Grund als persönliche Unfähigkeit zur Regierung oder als bewussten Verfassungsbruch einzuordnen und konnte deshalb auch die daraus folgende Frage der Thronfolge nicht klären, die nach Wilhelms Tod von 1884 bis 1913 offen blieb.
36
Prüfstein Hannover 1837
1837 endete wegen unterschiedlicher Erbfolgerechte mit dem Tod von Wilhelm IV. die Personalunion zwischen Großbritannien, wo ihm seine Tochter Viktoria als Königin folgte, und Hannover, wo ihm sein Bruder Ernst August als König folgte. In konservativem Geist hatte er schon als Thronfolger das 1833 erlassene hannoveranische Staatsgrundgesetz seines älteren Bruders bekämpft; und nach seinem Regierungsantritt hob er es als von Anfang an ungültig auf. Dagegen protestierten u. a. Göttinger Professoren, weil sie sich durch ihren Eid der Verfassung verpflichtet fühlten, worauf sie entlassen wurden, aber als „Göttinger Sieben“ in ganz Deutschland Zuspruch fanden. Die Bundesversammlung war gespalten, die süddeutschen Verfassungsstaaten traten für die alte Verfassung ein, Österreich und Preußen dagegen für den neuen König und seine Rechte. Oberflächlich gelöst wurde der Konflikt erst 1840 durch ein Einlenken Ernst Augusts, der einem neuen Landtag eine neue, etwas monarchischer gehaltene Verfassung als die von 1833 vorlegte.
37
Kein Prüfstein: Mecklenburg
Die Landesteilung 1701 in die Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und -Strelitz hielt an der Einheit der Landstände fest, was zu Konflikten mit den beiden Landesherren führte. 1755 stärkte der Landesgrundgesetzliche Erbvergleich die Stände. Seitdem bestanden eigenständig nebeneinander die Herrschaftsgebiete der beiden Landesherren (das „Domanium“, das allein die Kosten der Landesherrschaft deckte), der Ritterschaft (knapp 50 Prozent) und der „Landschaft“ der Städte mit ihren Gütern. Diese „landständische Verfassung“ ganz alter Art von damals überlebte, weil in den 1815 zu Großherzogtümern erhobenen Ländern kein Reformdruck durch Integration neuer Gebiete herrschte. Die Verfassungsbestrebungen von 1848 trafen auf entgegengesetzte Positionen der beiden Großherzöge; sie scheiterten 1850 im Freienwalder Schiedsspruch daran, dass die Wiener Schlussakte 1815 die bestehenden landständischen Verfassungen garantierte. Beide Staaten blieben bis 1920 ohne eine Verfassung und ohne Beteiligungsrechte eines gewählten Landtags.
38
Kroneigentum und Familieneigentum
In den beiden zuerst dargestellten Konflikten bestand aus Sicht der männlichen Agnaten ein treuhänderisch auch für sie und ihre Erben zu verwaltendes Familieneigentum des genossenschaftlich verstandenen „Hauses“ an allen Rechten der Krone. Deshalb wurden sie vom Inhaber der Souveränität vor einer Preisgabe monarchischer Rechte durch eine Verfassung regelmäßig angehört. Die Absicht zur Trennung von Person und Staat und der Übergang zu moderneren Eigentumsvorstellungen blieben anfangs unvollkommen, wie in Bayern 1818. Die Verfassung unterschied nicht zwischen dem Eigentum der Krone, über das ihr Inhaber wegen der Verfassung und der Agnatenrechte nicht mehr unbegrenzt verfügen konnte, und dem jetzt wichtiger werdenden privaten Eigentum, das allen, auch den weiblichen, Mitgliedern der Familie zu „bürgerlichem Recht“ zustand. Die hier ausgebliebene Regelung und die in anderen Ländern anders getroffenen Bestimmungen hatten Konsequenzen für die Vermögensauseinandersetzungen nach dem Sturz der Monarchien 1918 und belasteten die Weimarer Republik bis hin zum gescheiterten Volksentscheid von 1926 über die Fürstenenteignung.[40]