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III. Beamte als Fürsten- oder als Staatsdiener?
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Fürstendiener und Staatsdiener
In der monarchischen Tradition standen die Soldaten ebenso wie die in der Verwaltung tätigen Fürstendiener in einem persönlichen Treue- und Dienstverhältnis zum Monarchen. Das preußische ALR sprach bereits 1794 von ihnen als Dienern des Staats und unterschied zwischen „Militairbedienten“ und „Civilbeamten“. Der König behielt indirekt sein freies Entlassungsrecht, denn das ALR verbot nur Vorgesetzten oder Ministern, einen Beamten gegen seinen Willen entlassen.[41] Die bayerische Hauptlandespragmatik von 1805 dagegen sprach zwar altmodisch von „Staatsdienern“, gestaltete deren Dienst aber nicht mehr analog zu privaten Dienstverträgen aus, sondern legte ihn in neuer, öffentlich-rechtlicher Art fest und schützte das neue Berufsbeamtentum als Verfassungsrecht vor individueller Willkür des Monarchen. Diese Fragen waren um 1800 noch völlig im Fluss, entwickelten sich dann jedoch zwischen Preußen und Bayern in gegensätzlicher Richtung.
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Preußische Königsrechte über Beamte
Geheim gebliebene Anordnungen der 1820er Jahre zeigen in Preußen die unverändert bestehende Neigung des Königs, über „seine“ Beamten wie immer schon in der Art persönlicher Diener verfügen zu können. Als 1844 in Ergänzung zum ALR ein Disziplinargesetz erlassen wurde, galten nach einem bekannten Kommentar zum ALR die folgenden Passagen aus dessen Entstehungszeit fünfzig Jahre davor als weiterhin „grundlegend“: „Seine Königl. Majestät [Friedrich Wilhelm II.] haben den Satz, daß kein Staatsbedienter ohne Untersuchung und rechtliches Erkenntnis seiner Dienste entsetzt werden solle, insoweit verworfen, als dadurch Allerhöchst denenselben die freie Wahl ihrer Diener eingeschränkt würde. Dieses persönliche Reservat schließt jedoch, wie sich von selbst versteht, allen Minister-Despotismum aus […]. Der Landesherr kann eigene erhebliche und gerechte Bewegungsgründe zur Entlassung, und zugleich dazu haben, daß solche nicht durch den Weg Rechtens gehe.“[42] In Preußen blieb die Auffassung vom Königtum und seinen recht-überschreitenden Rechten beim Fehlen einer Verfassung weiterhin absolutistisch geprägt. Im bayerischen Verfassungsstaat gab es dagegen kein königliches Reservatrecht dieser Art.
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Unterlaufen der bayerischen Verfassung
Unter dem Eindruck der europäischen Revolutionen von 1830 versuchte König Ludwig I. von Bayern allerdings, an der Verfassung vorbei mehr Einfluss auf die hohe Ministerialbeamtenschaft zu gewinnen, indem er sie erneut durch ein Band der Abhängigkeit an sich knüpfte. Da dem Landtag nur ein Gesamtbudget für alle Beamten vorgelegt wurde und der König bei dessen Aufteilung auf die Gehälter der einzelnen Beamten frei blieb, konnte er neben der Höhe des Gesamtgehalts auch den Anteil des lebenslänglichen „Standesgehalts“, also die erdiente Pension, möglichst lange niedrig halten und sich so Wohlverhalten sichern. Das Beurteilungswesen wurde ausgebaut und die Vorgesetzten mussten regelmäßig über Auffälligkeiten berichten. Ab 1833 nutzte Ludwig I. jede Beförderung dazu, die neue Position wie zu Anfang der Karriere nur provisorisch und noch nicht definitiv zu verleihen, womit die gesamte Stellung des Beamten erst einmal wieder unsicher wurde. Gegen Ende seiner Regierungszeit berief er schließlich selbst Minister nur noch zu „Verwesern“, zu zeitweiligen kommissarischen Vertretern ihrer Stelle, um sie jederzeit ersetzen zu können. Nach dem durch Lola Montez bedingten Rücktritt seines Vaters Anfang 1848, vor der Revolution, handelte König Maximilian II. nicht grundlegend anders. Seinen Versuch, viele Beamte gleichzeitig in einen allerdings relativ gut dotierten Ruhestand zu versetzen, verhinderte 1849 nur sein Innenminister Theodor von Zwehl, und der Entwurf eines am gleichzeitigen preußischen Vorbild orientierten Disziplinargesetzes scheiterte 1852 im Landtag.[43]
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Erste „politische Beamte“ 1848
Im Überschwang der ersten Monate nach der Märzrevolution versuchte in Preußen die neue Regierung Hansemann-Kühlwetter am 15. Juli 1848 in einem verwaltungsinternen Rundschreiben ihre konservativen Gegner aus der Beamtenschaft zu entfernen, wenn sie „dem dermaligen Regierungs-System ihre Anerkennung geradehin versagen und demselben geflissentlich widerstreben“.[44] Wirkungen dieses Aufrufs sind nicht berichtet, aber die Idee, einen Beamten aus politischen Gründen jederzeit entlassen zu können, war in der Welt und wurde 1849 gegen die Anhänger der Revolution von 1848 gewendet.
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Reaktionäre Indienstnahme des Instruments 1849/52
Gestützt auf das Notverordnungsrecht des Königs in der Ende 1848 oktroyierten Verfassung erließ die Regierung Brandenburg nach der Auflösung der widerspenstigen zweiten Kammer am 11. Juli 1849 eine umfangreiche „Verordnung, betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten […]“. Sie ermöglichte es, bestimmte hohe Beamte „im Interesse des Dienstes“ jederzeit „einstweilig in den Ruhestand“ zu versetzen gegen Wartegeld wie bei Auflösung von Behörden, ohne Disziplinarverfahren und ohne konkrete Gründe. Aufgezählt wurden u. a. Unterstaatssekretäre, Ministerialdirektoren, Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten, Landräte und Vorsteher von Polizeibehörden. Das waren die bald so genannten „politischen Beamten“.[45] Eine von der Verfassung vorgeschriebene Beratung dieser Verordnung im Staatsministerium ist in der lückenhaften Überlieferung dieses Jahres nicht nachweisbar. Die Regierung musste aber ihre Notverordnung zur nachträglichen Billigung der neugewählten Kammer vorlegen, mit aufschlussreicher Begründung. Die neue Verfassungsregel der Ministerverantwortlichkeit führe zu der „Betrachtung, dass das Bedürfnis der Opposition gegenwärtig in der Volks-Repräsentation, in der freien Presse und in dem Versammlungs- und Vereinigungsrechte seine volle Befriedigung finden könne, und dass die Staats-Gewalt in der Centralisation und in der vermehrten Abhängigkeit der Beamten ein neues unentbehrliches Gegengewicht begründen müsse“.[46] Die nur in sehr vager Form verantwortlichen Minister traten als „Staats-Gewalt“ in Funktionen der früheren Selbstregierung des Königs ein, hier sein nie aufgegebenes persönliches Verfügungsrecht über ‚seine‘ Beamten. Nach einigen Änderungen durch die Abgeordneten wurde das Gesetz betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten vom 21. Juli 1852 zu einem Grundpfeiler des zersplitterten, bis weit nach 1918 nicht in ein Beamtengesetz zusammengeführten preußischen Beamtenrechts.[47]
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Beamte als Gegengewichte – wogegen?
Montgelas hatte 1796 die von ihm später in Bayern durchgesetzte Lebenslänglichkeit der Beamtenstellung als notwendig angesehen, um ein Gegengewicht zu einem möglichen Despotismus der Minister zu schaffen.[48] Im jungen Verfassungsstaat Preußen setzten die Minister dagegen 1849/52 ihre Herrschaft über die höchsten Beamten durch, um zusammen mit den hohen Beamten ein Gegengewicht gegen die als Opposition angesehene verfassungsmäßige Volksvertretung aufzubauen. Das Disziplinargesetz von 1852 wurde Modell für alle weiteren Regelungen[49] über den Umbruch von 1918 hinaus, mit denen die Regierungen „politische Beamte“ jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzen können, inzwischen mit Bezug auf ihre besondere Nähe mit besonderen Pflichten gegenüber der Regierung, aber weiterhin nicht justiziabel. Unter den Ländern hat zuletzt 1978 Hamburg dieses personalpolitische Instrument eingeführt; nur der Freistaat Bayern verzichtet darauf bis heute.