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V. Handlungsspielräume der Verwaltung
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Regieren und Verwalten
Die Krone teilte sich die Legislative mit den Parlamenten nur, soweit es um Freiheit oder Eigentum der Untertanen ging. Die Justiz führte nach der Einhegung königlicher Machtsprüche ein Eigenleben, gestützt auf die Unabsetzbarkeit der Richter. Die Exekutive aber war das eigentliche Vorrecht der Krone und in der Praxis ihrer Regierung.[70] Das umfasste alles, was sich unterhalb der Parlamentstätigkeit in dem weiten Raum zwischen dem Staatsministerium und dem Dorfschulzen abspielte, wenn er Anweisungen des ihm vorgesetzten Landrats empfing, ob das arbeitsteilig organisiert war wie in Ministerium und Regierung oder „unten“ in der begrenzten Arbeitszeit eines alleine arbeitenden, höchstens von einem zugewiesenen Assessor unterstützten Landrats ausgeführt wurde. Verwaltungstechnisch verfestigte sich der Anspruch der obersten Stellen auf Umsetzung schon früh in ihrer Praxis, erläuternde Ausführungsverordnungen unter verschiedenen sich überlappenden Begriffen zu erlassen. Für die Wirkungen von Verwaltung bis nach unten muss man ferner zwischen einem Regieren durch allgemeines Anweisen, auch und gerade unterhalb der Gesetze, und der Realität des ausführenden Vollzugs im Verwalten unterscheiden. Das ist besonders schwierig bei den Mittelbehörden – führten sie mehr aus, wie die Unterbehörden, oder wiesen sie selbstständig an, wie die Ministerien?[71]
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Implementation im Vollzug
Die von formaler Hierarchie bestimmte Perspektive erweitert sich, wenn man verwaltungsinterne Kommunikationsflüsse auch in der Gegenrichtung von unten nach oben einbezieht. Die Geschäftspraktiken der Verwaltung standen immer in einem Prozess der Verdeutlichung, Konkretisierung und punktuellen bis grundlegenden Verbesserung, der sich in einem sachorientierten und insofern hierarchiefernen Dialog zwischen den oben und unten Beteiligten entwickelte. Verwaltungsintern wurden Änderungen weniger mit Strafandrohungen durchgesetzt, sondern eher mit Aufforderungen und Vernunftüberlegungen begründet. Das eröffnete auch untergeordneten Stellen einen Freiraum zu selbstständigem Tun, unter dem übergeordneten Ziel, im eigenen Handeln den Willen des Monarchen, das Gemeinwohl und das Wohl des Einzelnen zusammenzubringen. „Bestimmt“ zu sein und so zu handeln, wurde eine grundlegende Anforderung an Beamte. Angesichts der Komplexität der Welt und deren notgedrungener Vereinfachung in Vorschriften der Regierung erwies sich ein Handlungsspielraum im Sinne eines Ermessens[72] als notwendig, wenn die Beamten „möglichst frei und selbstständig wirken“ sollten. Die langen Zeiten praktischer Ausbildung nach dem Studium dienten auch dazu, sich mit Vorbildern, in die eine oder andere Richtung, auseinanderzusetzen und spätere eigene Freiheitsräume vorauszudenken.[73] Die gelebte Beamtenethik konnte und sollte dann die Sicherheit der Stellung mit eigenständigem Urteil und initiativfreudigem Handeln verbinden. Aus der Sicht eines hohen preußischen Reformbeamten war es 1840 Sache eines jeden höheren Beamten, „den Zweck der Vorschriften niemals aus den Augen zu verlieren; eben deshalb wird neben der besonderen Geschäftsbildung auch allgemeine von ihnen gefordert, damit sie den Geist der Gesetzgebung erkennen und demselben, nicht aber bloß dem todten Buchstaben nach, ihr Amt verwalten.“[74]