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1. Konzeption zwischen Gemeinwohlorientierung und Sicherheitspolizei
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„Polizeiwissenschaft“ und „Verwaltungslehre“
Aus der Aufklärung kam das Ideal einer „guten Polizei“ als guter innerer Ordnung des Staates in alle Richtungen, auch mit Gewähr der öffentlichen Sicherheit, durch den Monarchen und seine Verwaltung.[50] Wirtschaftliche Freiheitsrechte wie die Gewerbefreiheit verlangten einen Rückzug aus Vorstellungen einer zentralen Beglückung von oben. Gleichzeitig verbreiterte sich die Sorge für öffentliche Sicherheit zu neuen Betätigungsfeldern und entsprechenden Vorschriften für u. a. Armen-, Gesundheits-, Lebensmittelpolizei und bei der Zunahme technischer Anlagen auch zu Gewerbepolizei und Gewerbeaufsicht. Motivierungsstrategien, die einem indirekten nudging ähnlich waren,[51] bauten auf dem damals neuen freiwilligen Engagement in Vereinen auf. Darin wurden örtliche Meinungsführer wie die Pfarrer geschickt als Multiplikatoren für staatlich-wirtschaftspolitische Zwecke benutzt.[52] Diese reale Gemengelage spiegelte sich in Richtungen der wissenschaftlichen Literatur: Robert von Mohl behandelte eine umfassende „Polizeiwissenschaft“ im älteren Sinne 1833 und zuletzt noch in 3. Auflage 1866, während Lorenz (von) Stein ab 1865 recht ähnliche Inhalte als „Verwaltungslehre“ fasste.[53]
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Administrativjustiz und Verwaltungsgerichtsbarkeit
Verwaltungs- und Justizfunktionen blieben in einer Hand, in den Landgerichten in Bayern oder den Bezirken in Baden. Ihre Leiter führten zugleich die untere Ebene staatlicher Verwaltung und richteten in erster Instanz. Das änderte sich durch die Einführung von Amtsgerichten in Baden 1857 und von Bezirksämtern 1862 in Bayern. Administrativjustiz bezeichnet dagegen das zuerst in Frankreich seit 1790 geltende Prinzip, dass die Verwaltung Anordnungen trifft und auch alle Verstöße gegen sie ahndet, ohne dass irgendein ein Dazwischen-Gehen der Gerichte zulässig ist; sie sollten auf Zivil- und Strafrecht beschränkt sein. Diese Auffassung verbreitete sich im Zeitalter Napoleons auch in Deutschland, und eine von der Verwaltung unabhängige Verwaltungsjustiz entstand erst recht spät, erstmals 1863 in Baden durch Verwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshof und 1875 in Preußen mit Einrichtung der unabhängigen Revisionsinstanz des Preußischen Oberverwaltungsgerichts über den noch sehr verwaltungsnahen Kreis- und Bezirksausschüssen. Spätestens seit dessen berühmtem Kreuzberg-Urteil 1882 zur Unzulässigkeit von polizeilichen Gestaltungsvorschriften im Umfeld eines Nationaldenkmals wurden dadurch Polizeiaufgaben immer mehr eingegrenzt im Sinne der Abwehr von Gefahren verstanden.[54]
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Süddeutsche Polizeistrafgesetzbücher
In der älteren Administrativjustiz waren Beamte auch Richter in eigener Sache, jedenfalls in von ihnen angeordneten Sachen, und agierten wie Richter, ohne durch deren richterliche Unabhängigkeit geschützt zu sein. Nach 1848 ging es in den süddeutschen Staaten, zuerst Bayern (1861/71), dann auch Baden (1863) und Württemberg (1871) darum, Verwaltung und Justiz klarer zu trennen. Dabei wurden zusätzlich zu den Strafgesetzbüchern auch Polizeistrafgesetzbücher erlassen. In Bayern war darin geregelt, welche Behörden für orts-, kreis- und oberpolizeiliche Anordnungen zuständig waren und bei Übertretung ohne Mitwirkung eines Richters „Ungehorsamsstrafen“ in Geld oder ersatzweise bis zu 30 Tage Haft verhängen durften. Das Parlament begrenzte dabei durch Aufzählung klar die Anwendungsfelder. Das bayerische Polizeistrafgesetzbuch sprach zuletzt in elf Gruppen von Übertretungen eine bunte, systematisch schwer zu fassende Vielfalt von Einzelermächtigungen aus, die bei der „Erwerbs- und Gewerbepolizei“ bis zum Umwelt- und Technikrecht reichten, etwa beim Betrieb von Dampfkesseln. Das Gesetz wurde regelmäßig novelliert. Die jüngste Fassung galt in Bayern noch nach 1949 und wurde dann erst in ein modernes Ordnungswidrigkeitenrecht überführt.[55]