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2.6 Belebt Konkurrenz das Geschäft?

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Trotz der von Baffin geäußerten und aus eigener Anschauung gewonnenen pessimistischen Einstellung gab es weiterhin Lehnstuhlgeographen, die voller Begeisterung und Überzeugung über die Nordwestpassage schrieben, als sei sie schon entdeckt oder als sei man kurz davor, sie zu finden. Zu diesen gehörte auch Henry Briggs (1561–1630), ein gefeierter Mathematiker und Professor für Astronomie in Oxford. Briggs veröffentlichte im Jahr 1622 seinen „Treatise of the North-west Passage to the South-Sea through the continent of Virginia, and by Fretum Hudson“. Briggs illustrierte seine Abhandlung mit einer Karte, auf der die Nordwestpassage von der Westseite der Hudson Bay direkt in den Golf von Kalifornien führte (Abb. 2.7).

Im Sommer 1631 gab es gleich zwei Expeditionen, die von der Hudson Bay aus nach der Durchfahrt suchen sollten. Beide verfügten über die Bewilligung von König Charles I., wurden aber von konkurrierenden Handelsgesellschaften finanziert, die sich im Erfolgsfall ein Handelsmonopol erhofften. Die eine Expedition wurde von einem Konsortium Londoner Kaufleute ausgerüstet, hinter der anderen stand die Society of Merchant Venturers aus Bristol. Selbst die verwendeten Schiffe waren annähernd gleich groß, das eine ein Schiff des Königs, die Charles, das andere ein privates Schiff, die Henrietta Maria. Die beiden Kapitäne waren Luke Foxe auf der Charles und Thomas James auf der Henrietta Maria.

Luke Foxe ist ein Beispiel für die seltsame, ideengeleitete Begeisterung, mit der viele Jahrzehnte nach der Nordwestpassage gesucht wurde. Wie Frobisher stammte er aus Yorkshire. Foxe las gerne und viel, besonders befasste er sich mit Navigation und der nördlichen Durchfahrt. Das erregte irgendwann die Aufmerksamkeit von Briggs, der auch noch an die Nordwestpassage glaubte, als Baffin voller Skepsis aus der Hudson Bay zurückgekehrt war. Briggs hatte eine Karte gezeichnet und erklärt, dass die Einfahrt zur kürzesten Passage nach Japan und China nördlich der Hudson Bay liege. Er begründete das mit dem höheren Tidenhub im Norden. Briggs erkannte in Foxe eine verwandte Seele, ebenso fanatisch im Glauben an die Passage verhaftet wie er selbst. Foxe formulierte mit Briggs’ Hilfe eine Anfrage an den König, in der er um Geld bat für die „Entdeckung einer Passage zur Südsee im Nordwesten, wo Hudson und Button eine große Wasserstraße entdeckt und große Hoffnungen erweckt hätten“, es ginge jetzt nur noch darum, die kurze restliche Strecke ausfindig zu machen. Foxe versicherte sich auch der Unterstützung des Diplomaten Sir Thomas Roe (Thomson 1977, S. 108). Ob das Unternehmen Aussicht auf Erfolg habe, fragte einer der Lords der Admiralität bei Sir Thomas Button an. Oh ja, antwortete dieser, wenn ein erfahrener und tapferer Mann die Leitung übernehme. Die Straße existiere so sicher wie jene zwischen Dover und Calais. Allerdings meinte Button, man solle nicht direkt in der Hudson Bay suchen, sondern bei der am Eingang zur Bucht gelegenen Insel Nottingham der Strömung nach Nordwesten folgen. So könne man die Passage leicht finden.


Abb. 2.7: Henry Briggs’ Karte von Nordamerika aus dem Jahre 1622.

Thomas James hatte ursprünglich Jurisprudenz studiert, hielt sich aber für einen ausgezeichneten Navigator und behauptete von sich, schon von Kindesbeinen an Interesse für die Nordwestpassage gehabt zu haben. Damit seine Autorität an Bord nicht untergraben würde, wollte James in seiner Mannschaft unter gar keinen Umständen Seeleute mit Erfahrung im Nordmeer oder im Eis haben. Foxe hatte genau die gegenteilige Einstellung, er wollte möglichst viele Matrosen mit Erfahrung im Eis, konnte aber keinen finden, der bereit gewesen wäre, ein zweites Mal in die nördlichen Gewässer zu fahren (Williams 2009, S. 61) (Abb. 2.8).

Beide Schiffe wurden mit Vorräten für 18 Monate ausgestattet und machten sich Anfang Mai, um ein paar Tage versetzt, auf den Weg. Es dauerte eine Weile, bis Foxe sich durch die Hudsonstraße gekämpft hatte, er erreichte aber im Laufe des Monats Juli die Westküste der Hudson Bay auf einer Breite von 64° 10‘ N und nannte dort eine Insel Thomas Roe’s Welcome. In seinem Logbuch vermerkte er eine starke, von Westen kommende Tide und viele Wale. Heute wird der Name Roes Welcome für die Meerenge zwischen Southampton Island und dem Festland verwendet, die Button Ne Ultra genannt hatte. Genau wie Button fuhr Foxe nicht allzu tief in den Sund hinein, weil das Segeln dort wegen der starken Strömung gefährlich war. Ende Juli sichtete Foxe eine Insel aus weißem Stein, die später den Namen Marmorinsel erhielt und für die Suche nach der Nordwestpassage noch eine tragische Rolle spielen sollte (Williams 2009, S. 64). Foxe tastete sich weiter an der Westküste der Hudson Bay Richtung Süden, bis er die Mündung des Nelson River entdeckte, wo er Überreste von Buttons Überwinterung fand, die nun schon fast 20 Jahre zurücklag.


Abb. 2.8: Thomas James’ Karte seiner Reise in die Hudson Bay in den Jahren 1631 und 1632.

Die Fahrt von James war bis dahin dramatischer verlaufen; die Henrietta Maria war vor der grönländischen Küste tagelang in Gefahr gewesen, von Eis zermalmt zu werden. Auch in der Hudsonstraße hatten sie erheblich mit Eis zu kämpfen und das Schiff drohte zu kentern. Und an Bord jagte ein Unglück das nächste, es gab eine Reihe von Unfällen mit z.T. schwer verletzten Seeleuten, einem musste sogar das zerquetschte Bein abgenommen werden. Beim Zusammentreffen stellte sich heraus, dass sowohl Foxe als auch James Briefe Seiner Majestät an den Kaiser von Japan beförderten. Sie führten lange, schwierige Gespräche und als sie sich wieder trennten, sah Foxe zu, möglichst schnell eine größere Entfernung zwischen sein eigenes und James’ Schiff zu bringen (Thomson 1977, S. 112). Foxe beschrieb die Zeit, die er mit James verbracht hatte, als „the worst spent of any time on the voyage“16 (Williams 2009, S. 66).

Nottingham, die Insel, in deren Nähe Button die Durchfahrt vermutet hatte, erwies sich als Enttäuschung, weil Foxe aufgrund einer Eisbarriere dort nicht weiterkam. Darüber hinaus wurde es kalt, Raureif machte sich an den Tauen bemerkbar. Dennoch setzte Foxe die Fahrt fort, er war an der Hudsonstraße vorbei weiter nach Norden in eine unbekannte Wasserstraße eingedrungen. Er glaubte, dort die Passage zu finden, „denn diese großen Tiden müssen doch mit Sicherheit in Verbindung mit einem anderen Ozean stehen“ (Thomson 1977, S. 119). Am 20. September überquerte Foxe den Polarkreis. Am 1. Oktober entschied er sich, zurück nach England zu segeln – reichlich spät im Jahr, aber er schaffte es gerade noch, bevor die Eisdecke sich schloss. Am 31. Oktober erreichte er England ohne auch nur einen Mann, einen Schiffsjungen oder ein Stück der Takelage verloren zu haben. Sechs Monate hatte die Reise insgesamt gedauert (Thomson 1977, S. 120). Foxe war mit seinen Ergebnissen zufrieden, obwohl er die Durchfahrt nicht gefunden hatte. Sir Thomas Roe sah dies völlig anders und warf ihm unzufrieden vor, er sei der Strömung von Nottingham Island nach Nordosten gefolgt. Es sei nicht nachzuvollziehen, wie man eine Nordwestpassage an einer Nordostküste suchen könne. Roe lobte nun Kapitän James, der offenbar entschlossen war, nicht wie ein Faulpelz nach Hause zu kommen, sondern zu überwintern und die Suche fortzusetzen – oder vielleicht die Passage schon gefunden hatte? Foxe hatte unter spitzen Bemerkungen zu leiden und man zog ihn damit auf, dass James bald um das Kap der Guten Hoffnung wieder zurückkehren würde. Foxe reagierte mit den Worten: „Wenn er das tut, dann will ich so schwer bestraft werden, wie ich es verdiene. Wenn aber Kapitän James nicht so viel getan hat wie ich, dann will ich mit dem belohnt werden, was ich eingespart habe, nämlich mit Schiffsproviant für elf Monate und 75 Pfund im Monat“ (Thomson 1977, S. 121).

James war im Süden der später ihm zu Ehren so benannten James Bay, als der Winter begann, nicht weit von der Insel Charlton. Es blieb ihm also nichts anderes übrig als dort zu überwintern. Um das Schiff gegen Eispressungen zu schützen, setzte er es auf Grund. Während des Winters verlor er vier Männer, zwei erlagen Verletzungen, die sie sich bei Unfällen zugezogen hatten, zwei weitere starben an Skorbut. Mit großer Anstrengung machten sie das Schiff im nächsten Frühjahr wieder flott und erreichten mit Mühe England, ohne nennenswerte Erkundungen durchgeführt zu haben.

Sowohl Foxe als auch James veröffentlichten einen Bericht über ihre Unternehmungen. Weil beide sich jeweils weit von der Küste ferngehalten hatten, lieferten ihre Reisen keinen wesentlichen Beitrag zur Geographie der Hudson Bay. Das Buch von Thomas James erschien 1633 unter dem Titel „The Strange and Dangerous Voyage of Captaine Thomas James“. James schrieb einen halbwegs literarischen Stil und sparte nicht mit Melodramatik, wie schon im Untertitel deutlich wurde: „The miseries indured, both Going, Wintering, Returing“. Es war das erste Mal, dass ausschweifend die Auswirkungen der Kälte beschrieben wurden, was später zum Standardrepertoire arktischer Reisebeschreibungen wurde: Festgefrorener Branntwein – sehr schlimm, durch den Frost zusammenklebende Augenlider, mit Eis überzogene Kessel, selbst während sie über dem Feuer hängen, erstaunten und schockierten erstmals die britischen Leser. James’ Bericht fand eine weite Verbreitung und wurde während des 18. Jahrhunderts ganz oder gekürzt noch ein Dutzend Mal neu aufgelegt (Williams 2009, S. 75). Foxes Werk dagegen war etwas schrullig und erschien erst 1635 mit dem Titel „North-West Foxe: or Foxe from the North-West Passage“. Der Leser erhielt darin einen wirren Bericht von Foxes Expedition, der noch dazu schlecht geschrieben war. Foxe gab selbst zu, dass sein Buch „roughhewn, like ship-wright’s timber“17 sei (Williams 2009, S. 60). Absurderweise starben die beiden Kontrahenten im gleichen Jahr–1635–relativ bald nach dem Erscheinen ihrer Expeditionsberichte.

Die Nordwestpassage weckte immer aufs Neue Begehrlichkeiten, die dazu führten, dass konkurrierende Expeditionen losgeschickt wurden. Statt Kräfte zu bündeln und größere Gebiete abzusuchen, kam es häufiger zu Doppelungen und einer unglaublichen Verschwendung von Ressourcen, weil zwei Expeditionen im gleichen Gebiet suchten. Aber der Profit, mit dem im Erfolgsfall gerechnet wurde, führte zu diesem aus heutiger Sicht absurd anmutenden Vorgehen. Oft floss alle Energie in die Überwinterungen, so dass für die eigentliche Erkundung kaum noch Kraft blieb. Und da die eisfreie Zeit insbesondere in der Hudson Bay extrem kurz war, konnte man in einer Saison nicht viel ausrichten. Meist reichte die Zeit nur, das Innere der Bucht zu erreichen, so dass man überwintern musste, um rechtzeitig vor Ort zu sein. Wie man es auch anpackte, in keinem Fall konnte man auf ein günstiges Ergebnis hoffen, weil die Zeit immer zu kurz war. Und trotz dieser Erfahrungen wurde die Idee nicht aufgegeben, im Gegenteil, man hatte sich derart darauf versteift, dass es einen westlichen Ausgang aus der Hudson Bay geben müsse, dass immer wieder neue Expeditionen entsandt wurden, die immer mit den gleichen Problemen zu kämpfen hatten. Nach den Expeditionen von Thomas James und Luke Foxe 1631 entstand eine längere Pause in der Suche nach der Nordwestpassage. Der Traum, einen Ausgang aus der Hudson Bay zu finden, trat vorläufig in den Hintergrund. Die beiden Expeditionen waren fast gleichzeitig mit demselben Ziel unterwegs gewesen und hatten nachgewiesen, dass es aus der Bucht keinen Seeweg nach China oder zu den Gewürzinseln gab. Und falls es die so hartnäckig erwünschte Passage doch geben sollte, so sei sie James zufolge eng, voller Eis und vermutlich sogar länger als die Ostroute um das Kap der Guten Hoffnung. Nun ruhte die Suche nach der Nordwestpassage für etwa 100 Jahre, um dann nach genau dem gleichen Muster fortgesetzt zu werden. In den veröffentlichten Berichten war die Hudson Bay als Ausbund von Trostlosigkeit und Elend erschienen. Deshalb dauerte es fast 40 Jahre, bis sich wieder ein Schiff aus Europa in die Hudson Bay traute (Williams 2009, S. 83).

Auch wenn man sich nun von der Suche nach der Nordwestpassage verabschieden musste, so hatten die Reisen doch gezeigt, dass die Hudson Bay andere Schätze barg als die erwarteten. James hatte z.B. berichtet, dass es dort die allerfeinsten Pelztiere der Welt gebe. Diese Nachricht wurde dem englischen Hof im Jahr 1666 noch einmal mit Nachdruck von zwei pfiffigen französischen Händlern vorgetragen. Diese hießen Pierre-Esprit Radisson und Médard Chouart Sieur Des Groseilliers. König Charles II. von England war beeindruckt von den Erzählungen der beiden und versprach ihnen königliche Protektion sowie eine wöchentliche Pension. Nachdem ein erster Versuch, Schiffe in die Hudson Bay zu schicken, halbwegs geglückt war – zumindest eines der Schiffe kehrte mit Biberfellen beladen zurück –, wurde die Hudson’s Bay Company (HBC) im Jahr 1670 gegründet. Es wurden Handelsstützpunkte an Flussmündungen in der Bucht angelegt und die lange und wechselhafte Geschichte der Hudson’s Bay Company begann (Newman 1989) (Abb. 2.9, Farbtafel).

Im Vergleich zu den finanziellen Investitionen und Erfolgen im Walfang nahm sich die Suche nach der Nordwestpassage eher bescheiden aus. Während im Jahr 1614 gerade einmal ein einziges Schiff nach der Nordwestpassage suchte, schickte die Muscovy Company 14 Walfangschiffe nach Spitzbergen, wo sie eine noch größere holländische Flotte antrafen, die noch dazu von Kriegsschiffen eskortiert wurde. Man schaffte es in England nicht, die Vorherrschaft im Spitzbergenwalfang an sich zu reißen, dieser blieb holländisch dominiert. Im Jahr 1684 fuhren nicht weniger als 246 holländische Walfangschiffe in die Arktis. Dieser intensive Walfang führte dazu, dass der Bestand an Grönlandwalen um Spitzbergen bald so stark dezimiert war, dass die Walfänger auf die gefährlicheren Gewässer zwischen Spitzbergen und der Ostküste Grönlands bzw. auf die Davisstraße ausweichen mussten. Die Walfangkapitäne entwickelten sich zu Experten in der Eisnavigation, allerdings versuchten sie möglichst eine Überwinterung in der Arktis zu vermeiden. Sie suchten offene Wege durchs Eis, sägten Kanäle, wenn nötig, stießen Eisschollen mit langen Stangen vom Schiff und zogen oder schoben ihre Schiffe vorwärts. Jene Erfahrungen mit der Schifffahrt in arktischen Gewässern, die es lohnte aufzuschreiben und als Hinweise für andere Schiffe zu verwenden, wurden auf den Walfangschiffen gemacht. Der Beitrag der im Vergleich wenigen Entdeckungsreisen war eher gering. Da aber Entdeckungsreisen meist besser dokumentiert wurden, weiß man darüber erheblich mehr. Walfänger hielten lieber geheim, wo sie besonders guten Fang gemacht hatten, und auch ihr Wissen, wie man ein Schiff durch das Eis steuert ohne Beschädigungen zu erleiden, war ein Vorteil gegenüber der Konkurrenz, den man nicht unbedingt öffentlich machen wollte. Als man die Suche nach der Nordwestpassage wieder verstärkte, versuchte man sich die Erfahrungen der Walfänger zunutze zu machen (Williams 2009, S. 78f.).

14 „wütenden Sturz“

15 „… es gibt keine Passage noch die Hoffnung auf eine Passage im Norden der Davisstraße. Wir haben die gesamte Küste abgefahren und festgestellt, dass es nichts anderes als eine große Bucht ist, wie unsere Reise beweist“

16 „die am schlechtesten verbrachte Zeit, während der gesamten Reise“

17 „roh behauen, wie Schiffsbauholz“

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