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Krönung des Aufstiegs

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Hier war es auch, wo der Hohenzollern-Regent Friedrich III. seine Leidenschaft für das »Gold der Ostsee« entdeckte. In den Berliner Gemächern des bauwütigen Kunstkenners wuchs eine ansehnliche Sammlung rarer und auserlesener Bernsteinfunde heran. Doch nicht in erster Linie seine Sammelleidenschaft war es, die den aufstrebenden Regenten nach Königsberg führte. In der alten Trutzburg des deutschen Ordens, eines der Wegbereiter für die Osterweiterung des späteren Preußens, sollte nach seinem Willen der politische Aufstieg seiner Dynastie unübersehbar dokumentiert werden: Eigenhändig wollte er sich hier zum ersten preußischen König krönen. Mit riesigem Hofstaat und allein dreihundert Gepäckwagen traf der künftige König vor der Wende zum Jahr 1701 in der Ost-Dependance seines Herrschaftsgebietes ein. Am 18. Januar setzte er sich vor viertausend Gästen in einem weihevollen Zeremoniell die neue Krone auf. Auch für sein Reich stand der Staatsakt am Anfang einer ruhmreichen Karriere.

Als der frisch gekürte König, nunmehr Friedrich I., Königsberg im März verließ, nahm er – inspiriert von der Bernsteinkunst seiner Krönungsstadt – auch die Idee für ein prestigeträchtiges Weihegeschenk an sich selbst mit nach Hause. Unmittelbar nach seiner triumphalen Ankunft in Berlin beauftragte Friedrich, so mutmaßen Sachkenner, seinen damaligen Hofarchitekten Andreas Schlüter, den berühmten Erneuerer des Berliner Stadtschlosses, mit den Plänen für ein »Bernstein-Cabinett«. Es sollte eine Weltneuheit werden: Noch nie zuvor hatte Bernstein für die komplette Ausgestaltung einer Kammer Verwendung gefunden. Als Verwirklicher dieser Innovation empfahl der befreundete König von Dänemark seinen Bernsteinschneider Gottfried Wolffram.

Bereits im April 1701 ging der versierte Kunsthandwerker im Schloss Lietzenburg, dem späteren Charlottenburger Schloss, ans Werk. Dabei wandte er ein neu entwickeltes Verfahren an, die so genannte Inkrustationstechnik (mosaikartiges Verfahren zur Bearbeitung von Bernstein): Tausende von Bernsteinstücken der verschiedensten Farbschattierungen wurden auf zwölf großformatigen Holztafeln, so genannten Paneelen, und zehn Sockelplatten, die in beliebiger Anordnung an der Wand befestigt werden konnten, aufgeklebt und zu kunstvollen Mosaiken zusammengefügt. Aus dem natürlichen Rohstoff wurden in millimetergenauer Maßarbeit dekorative Muster, filigrane Figürchen, Ornamente, Verzierungen, herausragende Rahmen, Zierleisten, Wappen, kleine Gemälde für sich und Schriftzeichen herausgearbeitet. Um die natürliche Farbpalette noch zu erweitern, kochten die Bernsteinkünstler die Plättchen in Öl, dem nach streng geheimen Rezepturen natürliche Pflanzenfarben beigemengt waren.

Die Mitwirkung des Bildhauers und Hofbaumeisters Andreas Schlüter bis zu seiner Entlassung im Jahr 1707 schließen Fachleute auch aus der frappierenden Ähnlichkeit von acht Masken toter Krieger im Rahmendekor des Kabinetts mit jenen zweiundzwanzig Krieger-Masken, die der Bildhauer im Innenhof des Zeughauses geschaffen hatte.

Doch die Schaffensfreude währte nicht lange. Wegen der wuchernden Kosten, wohl auch weil er sich mit dem neuen Hofbaumeister Eosander von Goethe nicht verstand, wurde Bernsteinschneider Gottfried Wolffram 1707 vor die Tür gesetzt. Der König beschloss, die bisher gefertigten Elemente in sein Stadtschloss zu verlagern und dort für die Täfelung eines Raumes zu verwenden. Beauftragt wurden diesmal, gegen geringeres Entgelt als der dänische Meister, die Danziger Kunsthandwerker Gottfried Turau und Ernst Schacht. In ihrem Können standen sie dem Vorgänger indes nicht nach. In nur wenigen Jahren vollendeten sie das Werk des Dänen auf meisterhafte Art und zauberten eine einzigartige Vertäfelung, die später das glanzvolle Kernstück des berühmten Bernsteinzimmers werden sollte.

Doch wie ihr dänischer Vorgänger blieben auch die Schöpfer des Bernsteinkabinetts nicht dauerhaft im Stand der Gnade. Als Preußens König kurz nach dem Einbau der Wandvertäfelung feststellte, dass die Wände hinter den Bernsteintafeln von Schimmelpilz befallen waren, ließ er den Meister Turau wegen Hochverrats in den Kerker werfen. Immerhin zierte das noch nicht gänzlich vollendete Getäfel ab 1711 im Stadtschloss das »tabacs-collegium« des Königs. In dieses Eckzimmer mit der teuersten Tapete der Welt, die den preußischen Staatssäckel empfindlich geleert hatte, konnte er sich zurückziehen, in vertrauter Gesellschaft ein Pfeifchen schmauchen, das Kartenspiel pflegen oder vertrauliche Gespräche führen. »Aller Zwang ist aus dieser Gesellschaft verbannet«, rühmte ein Höfling die Atmosphäre der Raucherstube, »und darf jedermann sitzen, inmassen der König von der Ihm sonst gebührenden Ehrerbietung zu der Zeit etwas nachlasset.«

Allzu lange jedoch konnte der barocke und kunstsinnige Herrscher den abendlichen Mußestunden im neuen Ecksaal nicht mehr frönen. 1713 starb der erste Preußenkönig.

Sein Sohn, der nach ihm den Thron einnahm, konnte unterschiedlicher nicht sein. Friedrich Wilhelm I. war ernst und sparsam, mied jede nicht unbedingt dienliche Staatsausgabe – bis zum Geiz. An die Stelle von barocker Verschwendungssucht traten Enthaltsamkeit und strenge Pflichterfüllung. Die Neigung des Thronfolgers gehörte nicht den Künsten und der Wissenschaft, sondern seiner Armee. Der »Soldatenkönig« trug als oberster Krieger selbst gern die Uniform, die unter seiner Herrschaft zum »Ehrenkleid« avancierte. Wie ein Rekrut schlief er auf einem Feldbett und deckte sich mit einem rauen Tuch zu.

Nicht nur das Militär formte Friedrich Wilhelm mit straffer Hand um, er schuf auch ein neues Finanzsystem, das die Ausgabenflut eindämmte, schwor das neu formierte und erweiterte Beamtentum auf preußische Werte ein und setzte die allgemeine Schulpflicht durch. In diesem soldatisch streng regierten Gemeinwesen war kein Platz mehr für höfische Prunkmanie. Er ließ die Arbeiten an den immer noch nicht vollendeten Bernsteinarbeiten im Schloss abbrechen und die bereits fertig gestellten Wandverkleidungen im Berliner Zeughaus einlagern.

Da traf es sich günstig, dass ein hochrangiger Besucher Gefallen an dem wertvollen Schmuckstück bekundete. Der russische Zar Peter I. hatte seinen Blick schon seit längerer Zeit mit Wohlgefallen auf das edle Kabinett geworfen, war er doch ein ausgesuchter Liebhaber des Edelgesteins von der Küste seines Heimatmeeres. Seine neu eingerichtete Kunstkammer, das erste Museum dieser Art in Russland, war bereits mit zahlreichen Pretiosen aus Bernstein angereichert.

Das kunstvoll ausgekleidete Tabakskolleg hatte die Bewunderung des Zaren schon hervorgerufen, als noch Friedrich I. im Berliner Stadtschloss residierte. Peter hatte ihm auf dem Weg zu seinen Truppen in Pommern 1712 einen Besuch abgestattet, und dabei hatte der Gastgeber es natürlich nicht versäumt, dem Kunstfreund voller Stolz seine neueste Errungenschaft vorzuführen. Der Zar war angetan, auch Jahre danach ging ihm das Bernsteinkabinett nicht aus dem Sinn.

Nun, da Friedrichs Epoche vorüber war und der neue, gestrenge Soldatenkönig solch verschwenderisches Dekor aus seinen Gemächern verbannte, stiegen die Aussichten für einen Besitzerwechsel. 1716 weilte der Zar mit seinem Hofstaat ein weiteres Mal in Brandenburg-Preußen. Friedrich Wilhelm I. hatte ihn eingeladen, weil er bestrebt war, die guten Verbindungen mit dem Riesenreich im Osten, die schon sein Vater gepflegt hatte, weiter zu vertiefen. Und er hatte einen triftigen Anlass dafür.

Im Bund mit dem aufstrebenden Nachbarstaat wollte er den Einfluss der Schweden im Ostseeraum zurückdrängen. Mit russischer Hilfe hoffte er die Truppen des schwedischen Königs Karl XII. aus Vorpommern zu verdrängen. Geschenke bewahren die Freundschaft – auch unter politischen Potentaten, das wusste Zar Peter, und das ließ er auch reichlich unverblümt wissen. »Am folgenden Tage zeigte man ihm alles Merkwürdige von Berlin, unter anderem auch die Medaillen- und Antikensammlung«, berichtete die Markgräfin Wilhelmine Friederike Sophie von Bayreuth, die Tochter des preußischen Königs. »Ohne das geringste Bedenken verlangte er diese und noch einige andere Statuen vom Könige, der sie ihm nicht abschlagen konnte, ebenso machte er es mit einem Schrank, der ganz mit Bernstein ausgelegt war. Dieser Schrank, der einzige seiner Art, der König Friedrich den Ersten ungeheure Summen gekostet hatte, hatte zum allgemeinen Leidwesen das Schicksal, nach Petersburg geführt zu werden.«

Und nicht nur dieses edle Möbelstück. Neben Präsenten wie etwa dem komplett ausgestatteten Jagdschiff »Liburnica« geriet das gesamte, über ein Jahrzehnt lang in mühsamer Kleinarbeit geschnitzte Inventar des Bernsteinkabinetts auf die Geschenkliste. Doch König Friedrich Wilhelm konnte gut davon lassen. Der calvinistisch geprägte Monarch hatte nicht viel Sinn für derlei irdischen Zierrat. Viel wesentlicher waren für ihn die Gegengaben des Zaren. Tatsächlich gelang es mit massiver russischer Schützenhilfe, die Schweden zurückzudrängen – im übrigens einzigen Feldzug während der Regierungszeit des militärbegeisterten Königs. Der Sieg brachte einen Gebietsgewinn, der das flickwerkartige Herrschaftsgebiet der Preußen ein weiteres Stück zusammenfügte: Stettin, das gesamte Vorpommern sowie die Inseln Usedom und Wollin wurden preußisch.

Als Dreingabe sandte Zar Peter nach seiner Rückkehr neben einer Drechselbank, einer Barke, einem gedrechselten Stock und einem selbst gefertigten Elfenbeinpokal noch eine ganz besondere Aufmerksamkeit, die mehr als jedes Kunststück das Wohlwollen des »Soldatenkönigs« weckte: 55 russische Leih-Soldaten von herausragender Körpergröße. Friedrich Wilhelm konnte sie in das neu formierte 1. Bataillon seines Garderegiments einreihen, das er bevorzugt mit »langen Kerls« bestückte. Es war eines seiner Lieblingsprojekte: eine Elitetruppe aus Leibgardisten, aus ganz Europa rekrutiert, die allesamt mindestens sechs Fuß (also 1,88 Meter) maßen. So tauschte der preußische König Soldatenherrlichkeit gegen Bernsteinglanz.

Parohll auf dieser weldt ist nits als mühe und arbeit, und wo man nit selber, mit permission zu sagen, die nase in allen dreck selber stecket, so gehen die sachen nit wie es gehen soll, den auf die meiste bedinte sich nit zu verlassen, wo man nit selber danach sehet.

Friedrich Wilhelm, 1726

Das Bernsteinzimmer

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