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ANGRIFF IMWESTEN

Es ist ein Bild mit hoher Symbolkraft. Irgendwo in Frankreich in den Tagen des Westfeldzugs im Frühjahr 1940: Ein vollkommen desillusionierter französischer Soldat muss den bitteren Gang in die deutsche Gefangenschaft antreten. Seine versteinerte Miene spiegelt den Schmerz und die Demütigung der Niederlage gegen die verhassten »Boches«. In die andere Richtung, dem Sieg entgegen, marschiert ein Trupp deutscher Landser. Einer dreht sich um, blickt den Fotografen an, seine Gesichtszüge zeigen eine merkwürdige Mischung aus Triumph und Mitgefühl.

Der sogenannte »Fall Gelb«, der am Morgen des 10. Mai 1940 angelaufen war, hatte die Westmächte völlig unvorbereitet getroffen. Frankreich und England hatten Hitler zwar den Krieg erklärt, nachdem die Wehrmacht am 1. September 1939 in Polen einmarschiert war – aber an der Westfront war bisher kaum ein Schuss gefallen. Wiederholt hatte Hitler beteuert, er habe »keine Interessen im Westen«. So hofften die Deutschen zu Hause noch immer, der Konflikt könne durch Verhandlungen gelöst werden.

Doch Hitler hatte sich längst festgelegt: »Das deutsche Kriegsziel hat in der endgültigen militärischen Vernichtung des Westens zu bestehen.« Die Westmächte sollten nicht »noch einmal der staatlichen Konsolidierung und Weiterentwicklung des deutschen Volkes in Europa entgegentreten« können. Für Hitler blieb Frankreich der »Erbfeind« – und Frieden unvorstellbar, ehe nicht die »Schmach von Versailles getilgt« war. Ahnungsvoll blickte er voraus: »Wir können Russland nur entgegentreten, wenn wir im Westen frei sind.«

Bereits am 27. September 1939 – der Polenfeldzug war erfolgreich beendet und die Armee wieder verfügbar – weihte Hitler die Generäle in sein Vorhaben ein: Frankreich »zerschlagen« und damit Großbritannien »in die Knie zwingen«, so die Zielvorgabe. Ein schneller Angriff sollte die alliierten Truppen vernichten. In Nordfrankreich hatte er günstige Ausgangsbasen für den Luft- und Seekrieg gegen England ausgemacht – und die neutralen Staaten Belgien und Holland rücksichtslos in seine Eroberungspläne eingeschlossen. Bereits Mitte November sollte »Fall Gelb« anlaufen.

Die deutsche Militärführung war entsetzt und meldete fachliche Bedenken an: Ein derartiger Krieg sei »überstürzt und aussichtslos«, die Truppe erschöpft, der Nachschub fehle. »Der befohlene Angriff wird von keiner hohen Kommandostelle als erfolgversprechend angesehen«, mahnte Generalstabschef Halder. Feldmarschall von Brauchitsch hielt die Idee für »Wahnsinn« und warnte den »Führer« vor der »stärksten Militärmacht Europas«. Der Generalität gelang es immerhin, durch ungelöste Sachfragen die Entscheidung zum Angriff immer wieder hinauszuzögern – zu Hilfe kam ihr dabei die Tatsache, dass die Witterungsbedingungen in diesem Winter denkbar ungünstig für eine Offensive waren. Insgesamt 29-mal wurde der Termin zum Losschlagen verschoben.

ERICH VON MANSTEIN

Er galt als einer der klügsten Köpfe der deutschen Generalität: Erich von Manstein (1887–1973). Sein Leben steht stellvertretend für die meisten jener preußisch-konservativen Generäle, diegegenüber dem Nationalsozialismus kritische Distanz wahrten – und doch als willige Werkzeuge Hitlers erbarmungslosen Krieg vollstreckten. Er sah sich als »unpolitischen Soldaten«, der tat, was er am besten konnte: Krieg führen. Ohne zu erkennen, welche verbrecherischen Ziele Hitler verfolgte.

Ohnehin zeugten die deutschen Angriffsplanungen weder von Originalität noch von Kühnheit und kopierten im Prinzip nur das Muster von 1914, als die deutsche Hauptstreitmacht von Norden her über Belgien in Frankreich eingefallen war. Doch im Februar 1940 präsentierte Generalleutnant von Manstein einen Schlachtplan, der ebenso riskant wie aussichtsreich erschien: Um die Maginotlinie, das uneinnehmbare französische Bunkersystem entlang der deutschen Grenze, zu umgehen, setzte er auf einen Überraschungsangriff der deutschen Panzerstreitkräfte über die weniger stark gesicherten Ardennen. Von dort aus sollte dann der Vorstoß zur Kanalküste gewagt werden. Ziel der Aktion war die Umfassung und Einkesselung der alliierten Hauptkräfte, die im Norden Frankreichs und Belgiens standen. Gegen alle Bedenken der Heeresleitung griff Hitler die Strategie Mansteins sofort auf.

Im dicht bewaldeten und gebirgigen Ardennengebiet, wo die Franzosen den Durchbruch am wenigsten erwarteten, rückten nun am 10. Mai die deutschen Panzer vor. Gleichzeitig griffen zwei schwächere Heeresgruppen im Süden an der Maginotlinie und im Norden über Belgien und die Niederlande an, wo die Alliierten den Hauptangriff der Deutschen vermuteten – wie schon 1914. Vor allem die nördliche Heeresgruppe B war, mit den Worten des britischen Militärhistorikers Lidell Hart, das »rote Tuch« des Toreros, das den Stier – also den Gegner – zum Vorpreschen provozieren sollte. In die ungeschützte Flanke des Gegners sollte die Heeresgruppe A mit ihren Panzerverbänden wie ein Degen hineinstoßen. Und tatsächlich: Noch bevor das Täuschungsmanöver auffiel, hatte die Wehrmacht bereits spektakuläre Erfolge erzielt. »In drei Tagen an die Maas, am vierten Tag über die Maas!« war die Vorgabe gewesen – und sie wurde eingehalten.

Am 14. Mai kapitulierten die Niederlande, am 17. fiel Brüssel und nach nur zehn Tagen erreichten die ersten deutschen Panzer die Kanalküste. Gegen den ausdrücklichen Willen Hitlers waren sie aus ihren Brückenköpfen an der Maas ausgebrochen und ohne Rücksicht auf die nachrückende Infanterie nach Norden vorgestoßen. Die aus dem Ersten Weltkrieg stammende Vorstellung des Stellungskriegs wurde auf abrupte Weise durch den modernen Bewegungskrieg abgelöst. Es galt nicht mehr, durch einige Panzer eine örtliche Überlegenheit zu erzielen, sondern Beweglichkeit als Trumpf auszuspielen. »Operation ist Bewegung!« war das Motto. In der Kriegsgeschichte war es der erste »operative« Einsatz der Panzerwaffe: Ganze Panzerdivisionen rollten weit vor und setzten auf »handstreichartige« Überraschung des Kriegsgegners: Mansteins Plan war aufgegangen. Die Panzerverbände hatten die alliierten Streitkräfte im Norden von ihren rückwärtigen Verbindungen getrennt – anerkennend sprach Englands Premierminister Winston Churchill später vom »Sichelschnitt«.

Bei Dünkirchen drängte die Wehrmacht die letzten 400 000 Briten und Franzosen zusammen. Dass die meisten der alliierten Soldaten entkamen, verdankten sie einer Weisung Hitlers, den weiteren Vormarsch seiner Panzer zu stoppen. Angeblich sollten die Panzerkräfte geschont werden für weitere Operationen in Richtung Süden. Luftwaffenchef Göring versprach, dass seine Flieger die eingeschlossenen Gegner allein vernichten könne – ein absurder Vorschlag, denn die Luftwaffe hatte in den ersten 14 Tagen des Westfeldzugs bereits 1000 Flugzeuge verloren. Sie hätte Schonung gebraucht, nicht die Panzertruppe.

Dünkirchen gilt heute als eine vorentscheidende Weichenstellung in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Das Gros des britischen Expeditionskorps wurde nicht vernichtet, sondern entkam unter Zurücklassung allen Materials über den Ärmelkanal. Über 120 000 französische und 250 000 britische Soldaten – gut ausgebildete reguläre Truppen – konnten durch die »Operation Dynamo« gerettet werden. Genau diese erfahrenen britischen Offiziere und Soldaten sollten die Kader bilden, um die herum schon bald eine größere, modernere und schlagkräftige britische Armee aufgebaut werden konnte. Diese Armee würde später Rommel in Afrika besiegen und von den Stränden der Normandie bis an den Rhein vormarschieren, um schließlich an der Seite der Amerikaner den Norden und Westen Deutschlands zu besetzen.

Der zweite Weltkrieg

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