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BOMBEN AUF WARSCHAU JULIEN BRYAN Der amerikanische Fotograf und Dokumentarfilmer Julien Bryan (1899–1974) war einer der wenigen ausländischen Korrespondenten, der sich zur Zeit der Einkesselung Warschaus durch deutsche Truppen in der Stadt aufhielten. Über den polnischen Rundfunk richtete er einen flammenden Appell an US-Präsident Roosevelt, der notleidenden Zivilbevölkerung in der polnischen Hauptstadt zu helfen. Sein Kurzfilm Siege über die Belagerung der Stadt wurde 1940 für einen Oscar nominiert.
ОглавлениеEin Mädchen kniet mit schmerzverzerrtem Gesicht vor der Leiche einer jungen Frau und weint in ohnmächtiger Trauer. Sie hat das Liebste im Leben verloren: Der amerikanische Fotograf Julien Bryan hält den Moment fest, da die zehnjährige Kazimiera Mika aus Warschau begreifen muss, dass ihre ältere Schwester Andzia tot ist, umgekommen bei einem Bombenangriff der deutschen Luftwaffe auf die polnische Hauptstadt am 13. September 1939.
Schon vor Kriegsbeginn hatte der Generalstab der Luftwaffe unter dem Decknamen »Wasserkante« einen Angriffsplan entworfen, der die Bombardierung Warschaus gleich am ersten Angriffstag vorsah. Zunächst machte das ungünstige Wetter Göring noch einen Strich durch die Rechnung, doch das Ziel der Operation blieb bestehen: »Der Angriff hat die Zerstörung von ›Wasserkante‹ zum Ziel«, hieß es in einem Befehl des Generalstabs der Luftwaffe vom 10. September. »Es kommt darauf an, bei dem ersten Angriff weitgehende Zerstörungen in dicht besiedelten Stadtteilen zu erreichen.« Mit der Bombardierung von Warschau sollte ein neues, schreckliches Kapitel der Luftkriegsgeschichte aufgeschlagen werden.
Bereits am 8. September hatten die ersten deutschen Einheiten die Außenbezirke von Warschau erreicht, das von der polnischen Regierung zur Festung erklärt und zum letzten Zentrum des Widerstandes im zusammenbrechenden Polen gemacht worden war. Wenig später schloss sich der Belagerungsring um die Stadt. Leidtragende dieser Entwicklung war vor allem die Zivilbevölkerung, denn sie lebte nun mitten im Kampfgebiet. Die Versorgungslage war katastrophal, weil kaum noch Lebensmittel in die Stadt durchkamen.
Auch die Familie von Kazimiera Mika im Stadtteil Powązki litt Hunger. Kazimiera und ihre Schwester machten sich deshalb am Morgen des 13. September auf zu einem nahe gelegenen Acker, wo sie bei der Ernte übrig gebliebene Kartoffeln zu finden hofften. Doch plötzlich dröhnte Motorenlärm über ihren Köpfen. Wie aus dem Nichts tauchten zwei deutsche Bombenflugzeuge auf und attackierten in der Nähe befindliche Gebäude. Die Frauen warfen sich auf den Boden und hofften, dass sie die Piloten nicht entdeckt hatten. Doch dann geschah das Unbegreifliche: Die Flugzeuge kehrten um, gingen in den Tiefflug und durchpflügten das Feld mit Maschinengewehrfeuer. Zwei der sieben Frauen starben, die anderen schafften es zu fliehen.
Wenige Minuten später kam Julien Bryan an die Stelle. »Während ich die Leichen fotografierte, kam ein kleines zehnjähriges Mädchen und starrte wie gebannt auf eine der Toten«, schrieb Bryan später. »Das Kind hatte nie zuvor eine Tote gesehen und konnte nicht verstehen, warum ihre Schwester nicht mit ihr sprach. Sie sah uns verwirrt an. Ich legte meinen Arm fest um sie, um sie zu beruhigen. Sie weinte – ebenso wie ich und die polnischen Polizisten, die bei mir waren.«
Der Angriff am 13. September war der erste, der weite Teile Warschaus in Brand setzte. Doch das Schlimmste stand den Menschen in der polnischen Hauptstadt noch bevor: Am 24. und 25. September warfen Hunderte deutsche Flugzeuge 486 Tonnen Sprengbomben, davon 72 Tonnen Brandbomben ab: der erste Großangriff dieser Dimension. Binnen weniger Stunden war Warschau zerstört. Auch wenn sich in der Stadt 120 000 polnische Soldaten verschanzt hatten und sich ein Angriff nach der Haager Landkriegsordnung sogar rechtfertigen ließ, handelte es sich um einen Terrorakt, wie ihn zuvor noch keine Stadt erlebt hatte.