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»WAIT FOR ME, DADDY«
ОглавлениеEs war ein Routineauftrag für Claude P. Dettloff, den Fotografen der Zeitung The Province im kanadischen New Westminster. Am 1. Oktober 1940 sollte das »British Columbia Regiment« aus seiner Garnison in der Nähe von Vancouver ausrücken und am Bahnhof der Stadt zum Kriegseinsatz verladen werden. Ein paar Zeilen im Lokalteil, dazu ein Foto, mehr war für Dettloff wohl nicht drin: Kleinvieh für den Fotografen. Dettloff, der die Stadt kannte wie seine Westentasche, wusste: Die besten Bilder würde er an der Columbia Street, Ecke 8th Street kriegen – dort, wo die Männer in einer langen Reihe die hügelige Straße herabkommen würden und ihnen ihre Angehörigen am Straßenrand noch einmal zuwinkten.
Dettloff platzierte sich also an der Ecke, ließ die ersten Soldaten passieren, blickte durch den Sucher und wartete auf den richtigen Moment für sein Foto. Da sah er plötzlich, wie sich in der wartenden Menge ein kleiner Junge von der Hand seiner Mutter losriss – vielleicht fünf Jahre alt und mit einem markanten semmelblonden Haarschopf. Seine Mutter lief ihm nach, versuchte, ihn noch aufzuhalten, doch der Junge war zu schnell: Er rannte zu seinem Vater, den er in der langen Reihe der Soldaten entdeckt hatte. Dettloff drückte auf den Auslöser – gerade in dem Moment, als sich der Vater umdrehte und seinem Sohn die Hand zum Gruß entgegenstreckte.
Unter dem Titel »Wait for me, Daddy« – »Warte auf mich, Papi« wurde Dettloffs anrührendes Foto schnell populär, weil es wie kaum ein anderes versinnbildlicht, was Krieg für Familien und vor allem für Kinder bedeutet: Die schmerzhafte Trennung von den Lieben mit ungewisser Hoffnung auf eine glückliche Heimkehr. In Kanada ist es bis heute das bekannteste Foto aus dem Zweiten Weltkrieg. Viele Zeitungen im ganzen Land druckten es nach, auch in großen US-amerikanischen Illustrierten wie Life oder Newsweek war es zu finden. Es hing bis zum Ende des Kriegs in allen Schulen von British Columbia; Kanadas Regierung nutzte es, um für Kriegsanleihen zu werben.
Das machte auch der kleine Junge auf dem Bild, der bald von Vancouver bis Montreal eine echte Berühmtheit war: Warren »Whitey« Bernard. In den Schulferien tingelte er sogar mit einer Schauspielertruppe übers Land und rief seine Mitbürger zur Unterstützung ihrer Soldaten auf. Im selben Aufzug wie auf dem Foto – blaues Jackett und graue Hosen – trat er am Ende der Vorstellung aufs Podium, hinter sich einen Großabzug des Bilds, und hielt eine kurze Rede. »Ich rief dann alle Anwesenden auf, Kriegsanleihen zu zeichnen, damit mein Daddy bald wieder zu Hause sein könnte. Alle bekamen feuchte Augen und liefen sofort los, um die Anleihen zu kaufen«, erinnerte er sich später.
Dass »Whiteys« Daddy zunächst einmal gar nicht an die Front kam, sondern in ein Ausbildungscamp auf Vancouver Island – gerade einmal drei Stunden Fahrt entfernt –, wurde von den offiziellen Stellen wohlweislich verschwiegen. Als Mitglied des britischen Commonwealth hatte Kanada zwar schon im September 1939 Deutschland den Krieg erklärt und erste Truppenkontingente nach Europa geschickt. Das Regiment aus British Columbia aber hielt man zunächst noch in der Heimat zurück. Erst Mitte 1942 wurde es nach Europa verschifft und kam dann 1944, während der Invasion in der Normandie, zu seinem ersten Kampfeinsatz.
Private Jack Bernard, »Whiteys« Vater, hatte Glück: Er überstand den Krieg unverletzt und kehrte zu seiner Familie zurück. Wieder war Claude P. Dettloff dabei, als Vater und Sohn sich glücklich in die Arme schlossen: eine Geschichte mit Happy end.