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9169 Sunset Boulevard • Ein schwarzer Cadillac fährt vor. Sein kalifornisches Kennzeichen besteht aus den Buchstaben »PAUKO« und sonst gar nichts. Aus dem Fond steigt ein alter Herr. Er trägt ein gestärktes weißes Hemd, einen blauen Blazer, graue Hosen mit scharfen Falten und, vollends ungewöhnlich in diesem Teil der Welt, eine dunkle Krawatte. Mit leicht steifen und doch federnden Schritten eilt er den Betonpfad zu dem runden Eingangsportal hinauf, vorbei an den beiden getrimmten Bäumchen und dem Gärtner, der sie gerade wässert. Die Blöcke der Klimaanlagen unter den Fenstern des weißen Holzhauses summen dumpf. Die Sonne wirft kaum einen Schatten. Es ist Vormittag in Hollywood, unweit der Stadtgrenze zu Beverly Hills. Über der Glastür, hinter der die große hagere Gestalt verschwunden ist, steht in dünnen schwarzen Metallbuchstaben: »Paul Kohner, Inc.«

Der Gründer der legendären Künstleragentur ist, als ich ihn an diesem Spätsommertag 1985 zum ersten Mal treffe, dreiundachtzig Jahre alt und noch voll im Geschäft. Zu seinen Klienten zählen John Huston und Klaus Kinski, Charles Bronson und Volker Schlöndorff, Valerie Kaprisky, Reiner Schoene und Klaus Maria Brandauer. Bessere Auskunft über Kohners Leben als die Liste der gegenwärtigen Klienten gibt jedoch sein Büro. Es gleicht einem kleinen Filmmuseum mit dem Schwerpunkt dreißiger und vierziger Jahre.

»Die Rolle ist natürlich die eines Nazis«, spricht Paul Kohner gerade in den Telefonhörer, als die Sekretärin mich hereinführt. »Aber sie wollen dich unbedingt.«

Der Agent sitzt vor einem Berg von Papieren, Büchern und Aktenmappen, unter dem sich vermutlich sein Schreibtisch befindet. Als Briefbeschwerer dient ein Aschenbecher, auf dessen Rand ein Modell des Brandenburger Tors klebt. Hinter dem Sessel, das Terrassenfenster halb verdeckend, lehnt das Plakat zu »SOS Eisberg«, dem letzten Film, den Paul Kohner, damals noch Produzent, beenden konnte, bevor er Deutschland verlassen musste.

Während er seinem fernen Gesprächspartner lauscht, winkt mir Kohner mit einer beiläufigen, aber bestimmten Geste, mich ruhig umzuschauen.

In dem Bücherregal neben dem Schreibtisch stehen alte Ausgaben von Karl Mays Reiseerzählungen, auch »Winnetou«, daneben Werke von Traven, »another Paul Kohner client«, sowie viel Weimarer Avantgarde in englischer Übersetzung. Die Wand hinter dem rotgepolsterten Sofa, das den Mittelpunkt der Besucherecke bildet, bedecken bis auf den letzten Zentimeter Erinnerungsbilder, die Kohner mit seinen, zum Großteil verblichenen Klienten und Freunden zeigen. Heinrich Mann erkenne ich und Ernest Hemingway, Lubitsch und Dieterle, Remarque, Sirk und ein ewig junges Froschgesicht, dessen Badewannen-Porträt signiert ist: »To Paul Kohner with love - in the afternoon - in the morning - at night - forever. Billy Wilder, Paris '56«.

»Okay, Max«, beendet Kohner das Telefonat, »ich werde sehen, was sich machen lässt.« Er steht auf und kommt mir entgegen. »Entschuldigen Sie«, sagt er, »aber den Sydow musste ich sprechen, es wird sonst zu spät, ist ja bald Schlafenszeit in Europa.«

Den alten Kontinent hat Paul Kohner 1920 zum ersten Mal verlassen. Damals war der Sohn eines erfolgreichen Kinobesitzers aus Teplitz-Schönau achtzehn Jahre alt, im Gefolge des Ersten Weltkriegs gerade vom geborenen k.u.k.-Untertanen zum Tschechen geworden und auf dem besten Wege, sein Berufsleben als Journalist zu beginnen.

Im böhmischen Karlsbad, unweit von Teplitz-Schönau, lernte er bei einem Interview den kurenden Carl Laemmle kennen, den deutschstämmigen Gründer der Universal Pictures. Ein paar Monate später fing Paul Kohner in der New Yorker Filiale an - als Packer in der Versandabteilung. Das allerdings blieb er nicht lange.

Erich von Stroheim, dem er bei einem Ostküsten-Besuch als »Maître des céremonies« dienen sollte, überredete Laemmle, den alerten jungen Mann nach Hollywood zu holen. Kohners Karriere in der Hierarchie der Universal, einer der sieben oligopolistischen Produktionsfirmen, die sich das große Geschäft untereinander aufteilten, war steil. Bald führte er Regie, dann rückte er zum Produzenten auf.

Im Jahre 1930 schickte ihn »Onkel Carl«, wie der Studiochef bei seinen Angestellten hieß und wie Kohner Laemmle heute noch nennt, nach Deutschland, um die dortige Zweigstelle der Universal zu leiten.

»Ich war begeistert von Berlin!« schwärmt Kohner von der Stadt, in der über hundert Zeitungen und mehr als vierzig Wochen- und Monatsmagazine erschienen, in der drei Dutzend Theater spielten und in der es dreihundertsechzig große, kleine und kleinste Filmstudios gab.3 »Ich liebte Berlin auf Anhieb. Jeden Abend stürzte ich mich in das Nachtleben. Unglaublich! Alles hat mir wunderbar gefallen.«

Vom ersten Augenblick an begleitete ihn jedoch der Schatten von Gewalt und Zensur, der über der ersten deutschen Demokratie lag.

Kurz vor seiner Abfahrt aus Hollywood hatte er Albert Einstein kennengelernt, der sich vor antisemitischen Angriffen, mit denen ihn die Berliner SA verfolgte, für ein paar Monate an das kalifornische Institute of Technology zurückgezogen hatte.4 Bei einer Galavorführung betrachtete Einstein zusammen mit Carl Laemmle und Paul Kohner das jüngste Prestige-Produkt der Universal: Lewis Milestones »Im Westen nichts Neues«. dass die Verfilmung von Erich Maria Remarques pazifistischem Bestseller bei der deutschen Rechten auf Widerstand stoßen würde, darüber war man sich einig. Niemand jedoch rechnete damit, welche Dimensionen der Konflikt annehmen sollte.

»Nach meiner Ankunft in Berlin hatte ich die Aufgabe«, sagt Kohner, »den Film in die deutschen Kinos zu bringen.«

Reise in die Verlorengegangenheit

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