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Das Beratungssystem als rituelles Kraftentfaltungs- und Flow-System

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Wie ich oben schon gezeigt habe, als ich Probleme verstehbar machte als Zeichen einer (letztlich selbsthypnotisch induzierten) Problemtrance, gehen solche Problemerlebnisprozesse so gut wie immer damit einher, dass sich die Wahrnehmungsmöglichkeiten sehr verengen. Damit erleidet man nicht nur ein Problem, man dissoziiert auch viele Kompetenzen, die man für seine Lösung gut gebrauchen könnte. Tragischerweise führt dies wiederum dazu, dass man so eher Zugang findet zu (bzw. sich assoziiert mit) Zielvorstellungen, Lösungsideen und Lösungsstrategien, die das Problem gerade wieder verstärken oder stabilisieren, anstatt es wie gewünscht zu lösen. Dies ist ein unwillkürlicher Prozess, man sollte keinem Klienten unterstellen, dass er etwa lieber leiden wolle als lösen. Aussagen wie „Leiden ist leichter als Lösen“ (Döring-Meijer 2000 unter Bezug auf B. Hellinger) diffamieren aus meiner Sicht Klienten und werden dem belegbaren Prozess nicht gerecht, dass die Klienten einen hohen Preis bezahlen dafür, dass ihre Erlebnisorganisation so dissoziiert ist. Während des Leids, während man ein Problem erlebt, wird man meist auf fast allen Ebenen der Wahrnehmung zu jemand anderem als derjeninge, als den man sich erlebt, wenn es einem besser geht. Während leidvoller Phasen verändert sich sogar der Hormonhaushalt, man wird quasi dümmer in dem Sinne, dass man eben nur noch eingeengt reagieren kann (Ciompi 1982; Hüther 1999, 2000, 2004; siehe auch das Kapitel Die Klinik als lernende Organisation).

Wenn Menschen, unter dem Eindruck eines Problemerlebens, sich zu einer Beratung oder Therapie entschließen, können wir davon ausgehen, dass sie auch das Ereignis Beratung bzw. Therapie aus der Problemtrance heraus angehen und erleben. Auch ihre Schilderungen des Problems, ihre Zielvorstellungen und ihre Ideen hinsichtlich möglicher Schritte entspringen der Problemtrance und können deshalb leicht wieder ins Problem zurückführen.

Therapeuten haben deshalb die ethische Pflicht, den gesamten Prozess der Zusammenarbeit so mitzugestalten, dass er zu einem Kontext der Wertschätzung, Sicherheit, von Wohlgefühl, ja, von optimalem Flow-Erleben wird (Csikszentmihalyi 1996). Mit Flow ist gemeint, dass sich jemand ganz im Lot fühlt, voller Kraft, Schwung, Elastizität, mit optimal fließender Energie und sich dabei ganz einer Aufgabe widmen kann, quasi erfüllt von ihr und ohne unangenehmen Stress. Lösungsfokussierung und Flow bedeuten dabei aber nicht, dass man sich immer als locker und fröhlich erleben müsste – das würde einer billigen, oberflächlichen und destruktiv wirkenden positivistischen Schönfärberei entsprechen. Da ziehe ich eindeutig Werte des „alten Europa“ vor. Es geht darum, jeweils das den Erfahrungen und Kontexten der Beteiligten aus ihrer Sicht angemessenste Erleben zu unterstützen, bei Verlust z. B. Trauer, bei als gefährlich angesehener Unsicherheitssituation (z. B. bei der Arbeit, in Beziehungen) auch den liebevollen, achtenden Umgang mit Angst (anstatt sie abwertend „wegmachen“ zu wollen). Alle Gefühlsreaktionen haben kontextbezogen ihren Wert, aus dieser Sicht gibt es keine „negativen“ Gefühle, sondern immer nur solche, die in bestimmten Kontexten die genau stimmige Kompetenz darstellen.

Je mehr jedes Angebot der Therapeuten auf erlebbare Wertschätzung, Sicherheit und Kraft fokussiert, desto eher können die Klienten wieder zu denen werden, die ihre Anliegen endlich wieder aus einer Perspektive anschauen können, die ihnen Zugang zu hilfreichen Ideen ermöglicht. Deshalb sollten Therapeuten sich auch nicht sofort intensiv mit den Problemen beschäftigen, sondern damit, was die Klienten brauchen könnten, um überhaupt eine sichere Beobachterperspektive aufbauen zu können, aus der heraus sie geschützt, sicher, mit Kraft erst ihre Muster betrachten. Es sollten also viele fokussierende Fragen, Einladungen etc. angeboten werden in Richtung dieses Erlebens, z. B.: „Ich frage mich, was Sie im Moment gebrauchen könnten, um wieder mehr Kraft zu spüren, um diese schwierigen Themen einmal mit etwas Abstand, mit etwas Schutz und Zuversicht anzugehen.“ Oder: „Wie müssten wir denn darüber reden, damit Sie wieder merken können, dass Ihnen dabei quasi der Rücken so gestärkt wird, dass Sie sich überhaupt wieder spürbar vorstellen könnten, etwas Hilfreiches in Gang setzen zu können …“ Oder: „Wie nahe an sich dran erleben Sie denn gerade das Problem, wenn Sie sich so bedrängt davon fühlen; und wohin in Ihrer Wahrnehmung, sozusagen wohin im Raum [Dissoziationstechnik] müssten Sie es schieben, stellen etc., damit Sie es ruhig und mit Kraft und Flexibilität anschauen könnten? Welche Ideen würden Ihnen denn dann eher kommen?“ So werden die Klienten von Anfang an unterstützt dabei, einen Erlebnisprozess mit mehr Kompetenzzugang aufzubauen, aus dem heraus sie sich viel erfolgreicher und dabei geschützter mit ihren Problemen beschäftigen können. Die Einladungen der Therapeuten dabei entsprechen konsequent den Ideen der ericksonschen Hypnotherapie darüber, wie durch Fragen imaginativ Aufmerksamkeit fokussiert und Erleben aktiviert wird.

L. Reddemann hat diese Sichtweise Anfang der 90er Jahre aus einer Weiterbildung bei mir übernommen und sie in beeindruckend kreativer und konsequenter Weise für eine intensive Revision ihrer Traumatherapiekonzepte genutzt (Reddemann 2002, 2004). Ein zentraler Aspekt davon ist, dass bei traumatisierten Klienten keine Beschäftigung mit der Vergangenheit begonnen wird, bevor sie nicht wirksam eine sichere Beobachterposition aufbauen konnten, aus der heraus dies dann angegangen werden kann.

Der noch immer weit verbreitete Mythos in Beratung und Therapie, dass Klienten einfach genügend Leidensdruck bräuchten, damit sie zu Veränderungen kommen, stellt aus meiner Sicht eines der dümmlichsten Fossilien der Therapiegeschichte dar. Zwar kann es sein, dass man mit erhöhtem Leidensdruck eine stärkere Bereitschaft zur Veränderung entwickelt. Die erlebte Fähigkeit zur Veränderung wird dabei aber immer geringer, da man ja sich stets als schwächer, enger, unfähiger erlebt, je mehr der Leidensdruck steigt. Die erlebte Fähigkeit und gerade dadurch auch fast immer die Motivation für Veränderung werden wesentlich stärker und konstruktiver, wenn man sich aus voller Kraft, Zuversicht, Neugier erlebt. Wie gerade die Flow-Forschungen zeigen, erlahmt dann keineswegs der Wunsch nach Entwicklung. Die uralte psychoanalytische Idee (natürlich auch schon von Psychoanalytikern selbst infrage gestellt), dass Menschen nur auf Triebbefriedigung und Spannungsabfuhr aus wären, lässt sich durch diese Forschungen widerlegen. Gerade wenn man sich im Flow erlebt und das angestrebte Ziel erreicht hat, beginnt man typischerweise, nach der nächsten Herausforderung zu suchen und sie anzugehen. Auch dieser Aspekt legt sehr nahe, die Kooperation in Therapie und Beratung nach Flow-Mustern anzulegen. Dies wird aber auch nur möglich, wenn die angestrebten Anforderungen (Ziele etc.) als mit den eigenen, subjektiv erlebten Kompetenzen realisierbar erscheinen. Deshalb müssen die Ziele entsprechend sorgfältig auf dieses subjektive Kompetenzniveau abgestimmt werden.

Diese Überlegungen zeigen auch deutlich: Völlig unzureichend ist die weit verbreitete Idee in der systemischen Arbeit, dass man – als Intervention – ein System „verstören“ sollte und dass sich dann das System hilfreich selbst reorganisieren würde (abgeleitet aus der Autopoiese-Konzeption). Denn wenn ein System verstört ist, erlebt es Verlust an Orientierung und Sicherheit. Dies mündet meist ein in Angst, Stress und Konfusion. Dann aber wieder steigt der Bedarf an Sicherheit, die man schnell zu erreichen versucht durch die unwillkürliche Wahl von Lösungsstrategien, die einem am meisten vertraut sind. Dann werden aber die Lösungsstrategien abgerufen, die schon bisher am meisten mit dem Erleben von Angst und Stress verbunden waren. Und dies sind so gut wie immer aber solche aus undifferenzierteren, inkompetenteren Zeiten, die also Lösungsversuche mit sich bringen, die das System auf ungünstigerem Niveau reorganisieren. Viele Beispiele auch aus politischen Kontexten (Weimarer Republik, Jugoslawien, Irak, Ruanda/Burundi) belegen dies auf tragische Weise. Das System sollte, wenn es schon „verstört“ werden soll, dabei unbedingt und vorrangig viel schützende, Sicherheit schaffende Begleitung angeboten bekommen. Ich spreche auch lieber nicht von „Verstörung“, sondern von Such- und Einladungshilfen, welche die Autoritäten (die Klienten) völlig frei auf Nützlichkeit hin prüfen sollten.

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