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Reisen mit dem Transportmittel „Imagination“
ОглавлениеAuch wenn schon die „Reisezielbestimmung“ tendenziell (oder vollständig) in das gewünschte Erleben einmünden kann, erweist es sich doch oft als notwendig, die Erlebnisprozesse, die als Teil der Zielvision entwickelt wurden, in der weiteren Kooperation zu verstärken und zu stabilisieren. Dies geschieht in maßgeblicher Weise durch Variationen von Imaginationen. Angebote von bildhaften Vorstellungen auf allen Sinneskanälen, nicht nur visuell, werden dabei eingesetzt. Bei den üblichen Imaginationsmethoden wird, nachdem eine Fokussierung nach innen (oft mit geschlossenen Augen) vorgeschlagen wurde, dazu eingeladen, sich die gewünschten Erlebnisse so konkret und plastisch als möglich vorzustellen. Auch für die Ausgestaltung solcher Imaginationen dient wieder als Leitlinie die Beschreibung der miteinander zu Erlebnisprozessen assoziierten Sinneselemente (wie oben als Assoziationsketten von Erlebniselementen beschrieben).
Wie beim Fokussierungsprozess des Träumens werden damit die gewünschten hilfreichen Ressourcen reaktiviert. Imagination geschieht aber nicht nur durch Träume oder professionelle Imaginationsmethoden (wie z. B. das katathyme Bilderleben o. Ä.). Imaginiert wird bei jedem Sprechakt und bei jeder Kommunikation, auch wenn sie nur nonverbal geschieht, aber auch durch rituelle Bewegungen, Tanz, Gesang und Sprachmuster, die besonders nachhaltig auf die gewünschten Erlebnisbereiche fokussieren. In der ericksonschen Konzeption werden (wie schon erwähnt) neben der hier gerade beschriebenen Art von direkter Imagination viele indirekt angelegte Angebote gemacht. Besonders durch Metaphern, das Erzählen von Anekdoten, die Verwendung von symbolischen Interventionen, von Ritualen, aber auch von nonverbalen (mimischen und gestischen) Angeboten und durch beiläufige Gespräche mit vielen Fragen, die sich aber systematisch mit gewünschten Erlebnisprozessen beschäftigen, versucht man, eigenständige innere „Such-und-Findeprozesse“ hinsichtlich der gewünschten Potenziale bei den Klienten anzuregen. Generell, so könnte man sagen, werden alle Angebote als besonders günstig angesehen, die direkt oder indirekt quasi die Sprache des limbischen Systems und anderer entwicklungsgeschichtlich älterer Gehirnbereiche sprechen, denn diese sind am meisten für unwillkürliche Prozesse zuständig, und die sprechen nun mal nicht die kognitive Sprache des Cortex.
Erickson betonte mir gegenüber, dass er in über 50 Jahren Berufspraxis immer konsequent hypnotherapeutisch gearbeitet habe, aber maximal in 25 % seiner Arbeit direkte, „offiziell“ als solche definierte Tranceinduktionen genutzt habe. Die üblicherweise bekannten Tranceinduktionen sind also nur ein Sonderfall einer flexiblen, kontextadäquaten Hypnotherapie.
Und nicht nur die Erfahrung des Träumens beweist klar: Um unser jeweiliges Erleben sehr wirksam zu verändern, brauchen wir nicht erst lange herauszufinden, „warum“ wir das Bisherige erlebt haben, auch nicht, „woher es kommt“, wir brauchen es auch nicht noch einmal emotional zu „durchleben“ oder es „durchzuarbeiten“.
Wir müssen einfach nur eine andere Art der Aufmerksamkeitsfokussierung gestalten, und sofort reagieren unser Körper und unsere Seele darauf – dies ist äußerst wirksam, und sei unser Erleben vorher z. B. noch so angstvoll oder deprimiert gewesen. Im Traum wird dabei deutlich, dass diese Fokussierungen sogar wortwörtlich umgesetzt werden. Es ist also von höchster Wichtigkeit, wie wir und was wir imaginieren.
Klar beweisbar kann Erleben grundsätzlich auch ohne solche traditionell in der Psychotherapie als notwendig angesehenen Prozeduren verändert werden. Wenn z. B. ein „Verstehen“ oder „Durcharbeiten“ gewünschte Ergebnisse bringt, dann – so kann man aus der Sicht des Konzeptes der Aufmerksamkeitsfokussierung zeigen – und nur dann, wenn es nachhaltig zu veränderten Prozessen der Fokussierung beiträgt. Viele Klienten, die mir dies schon berichtet haben, wissen aber aus eigener leidvoller Erfahrung, dass auch z. B. 280 Stunden Psychotherapie solche hilfreiche Umfokussierung nicht bewirkt haben. Viele Therapeuten (im Dienste der eigenen Psychohygiene verständlich) interpretieren dies dann wieder als Zeichen der gravierenden „Störung“ der Klienten. Ich finde es fairer diesen gegenüber, wenn man ganz pragmatisch sagt, dass die Therapie eben nicht zu einer wirksamen Umfokussierung geführt hat. Diese wäre aber grundsätzlich möglich, wie es sich zeigt, oft in wenigen Sitzungen mit konsequenten Fokussierungsstrategien, wie sie in diesem Buch beschrieben werden.
Die Art, wie auf den diversen Sinneskanälen bewusst und besonders auch unbewusst-unwillkürlich jeweils Aufmerksamkeit fokussiert wird und Assoziationsprozesse gebahnt werden (und die damit massive psychische und physiologische Effekte bewirkt), wird in der ericksonschen Welt auch „Seeding“ genannt (Erleben wird „gesät“). Deshalb wird bei allen Angeboten, ob im üblichen Gespräch oder in offiziell als Imagination oder Induktion definierten Angeboten, sehr genau auf die Art der wechselseitig gewählten Sprachmuster geachtet.
Sprachmuster wie „Er ist so …“ oder „Ich habe das Problem X …“ stellen aus dieser Sicht gravierende Verdinglichungen dar, die lebendig fluktuierende Erlebnisprozesse „einfrieren“ oder „betonieren“, meist in sehr einengender und hinderlicher Form. Generell kann man zeigen, dass die Art der jeweils genutzten Sprachmuster intensive, sinnlich wirksame Wirklichkeitskonstruktion wird. Fragt man z. B.: „Seit wann ist Herr X depressiv?“, erzeugt dies ein anderes Erleben als z. B.: „Seit wann hat sich Herr X entschieden, depressiv zu reagieren?“ Diese Sprachfigur soll mehr fokussieren auf Selbstgestaltungsmöglichkeiten und jemanden unterstützen, wieder hilfreiche andere Muster zu aktivieren. Sie wird in der üblichen systemischen Therapie oft genutzt. Aber sie kann, wie ich aus vielen Rückmeldungen weiß, auch starke Schuldgefühle induzieren und damit zu großen, keineswegs hilfreichen Belastungen beitragen. Die Sprachfigur „Seit wann hat sich offenbar etwas in Herrn X entschieden, etwas niederzudrücken, sodass Herr X dies als Depression erleidet?“ kann wiederum Schulderleben mindern, dennoch auf eigene aktive Prozesse verweisen, die damit auch eher wieder als veränderbar erlebt werden können, dabei gleichzeitig auf den Bereich des Unwillkürlichen fokussieren, wodurch z. B. sehr gut ermöglicht wird, wertschätzend weiterzufragen, was in Herrn X eventuell welche Bedürfnisse haben könnte, die sich durch den Prozess des Niederdrückens zeigen. Damit wird dann möglich, von der „Depression“ weg zu fokussieren hin zu dahinter stehenden wichtigen und wertvollen Bedürfnissen.