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Imaginationsfähige Zielvisionsentwicklung

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Will man die Reise erfolgreich gestalten, dürfte es meistens sehr nützlich sein, das Reiseziel zu bestimmen. (Allerdings ist auch denkbar, dass jemand quasi einfach einmal drauflosreisen will, ohne direkt klar inhaltlich definiertes Ziel. Darauf gehen wir gleich noch ein.) Aus ericksonscher Sicht ist diese Zielbestimmung eine zentrale Aufgabe. Da alles Erleben ja Ergebnis von Aufmerksamkeitsfokussierung ist, können die gewünschten Ziele umso eher und wirksamer erreicht werden, je differenzierter in Details des Erlebens sie beschrieben werden können. Denn dann sind sie fokussierbar bzw. imaginierbar, und dies wieder macht sie erst realisierbar. Die Beschreibung der Ziele muss deshalb unbedingt bestimmten Kriterien folgen: Es muss dabei immer beschrieben werden, was sinnlich konkret im Zielerleben da ist (nicht, was dann weg ist), was dann beginnt (nicht, was dann aufhört) und wie dies internal und interaktionell gemerkt werden kann. Würde man die Ziele so beschreiben, dass mehr dabei ausgemalt wird, was weg ist, würde dies zu einer geradezu das Problemerleben verstärkenden Fokussierung beitragen. Sie können ja einmal versuchen, was es bewirkt, wenn Sie z. B. ein Ziel so beschreiben: a) „Ich möchte gerne, dass diese unangenehmen, schmerzhaften Verspannungen endlich weg sind, dass es endlich aufhört mit diesem schmerzhaften Druck und ich nicht mehr eingeengt atme …“ Und: b) „Es wäre sehr schön, wenn sich jetzt bald wieder meine Schultern wohltuend lockern würden, wenn angenehm erfrischende Energie durch meinen Körper strömen würde und ich eine gewisse Leichtigkeit erleben könnte, womöglich verbunden mit einigen erholsam tiefen Atemzügen …“

Dies klingt einfach, für viele Klienten erweist sich das aber als äußerst schwierig. Denn wenn z. B. jemand sehr unter etwas leidet, ist er dabei so von dem unangenehmen Erleben absorbiert, dass er das nur noch weghaben will und wünscht, dass es aufhören soll, so sehr, dass kaum noch andere Gedanken zugänglich erscheinen. Die „Reisezielbestimmung“ ist deshalb nicht nur eine Abklärung, damit man dann mit der Arbeit anfangen kann, sie ist eine zentrale Phase der Interventionen.

Um ihr gerecht zu werden, sollten viele Fragen danach gestellt werden, woran die relevanten Beteiligten das gewünschte Ergebnis merken würden. Dabei zeigt es sich sehr oft, dass Klienten sich äußerst schwer tun, dies klar zu formulieren, aber nicht, weil sie etwa inkompetent wären. Ihr Denken führt a) spontan und unwillkürlich immer wieder auf das zurück, was sie „weghaben“ wollen, und b) haben sie kein kognitiv bewusst klares Bild vom gewünschten Ergebnis, sie haben eher eine intuitiv ahnende, bewusst noch vage Vorstellung. Deshalb erleben sie es oft als sehr erleichternd und unterstützend, wenn die Therapeuten ihnen differenzierte Fragen dazu stellen und auch durchaus einmal Vorschläge machen. Dies wirkt aber in aller Regel nur dann konstruktiv, wenn diese Fragen und Vorschläge nicht aus einer Haltung des Wissenden angeboten werden, der damit die gültige Realität derer definieren will, denen die Angebote gemacht werden. Die Anbieter sollten sich deshalb als Suchhelfer verstehen, ihre Angebote nur als Sondierungshilfen, welche den eigentlichen Autoritäten in diesem Such- und Findeprozess, nämlich den Klienten, die völlig freie Prüfung und Wahl zubilligen. Ich definiere mich deshalb seit langer Zeit gerne in meinem Rollenselbstverständnis nicht mehr als Therapeut oder Berater, sondern als „Realitätenkellner“, welcher diverse „Realitätenmenüs“ anbietet, dabei achtungsvoll ethnologisch neugierig die einzigartige Kultur der Gäste bestaunt und dann respektvoll auf die Wahl der Gäste wartet.

Um solche „Menüangebote“ hinsichtlich des gewünschten Erlebens machen zu können, kann man unser Wissen darüber nutzen, wie typischerweise Erlebnis- und Wahrnehmungsmuster assoziativ aufgebaut werden. So können viele detaillierte Fragen angeboten werden, nicht nur zu konkretem Verhalten, Denken, Fühlen, zu Kontextbedingungen etc. Die Phänomene, welche in der Hypnotherapie klassischerweise als „Trancephänomene“ beschrieben werden (z. B. Kossak 1989; Bongartz 1988; Yapko 1984), können dafür optimal genutzt werden. Gefragt werden kann dann z. B. danach, was mit dem gewünschten Erleben einhergeht (welche zu Mustern „gewebte“ Assoziationsketten von Erlebniselementen), z. B. welches Alterserleben, welches Erleben von Größe, Stärke, Beweglichkeit, welches Atemmuster, welche Empfindungen, welche inneren Dialoge, welche inneren bildhaften Vorstellungen, Erinnerungen, Zukunftsfantasien, welches Erleben von Raum, Zeit etc.

Bietet man dies systematisch und gut abgestimmt auf die Haltung der Klienten an, so erweist sich praktisch immer, dass die Fragen dann nicht nur als Fragen wirken, sondern quasi wie Angebote zu geleiteten Imaginationen. Denn die Fragen kann man weder verstehen noch beantworten, wenn man nicht innere Erlebnismuster (Imaginationen) abruft, die ihnen entsprechen. Dies aber wieder wirkt als Einladung zur Aufmerksamkeitsfokussierung (wie Priming) in die gewünschte Richtung, das gewünschte Erleben wird nicht nur erfragt, sondern synchron schon aktiviert. So wird nicht nur das Reiseziel bestimmt, es wird während seiner Bestimmung meist schon mehr oder weniger stark erreicht. Die Zielklärung wird zur Imagination des Zielerlebens. Von dort aus könnte es übrigens sehr wohl ausreichen, den Klienten die Einladung anzubieten, in ihrem Alltag immer wieder genau dieses gerade entwickelte Wunscherleben zu reaktivieren oder zu beobachten, wann es spontan, unwillkürlich auftritt. Solche Einladungen sind deshalb sehr sinnvoll, weil der Transfer des Erlebens in den Alltag noch nicht dadurch gewährleistet ist, dass es im Beratungskontext entwickelt wurde, denn der Alltag bietet völlig andere Kontextbedingungen. Da alles Lernen, Gedächtnis und Verhalten aber kontextbezogen abläuft, könnte es im Alltag wieder zurückgedrängt und dissoziiert werden. In der Konzeption von de Shazer wird oft genau so vorgegangen.

Der große Vorteil solcher Fragen ist aber, dass sie als Angebote wirken, die den Befragten die völlige Wahlfreiheit lassen und sie dabei auch noch unterstützen, sich diese auch zu gönnen, jedenfalls dann, wenn die angebotenen Fragen offen gestellt werden. Ich selbst plädiere auch sehr dafür, dass die hier beschriebenen Zusammenhänge, welche zu diesem Vorgehen führen, auch den Klienten von Anfang an völlig transparent erläutert werden (wie eine detaillierte Produktinformation), damit sie ganz gleichrangig „eingeweiht“ sind. In der ericksonschen Tradition wird diese Transparenz von den meisten Anwendern vermieden, da befürchtet wird, das bisherige, gewohnte Denken der Adressaten könnte die erhoffte Wirkung dann behindern oder gar zerstören. Auch Steve de Shazer lehnt solche Transparenz kategorisch ab (persönliche Mitteilung). Ich habe nur gute Erfahrungen mit ihr, die Kooperation wird dann gleichrangig, wird als achtungsvoller erlebt, und die Kooperationsbereitschaft der Klienten verstärkt sich noch erheblich.

Diese Haltung der Transparenz entspricht außerdem wesentlich mehr meiner ethischen Grundorientierung, mit Menschen so umgehen zu wollen, wie ich auch gerne hätte, dass man mit mir umgeht.

Sehr vorteilhaft wirken die beschriebenen Prozesse der Zielentwicklung auch deshalb, weil sie meist schon unmittelbar erlebbar machen, dass etwas vom Gewünschten zugänglich ist, dass also etwas in die gewünschte Richtung veränderbar ist. Da viele Klienten aber nach langen leidvollen Erfahrungen unterschwellig oder explizit eher glauben, dass ihre Probleme nicht veränderbar sind, bewirken die zieldienlichen Erfahrungen, die schon mithilfe der Zielvisionsfragen aktiviert werden können, oft sofort Hoffnung, Zuversicht und damit auch mehr Kraft und Motivation.

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