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Schlussfolgerungen für die Transformation systemischer und hypnotherapeutischer Arbeit zur hypnosystemischen Arbeit

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Die bisher dargelegten Argumente führen zu aus meiner Sicht wichtigen Änderungen und Erweiterungen der traditionelleren systemischen, aber auch der traditionelleren hypnotherapeutischen Arbeit. In den folgenden Kapiteln werden viele Aspekte davon in Theorie und der praktischen Umsetzung in unterschiedlichsten Arbeitskontexten ausführlicher beschrieben. Hier möchte ich einige wesentliche Änderungsaspekte kurz zusammenfassen.

– Jedes systemische Interview und jede systemische Intervention sind zwangsläufig eine Maßnahme der Aufmerksamkeitsfokussierung, die an sich schon erlebnisinduzierend wirkt. Da die Arbeit immer als professionelle, zieldienliche Dienstleistung zu verstehen ist, sollte permanent nur so kommuniziert und fokussiert werden, dass dies intensiv dem gewünschten Erleben der Auftraggeber und Auftraggeberinnen dient.

– Jede Frage, auch jede zirkuläre Frage, wirkt immer auch als Anregung zur Imagination. Daraus folgt, dass Fragen, das ganze Interview keineswegs dazu dienen sollen, Informationen für die Therapeuten und Therapeutinnen zu sammeln, womöglich darüber, wie das System bisher „ist“. Die Fragen sollten vielmehr ausschließlich als Instrumente zur Erzeugung von Information und Imagination dienen, welche bei den Auftraggebern und Auftraggeberinnen zieldienliches Erleben aktivieren. Die gesamte Kooperation in Therapie oder Beratung kann verstanden und genutzt werden als kontinuierliches Ritual von wechselseitigen Bewusstseinsinduktionen, die tunlichst auf das Zielerleben fokussieren sollten.

– Fragen und andere Bemühungen, das System zu verstehen, folgen dem Missverständnis, dass man verstehen könnte, wie das System organisiert ist. Jedes so genannte System weist aber multiple Möglichkeiten auf, sich zu organisieren, sowohl in problemstärkender als auch in Lösungen fördernder Weise. Die „Lösung“ oder das gewünschtes Ergebnis der Kooperation wird aber nur erreicht, wenn nachhaltig auf die Muster fokussiert werden kann (am besten von so vielen Beteiligten als irgend möglich), die Lösungskompetenzen aktivieren. Deshalb ergeben auch Systemdiagnosen im noch immer weit verbreiteten traditionellen Stil der Erfassung eines „Ist-Zustands“ keinen Sinn, sie fokussieren aber oft in sehr ungünstiger Weise auf vermeintliche Defizite und weg von den hilfreichen Kompetenzmustern. Das System an sich gibt es ohnehin nicht, sondern das, was damit gemeint ist, drückt immer nur die jeweilige Beschreibungsleistung von Beobachtern aus. Und die ist jeweils ausgerichtet an den Fragestellungen oder Interessen der Beobachter. Deshalb sollten die Beobachter in Therapien und Beratungen nur zieldienliche Beschreibungen erstellen. Dies wird dadurch möglich, dass zunächst die Ziele entwickelt werden, für welche man das System betrachten und beschreiben will. Daraufhin sollte das jeweilige System konsequent so organisiert werden, dass es zieldienlich wirkt. Das System sollte also um die Ziele herum organisiert werden. So wie man von einem problemdeterminierten System sprechen kann, kann man auch von einem ziel- oder lösungsförderlichen System sprechen. Dies sollte intensiv in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeitsfokussierung gestellt werden. Man kann sagen: „Der Sinn der Arbeit, auch die Kraft, die Motivation für die Arbeit und deren Effektivität kommen aus dem Zielbezug.“

– Das Beratungssystem stellt ein äußerst wichtiges Fokussierungssystem dar, in dem unablässig (auch wenn man dies nicht wollte) indirekt-hypnotisch Erleben induziert wird. Damit es ein zieldienliches, Kompetenz aktivierendes System werden kann, müssen Therapeuten und Therapeutinnen permanent darauf achten, dass sowohl die Klienten und Klientinnen als auch sie selbst die Kooperation in optimaler Befindlichkeit vollziehen können. Optimal hieße, dass mit allen Beiträgen in der Kooperation so umgegangen wird, dass sie beschrieben und behandelt werden als Ausweis wertschätzbarer Bedürfnisse und Kompetenz (Utilisation), wobei ständig für Sicherheit, Orientierung und Flow gesorgt werden sollte. Flow heißt hier keineswegs, dass man sich immer fröhlich fühlen müsste, sondern dass aus der Sicht der Beteiligten stimmig und achtungsvoll mit den unterschiedlichsten Reaktionen umgegangen werden kann, immer vernetzt mit dem Blick darauf, welcher Umgang mit ihnen besonders zieldienlich wäre. So können dann z. B. auch Trauer, Wut, Schmerz als Kompetenz gewürdigt werden (wenn jemand z. B. einen ihm wichtigen Menschen verloren hat), ebenso Angst, Niedergeschlagenheit etc. „Altruistische Egozentrik“, d. h. das wirksame Beachten der Bedürfnisse aller Beteiligten, auch der Therapeuten und Therapeutinnen, erscheint hier als zentrale Fokussierungsaufgabe.

– Die Muster, welche zum Problem beigetragen haben, können sowohl interaktionell als auch individuell-intrapsychisch verändert werden. Alle Individuen in einem System sind Umwelten füreinander, keines kann die anderen zu einem Erleben oder Verhalten zwingen (es gibt keine einseitige Kontrolle in Systemen), wohl aber stellen alle füreinander kraftvolle Einladungen zur Fokussierung dar. Deshalb kann auch ein Individuum allein Problemmuster ändern, denn die Einladungen von außen wirken ohnehin nur, wenn sie zu einer autonomen Selbstsuggestion werden. Oft kann sehr viel schneller und wirksamer nachhaltige Veränderung angeregt werden, wenn man nicht so sehr auf das interaktionelle, sondern eher auf das intrapsychische, selbsthypnotische System fokussiert und dort interveniert. Die so erzielten Änderungen wirken wieder als oft sehr kraftvolle Änderungen der Beiträge des betreffenden Individuums in interaktionelle Muster, welche so wieder auch andere zu Änderungen einladen können. Deshalb sollte jeweils sehr sorgfältig von Klienten und Therapeuten überlegt werden, welches Setting gerade zum gegebenen Zeitpunkt das zieldienlichste sein könnte. Die Wahl des Settings sollte davon abhängig völlig flexibel bleiben und auch immer wieder geändert werden können, je nachdem, was eher hilfreiche Kompetenzen aktivieren und so zieldienlicher wirken könnte.

– Da Menschen immer nur als beziehungsorientierte Wesen existieren können, gewinnt jedes individuelle Erleben und Verhalten seinen Sinn andererseits nur in seinem Beziehungskontext. Jede individuell angelegte therapeutische Maßnahme sollte deshalb unbedingt mit dem Blick auf die relevanten Kontexte gestaltet werden. Dazu gehört auch, Probleme bzw. Symptome und die gewünschten Lösungsentwicklungen auf ihre die Beziehungen und Situationen gestaltenden Wirkungen hin zu prüfen und nicht einfach nur an Symptom- oder Problemauflösung zu arbeiten. Nur so können auch die Kompetenz, die sich in Problemen zeigt, und die mit ihnen verbundenen wertschätzbaren Bedürfnisse achtungsvoll und konstruktiv genutzt werden. In dieser Hinsicht müssen auch alle individuell angelegten Hypnotherapieinterventionen jeweils ergänzt oder verändert werden.

– Die Annahme, dass Problem Talk ein Problem sei und vermieden werden sollte, schafft erst Probleme, die ohne diese Annahme nicht da wären. Sie macht die Neigung von Menschen, über ihr Problem reden zu wollen, zu potenzieller Inkompetenz und trägt so indirekt zu deren Schwächung bei. Dies gilt ebenso für die in der De-Shazer-Konzeption vertretene Ansicht über Probleme an sich. Dort wird wörtlich davon ausgegangen, Probleme seien zu bewerten nach dem Motto „shit happens“ (wörtliche persönliche Mitteilung von S. de Shazer). Die in Problemen meist leicht zu findenden Kompetenzen und wertvollen Bedürfnisse werden dadurch destruktiv abgewertet, viele Chancen für eine ganzheitliche gesunde Entwicklung werden so vertan. Problem Talk sollte vielmehr sehr wertgeschätzt werden, permanent aber als Information über wichtige Bedürfnisse utilisiert werden. Aus ständigem oszillierendem Vergleich von Problem- und Lösungsmustern sollte eine zentrale Chance für zieldienlichen Informationsgewinn gemacht werden.

– Da auch die Therapeuten (im Sinne eines Primings oder Seeding) durch die Angebote und Erzählungen der Klienten ständig indirekt-hypnotisch eingeladen werden, sollte ihr eigener Erlebnisprozess zu einem sehr wichtigen Fokus der Therapie oder Beratung gemacht werden, aber immer so, dass er genutzt wird als wertvolle Informationsquelle bezüglich wichtiger Muster in der Begegnung und relevanter Bedürfnisse der Therapeuten im Hinblick auf eine gelingende Kooperation.

– Die gesamte Kommunikation der Therapeuten sollte so transparent als irgend möglich angelegt sein. Dadurch werden rituell die Autonomie, Kompetenz und Gleichrangigkeit der Klienten gewürdigt und gestärkt. Jede strategische Indirektheit sollte vermieden werden. Sie könnte das Erleben von Eigenkompetenz eher aus dem Fokus der Aufmerksamkeit wegrücken und so schwächend wirken. Darüber hinaus könnte sie als abwertend, zynisch und überheblich erlebt werden oder zu Mustern der Abhängigkeit der Klienten von den Therapeuten beitragen.

– In die hypnosystemische Arbeit sollten konsequent besonders auch körperorientierte Interventionen einbezogen werden (siehe „Problemlösungsgymnastik“). Nicht alle wirksamen Interventionen beziehen sich letztlich auf Sprache, schon deshalb nicht, weil für unser Erleben zentral wichtige Zentren unseres Gehirns (limbisches System) vorsprachlich organisiert sind und Sprache sie in wichtigen Aspekten oft nicht erreicht. Durch aktive, gezielt Problem- und Lösungsmuster markierende Interventionen mit Körperkoordination können Problem-„Trancen“ schnell unterbrochen und Lösungs-„Trancen“ schnell und nachhaltig aktiviert werden.

– Intensiv sollten alle Interventionen abgeglichen werden mit dem Fokus auf den intuitiven Rückmeldungen für Stimmigkeit. So wird die Kooperation zwischen Intuition und Kognition gestärkt. Noch wichtiger: Alle Angebote der Therapeuten und Therapeutinnen und alle eigenen Ideen der Klienten und Klientinnen werden so konsequent mit dem Zielfokus verknüpft. Denn es wird nicht nur interveniert, sondern jeweils autonom durch die Klienten geprüft, welche der Interventionen ein Feedback von Zieldienlichkeit auslösen. So können alle auch aus den sonstigen systemischen Konzepten bekannten Interventionen viel präziser, zielfokussierter genutzt werden. Dann können unterschiedlichste Angebote von z. B. positiven Konnotationen, Symptomverschreibungen, Beobachtungs- oder Handlungsaufgaben, Hypothesen, Metaphern, Geschichten im Sinne der narrativen Verfahren etc. jeweils angeboten werden. Und sofort können die quasi als Autorität darüber inthronisierten Klienten in wertschätzendem Kontakt mit ihrem intuitiven Wissen prüfen, was davon zu ihnen passt und was nicht. Wie auch immer ihre Rückmeldung und Entscheidung ausgeht, sie stärkt jedes Mal ihr Erleben von eigener Kompetenz, Autonomie und macht sie jedes Mal zu noch kompetenteren, gestaltungsfähigeren Beobachtern auf der Metaebene von eigenen und fremden Mustern.

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