Читать книгу Frausein zur Ehre Gottes - Hanna-Maria Schmalenbach - Страница 26
1.4 Grundfragen zu Geschlechtsunterschieden
ОглавлениеAußer den theologischen Spannungsfeldern spielt auch die wissenschaftliche Diskussion der Geschlechterunterschiede eine nicht zu unterschätzende Rolle im Hintergrund der Auseinandersetzung um die schriftgemäße Rolle der Frau. Vor allem in den Humanwissenschaften wird seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts intensiv über das Verhältnis zwischen dem biologischen und dem sozialen Geschlecht geforscht. Dabei bestand von je her Einigkeit darüber, dass das biologische Geschlecht das Sozialverhalten in irgendeiner Form beeinflusst. Wie stark und normativ dieser Einfluss jedoch ist, wurde und wird sehr unterschiedlich beurteilt. Während man bis fast zur Mitte des 20. Jahrhunderts von einem unlösbaren und unausweichlichen Zusammenhang zwischen der „natürlichen Veranlagung“ und der „natürlichen Rolle“ von Mann und Frau in der Gesellschaft ausging und der „unbeugsame Einfluss der Naturgesetze“ auf die jeweilige „naturgewollte Bestimmung“ beschworen wurde (Labhardt 1935),41 kam es danach in den Humanwissenschaften zunehmend zu einer gegenteiligen Einschätzung: Angesichts der von Anthropologen beobachteten großen kulturellen Vielfalt im Verhalten der Geschlechter im weltweiten Vergleich,42 wurden geschlechtsspezifische Verhaltensunterschiede fast vollständig als „soziale Konstruktion“ (Gildemeister 1988, 497)43 gesehen, die beliebig von Gesellschaften auch wieder „dekonstruiert“ und damit zum Verschwinden gebracht werden könnten (Bischof-Köhler 2004, 18). Neuere Erkenntnisse der Neurobiologie über den Einfluss von Geschlechtshormonen auf die Gehirnstruktur und -funktion von Männern und Frauen (Hines 2004), der Entwicklungspsychologie über die Signifikanz und Entwicklung geschlechtsspezifischer Verhaltensunterschiede (Maccoby und Jacklin 1974; Maccoby 1999) sowie der Anthropologie über die Universalität einiger geschlechtsspezifischer Verhaltensmuster in allen Kulturen der Welt (Rosaldo und Lamphere 1974) haben zu einem differenzierteren Bild geführt, und man geht seit den 1990er Jahren davon aus, dass „Natur und Kultur“ (Brednich 2001) bezüglich der Geschlechtsunterschiede in einem komplexen und vielschichtigen Verhältnis zueinander stehen, ja „sich wechselseitig durchdringen“ (Hartmann 2001, 23). Dabei wird biologischen Faktoren weiterhin ein mehr (Goldberg 1977; Baron Cohen 2004; Bischof-Köhler 2004) oder weniger (Maccoby und Jacklin 1974 und Maccoby 1999; Hines 2004; Rosaldo und Lamphere 1974; Hartmann 2001) prägender Einfluss zugeschrieben. Insgesamt setzt sich die Erkenntnis durch, dass die biologischen Geschlechterunterschiede gewisse Verhaltensdispositionen nahe legen, aber nicht vorschreiben oder erzwingen (Bischof-Köhler 2004, 27),44 und dass kulturelle Stereotypen dann verstärkend auf die Ausprägung bestimmter Geschlechterrollen einwirken (Bischof-Köhler 2004, 28–29). Einem biologischen Determinismus wird als „naturalistischem Trugschluss“ genauso widersprochen wie dem „moralistischen Trugschluss“, der Verneinung biologischer Einflussgrößen aus Angst vor einer Diskriminierung von Frauen durch die wissenschaftliche Diskussion (Bischof-Köhler 2004, 29–30).
In der konservativ-evangelischen Literatur zur biblischen Rolle der Frau kommen die oben genannten Unterschiede in der Beurteilung wissenschaftlicher Erkenntnisse deutlich zum Ausdruck. So geht z. B. W. Neuer von einer „fundamentalen wesenhaften Verschiedenheit“ der Geschlechter aus (Neuer 1993, 12) und sieht die Geschlechtlichkeit als ein „Sein, welches unser gesamtes Verhalten bestimmt“ (Neuer 1993, 21.35). Die Anweisungen des Paulus beschreibt er dann als moralische Konsequenzen aus diesem Sein.45 R. Groothuis, auf der anderen Seite, geht von der wesenhaften Gleichheit des Menschseins bei beiden Geschlechtern aus (Groothuis 1997, 19) Die biologischen Unterschiede werden als solche zwar wahrgenommen, ihr jeweiliger Ausdruck in der Sozialstruktur verschiedener Gesellschaften aber als flexibel angesehen. Die konkreten Anweisungen des Paulus zu Rolle und Verhalten der Frau werden dementsprechend in ihrem kulturellen Kontext belassen und nicht als normativ auf andere Kulturen übertragen (Groothuis 1997, 47).46