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Einleitung

Transatlantische Gedanken, Teil 1

David Kriegleder

Kapuzenpullover am Haupt, Latexhandschuhe an den Fingern, N95-Atemschutzmaske im Gesicht. So sitze ich regungslos auf meinem Fensterplatz, etwa 12 000 Meter über dem Meeresspiegel. Aus meinen Kopfhörern tönt der Bass von elektronischer Musik, der sich mit dem dumpfen Dröhnen der Boeing-787-Passagiermaschine vermischt. Unter uns zieht glitzernd der Atlantische Ozean vorbei. So weit wie dieser Tage kam er mir noch nie vor. Und die Reise aus Europa in die Neue Welt selten so lang.

Ich bin auf dem Weg zurück in die USA, jenes Land, das ich seit zwei Jahren mein Zuhause nennen darf. Ein Land, in dem ich schon Teile meiner Kindheit, Jugend- und Studentenjahre verbracht habe und das mich trotz aller Ambivalenz, die ich empfinde, immer wieder zu sich ruft. Auch inmitten der Corona-Krise. Unser Flieger ist in diesen Zeiten der geschlossenen Grenzen nur zu einem Drittel gefüllt – Social Distancing fällt da nicht schwer. Mit an Bord: US-amerikanische Rückkehrer, Diplomaten, gereiztes Flugpersonal in Schutzkleidung.

Dass ich während der Pandemie meine Familie in Österreich besuchen und danach in die USA zurückkehren kann, verdanke ich der österreichischen Botschaft in Washington. Sie hat mit viel Geschick eine spezielle Wiedereinreise-Genehmigung für Journalisten organisiert, eine Ausnahmeregelung für den vom Weißen Haus verhängten Corona-Reisebann für Schengen-Bürger. Viele andere internationale Korrespondenten haben dieses Glück nicht gehabt.

Die USA waren für mich stets so etwas wie eine zweite Heimat – ein Ort, den ich mit vielen positiven Erlebnissen, Erinnerungen und Menschen verbinde. Aber so richtig willkommen fühle ich mich hier in letzter Zeit nicht mehr. Während ich an Bord meines Fluges das Zollformular ausfülle, stelle ich mich im Kopf bereits auf die langwierige und peinliche Befragung durch die US-Einwanderungsbehörden ein, die schon zum Fixritual bei meinen Einreisen geworden ist. Journalisten, einheimische und ausländische, werden im Land der Pressefreiheit immer öfter als Störenfriede behandelt. »Gibt es in Österreich nicht genug zu berichten, dass Sie hierherkommen müssen?«, hat mich ein US-Grenzbeamter schon einmal forsch gefragt.

Die offene, herzliche und unbekümmerte Landesmentalität der USA, die ich so schätze, ist in den vergangenen 20 Jahren spürbar einer tiefen Verunsicherung und Verbitterung gewichen, das merke ich auch in Gesprächen mit amerikanischen Freunden und den Porträtierten in diesem Buch. Was sagt man in Europa zu unserem Chaos? Wieso funktionieren gewisse Dinge bei euch und bei uns nicht? Ist in Österreich wirklich jeder krankenversichert? Es sind Fragen, die von der tiefen Identitätskrise zeugen, in der dieses Land steckt – der unbeugsame Fortschrittsglaube seiner Menschen hat schweren Schaden erlitten. Das gesellschaftliche Fundament der USA erlebe ich zunehmend als ausgehöhlt, wie eine leere Simulation seiner selbst. Es ist ein Land, in dem mittlerweile weder der Staat noch der Markt wirklich funktionieren. Und die Amerikaner scheinen es zu spüren: »In Bezug auf unsere politischen und sozialen Institutionen kann ich mir nicht verkneifen, zu denken: Lasst sie doch alle brennen« – dieser Aussage schließen sich laut der viel beachteten politikwissenschaftlichen Studie »A Need for Chaos« (Petersen, Osmundsen & Arceneaux, 2018) ganze 40 Prozent der befragten US-Bürger an. Laut Gallup-Umfrage haben 59 Prozent der Amerikaner kein Vertrauen mehr in ihre Demokratie und die Fairness ihrer Wahlen. Über 60 Prozent sind der Meinung, das Land sei auf dem falschen Weg.

Die Corona-Krise hat die sozialen Missstände und internen Spannungen noch einmal verstärkt und die gesellschaftlichen Vorerkrankungen des Patienten USA gnadenlos offengelegt. Es ist nicht das erste Mal, dass die USA mit einer Pandemie ringen, nicht das erste Mal, dass das Land eine schwere Wirtschaftskrise erlebt. Und nicht das erste Mal, dass der US-Kongress versucht hat, einen US-Präsidenten des Amtes zu entheben. Doch noch nie fand all das im selben Jahr statt, noch dazu in einem Wahljahr. Politische Beobachter in den USA sprechen daher immer öfter von ernsthaften Anzeichen und Symptomen eines gescheiterten Staates. Das amerikanische Selbstverständnis ist jedenfalls infrage gestellt und mit ihm die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs etablierte internationale Staatenordnung. Die Vereinigten Staaten sind mit sich selbst beschäftigt und ziehen sich international zurück. Zwischen Europa und Washington sind tiefe Gräben entstanden, nicht erst seit der nationalistischen »America First«-Politik Donald Trumps. Man ist sich fremd geworden diesseits und jenseits des Atlantiks.

Es sind Entwicklungen, die mich nachdenklich stimmen. Als unsere Boeing-Maschine zum Landeanflug ansetzt, überkommt mich eine tiefe Melancholie. Wir gleiten am Potomac-Fluss entlang, Washingtons Innenstadt zieht am Fenster vorbei: die Gedenkstätten historischer Präsidenten, steinerne Mahnmale aus besseren Zeiten; das Weiße Haus, das dieser Tage mehr denn je einer verbarrikadierten Festung gleicht; der überfüllte Soldatenfriedhof Arlington, Zeugnis eines wankenden Imperiums. Ich habe Transatlantikflüge in die USA lange als magisch empfunden – als Reisen, die über die Überwindung von räumlicher Distanz hinausgehen. Gleich einer Zeitmaschine, bei der jedes Mal unklar ist, ob sie in Richtung Zukunft oder in Richtung Vergangenheit steuert. Oder überhaupt in ein Paralleluniversum, vertraut und gleichzeitig fremd. Vieles hat sich verändert in diesem Land – manches davon offensichtlich, manches subtil. Ach Amerika, wie sehr ich dich noch immer bewundere und gleichzeitig bedaure.

Transatlantische Gedanken, Teil 2

Hannelore Veit

Es sind erste Eindrücke, die prägen. Meine ersten Eindrücke der USA gehen auf die 1980er Jahre zurück. Als junge Fulbright-Studentin kam ich hierher, es war ein unglaubliches Gefühl der Freiheit, der Weite, des Willkommen-Seins in diesem Land. Ich hatte das Gefühl, mit offenen Armen aufgenommen zu werden. Die Menschen hier wollten zeigen, was für ein demokratisches, weltoffenes und großartiges Land sie sind. Viele der Menschen, die ich als Studentin kennengelernt habe, zähle ich auch heute noch zu meinen Freunden.

30 Jahre später kam ich als Korrespondentin zurück in ein Land, das sich total verändert hatte, ein Land, in dem ich mich als Ausländerin, auch als Europäerin, nicht mehr uneingeschränkt willkommen fühle. Der 11. September 2001 hat dieses Land verändert. Nach mehr als zehn Jahren Krieg in Afghanistan und im Irak haben die USA das Interesse am Rest der Welt verloren. Die Haupt-Nachrichten: local news. Mit Donald Trump im Weißen Haus hat sich das alles noch drastisch verschärft. America First – der Rest der Welt zählt nicht. Und im Inneren ist die Kluft so tief geworden, dass ein Dialog nicht mehr möglich scheint. Die, die versuchen zu vermitteln, die einen Kompromiss suchen, werden nicht gehört, weder in der Politik noch in der Gesellschaft. Republikaner und Demokraten können schon längst nicht mehr miteinander. Es geht um Machtspiele in Washington – um nichts sonst. Trump-Anhänger leben in ihrer eigenen Welt, sehen Donald Trump, wie es eine meiner Interviewpartnerinnen sagte, als einen, der »den Sumpf trockenlegen wollte, aber nicht gewusst hat, wie viele Alligatoren in diesem Sumpf leben«. Trump-Gegner können es nicht fassen, dass dieser Egozentriker, der andere anpöbelt, aber selbst nicht die geringste Kritik verträgt und beratungsresistent ist, das Amt des Präsidenten innehat, ein Amt, um das in Zeiten vor Donald Trump immer ein Hauch von Ehrfurcht geweht hat. Jeder lebt in einer Blase, holt sich die Informationen dort, wo er oder sie sicher sein kann, dass sie die eigene Meinung widerspiegeln. Niemand will Argumente dafür und dagegen hören. Der Präsident macht es vor: Desinformation wird so oft wiederholt, bis sie salonfähig ist.

Ich versuche in meinen Kapiteln des Buches, Amerikaner zu Wort kommen zu lassen und möglichst wenig zu werten – auch wenn es, das muss ich zugeben, manchmal schwerfällt.

Die USA sind heute ein tief gespaltenes Land. Und doch erlebe ich immer wieder, wie das Amerika aufblitzt, das ich aus meiner Studentenzeit in Erinnerung habe. Es ist immer noch das Land der Weite, der Freiheit und der freien Meinungsäußerung, ein Land, das gerade im Frühsommer 2020 mit der Protestwelle gegen Rassismus eine intensive Phase der Konfrontation mit der eigenen Geschichte durchlebt. Eine Phase, aus der dieses Land, und da teile ich die Meinung meines afroamerikanischen Gesprächspartners Doug im Kapitel »Der Realist«, lernen und hoffentlich gestärkt hervorgehen wird. Die USA sind eine stabile Demokratie mit gut verankerten Kontrollen der Macht, auch der Macht des Präsidenten: Die »checks and balances«, die in der Verfassung festgelegt sind, garantieren, dass der Kongress, der Präsident und die Gerichte einander kontrollieren. Bis jetzt haben sie funktioniert – der Präsident, der am liebsten allein regieren würde, wird gebremst vom Kongress und von den Gerichten.

Wir kritisieren die USA oft und heftig, weil wir das können – weil Kritiker nicht im Gefängnis landen oder »verschwinden«, weil ich als ausländische Journalistin nicht damit rechnen muss, Repressalien ausgesetzt zu sein. Es sind nach wie vor gemeinsame Werte, die die USA und Europa verbinden.

Die meisten Gesprächspartner, die ich getroffen habe (zugegeben nicht alle), mag ich einfach persönlich, ob ich ihre politische Einstellung jetzt goutiere oder nicht. Willkommen habe ich mich bei der konservativen Familie in Fargo genauso gefühlt wie bei der Anything-But-Trump-Universitätslektorin in Kalifornien. Ich kenne Freundschaften zwischen Trump-Gegnern und Trump-Unterstützern, die weiter bestehen, weil beide Seiten gelernt haben, das Thema Trump auszuklammern.

Mag sein, dass hier die unverbesserliche Optimistin in mir spricht, aber ich habe in all den Jahren, die ich hier gelebt habe, so viele Aspekte dieses Landes kennengelernt, dass ich aus voller Überzeugung sagen kann: Trotz aller Kritik, die ich übe, liebe ich dieses Land. Wie es ein amerikanischer Freund ausdrückt: Das schönste an diesem Land ist seine Fähigkeit, sich nach dunklen Kapiteln der Geschichte neu zu finden.

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