Читать книгу Aus der Demut zur Freiheit und Liebe (Gottes) - Hannes Kerfack - Страница 25
ОглавлениеÜber die pastorale Eignung
In meiner Studienzeit machten sich viele Theologiestudenten, und ich ebenso, Gedanken um die Zukunft, was nach dem Studium passieren wird. Normalerweise schlägt man die kirchliche Laufbahn nach dem 1. Examen ein, um nach dem Vikariat ein 2. Examen abzulegen und in den Probedienst zum Pfarrdienst zu treten. Um in das Vikariat zu kommen, muss man ein Aufnahmeverfahren durchlaufen, das die sozialen, kommunikativen, theologischen und Reflexionsfähigkeiten überprüfen soll. Das ist aber von Landeskirche zu Landeskirche unterschiedlich gehandhabt. Ziel ist aber immer, sicher zu stellen, ob derjenige Kandidat geeignet ist, um dieses Bewerbungsverfahren erfolgreich zu durchlaufen und auch daraufhin in den Pfarrdienst übernommen zu werden. Denn die Nordkirche bildet im Zuge der Pensionierungswelle, die spätestens ab 2018 ins Rollen kommen wird, nicht mehr über den Bedarf hinaus aus. Arbeitslosigkeit für angehende Pfarrer wird es daher nicht geben. Andererseits bekommt man den Eindruck, dass man nie wieder aus diesem System heraus kommt und das Berufsleben bis zum Rentenalter jenseits der 60 für diese heutige neue Pfarrergeneration stagniert. Seine Ordination kann man aber abgeben oder muss sie vielleicht sogar nach einem Disziplinarverfahren etc. Die Freiheiten bleiben weiterhin groß, auch was die Weiterbildungsmaßnahmen angeht (z.B. Supervision). Aber das möchte ich an dieser Stelle nicht vertiefen, was die Möglichkeiten der relativen Freiheit beim Arbeitgeber Kirche angeht, der hier auch kritisch gesehen werden soll.
Es geht eher um die Frage: Ist dieser Platz wirklich mein Platz, den mir Gott zugewiesen hat? Kann es auch eine andere Form von Kirche neben der organisierten Form geben? Paulus argumentiert gerne mit den Charismen und Talenten (1. Thess. 5, 11, 2. Kor. 15, 18), die in jeder Gemeinde zu finden sind, für das gemeinsame Wachstum. Gerade das Fremde, das von außen kommende, die Uneingeweihten, sind eine Chance für das Wachstum. Jeder soll die Gemeinde nach seinen Fähig- und Möglichkeiten ausbauen, ohne durch hierarchische Strukturen eingeschränkt zu werden. Alle Gemeindemitglieder sind grundsätzlich gleicher Natur, Teile des einen Leibes Christi. Könnte das nun auch auf die unterschiedlichen Charaktere zutreffen, von introvertiert bis extrovertiert? Die Vorgaben der Landeskirche spiegeln eigentlich ein anderes Licht wieder. Neben den Kompetenzen, die ich oben geschildert habe, werden genaue Merkmale dieser Kompetenzen genannt (z.B. Teamfähigkeit, "kann sich zurückhalten", hat eine theologische Grundhaltung und kann sie ins Gespräch bringen).27 Ja, einerseits kann man daraus schließen, dass diese genauen Vorstellungen und Vorgaben von einem Pfarrer, eine Art "Einheitspfarrer" implizieren, wo ich mich frage: Kann ich das? Bin ich das? Eine Art Identitätskrise. Der Zwang etwas sein zu müssen, was ich nicht mit bin. Zur Verteidigung der Auswahlkommission muss gesagt werden, dass Schwächen in einzelnen Bereichen erlaubt sind. Aber das heißt ja nicht, dass diese Person auf "Linie" im Vikariat gebracht werden soll. Ich muss auch sagen, dass ich noch kein Vikariat gemacht habe und im Moment auch nicht in der Verfassung wäre, diese Anforderungen erfüllen zu können. Es geht nicht um ein Nicht-Wollen, sondern um ein Nicht-Können. Es scheint, dass ich mich in einem Spannungsfeld zwischen Individualität und Anpassung befinde, wenn ich mich zu sehr auf die eigene Individualität oder die Erwartungen der Gemeindemitglieder einlasse.28
Im 2. Semester, als ich eine homiletische Vorlesung hörte, die die pastorale Existenz thematisiert hat, hat es mir eigentlich Hoffnung gemacht, nicht alles können zu müssen. Auch können gerade die eigenen Schwächen nicht von den kirchlichen Handlungen abgetrennt werden. Engemann spricht hier, aus der Perspektive des Predigers, über eine Predigt der Schwäche, die für die Authentizität des Predigers spricht. Auch die Bemerkung, einen Ausgleich zwischen einem "etwas Gutes für mich" tun und "etwas Gutes für den Anderen tun" zu finden, brachte Hoffnung. Im Prinzip und in der Theorie mag das alles stimmen, aber wie setze ich es in der Praxis um? Dieses Spannungsfeld und diese Spannungsfrage beherrschen die gesamte Theologie, in der wechselseitigen Bewegung zwischen Lebenswelt und Tradition, Praxis und Theorie.29 Grundsätzlich geht die pastorale Existenz davon aus, dass Pastoren unterschiedliche Fähigkeiten, Stärken und Schwächen haben, die sie in einigen Gemeindebereichen gewinnbringend oder auch weniger gewinnbringend einbringen (z.B. kann es passieren, dass ein Pastor zwar durch die Predigt einen guten Kontakt zu einem breiten Hörerkreis hat, er aber in der Seelsorge Schwächen bei einer individuellen Gesprächssituation mit einem einzelnen Menschen hat). Diese Feststellung zeigt, dass wir als Menschen unvollkommen sind, und was auch in der evangelischen Theologie und Religionspädagogik rezipiert wird, dass der Weg zum Imago dei, zur Gottesebenbildlichkeit, ein lebenslanger, unabgeschlossener Prozess ist. Entwicklung von Stärken aus Schwächen ist immer möglich. Aber dazu kommt, dass diese nicht schlimm sind! Denn es ist in Gottes Hand! Oder doch nicht?
Bei einem Gespräch mit einer Dozentin für Religionspädagogik, wo ich meine kritische Anfrage stellte, sagte ich: Hat die Kirche Gott beziehungsweise die Unverfügbarkeit vergessen, wenn sie die Anforderungen klar definiert? Im Aufsatz im Sammelband von Werner Krusche wird genau diese Frage gestellt: Sind wir Kirche für uns oder für die Anderen, die Uneingeweihten, die Introvertierten? Sind wir noch die Kirche des Herrn, den der Vater aus der Liebe zur Welt gesandt und für sie dahin gegeben hat und der uns als Boten seiner Liebe in der Welt haben will? Ganz klar selbstkorrigierende Fragen der Theologen an die Kirche. Bleibt nicht noch etwas aus, wenn ich nicht alles kann? Es zeigte sich im Gespräch, dass wir uns einerseits in der Welt befinden, uns zu ihr und den Menschen verhalten müssen, die in ihr wohnen, verantwortungsvoll und manchmal eben auch demütig verhalten und etwas leisten, Anforderungen erfüllen müssen, um in ihr zu “überleben”. Das tendiert in Richtung sinnvolle und pragmatische Anpassung, eine Art Kompromiss in der Welt. Das was andererseits ausbleibt, das Vertrauen auf Gott, dass alles gut wird, egal wie wir unsere pastorale Existenz erfüllt oder nicht erfüllt haben, gehört in eine andere Dimension über uns – die Hoffnung darauf.30
Vielleicht ist das christliche Leben in diesem Sinne ein Kompromiss zwischen Gehorsam- und Nichtgehorsam, wie es ja auch in der Einleitung von Luthers "Von der Freiheit eines Christenmenschen" steht. 1. Der Mensch ist frei und niemanden untertan (was sich auf die geistliche Welt bezieht, wo wir alle gleich sind, wie es Paulus sogar voraussetzt). Denn wir sind in Christus durch die Taufe mitgekreuzigt (Röm 12) und 2.: Der Mensch ist “gefangen” und niemanden untertan (was sich auf die Welt und ihre Herrscher bezieht) – die Hoffnung dass 1. nach oder während 2. eintritt, bleibt immer bestehen. Luther meinte auch, dass sich der Einzelne gegen eine rigide Herrschaft wehren darf, wenn seine Rechte verletzt werden, aber immer auf diplomatischem Wege ohne Gewalt. Darf ich mich gegen die Kirche wehren, wenn ich ihre Ansprüche in der und zur Welt nicht erfüllen kann?
Ein Bischof sprach bei uns auf dem Studierendenkonvent in Ludwigslust im November 2016 und kannte die Sorgen: Bin ich als Pfarrer gut genug? Leiste ich genug? Schaffe ich das? Und er trug in der Predigt am Sonntag eigentlich Gott in die Welt und die organisierte Kirche, verband 1. und 2., was die Grenzen aufhob. "Lassen Sie sich von Gott führen" – er wird es gut machen. Der Heilige Geist weht, wo er will. Ein Befreiungsschlag, leider nur ein vermeintlicher. Denn in einem weiteren persönlichen Gespräch ging es wieder um die pastorale Eignung, ohne Gott mitzudenken und die Hoffnung, dass aus vermeintlichen Stärken doch Schwächen werden können. Es ist ein Dilemma zwischen Gott und Welt und daher auch eine Auslegungssache des jeweiligen Pastors, der auch über die Aufnahmeverfahren entscheiden kann. Und auch das kann berechtigt sein, aber ich finde, (barbarisch) ohne eine Perspektive der Fehler- und Selbstpädagogik und Unverfügbarkeit, der Möglichkeit der Weiterentwicklung, geht das nicht. Die Gegenaussage kann sogar als Heuchelei gelten. Ich finde, wir können etwas Gutes für den Anderen tun, wenn wir genau das tun, was uns erfüllt, und dann strahlen wir Freude aus, die die Anderen elektrisieren kann. Außerdem übernehmen viele Pfarrer auch Gemeinden, in denen große ehrenamtliche Aktivität vorherrscht und die Menschen selbst Pfarrer und Anleiter werden. Das unterstützt den eigenen, pastoralen Arbeitsalltag und macht eine lebendige Gemeinde aus. Die Chance, dass uns Gott in der Welt leiten kann, liegt vielleicht darin, die Ehrenamtlichen zu schätzen, die es ihrem Charisma nach tun, um charismatisch aufzutreten und Geist weiterzugeben. Davon können wir uns tragen lassen. Vielleicht lassen wir das einmal stehen: Zwar werden gewisse Kompetenzen in der Welt und zur Welt gefordert, das hat Luther auch schon gesagt, aber sie sollten zum Wohl der Anderen und zum Geistwecken der Anderen genutzt werden. So kann die Kirche als Ganzes auch wieder Gott zugewendet sein. Weiterhin sind geistliche Kompetenzen, menschliche Stärken und Schwächen, unabgeschlossen, um einen Ausgleich zu finden und alle Kontexte zu bedenken.
27 Diese Begriffe sind in der Aufnahmeverordnung zum Vikariat in der Nordkirche aufgeführt.
28 Ich habe mich aufgrund der (doch mehr negativen) Erfahrungen mit der Kirche gegen ein Vikariat entschieden und sah das Theologiestudium zumindest in diesem Sinn als einen Irrweg an und entschied mich danach für ein anderes Studium, in eine andere Richtung, die des Lehramtes oder der Bibliotheken, u.a. weil ich kein Leuchtturm mit einer stringenten Vorstellung von Glauben sein wollte, dann nur bestimmte christliche Vorstellungen vertreten muss und das nicht will, weil sie in der säkularen und pluralen Gesellschaft keinen Platz mehr haben, z.B. in der Frage der Einheit der Eschatologie, des alleinigen Glaubens an die Auferstehung Jesu Christi oder des einen Heils durch ihn, was ich entschieden ablehne.
29 Das ist eine Grundformel der Theologie beziehungsweise Religionspädagogik, zwischen Tradition und heutiger Lebenswelt zu vermitteln. In der Systematischen Theologie wird nach der Rechtfertigung und Aktualisierung der christlichen Tradition angesichts einer sich verändernden Lebenswelt gefragt. Lebenswelt ist ein sehr weiter und umfassender Begriff, der von Hobbies, Sozialisationen, Gewohnheiten, Ritualen usw. reicht, und kaum definiert werden kann.
30 Theologie und Wissenschaft sind daher, wie hier, immer auf einen Ausgleich bedacht, dass man beide Seiten und mehrere Kontexte beachtet, ohne barbarisch eine Meinung allein zu vertreten.