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7. Kapitel
ОглавлениеDas Wetter schien auf weitere Regenergüsse zu verzichten und langsam bahnte sich der blaue Himmel an einzelnen Stellen seinen Weg durch das dichte Wolkenwerk.
Auch Overbecks Fahrweise hatte wieder seine normale Form angenommen und schließlich erreichten sie Forstenau, das an diesem Tag wie ausgestorben schien.
„Bei diesem Sauwetter traut sich offensichtlich niemand vors Loch“, scherzte Overbeck und es schien ihm Spaß zu machen, über Lenis neuen Wohnort verhalten herzuziehen.
„Hier wird noch gearbeitet, mein lieber Overbeck“, konterte Leni. „Und weißt du warum das so ist? Ich werde es dir sagen. Hier bei uns liegt die Arbeitslosenquote weit unter fünf Prozent. Wie also sollen wir am helllichten Tag reges Treiben in den Straßen vorfinden?“
Overbeck grinste und bog hinter dem ehemaligen Bahnübergang ab, der, wie die gesamte Trasse des ehemaligen Schienenwegs der Hochwaldbahn, zu einem rund 50 Kilometer langen Radweg umgebaut worden war.
Schließlich hielt der Wagen vor dem ehemaligen Bahnhofsgebäude, in dem Lauheim seit einer Ewigkeit sein literarisches und heimatkundliches Domizil aufgeschlagen hatte.
Overbeck stieg aus dem Fahrzeug aus und betrachtete den aus Sandsteinen errichteten unverputzten Bau.
„Was haben sich die Erbauer damals eigentlich dabei gedacht? Ein Bahnhof sieht aus wie der andere. Spricht nicht für Fantasiereichtum, oder Leni?“
Seine Kollegin hatte sich inzwischen zu ihm gesellt und blickte ebenfalls der rötlichen Fassade entlang.
„Du hast Recht. Ist mir noch nie aufgefallen. Vielleicht sollte ich den Radweg mal fahren, um die die anderen ehemaligen Bahnhöfe auch kennenzulernen. Mich würde ja interessieren, wie energieeffizient diese Gebäude sind. Lassen sich im Winter schlecht heizen und im Sommer ...“
„Im Sommer sind diese Häuser dank der dicken Sandsteinmauern ideal, Leni. Angenehm kühl, denke ich. Wo ist denn hier der Eingang zum Büro von Lauheim?“
„Dort vorne, vermute ich. Ja, siehst du das Schild? Historischer Bahnhof. Eingang.“
Lauheim kam ihnen auf der Treppe entgegen, gerade als sie die Tür hinter sich schlossen.
„Die Herrschaften von der Kriminalpolizei“, lachte er und schien sogar erfreut, Leni und Overbeck hinter seinen heimatkundlichen Wänden zu wissen. „Dass ich Sie einmal hier begrüßen kann.“
Dann wurde sein Gesicht unter den gewellten dichten weißen Haaren ernst. „Ist etwas passiert? Kommen Sie dienstlich zu mir?“
Leni winkte beruhigend ab. „Nein, nein, im Gegenteil. Wir bräuchten Ihre Hilfe. Sie wissen doch, was sich hier in Forstenau in den vergangenen hundert Jahren abgespielt hat. Vielleicht geben Ihre Unterlagen auch Antwort auf unsere Fragen.“
„Die da lauten?“, fragte Lauheim, nun in seiner Ehre gefordert.
„Es ist nur eine einzige Frage, Herr Lauheim. Sie kennen doch das Hochmoor im Osburger Hochwald.“
„Den Weyrichsbroch, ja, natürlich. Was ist damit? Hat sich das Verbrechen dort niedergelassen? Das würde Kresser aber gar nicht gefallen.“
„Ihr Riecher ist nicht der schlechteste“, ließ sich Overbeck vernehmen, der dem Gespräch bisher lächelnd zugehört hatte. „Irgendetwas in der Art. Aber leider können wir Ihnen noch nicht mehr verraten, vorerst nicht. Dennoch hoffen wir auf Ihre Hilfe.“ Overbeck machte eine kurze Pause und Lauheim sah ihn erwartungsvoll an.
„Was glauben Sie, Herr Lauheim?“, kam Overbeck gleich zur Sache. „Fanden im Weyrichsbroch, also im dortigen Hochmoor, während des Zweiten Weltkrieges Kämpfe statt? Vielleicht mit den Alliierten? Oder Partisanenkämpfe? Ist Ihnen etwas bekannt darüber?“
Lauheims Stirn legte sich in Falten. „Kämpfe im Weirichsbroch? Da erwischen Sie mich jetzt aber auf dem falschen Fuß. Kriegerische Auseinandersetzungen im Hochmoor? Wenn ich ehrlich bin, ich weiß es nicht. Ich vermute zwar, dass dies nicht der Fall war, aber ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Oder anders ausgedrückt: Wäre es so gewesen, wüsste ich das eigentlich.“
„Können Sie es herausfinden?“ Overbeck sah Lauheim mit gebündelter Freundlichkeit an.
„Ich weiß nicht“, antwortete Lauheim nachdenklich, „aber ich werde es versuchen. Können Sie heute Abend im Hochwaldstübchen sein?“
„Heute Abend?“ Overbeck tat, als überlege er. Dann wandte er sich an Leni und fragte sie, obwohl Krauss seinen Auftrag von wegen Beschützen klar definiert hatte: „Hochwaldstübchen? Klingt gut. Was meinst du, Leni? Können wir uns heute Abend die Zeit dafür nehmen?“