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2. Kapitel

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Der Regen klopfte gegen die Scheiben des Büros in der fünften Etage des Trierer Polizeipräsidiums, als begehre er Einlass in die warmen, nach altem Papier riechenden Räume. Der Oktober brachte in diesem Jahr neben dem Regen ungewöhnlich viel Kälte ins Land und es versprach, ein früher und strenger Winter zu werden. Auch der Wind hatte zugenommen und durch die undichten Fenster des in Würden gealterten Büroblocks zwängte sich der Wind hier und da mit einem leisen Pfeif-Geräusch in das Innere. Der Blick über die Stadt war vom Nebel, der nach einem heftigen Regenguss aufstieg, getrübt, und auch der dahinfließende Verkehr auf den Straßen hielt sich heute in Grenzen.

Die Tür zum Büro von Overbeck und Leni Schiffmann war weit geöffnet, ein leiser kalter Zug streifte von den Fensterfugen her durch den Raum.

Das Telefon schrillte mehrmals und verstummte schließlich. Dann näherten sich Schritte von draußen und schließlich stand die schlanke Gestalt von Peter Krauss im Türrahmen, mit Falten auf der Stirn des haarlosen Kopfes und einem durch den Raum schweifenden Blick voller Unverständnis.

Krauss war Kriminaloberrat und Leiter der Kriminalinspektion, dem das Kommissariat angehörte, in dem Leni und Overbeck ihren Dienst verrichteten, wobei Overbeck dessen Leitung als Hauptkommissar innehatte.

Krauss‘ Streben galt eher der pedantischen Perfektion, als dass er Verständnis für die sich ihm bietende Situation, nämlich der Leere des Raumes und des Fehlens seiner beiden Kollegen, hätte aufbringen können. Dieses penible Bild erfüllte er auch mit seiner Kleidung, die eher in ein Modemagazin als in eine Kriminaldienststelle gehört hätte. Ein dunkelblauer Anzug schmückte die schlanke Statur und die Krawatte, die er, wie alle seine Kleidung, nicht in den billigsten Läden kaufte, stach dezent von seinem blassblauen Hemd ab.

Krauss durchmaß den Raum mit großen Schritten und blieb schließlich kopfschüttelnd vor der mannshohen ledernen Trainings-Puppe stehen, die Overbeck inzwischen auf einem federnd gelagerten massiven Unterbau befestigt hatte. Overbeck war Kampfsportler und das Menschen ähnliche Ungetüm bot seinem Eigentümer die Möglichkeit zu kurzen Trainingseinheiten, wenn aus dienstlichen Gründen nach Feierabend kaum die Möglichkeit in seinem Dojo dafür bestand.

Krauss hatte kein Verständnis dafür, dass Overbeck die Dienststelle für seine sportlichen Aktivitäten zweckentfremdete und ab und zu eine Salve mit Händen und Füßen auf das menschenähnliche Gebilde abfeuerte. Er wusste, dass der blondgezopfte Kriminalbeamte in seiner Freizeit den verschiedensten Kampfsportarten nachging. Aber was hatte das bitteschön in dieser Dienststelle verloren?

Dass er, Krauss, seinen Unmut darüber bereits des Öfteren mit Nachdruck geäußert hatte, schien Overbeck nur am Rande zu interessieren. Obwohl er erst einige Monate unter seiner Leitung Dienst verrichte, verfolgte er stets eine klare Linie, was Krauss imponierte, wie er des Öfteren für sich feststellte. Aber manchmal musste man sich doch an die Gepflogenheiten halten. Was sollten den die Menschen denken, die in diesem Büro als Zeugen oder gar als Beschuldigte ein- und ausgingen?

„Ich halte mich fit für den Dienst“, pflegte Overbeck nur kurz anzumerken, wenn er wieder einmal mit Gewalt gegen die Puppe vorging. Danach schien für ihn das Thema erledigt.

Meist verließ Krauss dann schnaubend das Büro, um dann später in einem Vieraugengespräch mit Overbeck einen sportlichen Verzicht herbeizuführen. Doch die Puppe blieb weiterhin an ihrem Platz und niemand wusste, was hinter der verschlossenen Tür in Krauss‘ Büro gesprochen worden war.

Krauss wandte seinen Blick von dem ledernen Monstrum und drehte sich drehte sich kopfschüttelnd ab, just in dem Moment, als Leni und Overbeck das Büro betraten. Sein aufgestauter Ärger wurde im selben Moment in eine andere Bahn gelenkt.

„Wie darf ich das verstehen, meine Herrschaften …?“, setzte er an, verstummte sogleich jedoch wieder, als er die betretenen Mienen der beiden wahrnahm.

„Was ist geschehen?“, wechselte er Tonart und Mimik und schloss unbewusst den oberen Knopf des Sakkos, als habe er einen offiziellen Auftrag zu erledigen.

Overbeck entledigte sich seiner gefütterten Windjacke und warf sie über die Lehne eines Stuhls, während Leni sich mit ihrer regennassen Jacke auf ihren Stuhl fallen ließ und den Kopf in ihre Hände stützte.

„Was ist los?“, versuchte es Krauss noch einmal stirnrunzelnd und mit ratlos hochgezogenen Schultern und sah Overbeck mit vorgeschobenem Kopf fragend an. Der strich sich durch die nassen blonden Haare, löste seine zum Pferdeschwanz gebundenen Haare und schüttelte sie aus. Dann befestigte er den dehnbaren Stoffring wieder und ließ das gebundene blonde Haarbüschel nach hinten fallen. Er sah erst Krauss an, dann zu Leni. Leise sagte er: „Er ist wieder draußen.“

„Wer ist wieder draußen? Mensch, Overbeck, reden Sie! Was ist passiert?“

„Sie waren damals noch nicht hier auf der Dienststelle“, begann Overbeck zögernd mit Blick auf Leni, die nun langsam den Kopf wieder anhob und ausdruckslos in den Raum schaute. Ihr Gesicht schien all die femininen Gesichtszüge, die ihr die anerkennenden Blicke der Kollegen sicherten, verloren zu haben. Kantig und eingefallen schienen die Wangen und um die Augen lagen dunkle Schatten.

„Es war vor Ihrer Zeit“, begann Overbeck. „Wir hatten einen Kollegen des mehrfachen Mordes überführt und seiner gerechten Strafe zugeführt. Das Gericht hat ihn zu lebenslänglicher Haft verurteilt, obwohl der Staatsanwalt zwei Mal Lebenslänglich beantragt hatte. Das Gericht wählte die mildere Variante, da sie ihm für die Tatzeitpunkte zeitweise eine verminderte Unzurechnungsfähigkeit zugestand.“

„Einen ehemaligen Kollegen, aha. Ja, und? Was ist jetzt? Warum lassen Sie beide die Köpfe hängen?“

„Florian Lessing, so heißt der Ex-Kollege, ist aus der JVA ausgebrochen. Er hat bei der ersten sich bietenden Gelegenheit –ich glaube, während eines Krankentransports- zwei der Wärter überwältigt und ist mit der Waffe des einen seitdem auf der Flucht.“

Overbeck stand auf, ging zum Fenster und sah durch die trüben Scheiben über das Nebelverhangene Trier.

„Irgendwo da draußen hält er sich versteckt. Irgendwo dort“, sagte er mehr zu sich selbst. „Wir können nur hoffen, dass wir ihn bald wieder fassen werden.“

Krauss räusperte sich. „Ich verstehe immer noch nicht, warum Ihnen beiden das so nahegeht. Ein Gefangener ist entwichen. Na und? Das geschieht ab und zu. Irgendwann wird er wieder eingefangen. Klar, dass von ihm eine Gefahr für die Bevölkerung ausgeht, da sind wir natürlich als Polizei gefordert.“

„Ich war eine Zeitlang mit ihm liiert“, kam eine leise Stimme aus der Richtung, wo Leni saß.

Krauss‘ Kopf schnellte herum und er starrte sprachlos zu ihr hinüber, doch bevor er etwas sagen konnte, ergriff Overbeck wieder das Wort.

„Es ist eine lange Geschichte. Eine Liebesgeschichte, wie sie jeden Tag vorkommt“, sagte er leise und sah dabei Kraus eindringlich an.

„Leni war auf ihn hereingefallen, wie das nun auch immer wieder passieren kann.“ Overbeck hielt inne, bevor er weitersprach. „Nein, hereingefallen ist nun auch der falsche Ausdruck. Sie hatte sich ihn verliebt, ohne zu wissen, dass er quasi ein Doppelleben führte. Aber darum geht es nicht. Nicht mehr. Die Geschichte ist lange vorbei und Leni hatte nichts Unrechtes getan. Es geht heute einfach darum, dass Leni Angst hat, dieser Mensch würde wieder den Kontakt zu ihr suchen.“

Krauss sah man das Erstaunen und einen Teil Unverständnis förmlich an. „Warum sollte er den Weg wieder zu Frau Schiffmann suchen, wenn doch die Geschichte lange vorbei ist, wie Sie sagen? Frau Schiffmann, was sagen Sie denn dazu?“

„Sie hatte damals dazu beigetragen, dass Lessing gestellt und verhaftet werden konnte“, beeilte sich Overbeck, Leni zuvorzukommen. Sie musste sich in dieser Sache nicht unbedingt erklären. Sie hatte genug darunter zu leiden. „Es ist nicht auszuschließen, dass er Rachegedanken hegt. Wir sollten also alles daransetzen, des Mannes so schnell wie möglich wieder habhaft zu werden.“

„Glauben Sie denn, dass er Sie zu Hause … in Forstenau ... aufsuchen wird?“

Krauss‘ Ton gegenüber Leni war wärmer geworden und ein Hauch von Verständnis schien in seiner Stimme mitzuschwingen.

„Ich meine, hier, auf der Dienststelle oder während Ihren Ermittlungen sind Sie ja nie alleine. Ich könnte Sie natürlich, nur, wenn Sie damit einverstanden sind, vorerst im Innendienst einsetzen. Aber, wie gesagt, ich überlasse Ihnen die Entscheidung.“

„Nein, nein“, wehrte Leni ab. „Vielleicht bin ich ja auch nur überängstlich. Danke, aber es geht schon. Ich bin ja nicht alleine.“

„Und in Forstenau?“, fragte Krauss lauernd.

„Dort auch nicht. Ich werde das Haus vorerst nur verlassen, um zum Dienst zu fahren.“

„Genau das werden Sie nicht tun.“

Krauss wandte sich an Overbeck. „Sie, Herr Overbeck, werden Frau Schiffmann nach Dienstschluss nach Hause fahren und Sie werden sie am Morgen, so lange, bis dieser Mensch gefasst ist, in ihrer Wohnung in Forstenau abholen. Haben wir uns verstanden?“

Sein Blick ruhte auf Overbeck, keinen Widerspruch duldend. „Es wird sich doch sicherlich nur um ein paar Tage handeln. Oder wäre es Ihnen lieber, wenn ein Kollege aus dem Schichtdienst der uniformierten Kollegen …?“

„Nein, das geht schon in Ordnung“, beeilte sich Leni mit einem erleichterten Blick auf Overbeck zu sagen und Krauss konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, auch ein flüchtiges Lächeln in ihrem Gesicht erkannt zu haben.

Für Overbeck war es eine Selbstverständlichkeit, seine Partnerin so weit zu beschützen, wie es ihm nur möglich war. Außerdem stellte es für ihn kein größeres Opfer dar. Leni selbst hatte eine Wohnung in Forstenau, in der Etage über dem Hochwaldstübchen bezogen. So blieb es auch nicht aus, dass er sich nach Dienstschluss schon mal mit Leni gemeinsam bei Lissy, der Wirtin, ein Bier genehmigte. Und wenn es dann einmal mehr wurden, -dafür sorgte auch schon mal der Stammtisch mit seiner illustren Besetzung- hielt Lissy für ihn ein Gästezimmer parat. Sein Opfer war somit nicht allzu groß und wenn er Leni am Morgen abholen würde, könnten sie das mit Ermittlungen in der Region verbinden.

„Gut“, vernahm Overbeck die knappe Bestätigung seines Chefs. „Dann wäre das ja geklärt. Sie halten mich auf dem Laufenden. Jeden Tag, verstanden?“

Leni und Overbeck nickten, als hätten sie die Geste abgesprochen und auch Krauss nickte, bevor er sich anschickte, den Raum zu verlassen, doch es war kein Nicken der Bestätigung. Es war eine hilflose Geste. An der Tür drehte er sich noch einmal um und sagte, zu Overbeck gewandt: „Die Akte Lessing, ich möchte sie so schnell wie möglich auf meinem Tisch haben.“

Ohne eine Antwort abzuwarten verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich. Doch gerade, als Overbeck sich Leni zuwandte, öffnete sich die Tür erneut und Krauss stand wieder vor ihnen.

„Da sehen Sie mal, dass man auch mich mit irgendwelchen Dingen aus der Fassung bringen kann“, begann er mit einem Kopfschütteln, das offensichtlich seiner eigenen Person zugedacht war. „Der Grund, weswegen ich zu Ihnen kam … Sie müssen zum Tatort. Nein, besser gesagt, zu einem Fundort. Im Waldgebiet bei Forstenau, im …“, er sah auf seinem Notizzettel in seiner Hand nach, „im Osburger Hochwald, wurden Teile eines menschlichen Skeletts gefunden. Ein Förster mit seinen Arbeitern, was auch immer die bei diesem Wetter dort wollten, warten an der Fundstelle.“

„Wahrscheinlich ein Soldat aus dem letzten Krieg sinnierte Overbeck. Also, auf in den Hochwald.“ Overbeck sah zu Leni hinüber und grinste. „Dann bringe ich dich heute zum ersten Mal nach Hause.“

„Melden Sie sich, wenn Sie etwas Genaueres wissen“ bemerkte Krauss im Hinausgehen. „Nehmen Sie Stiefel und Regenkleidung mit. Ich werde Peters von der Spurensicherung verständigen. Ach ja, und das mit der Akte Lessing … das erledige ich schon selbst.“

Niemand schweigt für immer

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