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[Zum hydraulischen System des spanischen Guayana. Gabelteilungen]
ОглавлениеIch will dieses Kapitel mit allgemeinen Betrachtungen über das hydraulische System des spanischen Guayana schließen und durch Beispiele aus dem Alten Kontinent belegen, daß diese Gabelteilung, die den Geographen bei der Zeichnung der Karten Amerikas so lange ein Schrecknis war, das Ergebnis von zusammenwirkenden Umständen ist, welche zwar selten sind, aber auf beiden Halbkugeln vorkommen.
Gewöhnt, die europäischen Flüsse nur in dem Teil ihres Laufes, wo sie von zwei Wasserscheiden eingeschlossen und infolgedessen eingetieft in Tälern fließen, zu betrachten, vergessen wir, daß die Hindernisse, welche die Nebenflüsse und Hauptwasserbehälter ablenken, seltener Gebirgsketten als geringe Erhebungen von entgegenstehenden Hängen sind. Infolgedessen haben wir Mühe, das gleichzeitige Vorhandensein dieser Krümmungen, dieser Bifurkationen [Gabelteilungen], dieser Flußverbindungen der Neuen Welt zu begreifen. Dieser weitläufige Kontinent ist noch bemerkenswerter wegen der Ausdehnung und Einförmigkeit seiner Ebenen als infolge der gigantischen Höhe seiner Cordilleren. Erscheinungen, die wir auf unserer Halbkugel nur an den Küsten des Ozeans oder in den Steppen Baktriens, um die Binnenmeere des Aral- und Kaspi-Sees, beobachten, finden sich in Amerika auf 300 und 400 lieues Entfernung von der Mündung der Flüsse wieder. Die kleinen Wasserbäche, welche durch unsere Wiesengründe (die vollkommensten unserer Ebenen) schlängeln, können ein schwaches Bild dieser Verzweigungen und Gabelteilungen darstellen; weil man es aber der Mühe nicht wert findet, bei so kleinen Objekten zu verweilen, findet man den Kontrast der hydraulischen Systeme beider Welten viel auffallender als ihre Analogie. Die Vorstellung, daß der Rhein einen Arm an die Donau, die Weichsel einen solchen an die Oder, die Seine an die Loire abgeben könnte, erscheint uns sogleich derart absurd, daß wir immer noch verlangen, die Möglichkeit des Vorhandenen solle bewiesen werden, auch wenn wir sogar an der Wirklichkeit des Zusammenhangs zwischen dem Orinoco und dem Amazonenstrom nicht länger zweifeln.
Während man durch das Delta des Orinoco nach Angostura und die Einmündung des Río Apure hinauffährt, behält man stets zur Linken die hohe Bergkette von Parima. Diese Kette aber, weit entfernt (wie dies mehrere berühmte Geographen gelten ließen), eine die zwei Becken des Orinoco und des Amazonenstroms trennende Schwelle zu bilden, zeigt im Gegenteil an ihrem südlichen Abhang die Quellen des ersteren dieser Flüsse. Der Orinoco (genau wie der Arno in der berühmten Voltata zwischen Bibieno und Ponta Sieve) beschreibt drei Viertel eines Ovals, dessen große Achse die Richtung einer Parallele hat. Er zieht sich um eine Berggruppe herum, die ihm von beiden entgegengesetzten Abhängen ihre Gewässer gleichmäßig zusendet. Aus den Alpentälern von Maraguaca nimmt der Fluß anfänglich seine Richtung westlich und westnordwestlich, als sollte er in die Südsee münden; danach, nahe bei der Mündung des Guaviare, beginnt er sich gegen Norden zu wenden und folgt der Richtung eines Meridians bis zur Mündung des Apure, welcher ein zweiter Umkehrpunkt ist. Auf diesem Teil eines Laufs spielt der Orinoco eine Art Dachrinne, die von dem flachen, von der sehr entfernten Andenkette von Neu-Granada herkommenden Abhang und von dem überaus kurzen Gegenhang, welcher sich ostwärts an der steilen Wand der Parima-Berge erhebt, gebildet wird. Diese Disposition des Terrains erklärt, warum die beträchtlichsten Zuflüsse des Orinoco von Westen herkommen. Der Hauptwasserbehälter, der den Bergen von Parima, die er von Süden gegen Norden umläuft (als sollte er sich gegen Puerto Cabello und die Nordküsten von Venezuela wenden), sehr genähert ist, findet sein Bett durch Felsen verengt. Dies ist die Gegend der großen Katarakte; brausend öffnet sich der Strom einen Ausgang durch die westwärts vorstehenden Widerlager, so daß in dem großen Engpaß, zwischen den Cordilleren von Neu-Granada und der Sierra Parima, die das westliche Ufer bekleidenden Felsen eben dieser Sierra angehören. Nahe beim Einfluß des Río Apure wechselt der Orinoco zum zweiten Male und fast plötzlich seine Richtung von Süden nach Norden mit der von Westen nach Osten, geradeso, wie früher der Einfluß des Guaviare den Punkt bezeichnet, wo der westliche Lauf plötzlich in die nördliche Richtung übergeht. Bei diesen zwei Krümmungen ist es nicht bloß der Stoß der Gewässer des zufließenden Stromes, welcher die Richtung des Hauptwasserbehälters bestimmt, sondern auch die besondere Anordnung der Hänge und Gegenhänge, welche sowohl die Richtung der Nebenflüsse wie die des Orinoco bestimmen helfen. Umsonst würde man auf diesen Umkehrpunkten, die dem Geographen so wichtig sind, sich nach Bergen oder Hügeln umsehen, welche den großen Strom an der Fortsetzung seines anfänglichen Laufs hinderten. An der Mündung des Guaviare findet sich davon gar nichts, und der kleine Hügel von Cabruta nahe an der Einmündung des Apure hat gewiß keinerlei Einfluß auf die Richtung des Orinoco. Diese Richtungswechsel sind die Wirkung viel allgemeinerer Ursachen: Sie sind die Folge der Verhältnisse der großen Abhänge, welche die polyedrische [vielflächige] Fläche der Ebenen bilden. Die Bergketten stehen nicht wie Mauern über waagerechten Flächen empor: ihre mehr oder weniger prismatischen Massen ruhen jederzeit auf Plattformen, und diese letzteren dehnen sich in mehr oder minder steilen Abhängen gegen den Talweg des Flusses hin. Weil die Ebenen gegen die Berge aufsteigen, und weil sie sozusagen dem Einfluß dieser Wasserscheiden in weiter Entfernung ausgesetzt sind, ist es eine seltene Erscheinung, daß die Ströme sich an Bergen brechen. Die Geographen, welche die Topographie in der Natur studiert und auch selbst Nivellements aufgenommen haben, werden sich nicht wundern, wenn Karten, deren Maßstab Hangneigungen von 3 bis 5° nicht auszudrücken gestattet, überhaupt nicht die Ursachen der großen Flußkrümmungen anschaulich darstellen. Von der Einmündung des Apure bis zur Ausmündung an der Ostküste von Amerika nimmt der Orinoco seinen Lauf in einer parallelen, aber seiner früheren entgegengesetzten Richtung; sein Talweg wird hier nördlich durch einen fast unmerklichen Abhang, der sich gegen die Küstenkette von Venezuela erhebt, und südlich durch den kurzen und steilen, auf die Sierra Parima gestützten Abhang gebildet. Infolge dieser besonderen Anordnung des Terrains umgibt der Orinoco dieselbe Gruppe von Granitbergen auf ihrer Süd-, West- und Nordseite, und nach einem Lauf von 1350 Meilen (zu 950 Toisen) beträgt die Entfernung von seinem Ursprung nicht über 300 Meilen. Es ist ein Strom, dessen Mündung nahe an 2° im Meridian seiner Quellen liegt.
Der Lauf des Orinoco, den wir in flüchtigem Abriß dargestellt haben, weist drei merkwürdige Eigentümlichkeiten auf: zuerst seine beharrliche Nähe zur Berggruppe, die auf der Süd-, West- und Nordseite von ihm umgezogen wird; hernach die Lage seiner Quellen auf einem Terrain, von dem man glauben sollte, es gehöre zum Bassin des Río Negro und des Amazonenstromes; und drittens endlich seine Gabelteilung, wodurch er einem anderen Stromsystem einen Arm zusendet. Durch bloß theoretische Begriffe geleitet, sollte man geneigt sein, anzunehmen, Ströme, welche einmal die Alpentäler verlassen haben, auf deren Höhen sie entsprungen sind, müßten sich schnell von den Bergen entfernen, auf einer mehr oder weniger geneigten Fläche, deren stärkster Abhang zur großen Achse der Hauptkette oder Wasserscheide senkrecht steht. Eine solche Voraussetzung stünde jedoch im Widerspruch mit dem, was wir an den majestätischen Strömen Indiens und Chinas beobachten. Es ist ein charakteristischer Zug dieser Ströme, daß sie bei ihrem Austritt vom Gebirge einen der Kette parallelen Lauf nehmen. Die Ebenen, deren Abhänge gegen die Berge ansteigen, erhalten an deren Fuß eine unregelmäßige Gestalt. Die Ursache dieser Erscheinung kann zwar öfters in der Beschaffenheit blättriger Felsen und in einer der Richtung der großen Kette entsprechenden Schichtenlagerung gefunden werden; doch da der Granit der Sierra Parima fast überall massenförmig und nicht aufgeschichtet erscheint, deutet die Nähe, in der wir den Orinoco die Berggruppe umgeben sehen, eine Senkung des Bodens an, die mit einer umfassenderen geologischen Erscheinung zusammennhängt und vielleicht mit der Bildung der Cordilleren selbst in Verbindung steht. In Binnenmeeren und Binnenseen finden sich die tiefsten Stellen da, wo die Küsten am steilsten und höchsten sind. Fährt man von Esmeralda nach Angostura den Orinoco hinunter, entdeckt man (sei es, daß man westwärts, nordwärts oder ostwärts fahre) in einer Entfernung von 250 lieues auf dem rechten Ufer sehr hohe Berge; auf dem linken Ufer dehnen sich Ebenen aus, so weit das Auge reicht. Die Linie der größten Tiefen, die Maxima der Depression, befindet sich demnach am Fuß der Cordillere selbst, im Umkreis der Sierra Parima.
Eine andere Eigentümlichkeit, welche uns zuerst am Lauf des Orinoco frappiert, ist der Umstand, daß das Bassin dieses Stroms sich ursprünglich mit dem Becken eines anderen Stroms des Amazonenflusses zu vermischen scheint. Wirft man einen Blick auf die Karte, sieht man den oberen Orinoco von Ost nach West die gleiche Ebene durchziehen, die der Amazonenstrom in paralleler, aber umgekehrter Richtung, nämlich von West nach Ost, durchläuft. Es darf nicht vergessen werden, daß die großen Oberflächen des Terrains, die wir Ebenen nennen, ebenso wie Berge ihre Täler haben. Jede Ebene ist aus verschiedenen Systemen wechselnder Abhänge zusammengesetzt, und diese Systeme sind durch Kanten oder sekundäre Kämme (oder Firste) voneinander getrennt, die ihrer schwachen Erhöhung wegen unseren Augen fast unmerklich bleiben. Eine ununterbrochene und mit Waldung bedeckte Ebene füllt den ganzen weiten Raum zwischen 3½° nördlicher Breite und 14° südlicher Breite, zwischen der Cordillere von Parima und der von Chiquitos und Brasilien. Bis zur Parallele der Quellen des Río Temi, auf einer Oberfläche von 204.000 Quadratlieues, fließen alle Gewässer dem Hauptsammler des Amazonenstroms zu; weiter nördlich dagegen vermöge einer besonderen Disposition des Terrains auf einer Oberfläche von keinen 1500 Quadratlieues bildet ein anderer großer Strom, der Orinoco, ein besonderes hydraulisches System. Die zentrale Ebene Südamerikas umfaßt demnach zwei Strombecken; denn jedes Becken ist das Ganze des umliegenden Gebiets, dessen Neigungslinien in den Talweg auslaufen, das heißt in die longitudinale Depression, welche das Bett des Hauptstroms bildet. In dem kurzen Raum zwischen dem 68. und 70. Längengrad empfängt der Orinoco die vom südlichen Abhang der Cordillere von Parima abfließenden Gewässer, die Zuflüsse hingegen, welche vom selben Abhang östlich des Meridians von 68° zwischen dem Berg Maraguaca und den Bergen des portugiesischen Guayana herkommen, gelangen zum Amazonenstrom. Es ist somit der Fall, daß auf einer Länge von nur 50 lieues, in diesem unermeßlichen äquatorialen Tal, unmittelbar am Fuß der Cordillere von Parima gelegene Flächen größere Neigungslinien besitzen, welche aus dem Tal herausführen, anfangs nordwärts, hernach ostwärts. Ungarn zeigt uns ein ähnliches und sehr merkwürdiges Beispiel von Flüssen, die, während sie auf der Südseite einer Bergkette entspringen, dem hydraulischen System des nördlichen Bergabhangs angehören. Die Wasserscheide zwischen dem Baltischen und dem Schwarzen Meer findet sich südwärts der Tatra, einer der Karpaten-Gruppen zwischen Teplitz und Ganocz, auf einem Plateau, das keine 300 Toisen Höhe besitzt. Waag und Hernad fließen südwärts zur Donau, während der Poprad die Tatra westlich umläuft und sich neben der Dunajetz nordwärts in die Weichsel ergießt. Der Poprad, welcher seiner Lage nach dem System der Zuflüsse des Schwarzen Meeres anzugehören scheint, entzieht sich scheinbar ihrem Becken und führt seine Gewässer dem Baltischen Meer zu.
In Südamerika enthält eine unermeßliche Ebene das Becken des Amazonenstroms und einen Teil des Orinoco-Beckens; in Deutschland hingegen, zwischen Melle und Osnabrück, finden wir das seltene Beispiel eines extrem engen Tals, welches zwei Becken kleiner, voneinander unabhängiger Flüsse vereint. Else und Haase zeigen anfänglich einen nahe beisammenstehenden und parallelen Lauf von Süd nach Nord; beim Eintritt in die Ebene jedoch laufen sie ostwärts und westwärts auseinander und vereinigen sich mit den zwei völlig verschiedenen hydraulischen Systemen der Weser und der Ems.