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[Zum Problem der Gabelteilungen von Flüssen und speziell des Casiquiare]

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Ich komme zur dritten Eigentümlichkeit, die am Lauf des oberen Orinoco beobachtet wird, zu jener Gabelteilung, deren Dasein zur Zeit meiner Abreise nach Amerika in Zweifel gezogen wurde. Diese Gabelteilung (divergium amnis) befindet sich nach den astronomischen Beobachtungen, die ich in der Mission von Esmeralda gemacht habe, unter 3° 10′ nördlicher Breite und 68° 37′ westlicher Länge vom Pariser Meridian. Im Binnenland des südlichen Amerika geschieht, was wir unter allen Zonen, den Küsten entlang, finden. Sehr einfache geometrische Betrachtungen lassen erkennen, daß die Gestalt des Bodens und der Impuls zufließender Gewässer die Richtung der laufenden Wasser nach festen und gleichförmigen Gesetzen modifizieren. Die Deltas sind das Ergebnis einer Gabelteilung auf der Ebene eines Küstenlands, und bei sorgfältiger Untersuchung findet man zuweilen in der Nähe solcher ozeanischen Bifurkation Verbindungen mit anderen Flüssen, deren Arme benachbart sind. Wo nun aber überall im Inneren der Kontinente eine flache Ebene gleich der des Küstenlands vorkommt, da müssen sich auch dieselben Erscheinungen wiederholen. Die Ursachen, welche nahe an der Ausmündung eines großen Flusses Gabelteilungen erzeugen, können diese auch in der Nähe seiner Quellen und im Oberteil seines Laufs hervorrufen. Drei Umstände mögen dazu wesentlich beitragen: die extrem kleinen wellenförmigen Erhöhungen einer Ebene, welche gleichzeitig zwei Strombecken umfaßt, die Breite eines der Hauptwasserbehälter und die Lage des Talwegs am Rand der Grenze der zwei Becken.

Wenn die Linie der größten Hangneigung durch einen gegebenen Punkt geht und wenn sie in unbestimmter Verlängerung den Fluß nicht erreicht, gehört dieser Punkt (wie nahe er übrigens auch dem Talweg liegen mag) kaum zu demselben Wasserbecken. Bei angrenzendem Becken sehen wir öfters die Zuflüsse des einen ganz in der Nähe des anderen Sammlers und zwischen zwei Zuflüssen entspringen, die diesem angehören. Diese eigentümlichen Koordinationsverhältnisse, welche zwischen den wechselnden Gefällen angetroffen werden, sind es, die den Grenzen der Becken ihre mehr oder weniger gewundenen Formen geben. Der Längsstreifen oder der Talweg befindet sich nicht notwendigerweise in der Mitte des Beckens; er nimmt nicht einmal immer die niedrigsten Stellen ein, weil diese von Kanten eingefaßt sein können, welche die Linien des größten Gefälles dahin zu gelangen hindern. Die ungleiche Länge der an beiden Ufern eines Flusses mündenden Zuflüsse ist es, was uns die Lage des Talwegs hinsichtlich der Grenzen des Beckens ziemlich richtig beurteilen läßt. Wenn der Hauptsammler der einen dieser Grenzen genähert ist, wenn er nahe bei dem Kamm fließt, welcher die Teilungslinie zwischen beiden Wasserbecken bildet, macht dies eine Gabelteilung sehr wahrscheinlich. Die kleinste Senkung dieser Kante kann dann die Erscheinung, wovon hier die Rede ist, herbeiführen, wenn nicht etwa die bereits vorhandene Schnelligkeit des Laufs den ganzen Fluß in seinem Bett zurückhält. Wenn die Gabelteilung entsteht, durchstreicht die Grenze beider Becken der Länge nach das Bett des Hauptsammlers, und ein Teil des Talwegs von a umfaßt Punkte, deren größte Gefällinien zum Talweg von b führen. Der sich trennende Arm kann nicht mehr nach a zurückkehren; denn ein Wasserfaden, welcher einmal in ein Becken eingetreten ist, kann diesem nicht mehr entfremdet werden, bevor er das Flußbett, worin seine Gewässer sich sammeln, durchzogen hat.

Noch bleibt zu untersuchen übrig, wie die Breite eines Flusses bei gleichen Umständen die Chance dieser Gabelteilungen begünstigt, die (den Kanälen an den Punkten der Teilung ähnlich) vermöge der natürlichen Beschaffenheit des Bodens eine schiffbare Linie zwischen den Becken zweier benachbarter Flüsse bieten. Sondiert man einen Strom im Querdurchschnitt, wird sich zeigen, daß sein Bett gewöhnlich aus mehreren ungleich tiefen Rinnen besteht. Je breiter ein Strom ist, desto zahlreicher sind diese Rinnen; sie behalten selbst in großen Entfernungen einen mehr oder weniger vollkommenen Parallelismus. Es folgt daraus, daß die meisten Flüsse als aus mehreren nebeneinanderliegenden Kanälen zusammengesetzt betrachtet werden können und daß sich eine Gabelteilung bildet, wenn ein kleines Stück des Uferlandes niedriger ist als der Grund einer seitwärtsliegenden Rinne.

Den bisher dargestellten Umständen nach mögen die Gabelteilungen der Flüsse entweder im selben Becken entstehen oder auf der Teilungskante zwischen zwei Becken. Im ersten Fall sind es entweder Flußarme, welche in den Talweg zurückkehren, von dem sie sich in größerer oder kleinerer Entfernung getrennt haben, oder es sind Arme, die sich mit tieferliegenden Zuflüssen vereinigen. Bisweilen sind es auch Deltas, die sich an der Mündung von Flüssen ins Meer oder in der Nähe der Vereinigung mit einem anderen Fluß bilden. Wenn die Gabelteilung auf der Grenze zweier Wasserbecken entstehen und diese Grenze das Bett des Hauptsammlers selbst durchzieht, bildet der sich entfernende Arm eine hydraulische Verbindung zwischen zwei Flußsystemen und erregt unsere Aufmerksamkeit um so mehr, je breiter und schiffbarer er ist. Die Breite des Casiquiare übersteigt die der Seine beim Botanischen Garten zwei- bis dreimal; und um zu beweisen, wie merkwürdig dieser Fluß ist, wollen wir daran erinnern, daß bei sorgfältigem Forschen nach Beispielen von Gabelteilungen im Binnenland selbst unter viel weniger bedeutenden Flüssen bis dahin deren nur drei oder vier mit einiger Zuverlässigkeit gefunden werden konnten. Ich will der Verzweigungen der großen indo-chinesischen Ströme nicht gedenken, der natürlichen Kanäle, welche die Flüsse Ava und Pegu zu vereinigen scheinen, oder der von Siam und Kambodscha; die Art, wie diese Vereinigungen geschehen, ist noch nicht genügend aufgeklärt. Ich will nur einer hydraulischen Erscheinung gedenken, welche durch die schönen Karten von Norwegen des Freiherrn von Hermelin aufs vollständigste bekanntgeworden ist. In Lappland geht vom Torneo-Fluß ein Arm (der Tårendo-Elf) zum Calix-Elf über, welcher ein kleines abgesondertes hydraulisches System bildet. Dieser Casiquiare der nördlichen Zone ist nicht über 10 bis 12 lieues lang. Er verwandelt jedoch das ganze den Bottnischen Meerbusen begrenzende Land in eine wahrhafte Flußinsel. Durch Herrn von Buch wissen wir, daß lange Zeit das Dasein dieses natürlichen Kanals ebenso hartnäckig geleugnet worden ist wie das eines zum Amazonenstrom hinfließenden Arms des Orinoco. Eine andere Gabelteilung, welche wegen der vormaligen Verbindung der Völker Latiums und Etruriens ein besonderes Interesse gewährt, scheint einst in der Nähe des Trasimenischen Sees entstanden zu sein. Der Arno – in der berühmten Voltata, die er südlich, westlich und nördlich zwischen Bibieno und Ponta Sieve macht – teilte sich bei Arezzo in zwei Arme, wovon einer durch Florenz und Pisa dem Meer zufloß, wie jetzt noch der Fall ist, während der andere, nachdem er das Tal von Chiana durchlaufen hatte, sein Wasser in die Tiber ergoß, teils unmittelbar, teils nachdem er es mit dem Wasser des Paglia vermischt hatte. Herr Fossombroni hat gezeigt, wie sich im Mittelalter infolge von Anschwemmungen im Tal von Chiana ein Teilungspunkt gebildet hat und wie der nördliche Teil des Arno Teverin gegenwärtig (mit Gegenhang) von Süden nach Norden aus dem kleinen See von Montepulciano in den Arno fließt. Der klassische Boden Italiens umfaßte demnach neben so vielerlei Wundern der Natur und der Kunst auch eine jener Gabelteilungen, wovon die Wälder der Neuen Welt nur ein anderes Beispiel in viel größerem Maßstab darstellen.

Ich bin seit meiner Rückkehr vom Orinoco oftmals gefragt worden, ob ich es für wahrscheinlich halte, daß der Kanal des Casiquiare durch Anschwemmungen allmählich verstopft werden könnte und ob ich nicht glaubte, die zwei großen Flußsysteme der amerikanischen Äquinoktial-Länder dürften sich im Laufe der Jahrhunderte völlig voneinander absondern. Weil ich es mir zum Gesetz gemacht habe, nur Tatsachen zu beschreiben und die in verschiedenen Ländern zwischen der Gestaltung des Bodens und dem Lauf des Wassers bestehenden Verhältnisse zu vergleichen, muß ich alles bloß Mutmaßliche weglassen [Hervorhebung des Hrsg.]. Zunächst bemerke ich, daß der Casiquiare in seinem gegenwärtigen Zustand keineswegs, wie die Dichter Latiums sich ausdrücken, placidus et mitissimus amnis ist; er gleicht gar nicht jenem errans languido flumine Cocytus, indem er auf dem größeren Teil seines Laufs die ausnehmende Schnelligkeit von 6 bis 8 Fuß in der Sekunde besitzt. Darum ist denn auch nicht zu befürchten, daß er ein mehrere hundert Toisen breites Bett gänzlich ausfüllen oder verschütten solle. Das Dasein dieses Arms des oberen Orinoco ist eine zu bedeutende Erscheinung, als daß die kleinen Veränderungen, die sich auf der Oberfläche des Erdballs ergeben, denselben gänzlich vernichten oder auch nur beträchtlich verändern könnten. Wir wollen nicht leugnen, daß, besonders wenn es sich um weniger breite und nur wenig schnell fließende Flüsse handelt, überall ein Streben zur Verminderung ihrer Verzweigungen und zur Absonderung ihrer Wasserbecken bemerkt wird. Die größten und vorzugsweise majestätischen Flüsse erscheinen uns, wenn wir die zerrissenen Flächen ihrer Ufer oder entfernten Gestade betrachten, nur wie kleine Wasserbäche, die sich durch Täler winden, welche sie nicht selbst graben konnten. Die Beschaffenheit ihres wirklichen Bettes deutet genügend die fortschreitende Verminderung ihrer Wassermassen an. Allenthalben finden wir Spuren von älteren ausgetrockneten Flußarmen und von Gabelteilungen, von denen kaum einige historische Zeugnisse übriggeblieben sind. Die verschiedenen, mehr oder weniger parallellaufenden Rinnen, aus denen die amerikanischen Flußbetten bestehen und die sie viel wasserreicher scheinen lassen, als sie in der Tat sind, ändern allmählich ihre Richtung; sie erweitern und vereinigen sich durch Erosion der sie trennenden Längenkanten. Was anfänglich nur ein Arm war, wird nachher zum einzigen Sammler, und in Flüssen, die nur geringe Gefälle haben, verschwinden die Gabelteilungen oder die Verzweigungen zwischen zwei hydraulischen Systemen auf dreierlei Weise: entweder dadurch, daß der Abführungs- oder Verbindungskanal den ganzen gabelgeteilten Strom in sein Becken hinüberzieht; oder indem der Kanal durch Anschwemmungen verschlossen wird an der Stelle, wo er vom Hauptsammler ausgeht; oder endlich, indem sich mitten auf seinem Lauf eine Querkante oder ein Querrücken bildet, ein Teilungspunkt, welcher dem Oberteil einen Gegenhang gewährt und die Gewässer in umgekehrter Richtung zurückfließen läßt. Die sehr niedrigen und den periodischen großen Überschwemmungen ausgesetzten Länder wie das amerikanische Guayana oder Dar-Saley oder Bagirmi in Afrika beweisen uns, wieviel zahlreicher diese Verbindungen durch natürliche Kanäle vormals im Vergleich zu heute gewesen sein können.

Nachdem wir die Gabelteilung des Orinoco unter dem Aspekt der vergleichenden Hydrographie betrachtet haben, bleibt jetzt noch übrig, kurz die Geschichte der Entdeckung dieser außerordentlichen Erscheinung zu berichten. Es verhielt sich mit der Verbindung zweier großer Flußsysteme wie mit dem Lauf des Nigers nach Osten. Es mußte das wiederholt entdeckt werden, was anfänglich der Analogie und den herrschenden Theorien widersprechend erachtet wurde. Nachdem Reisende schon die Verbindungsart des Orinoco mit dem Amazonenstrom erkannt hatten, wurde noch, und zu wiederholten Malen, die Möglichkeit der Sache bezweifelt. Eine Bergkette, die der Geograph Hondius gegen Ende des 16. Jahrhunderts erdacht hatte, um die Bassins der Flüsse zu trennen, wurde abwechselnd angenommen und wieder geleugnet. Man dachte nicht daran, daß auch das Dasein dieser Berge die Trennung zweier hydraulischen Systeme nicht unbedingt beweisen könnte, weil die Gewässer sich in der Cordillere der Anden und in der Himalaya-Kette, der höchsten in der bekannten Welt, Durchgänge geöffnet haben. Man behauptete nicht ohne Grund, daß Reisen, die im selben Boot vollendet werden, noch nicht zuverlässig dartun, daß die Fahrt durch keine Portagen unterbrochen worden sei. Ich bin selbst in der Lage gewesen, alle Umstände dieser so lang bestrittenen Gabelteilung zu verifizieren; ich bin aber darum weit entfernt, die Gelehrten zu tadeln, die, von rühmlichem Eifer in der Erforschung der Wahrheit geleitet, das zuzugeben zögerten, was ihnen noch nicht genügend ermittelt zu sein schien.

Weil der Amazonenstrom von den Portugiesen und Spaniern viel früher besucht wurde, als diese miteinander wetteifernden Völker den oberen Orinoco gekannt haben, sind die ersten vagen Nachrichten über die Verzweigung beider Flüsse von der Mündung des Río Negro nach Europa gelangt. Die conquistadores und mehrere Historiker wie Herera, Fray Pedro Simón und der Pater García verwechselten unter den Namen Río Grande und Mar Dulce (großer Strom, Süßwasser-Meer) den Orinoco und den Marañón. Der Name des ersteren dieser Ströme findet sich noch nicht einmal auf der 1529 verfertigten berühmten Karte Amerikas von Diogo Ribeiro. Die Expeditionen von Orellana (1540) und von Lope de Aguirre (1560) lieferten keine Aufschlüsse über die Gabelteilung des Orinoco; die Schnelligkeit aber, womit Aguirre zur Insel Margarita gelangt war, hatte lange Zeit glauben gemacht, er sei anstatt durch eine der großen Mündungen des Amazonenstroms vielmehr durch eine innere Flußverbindung ans Meer gelangt. Der Jesuit Acuña hat diese Hypothese behauptet, die durch das Ergebnis meiner Nachforschungen in den Schriften der ersten Historiker der conquista keineswegs bestätigt wird. „Wer möchte glauben“, sagt dieser Missionar, „daß Gott einem Tyrannen Siege und die schöne Entdeckung der Mündung des Marañón vergönnt hätte?“ Acuña nimmt an, Aguirre sei auf dem Río de Felipe zum Meer gelangt, und dieser Strom finde sich „in der Entfernung einiger lieues vom Cabo del Norte".

Raleigh hat auf mehreren teils eigenen, teils auf seine Kosten veranstalteten Reisen über eine hydraulische Verbindung zwischen dem Orinoco und dem Amazonenstrom keine Aufschlüsse erhalten; dagegen wurde von seinem Gefährten, dem Leutnant Keymir, welcher aus Schmeichelei (und hauptsächlich in Nachahmung des dem Marañón gegebenen Namens Orellana) den Orinoco unter dem Namen Raleana anführt, der erste unbestimmte Gedanke von Portagen zwischen dem Essequibo, dem Caroní und dem Río Branco oder Parima vorgetragen. Diese Portagen wurden dann von ihm in einen großen Salzwassersee verwandelt, und in dieser Gestalt erscheinen sie auf der 1599 nach Raleighs Berichten gezeichneten Karte. Zwischen dem Orinoco und dem Amazonenstrom wird eine Cordillere dargestellt; und mit Übergehung der wirklich vorhandenen Gabelteilung gibt Hondius eine andere, völlig erdichtete an: Er läßt den Amazonenstrom (durch den Rio Tocantins) sich mit dem Paraná und dem San Francisco verbinden. Diese Verbindung hat sich über ein Jahrhundert auf den Karten erhalten, ebenso eine angebliche Gabelteilung des Río Magdalena, der einen Arm in die Bucht von Maracaibo senden sollte.

Im Jahre 1639 unternahmen die Jesuiten Christóval de Acuña und Andrés de Artedia im Gefolge des Kapitäns Texeira die Reise von Quito nach Gran Pará; sie vernahmen beim Zusammenfluß des Río Negro mit dem Amazonenstrom, „daß der erstere dieser Flüsse, den die Eingeborenen der braunen Farbe und seines sehr hellen Wassers wegen Curiguacura oder Urana nennen, einen Arm dem Río Grande abgibt, welcher sich ins Nordmeer ergießt und dessen Ausmündung von holländischen Niederlassungen umgeben ist". Acuña riet, eine Festung zu erbauen, „nicht am Zusammenfluß des Río Negro mit dem Amazonenstrom, sondern da, wo der Verbindungsarm abzweigt". Er diskutiert, welcher Fluß dieser Río Grande sein möge, und er schließt, er könne gewiß nicht der Orinoco sein, vielleicht aber der Río Dulce oder der Río de Felipe, derselbe, durch welchen Aguirre ans Meer gelangt war. Die letztere Mutmaßung erscheint ihm als die wahrscheinlichste. Man muß bei Angaben solcher Art unterscheiden, was die Reisenden von den Indianern an der Mündung des Río Negro erfahren haben und was sie selbst nach den Hypothesen hinzutaten, welche der damalige Zustand der Geographie ihnen lieferte. Ein vom Río Negro ausgehender Arm soll sich in einen sehr großen Fluß entleeren, welcher in das Nordmeer ausfließt, als einer von rothaarigen Menschen bewohnten Küste; so werden von den Eingeborenen, welche nur weiße Menschen mit schwarzen oder braunen Haaren, Portugiesen oder Spanier, zu sehen gewohnt sind, die Holländer bezeichnet. Nun kennen wir heutzutage vom Zufluß des Río Negro in den Amazonenstrom bis zum Caño Pimichin, durch welchen ich in den ersten dieser Flüsse eintrat, alle nördlichen und südlichen Zuflüsse. Nur ein einziger, der Casiquiare, steht mit einem anderen Fluß in Verbindung; die Quellen des Río Branco sind sehr gründlich auf den neuen Karten des hydrographischen Depots von Brasilien eingezeichnet, und wir wissen, daß dieser Fluß durch keinen See mit dem Caroní, dem Essequibo oder irgendeinem anderen Strom der Küste von Surinam und Cayenne zusammenhängt. Eine hohe Bergkette, die von Pacaraíma, trennt die Quellen des Paraguamusi (Nebenfluß des Caroní) von denen des Río Branco, wie Don Antonio Santos 1775 auf seiner Reise von Angostura nach Gran Pará erkannt hat. Südlich der Kette von Pacaraíma und von Quimiropaca befindet sich eine Portage von drei Tagen zwischen dem Sarauri [Surumu. Anmerkung des Hrsg.] (Arm des Río Branco) und dem Rupunuri [Rupununi. Anmerkung des Hrsg.] (Arm des Essequibo). Diese Portage ist es, welche 1739 der aus Hildesheim gebürtige Wundarzt Nikolaus Hortsmann [Horstmann] zurückgelegt hat, dessen Tagebuch ich in der Hand hatte, auf demselben Weg ist auch Don Francisco José Rodrigues Barata, Oberstleutnant des ersten Linienregiments von Pará, im Jahre 1793 in Geschäften seiner Regierung zweimal vom Amazonenstrom nach Surinam gekommen. Und nochmals, im Februar 1811, haben sich englische und holländische Kolonisten bei der Portage des Rupunuri eingefunden, um sich vom Befehlshaber am Río Negro die Erlaubnis, zum Río Branco überzusetzen, zu verschaffen; nachdem sie ihnen erteilt wurde, sind diese Kolonisten in ihren Booten beim Fort Saõ Joaquím am Río Branco eingetroffen. Wir werden in der Folge nochmals auf diese Landenge oder das zum Teil bergige, zum Teil sumpfige Land zurückkommen, in welches Keymis (Verfasser der Erzählung von Raleighs zweiter Reise) das Dorado und die große Stadt Manoa verlegt, das aber, wie wir jetzt zuverlässig wissen, die Quellen des Caroní, des Rupunuri und des Río Branco, dreier Zuflüsse von drei verschiedenen Flußsystemen – des Orinoco, des Essequibo und des Río Negro oder des Amazonenstroms –, voneinander trennt.

Es ergibt sich aus allem Gesagten, daß die Eingeborenen, von denen Texeira und Acuña Nachrichten über die Vereinigung der zwei großen Flüsse erhielten, sich vielleicht selbst über die Richtung der Gewässer des Casiquiare getäuscht haben oder daß Acuña ihre Angaben irrig gedeutet hat. Die letztere Vermutung ist um so wahrscheinlicher, als ich gleich den spanischen Reisenden einen Dolmetscher hatte und dabei öfters erfahren mußte, wie leicht man sich über die Arme täuscht, welche ein Fluß abgibt oder empfängt, über die Richtung eines Zuflusses, welcher der Sonne folgt oder sich „der Sonne entgegen“ bewegt. Ich zweifle, daß die Indianer in der Unterredung mit Acuña von Verbindungen sprechen wollten, welche mit den holländischen Besitzungen durch die Portagen zwischen dem Río Branco und dem Río Essequibo stattfinden könnten. Die Cariben trafen an den Gestaden des Río Negro auf dem einen und anderen Weg, über die Landenge von Rupunuri und auf dem Casiquiare, ein; aber die Eingeborenen konnten wohl glauben, ein ununterbrochener Zusammenhang der Flüsse müsse die Aufmerksamkeit der Fremden mehr in Anspruch nehmen; und wenn die Mündung des Orinoco genaugenommen nicht in den holländischen Besitzungen gelegen ist, befindet sie sich doch ihnen sehr nahe. Der Aufenthalt Acuñas am Zusammenfluß des Río Negro setzte Europa nicht nur zuerst in Kenntnis von der Verbindung des Amazonenstroms mit dem Orinoco; er hatte auch wohltätige Folgen für die Menschheit. Texeiras Krieger wollen ihren Befehlshaber zwingen, in den Río Negro einzufahren, um Sklaven zu fangen. Die beiden Geistlichen, Acuña und Artedia, protestierten schriftlich gegen diese ungerechte und politisch unkluge Unternehmung. Sie behaupteten zu gleicher Zeit (und dieser Grundsatz klingt etwas seltsam), „das Gewissen könne den Christen nicht erlauben, die Eingeborenen zu Sklaven zu machen, mit Ausnahme derer, die sie als Dolmetscher gebrauchen". Wie immer es sich mit diesem Grundsatz verhalten mag, jedenfalls die edle und mutige Einsprache der beiden Ordensmänner ließ das beabsichtigte Unternehmen scheitern.

Der Geograph Sanson zeichnete 1680 eine Karte des Orinoco und des Amazonenstroms nach dem Reisebericht Acuñas. Sie ist für den Amazonenfluß das, was Gumillas Karte lange Zeit für den unteren Orinoco gewesen ist. In dem nordwärts des Äquators sich ausdehnenden Teil ist sie rein hypothetisch, und sie stellt, wie oben bemerkt worden ist, die Gabelteilung des Caquetá im rechten Winkel dar. Der eine Arm des Caquetá ist der Orinoco, der andere der Río Negro. Hiermit glaubte Sanson auf dieser Karte und auf einer anderen von ganz Südamerika, die 1656 veröffentlicht wurde, die unsicheren Angaben zu vereinigen, welche Acuña 1639 über die Verzweigungen des Caquetá und über die Verbindungen des Amazonenstroms mit dem Orinoco gesammelt hatte. Die irrige Vorstellung, derzufolge der Río Negro aus dem Orinoco hervorgehe oder aus dem Caquetá, von welchem der Orinoco nur ein Arm sei, hat sich bis gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts erhalten, um welche Zeit der Casiquiare entdeckt wurde.

Pater Fritz war mit einem anderen deutschen Jesuiten, dem Pater Richler, nach Quito gekommen; 1690 zeichnete er eine Karte des Amazonenstroms, die beste unter allen, welche man bis zur Reise des Herrn de La Condamine besaß. Diese Karte war der Führer des französischen Akademikers auf seiner Fahrt, wie die alten Karten von La Cruz und Caulin meine Führer auf dem Orinoco gewesen sind. Man könnte es erstaunlich finden, daß der Pater Fritz trotz seines langen Aufenthalts an den Gestaden des Amazonenstroms (der Befehlshaber eines portugiesischen Forts behielt ihn zwei Jahre als Gefangenen) keinerlei Nachrichten vom Casiquiare erhalten habe. Die historischen Aufschlüsse, welche er am Rand seiner Manuskriptkarte notiert hat und die ich jüngst sorgfältig geprüft habe, sind sehr unvollkommen und wenig zahlreich. Er läßt eine Bergkette zwischen beiden Flußsystemen hindurchgehen und begnügt sich, einen der Arme, aus welchen der Río Negro gebildet wird, einem Zufluß des Orinoco zu nähern, der seiner Lage nach der Río Caura zu sein scheint. Alles blieb ungewiß während der hundert Jahre, die zwischen Acuñas Reise und der Entdeckung des Casiquiare durch den Pater Roman liegen.

Die Verzweigung des Orinoco mit dem Amazonenstrom durch den Río Negro und eine Gabelteilung des Caquetá, die Sanson erfand, der Pater Fritz aber und Blaeu verworfen hatten, kamen auf den ersten Karten von Delisle wieder zum Vorschein; jedoch hat am Ende seines Lebens dieser berühmte Geograph darauf erneut verzichtet. Weil man sich über die Art der Verbindung getäuscht hatte, glaubte man sie nunmehr ganz leugnen zu sollen. In der Tat ist bemerkenswert, daß zur Zeit, als die Portugiesen am häufigsten den Amazonenstrom, den Río Negro und den Casiquiare hinaufgefahren sind und als die Briefe des Pater Gumilla (mittels der natürlichen Verzweigungen der Flüsse) vom unteren Orinoco nach Gran Pará gelangten, dieser selbe Missionar sich Mühe gab, die Meinung von der vollkommenen Isolierung der Wasserbecken des Orinoco und des Amazonenstroms in Europa zu verbreiten. Er versichert, bei wiederholten Hinauffahrten des ersten dieser Flüsse bis zum Raudal von Tabajé, welcher unter 1° 4′ der Breite liegt, niemals einen Fluß einmünden oder austreten gesehen zu haben, den man für den Río Negro hätte halten können. Überdies, setzt er hinzu, findet sich eine große von Osten nach Westen verlängerte Cordillere, welche, wie sie den Zusammenfluß der Gewässer hindert, auch jede Erörterung über die angebliche Verbindung der zwei Flüsse überflüssig macht. Die Irrtümer des Pater Gumilla gehen aus seiner festen Überzeugung hervor, auf dem Orinoco die Parallele von 1° 4′ erreicht zu haben. Er täuschte sich um mehr als 5° 10′ der Breite; denn da ich in der Mission von Atures, 13 lieues südlich der Rapides von Tabajé, Beobachtungen anstellte, habe ich ihre Breite bei 5° 37′ 54″ gefunden. Weil der Pater Gumilla nur eine kleine Strecke über den Zusammenfluß des Meta hinaufkam, darf man sich nicht wundern, daß ihm die Gabelteilung des Orinoco unbekannt geblieben ist, welche infolge der Krümmungen des Flusses etwa 120 lieues vom Raudal von Tabajé entfernt ist. Dieser Missionar, der sich drei Jahre (und nicht dreißig Jahre, wie durch seine Übersetzer verbreitet wurde) am unteren Orinoco aufhielt, hätte sich beschränken sollen, von dem zu sprechen, was er mit eigenen Augen während der Fahrt auf dem Apure, dem Meta und dem Orinoco, von Guayana Vieja bis zum ersten großen Katarakt, gesehen hat. Die Bewunderung, womit anfänglich sein Werk aufgenommen wurde (das einzige, das über diese Landschaften vor den Werken der Pater Caulin und Gili erschienen war), hat nachher in den spanischen Kolonien einer allzu großen Verachtung Platz gemacht. Zwar ermangelt der ›Orinoco ilustrado‹ der vertrauten Kenntnis der Örtlichkeiten und der einfachen Offenheit, die den Berichten der Missionare einen gewissen Reiz verliehen. Es herrscht darin eine gekünstelte Schreibweise und eine andauernde Tendenz zu Übertreibungen; trotz dieser Mängel aber enthält das Buch des Pater Gumilla sehr richtige Ansichten über Sitten und natürliche Anlagen der verschiedenen Völkerschaften vom unteren Orinoco sowohl wie von den Llanos von Casanare.

Herr de La Condamine hatte während seiner denkwürdigen Fahrt auf dem Amazonenstrom 1743 mit viel Sorgfalt zahlreiche Beweise dieser Flußverbindungen gesammelt, die der spanische Jesuit geleugnet hatte. Den entscheidendsten dieser Beweise schien ihm damals das unzweideutige Zeugnis einer Cauriacani-Indianerin zu liefern, mit der er gesprochen hatte und die von den Ufern des Orinoco (aus der Mission von Pararuma) in einem Boot nach Gran Pará gekommen war. Ehe noch Herr de La Condamine in sein Vaterland zurückkehrte, war durch die Reise des Pater Manuel Roman und durch zufälliges Zusammentreffen der Missionare des Orinoco und des Amazonenstromes die Tatsache unzweifelhaft geworden, von welcher Acuña zuerst Kenntnis gehabt hatte.

Die seit Mitte des 17. Jahrhunderts zur Sklavenjagd unternommenen Streifzüge hatten die Portugiesen allmählich vom Río Negro durch den Casiquiare in das Bett eines großen Flusses geführt, von dem sie nicht wußten, daß es der Orinoco war. Ein aus der tropa derescate [Loskauftruppe] bestehendes fliegendes Lager begünstigte diesen unmenschlichen Handel. Nachdem man die Eingeborenen aufgehetzt hatte, sich untereinander zu bekriegen, wurden die Gefangenen losgekauft, und um dem Handel einen Anschein von Rechtmäßigkeit zu geben, wurde die Loskauftruppe von Ordensmännern begleitet, welche untersuchen sollten, „ob die, welche die Sklaven verkauften, dazu berechtigt seien, da sie ihre Gefangenen in offenem Kriege gemacht haben". Seit 1737 wurden diese Reisen der Portugiesen nach dem oberen Orinoco häufiger. Die Begierde, Sklaven (poitos) gegen Beile, Fischangeln und Glaswaren einzutauschen, verleitete die indianischen Stämme zum Krieg gegeneinander. Die Guipunaves waren unter Anführung ihres tapferen und grausamen Häuptlings Macapu von den Ufern des Inirida an den Zusammenfluß des Atabapo und des Orinoco herabgekommen. „Sie verkauften“, sagt der Missionar Gili, „die Gefangenen, welche sie nicht aufaßen.“ Die Jesuiten vom unteren Orinoco wurden über diesen Stand der Dinge unruhig, und der Vorsteher der spanischen Missionen, Pater Roman, Gumillas vertrauter Freund, faßte den kühnen Entschluß, über die Großen Katarakte hinaus ohne Begleitung spanischer Soldaten die Guipunaves zu besuchen. Am 4. Februar 1744 reiste er von Carichana ab; als er an den Zusammenfluß des Guaviare, des Atabapo und des Orinoco gelangt war, da, wo der letztere seinen bisherigen Lauf von Osten nach Westen plötzlich von Süden nach Norden wendet, erblickte er von ferne eine Piroge, die seiner eigenen an Größe glich und mit europäisch gekleideten Menschen bemannt war. Als Friedenszeichen und der Sitte der Missionare gemäß, wenn sie durch ein ihnen unbekanntes Land reisen, ließ er das Kreuz am Bug seines Fahrzeugs befestigen. Die Weißen (es waren Portugiesen, Sklavenhändler vom Río Negro) erkannten unter Freudenäußerungen die Kleidung des St.-Ignatius-Ordens [Jesuiten]. Nicht ohne Erstaunen vernahmen sie, daß der Fluß, worauf ihr Zusammentreffen stattfand, der Orinoco sei, und sie führten den Pater Roman auf dem Casiquiare nach den brasilianischen Niederlassungen am Río Negro zurück. Der Vorsteher der spanischen Missionen sah sich gezwungen, in der Nähe des fliegenden Lagers der Loskauftruppe zu verweilen bis zur Ankunft des portugiesischen Jesuiten Avogadri, welcher in Geschäften nach Gran Pará gereist war. Auf demselben Weg, durch den Casiquiare und den oberen Orinoco, kehrte der Pater Manuel Roman mit seinen Salivas-Indianern nach einer siebenmonatigen Abwesenheit nach Pararuma, ein wenig nordwärts von Carichana, zurück. Er ist der erste Weiße, welcher vom Río Negro mithin vom Becken des Amazonenstroms (ohne seine Kanus mit einer Portage befördern zu lassen) in das Becken des unteren Orinoco gelangt war.

Die Kunde dieser außerordentlichen Reise verbreitete sich mit solcher Schnelligkeit, daß Herr de La Condamine sie in einer öffentlichen Sitzung der Akademie, sieben Monate nach der Rückkehr des Pater Roman zu Pararuma, bekanntgeben konnte. „Die neuerlich bestätigte Verbindung des Orinoco und des Amazonenstroms“, so drückte er sich aus, „kann um so mehr als eine geographische Entdeckung gelten, als alle neueren Geographen sie übereinstimmend auf ihren Karten weggelassen hatten, obgleich die Verbindung dieser zwei Flüsse auf den alten Karten (nach Acuñas Angaben) angezeigt ist. Es geschieht nicht zum ersten Mal, daß für märchenhaft gehalten wurde, was vollkommen richtig war, daß die Kritik zu weit ging und daß diese Vereinigung von denen als chimärisch erklärt wurde, die am besten hätten unterrichtet sein sollen.“ Seit der Reise des Pater Roman 1744 hat sowohl im spanischen Guayana wie an den Küsten von Cumaná und Caracas niemand mehr das Dasein des Casiquiare und die Gabelteilung des Orinoco bezweifelt. Selbst der Pater Gumilla, welchen Bouguer in Cartagena de las Indias [Columbien] angetroffen hat, gestand seinen Irrtum ein; und er hat kurz vor seinem Tod dem Pater Gili den für eine neue Ausgabe seiner Geschichte des Orinoco bestimmten Nachtrag vorgelesen, worin die Art, wie er über seinen Irrtum belehrt worden sei, auf eine lustige Weise erzählt wird. Die Grenzexpedition von Ituriaga und Solano hat vollends die Geographie des oberen Orinoco und die Verzweigung dieses Flusses mit dem Río Negro ausführlich aufgehellt. Solano hatte sich 1756 bei der Einmündung des Atabapo angesiedelt; und von dieser Zeit an sind spanische und portugiesische Kommissare mit ihren Pirogen öfters durch den Casiquiare aus dem unteren Orinoco in den Río Negro gelangt, um sich in ihren Hauptquartieren von Cabruta und Mariva Besuche abzustatten. Seit 1767 sind alljährlich zwei bis drei Pirogen vom Fortín San Carlos durch die Gabelteilung des Orinoco nach Angostura gekommen, um das benötigte Salz und den Sold für die Besatzung zu holen. Diese Reisen aus einem Flußbett ins andere durch den natürlichen Kanal des Casiquiare sind gegenwärtig den Kolonisten ebensowenig auffallend wie den Bewohnern der Seine die Ankunft von Schiffen, welche durch den Kanal von Orléans die Loire hinabfahren.

Obgleich man in den spanischen Besitzungen von Amerika seit der Reise des Pater Roman 1744 vom Lauf des oberen Orinoco von Osten nach Westen und von der Natur seiner Verbindung mit dem Río Negro genau unterrichtet war, ist doch die Kenntnis dieser Verhältnisse erst viel später nach Europa gelangt. La Condamine und d’Anville haben noch 1750 angenommen, der Orinoco sei ein von Südosten kommender Arm des Caquetá und der Río Negro entspringe unmittelbar aus ihm. Erst in einer zweiten Ausgabe seines ›Amerique méridionale‹ läßt d’Anville, ohne jedoch auf eine Verzweigung des Caquetá durch den Iniricha (Inírida) mit dem Orinoco und dem Río Negro zu verzichten, den Orinoco östlich, in der Nähe der Quellen des Río Branco entspringen und den Río Casiquiare die Gewässer des oberen Orinoco dem Río Negro zuführen. Wahrscheinlich hatte dieser unermüdliche Gelehrte sich Aufschlüsse über die Art der Gabelteilung von den Missionaren verschafft, welche damals, wie sie dies noch heute sind, die einzigen Geographen der innersten Teile des Kontinents waren. Sein Irrtum betrug 3½° der Breite hinsichtlich des Zusammenflusses des Casiquiare mit dem Río Negro, dagegen lieferte er bereits eine ziemlich genaue Angabe über die Lage des Atabapo und der waldigen Landenge, durch welche ich von Javita an die Gestade des Río Negro gelangt war. Die Karten von La Cruz Cano y Olmedilla und von Surville, die in den Jahren 1775 und 1778 ausgegeben wurden, haben neben dem Werk des Pater Caulin die Arbeiten der Grenzexpedition am richtigsten bekanntgemacht: Denn die darin vorkommenden zahlreichen Widersprüche beziehen sich auf die Quellen des Orinoco und des Río Branco, nicht aber auf den Lauf des Casiquiare und des Río Negro, welche so gut von ihnen bezeichnet werden, wie bei gänzlicher Ermangelung astronomischer Beobachtungen verlangt werden kann.

In dieser Lage befanden sich die hydrographischen Entdeckungen im Inneren von Guayana, als kurze Zeit vor meiner Abreise aus Europa ein Gelehrter, dessen Arbeiten die Fortschritte der Erdbeschreibung wesentlich befördert haben, die Angaben Acuñas, die Karte des Pater Samuel Fritz und La Cruz Olmedillas ›América meridional‹ einer neuen Prüfung zu unterwerfen für nötig achtete. Frankreichs politischer Zustand hatte vielleicht den Herrn Buache gehindert, die Werke der beiden Missionare Caulin und Gili zu erhalten und zu vergleichen, deren Verfasser an den Gestaden des Orinoco weilten, als die Grenzexpedition die Verbindungen eröffnete, welche ein halbes Jahrhundert lang durch den Casiquiare und den oberen Orinoco zwischen dem spanischen Fortín des Río Negro und der Stadt Angostura regelmäßig fortgesetzt wurden. Die 1798 bekanntgemachte ›Carte générale de la Guayane‹ stellt den Casiquiare und den ostwärts von Esmeralda gelegenen Teil des oberen Orinoco als einen dem Río Negro zufließenden und mit dem Orinoco nicht zusammenhängenden Strom dar. Sie läßt eine Bergkette durch die Ebene ziehen, welche die Landenge zwischen dem Tuamini und dem Pimichín bildet. Diese Kette soll nordöstliche Richtung haben und einen Teilungspunkt zwischen den Gewässern des Orinoco und denjenigen des Río Negro und des Casiquiare, 20 lieues westlich von Esmeralda, bilden. In einer der Karte beigefügten Note heißt es, die seit langem geglaubte Verbindung zwischen dem Orinoco und dem Amazonenstrom sei eine geographische Ungeheuerlichkeit [une monstruosité géographique], welche durch die Karte von La Cruz grundlos vervielfältigt worden sei, und um diese Vorstellungen zu berichtigen, sei es erforderlich, die Richtung der großen Kette, welche die Wasserscheide bilde, zu erforschen.

Ich war so glücklich, diese Bergkette an Ort und Stelle untersuchen zu können. In der Nacht vom 24. Mai [1800] bin ich mit meiner Piroge durch den Teil des Orinoco gefahren, von welchem Herr Buache annimmt, das Flußbett werde von einer Cordillere durchschnitten. Fände sich an dieser Stelle eine Wasserscheide (eine Teilungsstelle), so müßte ich die ersten 20 lieues westwärts von Esmeralda den Fluß hinauffahren, statt ihn, wie ich wirklich getan habe, bei sehr schnellem Fall hinabzufahren. Derselbe Fluß, welcher östlich von dieser Mission entspringt und einen Arm (den Casiquiare) dem Río Negro abgibt, setzt seinen Lauf ununterbrochen gegen Santa Bárbara und San Fernando de Atabapo fort. Dies ist der Teil des oberen Orinoco, der in der Richtung von Südosten nach Nordwesten läuft und von den Indianern Río Paragua genannt wird. Nachdem er seine Gewässer mit denen des Guaviare und des Atabapo vermischt hat, wendet derselbe Strom sich nordwärts, um die großen Katarakte zu überschreiten. All diese Umstände sind im allgemeinen auf der großen Karte von La Cruz richtig angegeben; Herr Buache vermutete aber wahrscheinlich, auf den verschiedenen zu Wasser vom Amazonenstrom zum Orinoco unternommenen Reisen seien die Boote mittels einer Portage (arrastradero) vom einen Fluß zum anderen gebracht worden. Dieser achtungswerte Geograph mußte in seiner Meinung, daß die Ströme in der Natur den Lauf nicht besäßen, welchen die neuen spanischen Karten ihnen vorzeichnen, um so mehr bestätigt werden, als eben diese Karten in der Umgebung des Sees Parima (diesem angeblichen Weißen Meer von 600 Quadratlieues) die seltsamsten und unwahrscheinlichsten Flußverzweigungen darstellen. Es ließe sich auf den Orinoco anwenden, was der Pater Acuña vom Amazonenstrom, dessen Wunder er beschrieben hat, sagt: „Nacieron hermanadas en las cosas grandes la novedad y el descrédito [in großen Dingen (bei außerordentlichen Naturerscheinungen) erregt die Neuheit stets Mißtrauen].“

Hätten die Völker der niederen Region des äquinoktialen Amerika an der in der kalten und alpinen Region verbreiteten Zivilisation teilgehabt, würde dieses ungeheure Mesopotamien zwischen dem Orinoco und dem Amazonenstrom die Entwicklung ihres Gewerbefleißes begünstigt, ihren Handel belebt und die Fortschritte der Staatseinrichtungen befördert haben. Wir erblicken überall in der Alten Welt einen solchen Einfluß der Örtlichkeiten auf die Kulturentwicklung der Völker. Die Insel Meroë zwischen dem Astaboras und dem Nil, der Pandjab am Indus, die Duabs des Ganges und Mesopotamien am Euphrat liefern berühmte und überzeugende Beweise hiervon in den Annalen des Menschengeschlechts. Doch die schwachen Stämme, welche in den Savannen und Wäldern des östlichen Amerika umherziehen, haben aus den Vorteilen ihres Bodens und aus den Verzweigungen ihrer Flüsse nur wenig Nutzen gezogen. Die Überfälle der Cariben, welche aus entfernten Gegenden den Orinoco, den Casiquiare und den Río Negro heraufkamen, um Sklaven zu entführen und zu rauben, zwangen einige dieser verwilderten Völker, aus ihrer Trägheit zu erwachen und für ihre gemeinsame Verteidigung Verbindungen einzugehen; inzwischen war das wenige Gute, das diese Kriege mit den Cariben (den Beduinen der Ströme von Guayana) erzeugt haben, nur ein schlechter Ersatz für die Nachteile, welche aus noch größerer Sittenverwilderung und verminderter Bevölkerung hervorgingen. Wir können nicht zweifeln, daß Griechenlands natürliche Beschaffenheit, seine durch Hügel und Berge wie durch Buchten des Mittelmeers unterbrochene Landschaft in der Morgenröte der Zivilisation zur geistigen Entwicklung der Hellenen nicht mitgewirkt haben. Aber dieser Einfluß des Klimas und der Konfiguration des Bodens entfaltet seine Macht nur da, wo Menschenrassen, die mit glücklichen moralischen Anlagen begabt sind, einen gewissen äußeren Anstoß erhalten. Wir erblicken beim Studium der Geschichte unseres Geschlechts von Zeit zu Zeit auf dem Erdball, gleich leuchtenden Punkten verstreut, diese Zentren antiker Zivilisation; man ist betroffen über diese Ungleichheit der Kultur unter Völkern, welche ähnliche Klimate bewohnen und deren heimatlicher Boden gleichmäßig mit den köstlichsten Gaben der Natur begünstigt scheint.

Seit ich die Gestade des Orinoco und des Amazonenstroms verlassen habe, hat eine neue Zeitrechnung für die Völker des Westens begonnen. Den Sturmgewittern bürgerlicher Zwiste werden die Segnungen des Friedens und eine freiere Entwicklung gewerbfleißiger Künste folgen. Diese Gabelteilung des Orinoco, diese Landenge des Tuamini, welche ein künstlicher Kanal so leicht durchschneiden kann, werden die Blicke des handeltreibenden Europa auf sich ziehen. Der Casiquiare, an Breite dem Rhein gleich und 180 Meilen lang, wird künftig nicht unbenutzt bleiben, sondern eine schiffbare Straße zwischen zwei Strombetten bilden, die eine Oberfläche von 190.000 Quadratlieues darstellen. Das Getreide Neu-Granadas wird den Ufern des Río Negro zugeführt werden; von den Quellen des Napo und des Ucayali, aus den Anden von Quito und dem Oberland von Peru wird man zu Wasser nach den Mündungen des Orinoco reisen, in einer Entfernung, welche der von Timbuktu nach Marseille gleicht. Ein Land, neun- bis zehnmal größer als Spanien und durch die mannigfaltigsten Naturerzeugnisse bereichert, ist durch den natürlichen Kanal des Casiquiare und die Gabelteilung der Flüsse in allen Richtungen schiffbar. Eine Erscheinung, welche einst für die staatlichen Beziehungen der Völker höchst wichtig sein wird, verdiente zweifellos auch sorgfältig geprüft zu werden.

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