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Skeptizismus, Skepsis, Skeptiker

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Wenn wir heute jemanden als ‚Skeptiker‘ oder ‚skeptisch‘ bezeichnen, machen wir ihm damit in der Regel kein Kompliment. Im Gegenteil, wir empfinden den anderen eigentlich als zu kritisch, vielleicht betrachten wir ihn sogar als Spielverderber. Wir haben z.B. selbst einen festumrissenen Standpunkt zu einer bestimmten Frage – sagen wir einmal zu der günstigen Wettervorhersage für morgen – aber unser Gegenüber stellt diesen Standpunkt in Frage. Dennoch glauben wir, gute Argumente zu haben. Wir haben schließlich brav den Wetterbericht im Fernsehen angeschaut und unser Wissen überdies noch durch bestätigende Berichte aus der Zeitung ergänzt. Darüber hinaus ist es wichtig, dass unser Standpunkt stimmt, denn wir fahren morgen in Urlaub. Und da ist uns schönes Wetter natürlich äußerst willkommen. Kurzum: Was redet unser Gegenüber da doch für einen Unsinn?

Vielleicht wittert der Leser nach der Lektüre dieser Zeilen aber trotzdem Unrat – bzw. Regen – und zwar aus zwei Gründen: So wissen wir erstens aus Erfahrung, dass Wetterberichte sich durchaus manchmal täuschen können – und zwar sowohl die in der Zeitung als auch die im Fernsehen. Meteorologen können leicht etwas übersehen; sie sind keineswegs unfehlbar. Zweitens besagt die Tatsache, dass wir etwas gerne möchten, noch lange nicht, dass dies auch eintreffen wird. Letzteres ist nur möglich, wenn wir über magische Kräfte verfügen, in allen anderen Fällen heißt es schlicht und einfach abwarten. Bei genauerer Betrachtung hat die Nervensäge von eben also doch nicht ganz unrecht, auch wenn wir dies nur ungern zugeben: Ihr Skeptizismus ist mit Sicherheit nicht unbegründet. Erst in dem Moment, wo wir zu unserem Ferienort aufbrechen, wissen wir wirklich mehr. Daher müssen wir der Ehrlichkeit halber zugeben, dass ein gewisses Maß an Skeptizismus nicht unredlich ist. Der Skeptiker mag zwar kritisch sein und dadurch unseren Enthusiasmus etwas dämpfen, er kann aber trotzdem recht haben.

Natürlich gibt es Ausnahmen: Es gibt auch solche Menschen, die stets alles und jeden kritisieren. Wahrscheinlich sind dies unzufriedene und eifersüchtige Leute, die in dem Versuch, ihre eigenen sogenannten Beschränkungen zu verbergen, die Aufmerksamkeit auf die vermeintlichen Schattenseiten ihres sozialen Umfelds lenken wollen. Ein solches Handeln könnte man, wenn man sehr höflich ist, zwar als Skeptizismus bezeichnen, aber diese Art von Skeptizismus kommt eher einem beklagenswerten Pessimismus gleich. Hier wird die Skepsis zum Ziel an sich erhoben: Man kritisiert, um zu kritisieren. Von diesem Moment an bekommt das Prädikat ‚Skeptiker‘ zu Recht den negativen Beigeschmack, den es im Volksmund schon hat. Aber das liegt dann eher an den Menschen, die einen solchen Skeptizismus ausüben, als am Skeptizismus als philosophische Strömung.

Mit dieser letztgenannten Form des Skeptizismus beschäftigt sich das vorliegende Buch. Die Skepsis, mit der Weischedel sich auseinandersetzt, geht auf den Skeptizismus zurück, der bei den Philosophen im alten Griechenland entstanden ist. Die ihrem Wesen nach konstruktive Natur des Skeptizismus zeigt sich schon in der Etymologie des Wortes. Das griechische Verb skeptesthai bedeutet nämlich ursprünglich ‚schauen‘, ‚untersuchen‘. Hieran anschließend bedeutet ‚Skepsis‘ dann soviel wie ‚eindringliche Erforschung‘, und ein ‚Skeptiker‘ ist die Person, die etwas erforscht: der Forscher/die Forscherin. Alle diese Bedeutungen sind positiv; sie haben keinerlei Bezug zu einem chronisch jammernden Miesepeter. Dasselbe gilt übrigens für das Wort ‚Zweifel‘, ein Begriff, der im Wesentlichen ein Synonym für Skepsis ist. Im Volksmund spricht man bisweilen von einem ewigen Zweifler, womit ein Mensch gemeint ist, der keine Entscheidungen treffen kann. Das ist also ein negatives Urteil. Nun lautet das lateinische Verb für zweifeln dubitare (französisch: douter; englisch: doubt), hinter dem sich das Wort duo – Zwei – verbirgt, so wie auch das deutsche Wort ‚zweifeln‘ und das dazugehörige Substantiv ‚Zweifler‘ das Wort ‚Zwei‘ enthalten. Man zweifelt zwischen (mindestens) zwei Auffassungen. Man schwankt zwischen zwei Gedanken. Man ist entschlusslos. Aber dieser Zustand muss nicht andauern. Schließlich kann der Knoten einfach durchschlagen werden, wenn die Argumente dies zulassen. Denn jeder muss doch zugeben, dass es viel besser ist, wenn man aufgrund vernünftig erwägter Argumente zu einer Entscheidung kommt, so wie der Philosoph dies tut, als wenn man handelt wie ein Huhn ohne Kopf.

Nachdem wir jetzt den spezifischen Charakter der philosophischen Skepsis etwas besser vor Augen haben – eine Skepsis, die sich bei genauerer Betrachtung als eher konstruktiv denn destruktiv erweist – können wir diesen Begriff noch etwas näher definieren. Man kann nämlich zwei Unterschiede bezüglich des Ausmaßes, in dem gezweifelt wird, ausmachen und diese Unterschiede wiederum in vier Kategorien unterteilen. Zunächst gibt es einen Unterschied in der Reichweite. Diesen erfassen wir mit den Kategorien ‚universeller oder totaler Skeptizismus‘ und ‚partieller Skeptizismus‘. Der universelle oder totale Skeptizismus beruht auf der Vorstellung, dass alle Wissensgebiete für uns unzugänglich sind; der partielle Skeptizismus hingegen beruht auf der Vorstellung, dass uns nur bestimmte Wissensgebiete verborgen bleiben. Weiterhin gibt es einen Unterschied im Grade der Intensität und der Radikalität. Diesen erfassen wir mit den Kategorien ‚absoluter Skeptizismus‘ und ‚relativer Skeptizismus‘. Der absolute Skeptizismus impliziert, dass wahres Wissen absolut (und daher für immer und für jeden) unerreichbar bleibt, während der relative Skeptizismus davon ausgeht, dass ein derartiges Wissen nur in bestimmten Situationen oder zumindest für den Skeptiker selbst unmöglich ist. Schließlich gibt es auch noch Mischformen der vier besprochenen Kategorien.

Ohne allzu ausführlich auf dieses Wirrwarr skeptischer Erscheinungsformen eingehen zu wollen, kann man inzwischen feststellen, dass unser Philosoph Weischedel in dieser Hinsicht eine gemäßigte Position einnimmt. Wie noch zu zeigen sein wird, verteidigt er insbesondere auf den von ihm betretenen philosophischen Gebieten eine relative Form des Skeptizismus, sodass man ihn als partiell-relativen Skeptiker klassifizieren kann. Es würde zu weit gehen, ihn als Vertreter des universellen Skeptizismus einzuordnen, denn dafür hält er zu stark an der auch für ihn unentkommbaren Realität der alltäglichen Wirklichkeit fest. In diesem Sinne ist er also ein echter Realist. Im Gegensatz zu der sogenannten idealistischen Philosophie hat er niemals eine Erkenntnislehre entwickelt, in der bereits unsere einfachsten Beurteilungen der alltäglichen Wirklichkeit – z.B. das tatsächliche Vorhandensein des Stuhls, auf dem Sie gerade sitzen und dieses Buch lesen – angezweifelt werden. Er ist zwar skeptisch, aber dies im Rahmen eines überzeugten Realismus. Er zweifelt nur dann, wenn die Wirklichkeit ihn dazu zwingt; er zweifelt niemals um des Zweifelns willen. Trotzdem wird sich herausstellen, dass eine derartige realistische Skepsis noch immer kritisch genug ist, um so manche alte Zöpfe abzuschneiden.

Wilhelm Weischedels skeptische Philosophie

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