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Dionysius Exiguus: Zählung nach Christi Geburt
ОглавлениеBegeben wir uns nun einige Jahrhunderte weiter – in die christliche Spätantike. Der aus Skythien stammende Astronom und Kirchenrechtler Dionysius Exiguus, der für seinen Papst auch Übersetzungen griechischer Werke fertigte, gilt als der Urheber unserer bis heute gültigen Jahreszählung. Auch wenn die Schriften des Dionysius später vielfach bearbeitet und modifiziert wurden, so erschien doch ihre Grundlage bislang als gesichert. Dionysius' Todesjahr wird, bezogen auf seine eigenen Berechnungen, mit 543 AD angegeben.
Wegen des umstrittenen Ostertermins im Jahre '526' wandte sich Dionysius dem Thema Osterrechnung zu. In seiner Schrift, dem Liber de Paschate3 verwarf er die von ihm selbst zunächst noch benutzte Jahreszählung nach Diokletian, da dieser Kaiser als grimmiger Christenverfolger einer solchen Ehre nicht würdig sei. Statt dessen schlug er eine Jahreszählung nach Christi Geburt vor. Hierzu gab er (sinngemäß) die folgende Berechnung1 an:
Willst du das Jahr seit der Fleischwerdung des Herren wissen, errechne die Anzahl der Jahre der [vollendeten 2] Zyklen; zähle 12 hinzu und füge noch die Indiktion des Jahres an.
Seltsam. Über das Jahr 313 u.Z. als Beginn der Indiktionszyklen herrscht weitgehend Einigkeit. Von einem zyklischen System konnte natürlich erst die Rede sein, nachdem der erste Zyklus bereits abgeschlossen war. Erste Anfänge dieser Methode der Steuererhebung im Osten des Reichs wurden folglich auf den 1. September 297 u.Z.3 datiert. Die Inkarnationsjahre (AD) lägen demnach also um 297 Jahre später als nach unserer gebräuchlichen Jahreszählung!4
Aber warum rechnete Dionys überhaupt so kompliziert? 'Indiktionszyklen mal 15 minus 3' hätte doch auch als Bezug ausgereicht. Allerdings wäre dann der Widerspruch zur Zeit der allerersten Schätzung im Lukasevangelium sofort ins Auge gesprungen.
Wie mag Dionysius überhaupt auf die Idee gekommen sein, das Jahr der Geburt Jesu um drei Jahre früher zu suchen, als bei Lukas angegeben? Als Astronom könnte er sich auf den Bericht des Matthäus bezogen haben, nach dem der Stern von Bethlehem vor den Drei Königen zu eben jener Zeit sichtbar gewesen wäre. Tatsächlich war ja der Komet Halley im Frühjahr 295 u.Z. erschienen.
Ostern wird bekanntlich am ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond gefeiert. Zur Vorausberechnung nutzte man die Tatsache, dass die Mondphasen sich im Jahreslauf alle 19 Jahre wiederholen. Dieser metonische Zyklus beruht darauf, dass 235 synodischen Monaten fast genau 19 Sonnenjahre entsprechen.1 Nach vier metonischen Zyklen, dem sog. kallippischen Zyklus von 76 Jahren, ist auch der Einfluss der Schaltjahre ausgeglichen und der Frühlingsvollmond wiederholt sich damit praktisch taggenau.
Dionysius Exiguus lag, wie er in seinen Schriften erwähnt, eine Tafel vor, für den 13. metonischen 19-Jahreszyklus der Diokletianischen Ära, d. h. für die Jahre 513-531 AD.2 Daraus folgerte er völlig richtig, dass mit dem Jahr 247 nach Diokletian (531 AD) 13 metonische Zyklen innerhalb dieser Ära vergangen waren. Aus anderen Schriften entnahm er, dass zwischen dem Beginn der Ära Diokletians und dem Ende der Herrschaft des Königs Herodes fünfzehn weitere metonische Zyklen, also 285 Jahre verflossen wären. Zusammen ergab das genau einen alexandrinischen Zyklus zu 532 Jahren, nach dem Mondlauf, Wochentage und Schaltjahre sich wiederholen. Mit dem Jahr '532' begann demnach ein neuer alexandrinischer Zyklus.1 So wählte er die Inkarnationsära – 'post christum natum' (AD) für seine Vorausberechnung der folgenden fünf metonischen Zyklen bis zum Jahr '626'.
Wie bitte? Herodes wäre, folgt man Dionys, schon im Jahre 'null' d.h. vor Christi Geburt gestorben?2 Wenn nicht, dann müssten doch die von Dionysius errechneten Zyklen3 mit dem Jahr 1 bzw. 533 beginnen!
Aber warum stimmt dann die von Dionysius Exiguus angegebene Ostertafel4 trotzdem mit den astronomisch rückgerechneten Werten so gut überein? Die Antwort ist banal: Weil sie anhand 'unserer' Jahreszählung definiert wurde – und nicht durch die nach 'traditioneller Sicht' seit 'Christi Geburt' vergangenen Jahre!
„Er setzte dann in seiner Ostertabelle das Jahr 247 der Alexandriner gleich mit dem Jahr 532 der Jahre nach der Fleischwerdung des Herrn, nicht mehr und nicht weniger.“ N.A. Bär
Das wäre nun wirklich erstaunlich! Bei der Berechnung des Ostertermins ging es doch um die Fortschreibung des Gedenktages an die Auferstehung Christi. Logischerweise sollte deren Jahr an erster Stelle in der Ostertabelle und damit am Beginn eines 'christlichen' Mondzyklus stehen.1
Tatsächlich war aber das 'Kopfjahr' der alexandrinischen Mondtafel auf das astronomische2 Datum der Tagundnachtgleiche im 4. Jh. u.Z. bezogen3 – und damit auf die Anfangszeit der Indiktion sowie die Lebenszeit Jesu.4 Nur so war überhaupt eine lückenlose Berechnung des Gedenktages der Auferstehung möglich. Und nur wenn der Zyklus mit dem realen Mondlauf übereinstimmte, ließ sich das Passionsjahr errechnen.5
Im Jahr 330 u.Z., 33 Jahre nach dem Beginn der bei Lukas erwähnten allerersten Indiktion, fiel der 'Ostersonntag' auf den 22. März. Die sogenannte Epakte bezeichnet das Mondalter am 22. März. In einem Brief an den Bischof Petronius diskutierte Dionysius die Problematik dieses Datums.1 Dennoch hätte er schließlich eine Ostertafel erstellt, die offenbar keinerlei Bezug zu den christlichen Überlieferungen aufwies?2
Der 22. März wäre auch der gewiesene Bezug für die Berechnung des Wochentags mit Hilfe des Konkurrenten3 gewesen. Dionys wählte, wie seine Rechnung bei traditioneller Einordnung zu implizieren scheint, jedoch den 24. März als Referenz.1 Zwei Tage Abweichung bestehen auch zwischen Ostertagen im Abstand von 304 Jahren. Durch eine solche Verschiebung ließ sich folglich die Ostertafel um 4 kallippische Zyklen in die Vergangenheit verlängern, während die Festtage der Gegenwart unverändert blieben.
Dionysius Exiguus, der uns offenbar den wahren Abstand zwischen seiner Lebenszeit und der von Diokletian sowie Jesus nennt, hätte demnach eine Ostertafel ohne Bezug zur christlichen Heilsgeschichte erstellt. Aber warum wählte er gerade diese? Weil sie mit dem Kalender überein stimmt – zu seiner Lebenszeit und damit auch nach unserer Zeitrechnung!2 Die behauptete Abweichung der Indiktion unterstellt allerdings dem Evangelisten Lukas einen dreist erlogenen Bericht zur Christgeburt: Der heilige Joseph aus Galiläa hätte ohne den römischen Fiskus ja gar keinen Anlass gehabt, sich nach Bethlehem aufzumachen. Und auch der von Dionysius genannte Beginn des Indiktionen widerspricht dem Kenntnisstand der Historiker.
Die Argumente des Dionysius Exiguus:
Fassen wir noch einmal die wichtigsten Aussagen zusammen: Den uns überlieferten Abschriften zufolge berechnete er die Inkarnationsära mit Hilfe des römischen Indiktionszyklus, indem er eine Reihe von Regeln aufstellte und diese an Beispielen für das Jahr 525 AD erläuterte. Die wichtigsten besagen Folgendes:
I. Die Zählung der Inkarnationsjahre startet 3 Jahre vor dem Beginn der Indiktionsrechnung der Römer.
IV. Willkürliche Basis der Konkurrente ist der 24. März. Die Berechnung der Wochentage aus der Jahreszahl liefert damit die tatsächlichen Werte nach u.Z.
V. Die Ostertafel basiert auf dem Inkarnationsjahr '532' als Beginn des Metonzyklus der alexandrinischen Mondtafel1, was einem Startjahr '0' entspricht. Herodes wäre demnach vor Jesu Geburt verstorben.
Dass unsere Jahreszählung dennoch korrekt erscheint, braucht nicht zu überraschen. Durch seine willkürlichen, dabei zunächst plausiblen, wenngleich eigenartigen Festlegungen stimmen Indiktion und Wochentag nun allerdings 297 Jahre verfrüht überein!2
Lebte Dionysius dagegen 4 kallippische Zyklen später als traditionell angenommen, so sind seine Angaben nachvollziehbar und frei von Widersprüchen:
I* Die Überlieferung des Neuen Testaments beginnt im dritten Jahr vor Beginn der Indiktionszählung, dh. 295 u.Z.
IV* Basis der Konkurrente ist der 22. März, auf den 330 u.Z. (33 Jahre nach Jesu Geburt 297) der Ostersonntag fiel. Die Berechnung der Wochentage zur (AD-) Jahreszahl liefert damit die tatsächlichen Werte.
V* Die Ostertafel basiert auf dem Startjahr 304 u.Z. eines 19-jährigen Mondzyklus, der Anfang des 4. Jh. u.Z. mit dem realen Mondlauf übereinstimmte.
So bleibt schließlich nur die Frage, wann Dionysius, der sich selbst 'Exiguus', dh. der Unbedeutende nannte, tatsächlich gelebt hat – nach unserer Zeitrechnung. Gehen wir davon aus, dass seine Angaben zum Jahr 525 AD und zum Zeitabstand von Diokletian korrekt sind, so entspricht dies den Verhältnissen im Jahr 828 u.Z.1
Tatsächlich liefert seine Tafel jedoch die Termine des Osterfests ab 532 u.Z. Die Nutzer der Tafel mussten folglich annehmen, der Verfasser mit dem eigentümlichen Pseudonym habe sie bereits drei Jahrhunderte früher erstellt.2
Dionysius hatte damit dem Papst, seinem Auftraggeber, eine Ostertafel konstruiert, die in Einklang zu dem stand, was einem Großteil der Christenheit als gesicherte Wahrheit galt. Was bisher nur geglaubt werden konnte, bekam durch Dionys eine überprüfbare, wissenschaftliche Basis!
Damit war allerdings auch jede Möglichkeit verbaut, irgendwann zur ursprünglichen Inkarnationszählung zurückzukehren. Nun konnte man sich nicht mehr mit einem Irrtum herausreden. Das Geburtsjahr Jesu gegen die Indiktionszählung der Römer zu verschieben, war eine vorsätzliche Fälschung, deren Rücknahme den Verlust jeder Glaubwürdigkeit bedeutet hätte. Es gab fortan nur noch eine Möglichkeit, zu einer widerspruchsfreien Jahreszählung zu gelangen: Die alte, allein durch Tradition gestützte Inkarnationszählung musste verschwinden!
Dionys hatte sich abgesichert und die eigentlich nahe liegende direkte Verknüpfung des Geburtsjahres von Jesus mit einer der zu seiner Zeit gängigen Jahreszählungen vermieden. Statt dessen hatte er lediglich angegeben, wie weit dieses in Wahrheit zurück lag. So war völlig auszuschließen, dass irgendwer auf Grund der willkürlichen und widersprüchlichen Verknüpfung der Ostertafel mit den Inkarnationsjahren, welche zudem dem Lukasevangelium widersprach, eine unerwartet um drei Jahrhunderte frühere Heilsgeschichte vermutet haben könnte: Wäre irgendwem die Abweichung der Indiktionen um drei Jahre gegenüber dem Evangelium aufgefallen, so konnte der immerhin annehmen, dass diese auf eine winzige Ungenauigkeit des Kopisten im so gewunden formulierten, scheinbar willkürlichen1 Argumentum I. zurück ginge: Statt 'semper adde XII regulares, fiunt DXXII' hätte dort ursprünglich dann wohl 'semper adde XV regulares, fiunt DXXV' gestanden.
Die große Zahl verdoppelter historischer Personen und Ereignisse legt, wie wir in einem späteren Kapitel noch sehen werden, den Schluss nahe, dass uns große Teile der christlichen Spätantike doppelt überliefert wurden. Einmal nach unserer Zeit und dann ein weiteres Mal, auf Christi Geburt bezogen und dort, wo die Angaben anhand der Osterrechnung synchronisiert wurden, um 304 Jahre (4 kallippische oder 16 metonische Zyklen) vorverlegt. Davon wäre dann auch Dionysius Exiguus selbst betroffen – mitsamt seinem Kaiser Justinian I.1 Auch der wäre also um drei Jahrhunderte zu früh in die Geschichtsschreibung eingeordnet. Dionys wäre damit in Wirklichkeit ein Zeitgenosse des Kaisers Theophilos.2
Nun verschiebt sich, wie wir erfahren haben, der julianische Kalender in drei Jahrhunderten gegenüber dem Jahreslauf um 2-3 Tage und auch die Differenz zum metonischen Zyklus beträgt etwa einen Tag. Sollte dies niemandem aufgefallen sein? Natürlich war es das! Beim Vergleich der überlieferten Osterdaten fand man die zu erwartenden Abweichungen: Lag im Rom der Spätantike das frühestmögliche Datum des astronomischen Frühlingsvollmondes inzwischen auf dem 18. März, so rechnete man in Alexandria und Konstantinopel immer noch mit dem 21. März. Fiel der Termin auf einen Samstag, so wurde das Osterfest in Rom um eine Woche verschoben. Es hätte also Unstimmigkeiten gegeben, aber dieser Osterstreit3 war irgendwann beendet worden.