Читать книгу Der ungeliebte Mann - Ханс Фаллада - Страница 10
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ОглавлениеErich Mutzbach, ein junger, lediger Mann von immerhin schon neunundzwanzig Jahren, war der einzige Einwohner des Städtchens Berga, der sich eines möblierten Zimmers mit separatem Eingang rühmen durfte. Kamen Bergas Bürger auf diesen Umstand zu sprechen, so sagten sie entweder tadelnd oder schmunzelnd: »Da ist Witwe Timms Zimmer wenigstens an den Rechten gekommen! Einrosten läßt der die Tür bestimmt nicht!«
Aber da von seinen vielen Mädelgeschichten nie etwas über den gegen die Alten verschworenen Kreis der Jugend hinausdrang, lächelten auch die Frauen nur und sagten: »Jugend will sich eben austoben! Es wird schon so schlimm nicht sein mit dem Herrn Mutzbach, man muß auch nicht alles glauben, was die Leute reden! Er sieht doch immer so adrett angezogen aus und hat diese frische Gesichtsfarbe – nein, liederliche Männer, dafür haben wir andere Beispiele hier in Berga!«
Ilse Voß war nicht mehr ganz so überzeugt von der Solidität des Erich Mutzbach, aber immerhin galt ihr erster Weg in Berga ihm. Sie kannte den separaten Eingang, so stieg sie über den Kirchberg, sah sich einen Augenblick auf dem fast dunklen Kirchplatz um und stieß dann rasch die Lattentür zum Gemüsegarten der Witwe Timm auf. Sie ging zwischen den Johannisbeerbüschen durch – gottlob brannte hinter seinen Fenstern Licht, meistens war er abends unterwegs – und klopfte leise gegen die Hintertür des Hauses.
Sie mußte aber noch ein paarmal und sehr viel lauter klopfen, ehe es sich in Erichs Stube rührte. Dann ging auch nicht die Tür, sondern ein Fenster auf, Erichs dunkler Kopf erschien, und recht mürrisch fragte er: »Was ist denn nun noch los?! Ich gehe ins Bett!«
»Ich bin’s, die Itta!« sagte Ilse leise.
»Aber da staunt man doch!« rief Erich Mutzbach, etwas belebter, aber nicht sehr. »Wahrhaftig, die Itta! Mit dir haben wir ja lange nicht die Ehre gehabt, mein Mädchen! – Am Sonntag war mir’s so, als hätte ich dich mit dem langen Laban von Raiffeisen beim Zuckerbäcker tanzen gesehen, aber wer natürlich keine Augen für mich hatte, das war Itta, die Treulose!«
»Du hättest schon einen Tanz von mir haben können, wenn du nur Augen für mich gehabt hättest, Erich«, sagte Itta wiederum sehr leise. »Aber das ist jetzt egal – wir haben uns beide nichts vorzuwerfen! – Erich, ich hätte dich gerne einen Augenblick gesprochen – mach mir bitte die Tür auf!«
»Muß das denn mitten in der Nacht sein?!« klagte er. »Wirklich, Itta, ich bin todmüde, und ich habe einen rasenden Kopfschmerz. Die ganze letzte Nacht habe ich durchgebummelt – das heißt, wir haben in der Bahnhofswirtschaft Skat gedroschen …
Ich verspreche dir heilig, ich komme morgen in der Mittagspause zu dir nach Lenzen hinaus – wenn es wirklich so dringend ist …«
»Es ist so dringend, Erich, daß es unbedingt jetzt sein muß!« forderte Ilse entschlossen. »Deine heiligen Versprechen kenn ich, ich würde morgen mittag umsonst auf dich warten!«
»Ich gebe dir mein großes Ehrenwort, Itta …«
»Auch deine Ehrenwörter kenn ich – bei Mädchen hältst du sie bestimmt nicht. Vielleicht bei Männern, ich weiß das nicht …«
»Also kurz und gut, Itta, ich will jetzt ins Bett und bin nicht mehr zu sprechen!«
Mit diesen recht giftig gesprochenen Worten machte sich Erich Mutzbach daran, das Fenster zu schließen. Doch da stand Ilse Voß schon auf einer Spalierlatte, lehnte einen Arm auf die Fensterbrüstung und faßte mit dem anderen nach seiner Hand.
»Du wirst jetzt mit mir sprechen, Erich!« flüsterte sie drohend. »Oder ich mache Krach, ich schlage dir die Scheiben ein!«
Seine Hände legten sich gegen ihre Schultern. Einen Augenblick sah es so aus, als wollte er sie von der Spalierlatte hinunter in den Garten drücken (was ihm wenig genutzt hätte, denn Ilse war fest entschlossen zu tun, womit sie ihm gedroht hatte) – dann glitten seine Hände von den Schultern ab und legten sich auf ihre Brust.
»Itta!« sagte er fast schmeichelnd. »Itta! Immer noch mit dem Kopf durch die Wand, immer noch das alte Temperament?! Nun, wenn es so dringend ist, bin ich natürlich sofort bei dir!«
Es dauerte lange, bis die Haustür in den Garten sich öffnete, es dauerte so lange, daß Ilse schon fest entschlossen war, wieder auf das Spalier zu klettern und gegen die Scheiben zu klopfen. Aber dann kam er. Er hatte sich, trotz der Dunkelheit erkannte es Ilse, seinen blauweiß gestreiften Bademantel übergezogen, also war er wohl schon ausgezogen gewesen. Ihre Lippen schlossen sich fest, und das Kinn schob sie vor – oh, sie hatte eine Wut auf ihn, Wut mit tiefer Verachtung gemischt …
Schweigend sah sie ihm zu, wie er sorgfältig den separaten Eingang hinter sich verschloß. Dann drehte er sich um und rief halblaut: »Itta! Wo bist du denn?«
»Hier!« sagte sie und trat aus den Büschen. »Warum darf ich denn heute nicht auf dein Zimmer?«
»Es ist so stickig drin …«
»Deswegen hältst du die Fenster sorgfältig geschlossen!«
»Und Frau Timm hat nebenan Besuch.«
»Ich bin zehnmal auf deiner Bude gewesen, wenn die Timm Besuch hatte!«
»Itta!« bat er und faßte sie zärtlich um. »Wollen wir uns denn streiten? Sieh mal, es kann so schön sein, das weißt du doch, sei ein bißchen nett zu deinem Erich!«
Sie haßt diese schmeichelnd zärtliche Stimme, sie haßt diese starke Hand, die sich so gewohnt und herrisch um ihren Leib legt! Und doch rieselt wieder etwas durch sie: Süße und Schwäche …
»Ach, Erich!« flüstert sie und lehnt, sie mag es wollen oder nicht, ihren Kopf gegen seine Schulter.
»Na, siehst du, Kleines!« sagt er, völlig befriedigt von seiner Wirkung und seines Sieges schon gewiß. »Warum denn immer gleich so rauhbeinig? Wir kennen uns doch, Itta! – Und nun sag schnell, was du auf dem Herzen hast – ich habe wirklich solche Kopfschmerzen, daß ich mich sofort hinlegen muß!«
Es war vielleicht nicht ganz richtig, Ilse gerade in diesem Augenblick an seine Kopfschmerzen und das so eilige Ins-Bett-Gehen zu erinnern, aber ein großer Kenner der Frauenseele war Erich Mutzbach nie. Er fühlt, wie die hingebende Schwere aus ihr schwindet, wie sich ihr Leib strafft …
Aber dann sagt sie ganz friedlich: »Wir haben doch schöne Tage miteinander gehabt, was, Erich?«
»Stimmt, meine Süße!« sagt Erich fröhlich. Ilse hat nur eine sentimentale Anwandlung; irgendein anderer hat sie sitzenlassen, und nun ist sie zu ihm gekommen, um Erinnerungen zu feiern. Er kennt das. »Und ich denke, wir werden noch viele schöne Stunden haben …«
»Ja«, sagt Ilse. »Aber warum ist es denn eigentlich nicht immer so geblieben mit uns, Erich?«
»Keine Ahnung, meine Schönste! So ist das Leben eben: hin und her, auf und ab. Vielleicht bin ich nicht besonders beständig veranlagt – und du wohl auch nicht, entschuldige schon, Ilse!«
»Ich könnte es mir schon vorstellen, daß wir beide immer zusammenlebten, Erich, du und ich. Es könnte doch wieder schön sein, nicht wahr?«
»Oh Gott, sag doch bloß so was nicht, Itta!« bat er, scherzhaft klagend. »Ich stelle mir das einfach grauenhaft vor, immer zu zweien zusammenzuhocken. Wir stritten uns aus reiner Langeweile schon am ersten Tag!«
»Du hast es dir aber einmal schön vorgestellt, Erich!« sagte Ilse hartnäckig. »Du hast es mir auch versprochen!«
»Ach, Itta, wozu rührst du diese ollen Kamellen auf! Was denkt man sich nicht alles – vorher! Und was verspricht man nicht – vorher!«
»Du hast es aber versprochen! Du gibst es selbst zu. Und Versprechen soll man halten!«
»Aber, Itta!« ruft er, noch immer ganz ahnungslos. »Was redest du heute abend nur alles?! Du denkst doch nicht im Ernst? Nein, das wäre ja lachhaft! Worauf willst du eigentlich hinaus?«
»Darauf, daß du dein Versprechen hältst! Ich will, daß wir heiraten!«
Ilse wird es plötzlich gar nicht schwer, dies auszusprechen und ebenso plötzlich erscheint ihr dieses Verlangen auch völlig gerecht und zweckmäßig.
Er aber ist wie vom Donner gerührt. Er läßt sie brüsk los und fragt mit einer Stimme, die etwas tonlos ist: »Was willst du?«
»Daß wir heiraten!«
Er steht einen Augenblick schweigend, überlegend. Dann fragt er: »Bist du?«
Er wartet. Dann: »Ist es darum?«
Jetzt könnte Ilse lügen. Aber sie mag nicht lügen, es ekelt sie, auf Schwindel ein neues Leben aufzubauen. (Und nebenbei kennt sie ihn zu gut, um nicht zu wissen, daß auch dies ihn nicht umstimmen würde, wenn er nicht will. Er würde bloß neue Ausflüchte machen.)
»Nein, das ist es nicht«, sagt sie darum mit fester Stimme. »Aber ich finde, für uns beide ist es Zeit, mit diesem Leben aufzuhören. Wir könnten einander gut helfen und ein schöneres Leben führen …«
Er hat aufgeatmet, als er hörte, seine ersten Befürchtungen trafen nicht zu. Nun aber sagt er ziemlich empört: »Erlaube mal, ich führe kein Luderleben, ich genieße mein Leben, wie es mir Spaß macht. Wenn du einen Kater hast, ist das noch lange kein Grund für mich, dich zu heiraten!«
»Du hast es mir aber versprochen!«
»Ach, sei doch endlich still von diesem albernen Versprechen! Ein Mann kann einem Mädchen tausend Dinge versprechen und braucht sie nicht zu halten. Das ist in der Liebe wie im Kriege. Jede List gilt.«
»Du willst mich also unter keinen Umständen heiraten?«
»Ich glaube, das habe ich dir schon ziemlich deutlich gesagt, meine Gute!«
Eine Weile schweigt Ilse. Dann fragt sie halblaut: »Ist es wegen der, die du jetzt auf deiner Stube hast, Erich?«
»Ich habe niemanden auf meiner Stube! Ich will vorläufig überhaupt nicht heiraten!« schreit er wütend, dämpft aber angstvoll schon während des Schreiens seine Stimme.
»Ist es die mit den Pferdezähnen, die Lisa vom Bürgermeister, die du bei dir hast?« fragt sie hartnäckig.
»Ich sage dir doch: Ich habe niemanden oben, mein Ehrenwort!«
»Dein Ehrenwort! In der Liebe ist jede List und jedes Ehrenwort erlaubt, nicht wahr?«
»Ich habe niemanden oben!« Dann: »Und überhaupt, Ilse, das ist doch alles Unsinn! Wovon sollen wir denn heiraten? Du hast nichts, ich habe nichts …«
»Du hast ein sehr gutes Gehalt …«
»Erlaube mal! Du glaubst wohl auch, was sich die Bergaer einbilden? Ich habe 250 Mark brutto, das heißt 212 Mark werden mir ausbezahlt …«
Sein Ton ist so empört, daß sie ihm diesesmal wirklich glaubt. Aber: »Von 212 Mark müssen Zehntausende von Familien leben, 212 Mark sind gar kein schlechtes Einkommen, Erich!«
»Und die Schulden, die ich habe, die rechnest du wohl gar nicht, Ilse? An den Schulden habe ich schon als Junggeselle schwer genug zu kauen …«
»Ach, die paar Schulden in den Wirtschaften und beim Tabakhändler«, sagt Ilse verächtlich, »die haben wir schnell abbezahlt. Du hast ja keine Ahnung, wie gut ich sparen kann. Sparen, das habe ich gelernt …«
»Aber die Schulden meine ich ja gar nicht!« ruft er. Er freut sich, es ihr jetzt gründlich geben zu können. »All die Sachen, die ich auf Abzahlung gekauft habe, die sind es doch, die mich immer tiefer reinreißen! Jolle und Motorrad und Radio, sogar meine Anzüge gehen auf Raten! Wenn ich Ultimo mein Gehalt kriege, schicke ich 180 Mark Raten weg. Dann bleiben mir 32 Mark für den ganzen Monat – und davon willst du heiraten! Du bist ja einfach lächerlich, Itta!«
»Wir könnten uns einschränken, Erich«, sagt sie hartnäckig.
»Von 32 Mark im Monat auch noch einschränken! Du bist ja komisch! Und überhaupt will ich mich gar nicht einschränken! Ich will genau so leben, wie es mir Spaß macht. Ich habe sogar schon« – seine Gier, sie endlich loszuwerden, reißt ihn zur Schwatzhaftigkeit hin – »über 500 Mark aus der Kasse genommen. Da siehst du wohl, daß es mit Heiraten Essig ist!«
Er schweigt, befriedigt, sie erledigt zu haben. Und doch fängt er schon an zu bereuen, was er eben erzählt hat. Diese verdammten Weiber, immer verleiten sie einen zu Unbesonnenheiten!
Nach einer langer Pause sagt Ilse leise: »Wenn ich auch nur 90 Mark im Monat verdiene, so habe ich doch schon über 800 Mark gespart. Mit denen helfe ich dir, Erich, und dann fangen wir zusammen ein ganz neues Leben an. Vielleicht kannst du dich von hier versetzen lassen, wo uns jeder kennt …«
»Das ist furchtbar nett von dir, Itta«, sagt Erich Mutzbach ziemlich lebhaft und tritt ihr wieder einen Schritt näher. »Über diese Geldsache können wir einmal miteinander reden. Ich würde dir einen Schuldschein geben und dir das Geld anständig verzinsen. Sagen wir sieben Prozent, das ist das Doppelte von dem, was dir meine Sparkasse gibt …«
»Ich will aber keine Geldgeschäfte mit dir machen. Ich möchte gerne, daß wir heiraten …«, sagt Ilse und hat doch schon das Gefühl des völlig Hoffnungslosen.
»Aber Itta!« ruft er vorwurfsvoll. »Was ist nur heute in dich gefahren?! Fange doch nicht immer wieder damit an! Du bist ein Durchgänger, und ich bin ein Durchgänger, das kann doch nichts werden …«
»Wir können uns doch ändern, Erich. Ich will mich bestimmt ändern …«
»Du änderst dich auch nie! Jeder bleibt, wie er von Anfang an ist. Das ist so ein Gesetz. Und, Itta«, sagt er hastiger, als er sieht, sie will schon wieder einen Einwurf machen, »ich würde nie ein Mädchen wie dich heiraten, von dem ich positiv weiß, es ist nicht treu …«
Es war ihr, als hätte er ihr einen Schlag ins Gesicht gegeben.
Schließlich fragt sie leise: »Und du?«
»Ach, mit Männern ist das ganz etwas anderes. Männer müssen nicht treu sein, von einem Mann verlangt man das gar nicht. – Und nun, Ittachen«, sagt er und faßt sie zärtlich um, »du hast heute deinen Melancholischen, geh in den Preußischen Adler und trink zwei Schoppen Mosel. Du sollst sehen, wie du gleich anderer Stimmung wirst. Du lachst dann selbst über deine Heiratspläne! Die Itta und eine Ehefrau, das ist doch wirklich komisch!«
Und er versucht zu lachen.
Aber sie lacht nicht mit. »Willst du wirklich, daß ich heute noch in den Preußischen Adler gehe?« fragt sie. Es scheint ihr so seltsam, daß ausgerechnet er sie dorthin schickt – zu dem andern.
»Nun, natürlich! Da ist der Wein am besten, und du sitzt ruhig, und der keusche Joseph, der Fritz Bleesern, wird dir schon nichts tun …«
»Begleit mich doch, Erich, bitte! Dann werde ich gleich anderer Stimmung.«
»Ganz unmöglich, meine Süße! Diese Kopfschmerzen …
Komm her, gib mir noch einen Kuß, Itta! Aber küß mich doch nicht wie ein Fisch, ein wenig Feuer, wenn ich bitten darf, mein Kind! – Das war wieder nichts, nein, du bist heute wirklich nicht in Stimmung. – Und, Ilse, das mit der Sparkasse, das habe ich natürlich nur gesagt, um dich vom Heiraten abzuschrecken.«
Sie schwieg. Er hielt sie umfaßt, aber zum erstenmal stand sie wie ein Pfahl in seinen Armen. Seine Liebkosungen ließen sie ganz kalt.
»Und morgen abend will ich sehen, daß wir zusammenkommen. Ich rufe dich noch draußen an. Eigentlich habe ich eine Verabredung, aber die wird sich schon verlegen lassen. Wir können dann die Geldgeschichte in Ruhe besprechen. Es ist wirklich furchtbar nett von dir, daß du mir das angeboten hast. Ich bringe gleich den Schuldschein mit, und du denkst auch an das Geld …«
»Gute Nacht, Erich. Lebe wohl dann!« sagte sie zu ihm und ging langsam aus seinen Armen. Als sie aber erst durch die Gartenpforte war, lief sie immer schneller, ohne zu sehen. Sie lief durch die Büsche des Kirchbergs, aber nicht nur die Dunkelheit verschleierte ihr den Blick.