Читать книгу Wer einmal aus dem Blechnapf frißt - Ханс Фаллада - Страница 17
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ОглавлениеKufalt kommt immer besonders gerne aus dem Zellengefängnis zu denen ›vorne‹.
Er geht einen halben Schritt vor dem Hauptwachtmeister her, am Glaskasten der Zentrale vorbei. Hier wird es schon ganz anders, hier sind die großen Zellen der Handwerker: der Schuster und Schneider, der Steindrucker und des Bücherwarts. Hier stehen die Zellentüren weit offen und die Handwerker laufen ein und aus, zur Wasserleitung und zum Werkmeister, mit Bügeleisen und mit Lederkupons.
Dann aber kommt die große feste Eisentür.
Der Hauptwachtmeister schließt zweimal, Kufalt tritt durch die Tür und steht auf dem Büroflur. Ein kahler Flur, weiß getünchte Wände, das Linoleum des Bodens fleckenlos spiegelnd, und eine endlose Reihe Türen. Kufalt kennt sie alle: Sprechzimmer, Lehrer, Pastor, zweites Sprechzimmer, zwei Obersekretäre von der Arbeitsinspektion, das Vorzimmer zum Direktor, Direktorzimmer, Oberwachtmeister vom Postdienst. Und auf der anderen Seite wieder zurück: Telephonzentrale, Polizeiinspektor, Arbeitsinspektor, Ökonomieinspektor, Kasse, Kasseninspektor, Arzt, Jugendfürsorger, Konferenzzimmer, Untersuchungsrichter und die Aufnahme.
In fast allen diesen Zimmern ist er gewesen mit Bitten und Gesuchen, um getadelt zu werden, um Schriftstücke zu unterschreiben. Von hier aus ist sein Schicksal geregelt worden, sind Hoffnungen erweckt und enttäuscht worden.
Der Polizeiinspektor hat ihm einmal drei Monate lang seinen Besuch versprochen und ist nie gekommen. Seitdem haßt er ihn. Der Lehrer hat ihm einmal zwanzig fast neue Zeitschriften auf die Zelle gegeben, der war überhaupt immer anständig. Mit dem Arbeitsinspektor hat er oft Krach gehabt, weil die Abrechnung nicht stimmte. Einmal gab der Ökonomieinspektor acht Wochen zu flott Lebensmittel aus, und am Schluß des Quartals bekam dann das ganze Kittchen solchen Fraß, daß man nichts mehr denken konnte wie Kohldampf, Kohldampf, Kohldampf ... Der Pastor, nun, über den war überhaupt nicht zu reden. Der war nun schon über die Sechzig und machte seit vierzig Jahren im Bunker Dienst – der kälteste Pharisäer auf dieser pharisäischen Erde.
Der Direktor andererseits, nun über den ließ sich auch nicht reden. Ein herrlicher Mann ... zu gut vielleicht, zu gut sicher. Er hat schon viel Böses durch seine Güte erfahren, darum hat er den rechten Mumm nicht mehr, etwas gegen seine Beamten durchzudrücken, die doch immer recht behalten. Aber immer noch gut.
Der Hauptwachtmeister klopft an die Tür. „Der Strafgefangene Kufalt“, meldet er.
Der Direktor hinter seinem Schreibtisch sieht hoch: „Es ist gut, Hauptwachtmeister. Sie können gehen, ich schicke den Mann dann zurück.“
So eine Art Vorführung wurmt den Hauptwachtmeister, diesen mächtigen Mann, das weiß Kufalt. Beim vorigen Direktor ist er bei jeder Unterredung dabei gewesen und hat feste mitgeredet. Aber der Hauptwachtmeister verzieht keine Miene, er macht kehrt und geht aus dem Zimmer.
Der Direktor sitzt hinter seinem Schreibtisch. Er hat frische Farben, ein paar Durchzieher in der linken Backe und blaue Augen. Außerdem hat er eine Platte, die von den frischen Farben auch was abbekommen hat, gegen die Stirn ist sie rosa, gegen den Scheitel wird sie immer röter.
„Setzen Sie sich“, sagt der Direktor. „Sie nehmen eine Zigarette, nicht wahr, Kufalt?“
Er bietet ihm die Schachtel an, es ist eine Sorte zu sechs Pfennig, Kufalt sieht es, etwas Fabelhaftes. Und nun gibt ihm der Direktor auch noch Feuer.
Er hat sehr gepflegte Hände und einen tadellos sitzenden Sportanzug, seine Manschetten fallen so sauber über die Handgelenke, Kufalt kommt sich wie ein Schwein vor.
„Morgen ist es nun überstanden“, sagt der Direktor. „Ich will Sie fragen, ob ich Ihnen noch irgend etwas helfen kann?“
Kufalt möchte in seiner jetzigen Stimmung alles akzeptieren, was Direktor Greve ihm etwa vorschlägt, aber er hat keine eigenen Vorschläge – trotz seiner Hilflosigkeit. So sieht er den Direktor nur abwartend an.
„Was haben Sie für Pläne?“ fragt der. „Sie haben doch Pläne.“
„Ich weiß nicht recht. Ich denke, meine Verwandten schreiben noch.“
„Sie stehen mit ihnen in Korrespondenz?“ Und erläuternd: „Sie wissen, ich lese die Post nicht. Die Zensur macht der Herr Pastor.“
„In Korrespondenz? Nein. Ich habe ihnen in den letzten drei Monaten jedesmal einen Brief geschrieben, wenn Schreibtag war.“
„Und sie haben nicht geantwortet?“
„Nein. Noch nicht.“
„Ihre Verwandten stehen gut da?“
„Ja.“
„Möchten Sie, wenn keine Antwort kommt – sie kann natürlich noch kommen, wenn aber keine kommt –, möchten Sie einfach hinfahren zu Ihren Verwandten?“
„Nein“, sagt Kufalt ganz erschrocken. „Nein, keinesfalls.“
„Gut. – Und Sie wollen ernstlich arbeiten?“
„Am liebsten“, sagt Kufalt stockend, „möchte ich irgendwohin, wo niemand etwas weiß. Ich habe an Hamburg gedacht.“
Der Direktor wiegt den Kopf hin und her: „Hamburg ... Großstadt ...“
„Ach Gott, Herr Direktor, ich habe die Nase wirklich voll. Das lockt mich nicht mehr.“
„Die Versuchungen der Großstadt? Ach nee, Kufalt, an die glaube ich auch nicht. Oder vielmehr, die in der Kleinstadt sind genauso. Aber die Arbeitslosigkeit ist in Hamburg natürlich noch schlimmer. Sie haben keinen, der Ihnen dort hilft? Hier könnte ich vielleicht ...“
„Nein, bitte nicht hier. All die Gesichter ...“
„Gut. Vielleicht haben Sie recht. Aber was dort? Was haben Sie sich so gedacht?“
„Ich weiß doch noch nicht! An Buch- und Kassenführung komme ich natürlich nicht wieder ran. Und eine Stellung kriege ich auch nicht so leicht, wo die fünf Jahre in meinen Papieren fehlen ...“
„Nein“, bestätigt der Direktor. „Kaum.“
„Aber ich kann doch Schreibmaschine. Wenn ich mir eine Maschine kaufte und Adressen schriebe im Akkord? Und später eine richtige Schreibstube einrichtete? Ich kann gut Maschine schreiben, Herr Direktor.“
„Sie besitzen keine Maschine? Haben Sie Geld?“
„Nur die Arbeitsbelohnung.“
„Und wieviel macht die?“
„Ich denke, dreihundert Mark. – Ach, Herr Direktor, wenn Sie veranlassen würden, daß die mir hier gleich ganz ausbezahlt werden? Daß ich sie mir nicht alle Wochen vom Wohlfahrtsamt holen muß?“
Der Direktor macht ein bedenkliches Gesicht.
„Ich will so sparsam sein, Herr Direktor!“ bittet Kufalt „Ich will keinen Pfennig verludern. Aber nicht aufs Wohlfahrtsamt!“
Und leise: „Ich möchte auch mit so was durch sein.“
Der Direktor kann Bitten schlecht widerstehen. Er sagt: „Gut. Das ist erledigt. Ich werde veranlassen, daß Sie Ihre Arbeitsbelohnung voll ausbezahlt kriegen. Aber, Kufalt – von den dreihundert Mark müssen Sie leben, vielleicht zwei Monate, drei Monate leben, da können Sie sich keine Schreibmaschine kaufen.“
„Auf Raten?“
„Nein, nicht auf Raten. Sie können ja nicht mit festen Einnahmen rechnen, das kann alles fehlgehen mit Ihren Adressen. Was also –?“
„Meine Verwandten ...“
„Die lassen wir erst einmal ganz aus dem Spiel. Was machen Sie also?“
„Ich – weiß – doch – nicht.“
Des Direktors Stimme wird immer frischer: „Und wie lange haben Sie nicht Schreibmaschine geschrieben? Fünf Jahre nicht? Über fünf Jahre nicht? Ja, das wird dann im Anfang nur mühsam gehen, viel werden Sie nicht schaffen.“
„Ich kann gut hundert Adressen in der Stunde tippen.“
„Haben Sie gekonnt. Heute nicht mehr. Sie denken, Sie sind gesund. Sie denken, Sie haben Ihre zwei Pensum gestrickt, das geht auch draußen. Aber hier hat Sie nichts abgelenkt, Kufalt, draußen kommen all die Sorgen und die Versuchungen. Sie sind doch den Umgang mit Menschen nicht mehr gewohnt. Und dann die Kinos, in die Sie nicht dürfen, und die Cafés, für die Sie kein Geld haben. Das wird alles sehr schwer für Sie sein, Kufalt. Das Schwere fängt erst an.“
„Ja“, sagt Kufalt. „Ja.“
„Sie waren lange genug hier im Bau, Kufalt. Wie viele haben Sie wieder kommen sehen?“
„Viele, viele.“
„Sie müssen stärker sein als die alle. Sie werden oft denken, das lohnt ja gar nicht die Mühe – für was denn? Ich komme ja doch nicht wieder hoch. – Manche kommen aber doch wieder hoch. Nur streng müssen Sie es angehen lassen, Kufalt, ganz streng.“
„Ja, Herr Direktor“, sagt Kufalt gehorsam.
Das Zimmer ist zart bräunlich getönt. Die Fenster sind keine Löcher in der Wand, sondern haben Gardinen, weiße Mullgardinen mit zartgrünen Streifen. Ein richtiger Teppich liegt auf dem Boden.
„Sie sind wie ein Kranker, der lange im Bett gelegen hat, Sie müssen erst wieder gehen lernen, Schritt für Schritt. Wer lange im Bett lag, muß einen Stock zur Stütze haben oder jemanden, der ihn führt. – Noch eine Zigarette? Gut.“
Der Direktor wartet einen Augenblick. „Sie denken jetzt, laß den man reden, ich find mich schon zurecht. Es – ist – aber – sehr – schwer. Bis Sie sich reingefunden haben in das Leben draußen – Sie haben doch früher nie gelebt ohne festes Einkommen? Sehen Sie! Bis Sie sich eingelebt haben, ist Ihr Geld alle. Und was dann?“
„Man möchte bitten“, sagt Kufalt mühsam lächelnd, „daß Sie einen hierbehalten, Herr Direktor. Ich bin ja doch wie ein Mann, dem man die Hände abgeschlagen hat.“
„Nicht abgeschlagen“, sagt der Direktor. „Aber gelähmt sind sie, steif sind sie. Ich will Ihnen was vorschlagen. Es gibt ein Haus in Hamburg, da können Sie hingehen, da werden stellungslose Kaufleute aufgenommen, auch strafentlassene Kaufleute. Da ist eine Schreibstube dabei, Sie arbeiten dort tagsüber, genau wie auf einem Büro, und dafür haben Sie Ihr Zimmer und Ihr Essen frei. Wenn Sie mehr verdienen, wird Ihnen das gutgebracht. Sie brauchen Ihre Arbeitsbelohnung nicht anzugreifen, die wird sogar mehr, wenn Sie fleißig sind. Und sobald Sie sich sicher fühlen und irgendeine Arbeit wissen, gehen Sie raus aus dem Heim. Sie können jeden Tag rausgehen, Kufalt.“
„Ja“, sagte Kufalt überlegend. „Es sind nicht nur Strafentlassene da?“
„Nein“, sagt der Direktor. „Soviel ich weiß, auch sonst Stellungslose.“
„Und ich kann da ohne weiteres hin?“
„Ganz richtig. Sie lernen gehen, Kufalt, weiter nichts. Es wird natürlich da so eine Art Hausordnung geben, und sehr luxuriös wird es auch nicht grade sein, aber Sie sind ja nicht verwöhnt.“
„Nein“, sagt Kufalt aufatmend. „Nein, das bin ich nicht. Das ist sehr gut. Das will ich tun.“
Er sieht vor sich hin. Der Hunderter im Strumpf brennt wie Ausschlag. Er kämpft mit sich. Er möchte ihn dem Direktor geben: ›Da, nehmen Sie, ich will klaren Weg haben.‹ Der Direktor würde schon nichts fragen. Aber dann tut er es doch nicht, es sähe so großsprecherisch aus, als wolle er seine Dankbarkeit abbezahlen, aber oben in der Zelle wird er ihn gleich zerreißen. Bestimmt.
„Ja“, sagt der Direktor. „Dann ist also alles klar. – Und wenn irgend etwas nicht klappt, dann schreiben Sie mir.“
„Ja. Und ich danke Ihnen auch, Herr Direktor. Ich danke Ihnen für alles.“
„Gut“, sagt der Direktor und steht auf. „Und nun bringe ich Sie noch zum Pastor. Der besorgt die Anmeldung im Heim.“
„Zum Pastor –?“ fragt Kufalt. „Ist es ein frommes Heim?“
Er bleibt sitzen.
„Nein, nein. Wenn auch ein Pastor sein Leiter ist. Es ist ganz interkonfessionell. Da sind Juden und Christen und Heiden.“ Der Direktor lacht beruhigend.
„Aber ich möchte nicht gerne zum Pastor.“
„Seien Sie kein Tor“, sagt der andere energisch. „Der Pastor meldet Sie an, das ist eine Formalität, die ebensogut der Polizeiinspektor oder der Postwachtmeister machen könnte. Zufällig macht sie nun mal der Pastor.“
„Ich gehe nicht gerne zum Pastor.“
„Nun schön. Wollen Sie fünf Minuten Unannehmlichkeiten beim Pastor in Kauf nehmen oder lieber versacken? Also! Kommen Sie!“
Der Direktor ist schon halb auf dem Gang und geht Kufalt eilig voraus.