Читать книгу Wer einmal aus dem Blechnapf frißt - Ханс Фаллада - Страница 4
Erstes Kapitel. Reif zur Entlassung 1
ОглавлениеDer Strafgefangene Willi Kufalt geht in seiner Zelle auf und ab. Fünf Schritte hin, fünf Schritte her. Wieder fünf Schritte hin.
Einen Augenblick bleibt er unter dem Fenster stehen. Es ist schräg aufgestellt, soweit die eisernen Blenden das zulassen, und herein dringt das Scharren vieler Füße, auch einmal der Ruf eines Wachtmeisters: „Abstand halten! Fünf Schritte Abstand!“
Station C hat Freistunde, eine halbe Stunde gehen sie dort im Kreis, an der frischen Luft.
„Nichts haben Sie zu reden! Verstanden?!“ ruft der Wachtmeister draußen, und die Füße scharren weiter.
Der Gefangene geht gegen die Tür, nun bleibt er dort stehen und lauscht in den Bau, der still ist.
›Wenn Werner heute nicht schreibt‹ denkt er, ›muss ich zum Pfaffen gehen und betteln, dass sie mich in das Heim aufnehmen. Wohin soll ich sonst? Über dreihundert Mark macht mein Arbeitsverdienst sicher nicht. Die sind bald alle.‹
Er lauscht immer noch. ›In zwanzig Minuten ist die Freistunde vorbei. Dann kommen wir runter. Sehen, dass ich vorher noch was Tabak krampfe. Ich kann doch nicht die letzten zwei Tage ohne Tabak sein.‹
Er öffnet das Schränkchen. Sieht hinein. Aber natürlich ist kein Tabak da. ›Die Eßschüssel muss ich auch noch wienern, sonst kotzt Rusch mich an. Putzpomade –? Besorgt mir Ernst.‹
Auf den Tisch legt er Jacke, Mütze, Halstuch. Wenn draußen auch ein strahlender, warmer Maitag ist, Halstuch und Mütze sind Vorschrift.
›In zwei Tagen ist es ja überstanden. Dann kann ich mich anziehen, wie ich mag.‹
Er versucht sich vorzustellen, wie sein Leben dann sein wird, aber er kann es nicht.›Da gehe ich also die Straße lang und da ist eine Kneipe und ich mache einfach die Tür auf und sage: Ober, ein Glas Bier ...‹
Draußen, in der Zentrale, der Hauptwachtmeister Rusch schlägt mit dem Schlüssel gegen das Eisengitter. Es hallt durch den ganzen Bau, in sechshundertvierzig Zellen ist es zu hören.
›Schwein das, mit seiner ewigen Krachmacherei‹, murrt Kufalt.›Stimmt wieder was nicht, Ruscheken? Wenn ich nur wüßte, was ich anfange, wenn ich rauskomme! Die werden mich doch fragen, wohin ich entlassen werden will ... Und wenn ich keine Arbeit weiß, wird mein Verdienst von hier an die Wohlfahrt überwiesen, und ich darf mir alle Wochen ein bißchen holen. Euch hust' ich was! Lieber dreh' ich noch mit Batzke ein großes Ding –?‹
Er schaut gedankenverloren auf seine Jacke, deren blauer Ärmel mit drei weißen Streifen Wäscheband geziert ist. Was bedeutet, daß er ›dritte Stufe‹ ist, ein Gefangener also, dessen Führung auf ›nachhaltige Besserung und Wohlverhalten in der Freiheit‹ schließen läßt.
›Hab' ich kriechen müssen, um die zu kriegen! Und hat es gelohnt? Das bißchen Tabak und eine halbe Freistunde mehr und Radio einmal in der Woche abends und daß sie die Zelle nicht abschließen tagsüber ...‹
Das ist so: Kufalts Zellentür ist nicht abgeschlossen, die Zellentüren der dritten Stufe werden nicht abgeschlossen, sondern nur angelehnt. Aber es ist das eine seltsame Vergünstigung: beileibe darf er die Tür nicht aufstoßen, auf den Gang treten und auch nur zwei Schritt dort machen! Das ist verboten. Wenn er das tut, wird ihm die dritte Stufe wieder entzogen. Sie ist eben offen, die Tür, daß er das weiß, das ist Vorbereitung auf das Leben draußen, wo ja auch die Türen nicht abgeschlossen sind ... eine allmähliche Akklimatisierung, erdacht von einem Geheimratshirn.
Der Gefangene steht wieder unter dem Fenster und überlegt einen Augenblick, ob er hochklettern soll und hinaussehen. Vielleicht sieht er jenseits der Mauern eine Frau –?
›Nee, lieber nicht, sparen wir uns auf bis Mittwoch.‹
Ruhelos nimmt er das Netz in die Hand und strickt sechs, acht, zehn Maschen. Dabei fällt ihm ein, daß er sowohl Putzpomade wie Tabak beim Netzekalfaktor schnorren kann – und er läßt die Holznadel wieder fallen und geht gegen die Tür.
Einen Augenblick steht er und überlegt, ob er es wagen soll. Dann fällt ihm was ein, er knöpft schnell die Hosen ab, geht auf den Kübel und legt sein Morgenei. Er kippt einen Schuß Wasser darüber, schließt den Deckel, knöpft die Hosen wieder an und nimmt den Kübel in beide Hände.
›Wenn er mich schnappt, sag' ich, die haben heute früh vergessen, bei mir zu kübeln‹, überlegt er und drückt mit dem Ellbogen die angelehnte Tür auf.