Читать книгу Wer einmal aus dem Blechnapf frißt - Ханс Фаллада - Страница 9
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ОглавлениеDer Wachtmeister sieht Kufalt über das Geländer weg nach. „Ein bißchen dalli, Kufalt! Tut, als wüßte er nicht Bescheid. Bist doch wahrhaftig genug zum Arzt gelaufen!“
›Ist ja gar nicht wahr‹, denkt Kufalt. ›Seit der mich damals angezeigt hat wegen Simulieren, als ich den Daumen verknackst hatte und nicht stricken konnte, bin ich keine dreimal mehr bei ihm gewesen. Und ich hatte nicht Viole geschoben, ich hatte den Daumen wirklich verknackst!‹
Nein, es sind schlechte Aussichten, den Schein noch irgendwie loszuwerden. Auf allen Gängen ist Hochbetrieb. Vorführung zum Direktor, zum Polizeiinspektor, zum Arbeitsinspektor, zum Arzt, zum Pastor, zum Lehrer – auf allen Stationen knallen die Riegel, knacken die Schlösser, laufen Beamte mit Listen, schieben sich Gefangene in ihren blauen Schlotterhosen lang.
›Mir geht eben alles schief. Wenn ich mal wirklich keß bin und schneide mir eine Scheibe ab – ein richtiger Ganove werde ich doch nie ...‹
Unten begrüßt ihn Oberwachtmeister Petrow, ein oller Posener, schon in der Vorkriegszeit Kittchenhengst gewesen, Liebe aller Gefangenen.
„Na, Kufalt, olles Haus, is sich Zeit rum? Siehst du, is gewesen ein Blitz! Warum hat Hauptwachtmeister dir Zelle gegeben? Hättest du machen können auf der Treppe ab das kleine Endchen Knast! – Wie lange? Fünf Jahre? Mensch, Kufalt, Zeit läuft sich wie Auto; was sich kleines Mädchen freuen wird, daß du alles hast aufgespart für sie.“
Der dicke Petrow schnauft strahlend, und die Gefangenen grinsen beifällig.
„Nein, stell dich dort hin, Kufalt, Haus. Nich zu Batzke, denn ihr schwatzt, und der Olle kuckt aus Glaskasten, kuckt, kuckt! – Siehst du, hier, und drei Schritte Abstand. – Komm her, du Neuer mit Brille, willst du zu Fuß gehen auf Hamburg –? Bleib hier, mein Söhnchen, mach ein bißchen halt hier bei uns, Liebling ... Geh nicht mehr weiter.“
An die dreißig Gefangene stehen schon da, wartend auf die Arztvisite, und noch kommen immer mehr von allen Stationen dazu. Kufalt hat den kleinen Tischler, den Emil Bruhn, entdeckt und winkt ihm aus der Ferne zu.
„Das wird ja heute wieder endlos“, stöhnt er zu seinem Vordermann, „todsicher ist der Fraß eiskalt, wenn wir auf die Zelle kommen. Und heute gibt's Erbsen.“
Der vor ihm dreht sich um. Er ist ein langes Reff in einer unglaublichen Kledage, Röhren aus lauter hell- und dunkelblauen Flicken, eine Weste, die so kurz ist, daß zwischen Hosen- und Westenrand eine Handbreit Hemd hervorsieht, und eine Jacke mit Ärmeln nur bis an die Ellbogen. Darüber ein kleiner, blasser, böser Kopf.
„Dich haben sie ja beim Hausvater fein in der Mache gehabt“, sagt Kufalt. „Hast ihn wohl geärgert. – Wie lange reißt du ab?“
„Sprechen Sie mit mir?“ fragt das Reff. „Darf man denn hier sprechen?“
„Nee. Aber du darfst ruhig du zu mir sagen, unsre Kübel werden doch alle zusammen ausgeschüttet. – Wieviel mußt du abreißen?“
„Ich bin zu zwei Jahren Gefängnishaft verurteilt. Aber ich bin unschuldig, zwei Zeugen haben einen Meineid geschworen. Ich habe schon Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet.“
„Das mit dem Meineid sagen wir alle, wenn wir reinkommen“, tröstet Kufalt. „Das gibt sich. – Was hat auf deinem Schild über der Zelle gestanden, vor der Verhandlung?“
„Schild –? Wie meinen Sie das? Ach so! Untersuchungsgefangener, als ein ›U‹.“
„Quatsch, das ›U‹ heißt doch nicht Untersuchungsgefangener, das heißt Unschuldiger. Und was hängt jetzt an deiner Zelle?“
„Strafgefangener. ›S‹.“
„Wieder Quatsch. Schuldiger! Das ist alles ganz einfach. Wenn du verknackt bist, bist du auch schuldig, da hilft kein Reden. Urteil ist Urteil. Rede hier bloß keinen Stuß von wegen Meineidsanzeigen, auf die süße Tour fallen wir hier nicht rein. Da sind 'ne ganze Menge, die nehmen das gewaltig sauer, wenn du so daherredest.“
„Na, erlauben Sie mal, ich bin unschuldig, meine Frau und mein Prokurist werden ein paar Jahre Zuchthaus wegen Meineid kriegen. Hören Sie mal zu, ich werde Ihnen das erzählen ...“
Aber es kommt nicht mehr zum Erzählen. Vom Glaskasten her klingt heftiges Schlüsselgeklopfe. „Herr Petrow, passen Sie gefälligst auf! Der Lange da, der Menzel, schwatzt immerzu mit dem Kufalt.“
Petrow stürzt sich wutenbrannt auf den ›Unschuldigen‹: „Soll ich dir Giftzahn ausreißen, Laster, langes, geklebtes? Bist du in Judenschule, denkst du? Glaubst du? Marsch, marsch, marsch, Linken, Rechten, Linken, Rechten in Arrestzelle, kannst du reden mit Eisen, bis Arzt kommt, Schwätziges, du!“
Knack knack, die Zellentür fliegt zu, der ganz verstörte Lange ist verschwunden, und im Vorbeigehen flüstert Petrow strahlend dem Kufalt zu: „Hat er Schiß gekriegt, der Neue? Bin ich schrecklich wütend? Söhnchen, mach mit dem nicht Kumpelage, immer ist das bei Direktor und Inspektor und schwätzt alles, was es hört.“
Und Petrow ist schon zehn Schritte weiter. Da stehen isoliert zwei Braune, schmucke Zuchthaushusaren, sicher auf Transport hier. Und die beiden Isolierten hatten drei Schritte vorwärts gemacht, vom Linoleum herunter auf den gewachsten Zementboden, wohl um etwas Anschluß zu finden bei den anderen Gefangenen, vielleicht wegen Tabak ...
„Bleibt sich hier, die Herren, auf dem braunen Linolei, immer auf dem Linolei. Hier, die Herren!“
Die Zuchthäusler sehen nicht auf, sie sehen starr vor sich in die Luft, hören nichts, rühren sich nicht. Kufalt stellt wieder fest, daß Zuchthäusler eine ganz andere Art haben, mit Beamten umzugehen. Gefängnisgefangene schmusen sich an, suchen auf du und du zu kommen, der Zuchthäusler hat nie einen Beamten gesehen, die sind alle Luft für ihn.
Petrow empört sich ernstlich: „Auf den Linolei! Auf den Linolei!“
Die beiden hören nichts, sehen nichts. Nur wie zufällig machen sie gerade jetzt einen Schritt, zwei Schritte, drei Schritte – und stehen wieder auf dem Linoleum. Den Beamten haben sie gar nicht gesehen.
Die Tür zum Lazarett tut sich auf. In seinem weißen Mantel erscheint der Lazaretthauptwachtmeister: „Vorführung zum Arzt!“
„Paarweise antreten!“ schreit Petrow. „Einrücken ins Lazarett!“
Und im selben Augenblick bricht die sorgfältig bewahrte Ruhe und Ordnung zusammen. An die fünfzig Gefangene rücken im Gelärm und Geschwätz durch die enge Schlucht eines Ganges über eine Treppe ins Lazarett. Petrow versucht, wenigstens die beiden Zuchthäusler im Auge zu behalten, aber sofort sind die untergetaucht zwischen den anderen, tauschen Worte, ihre Hände fassen zu.
„Na, wartet! Werde ich filzen euch auf Tabak, Schweine, miserablige! – Na, laß sie! – Stellt euch hierhin, ihr beide!“
„Alles in zwei Gliedern aufstellen, die Gesichter zur Wand, die Rücken gegeneinander. Schuhe und Pantoffeln ausziehen und vor sich stellen!“ kommandiert der Lazaretthauptwachtmeister.
Es geschieht, ein Name wird aufgerufen, und der Gefangene verschwindet im Arztzimmer, der Hauptwachtmeister hinterher.
„Das wird heute wieder endlos dauern“, haucht Kufalt zum kleinen Bruhn, der neben ihm steht.
„Weiß man nicht, Willi“, flüstert Bruhn. „Manchmal macht er sechzig in einer halben Stunde fertig. Siehst du, geht der Krach schon los.“
Aus dem Arztzimmer tönt Geschimpfe, Geschrei, der Gefangene erscheint, wutrot: „Aber ich bin wirklich krank, ich beschwere mich beim Strafvollzugsamt, das lasse ich mir nicht gefallen!“
„Gehen Sie schon, gehen Sie“, drängt der Hauptwachtmeister.
„Simulantengesindel“, hört man den Arzt schreien. „Ich besorg's euch! Der Nächste!“
„Riecht heute sauer“, sagt Batzke auf der anderen Seite von Kufalt. „Wenn er schon beim ersten so anfängt ...“
„Wenigstens kommen wir dann schneller dran. Ich will noch zum Fußball. Du doch auch?“
„Weiß noch nicht. Mein Affenfett ist alle, ich muß erst noch mal auf die Anschaffe.“
„Müssen wir uns eigentlich ganz ausziehen?“ fragt Kufalt.
Und Batzke: „In Fuhlsbüttel mußten wir's. Wie's hier bei den Preußen ist, weiß ich nicht.“
„Unsinn“, flüsterte Bruhn von der anderen Seite. „Gar nichts wird gemacht. Der sieht uns gar nicht an.“
„Glaub' ich nicht“, sagt wieder Kufalt. „In der Strafvollzugsordnung steht doch, daß die Gefangenen vor ihrer Entlassung gründlich auf Gesundheit und Arbeitsfähigkeit zu untersuchen sind.“
„Da steht viel.“
„Also du meinst, wir brauchen uns nicht auszuziehen?“
Batzke flüstert: „Na, was für heiße Sore hast du denn in deinen Lumpen, Kufalt? Machen wir Kippe oder –?“
„Stille seid ihr, Klatschtanten“, ruft Petrow. „Mit Schlüssel in Genick schlag' ich!“
„Ach, Herr Oberwachtmeister, darf ich nicht mal austreten? Herr Oberwachtmeister, es zieht mir ja so durch den Bauch! Ich hab' ja so 'ne Angst vor dem Arzt!“ grinst Kufalt.
„Na, geh scheißen, altes Haus. Drüben in Spülzelle. Daß du aber keine drinnen stößt, sonst alles Qualm, und Doktor schimpft.“
„Bestimmt nicht, Herr Oberwachtmeister.“
Und Kufalt verschwindet in der Spülzelle, deren Tür er anlehnt. Der Sicherheit halber zieht er die Hosen runter, aber dann stellt er sich mit dem Rücken gegen den Spion, nimmt hastig den Schein aus dem Halstuch, schiebt ihn tief in die Socken (›so, Batzke, Kippe is nich‹), macht sich zurecht, läßt einen Augenblick die Wasserleitung laufen und stellt sich wieder in Reih und Glied.
Petrow steckt den Kopf prüfend in die Spülzelle und zieht ihn befriedigt zurück. „Nicht geraucht, keine gestoßen, braver Kerl, Kufalt.“
Und Kufalt fühlt sich ob dieses Lobes richtig gerührt.
Doch Batzke flüstert: „Na, Mensch, Kufalt, wie is –? Kommst du rüber mit der Sore, oder soll ich?“
Und Kufalt dagegen: „Und was ist mit dem dicken Juden und der nackten Schickse? Mensch, hau bloß ab, bei mir immer Fehlmeldung!“
„Na also“, grinst Batzke. „Hast du den Stubben auch hochgenommen? Sauber! Sauber!“
Aus der Ecke grollt eine drohende Stimme: „Wie lange sollen wir hier noch in Socken auf dem kalten Fußboden stehen? Eine Schweinerei ist das! Beschweren werde ich mich!“
Petrow grinst: „Die Herren aus dem Zuchthaus? Hat sich Medizinalrat so angeordnet. Kann ich nichts machen, Herren. Beschweren sich bei Medizinalrat.“
„Möchte ich auch wissen“, sagt Kufalt leise zu Bruhn, „warum diese Schweinerei ist. Zehnmal habe ich mir schon den Husten bei dieser Steherei auf dem kalten Fußboden geholt.“
„Daß wir den Herren Lazarettkalfaktoren ihr Linoleum nicht zerkratzen“, meint Batzke.
„I wo“, erklärt Bruhn, der alles weiß. „Das ist schon sechs, acht Jahre her, da hat mal ein Gefangener dem Arzt die Latschen um den Kopf gehauen. Seitdem darf kein Gefangener mehr in Latschen zu ihm.“
„Verdammte Schweinerei“, knurrt Kufalt. „Wir dürfen uns hier erkälten, weil ...“
„Wir sind eben Vieh“, sagt Batzke. „Aber ich will's denen draußen auch zeigen, was ich für ein Vieh bin!“
Die Gefangenen sind dahingeschmolzen wie Schnee an der Sonne, es hat mehr Krach gegeben, mehr Geschrei, empörte Proteste oder weinerliches Gewinsel, aber zum Schluß hat immer die dicke Schulter des Lazaretthauptwachtmeisters die Leute aus der Tür gekantet, Petrow hat sie weiterbefördert, hat mitfühlend ihre Klage angehört und ist froh gewesen, wenn er sie aus dem Lazarett raus hatte.
Nun kommen nur noch die beiden Zuchthäusler und die Entlassungen dran.
„Paß auf, jetzt gibt's Krach“, rät Kufalt.
„Glaub' ich nicht“, zweifelt Bruhn. „Sollte mich wundern.“
Und nach fünf Minuten erscheinen die beiden wieder aus dem Arztzimmer, mit denselben ausdruckslosen Gesichtern, und diesmal taucht der Herr Medizinalrat selbst hinter ihnen auf: „Der Hauptwachtmeister bringt Ihnen gleich die Medizin rauf. Ja, auch Watte. Jawohl.“
„Die können's besser, die Jungen“, beneidet sie Kufalt.
„Ach was“, sagt Bruhn, „feige ist er bloß, der Doktor. Das können doch Lebenslängliche sein – und was riskieren die schon, wenn sie ihm in die Fresse schlagen? Lebenslänglich bleibt immer lebenslänglich. Das weiß der Doktor ganz gut.“
„Kehrt! Den Arzt anschauen! Das sind die Leute, die diese Woche zur Entlassung kommen, Herr Medizinalrat.“
„Schön.“ Der Medizinalrat sieht nicht hoch. „Die Leute können abgeführt werden. Alle gesund, alle arbeitsfähig, Herr Hauptwachtmeister.“
„Dafür haben wir hier nun eine Stunde gewartet“, sagt Bruhn.
„Aber ich schreibe eine dicke Beschwerde, wenn ich raus bin“, erklärt Kufalt.
„Vieh muß wie Vieh behandelt werden“, grinst Batzke. „Recht hat er, der Pflasterkasten!“