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Falsche Fürsorge, falscher Weg

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In meiner ärztlichen Praxis beobachtete ich immer wieder eine ganz falsche Spur der »fürsorglichen« Hilfe für Kinder in, wie ich es sehe, einer nachteiligen Art, wenn offensichtlich »Belastung« angesagt war. Eltern versuchten oft (übergewichtige) Kinder vom Turnunterricht zu befreien. Ein gewisses Maß an emotionaler oder körperlicher Herausforderung ist, ja sollte ein ganz normaler Weg in der Entwicklung zur Selbstständigkeit einer Person sein. Passende Forderung erscheint mir immer wichtiger und wertvoller als die Unterforderung zur körperlich-geistigen Reifung eines jungen Menschen. Was meine ich damit, welcher Umstand mir während meiner ärztlichen Tätigkeit ernsthaft Sorge bereitete und mich innerlich belastete?

Ein Mädchen oder ein Bub im Kindergarten lernt spielerisch unter der Anleitung von erfahrenen Pädagoginnen ein Gedicht oder etliche Sätze für ein kleines Theaterstück, für ein Hirtenspiel oder eine andere Festlichkeit. Da kommt die Mutter und will, weil das Kind »aufgeregt« sei, homöopathische Globuli oder Notfalltropfen, um die »Spannung« zu reduzieren. Ähnliche Situationen sollten später dann in der Schule oder bei Sportveranstaltungen eintreten. Bei meiner medizinischen Beratung versuchte ich zu vermitteln, dass ein gewisses Maß an Spannung oder Erwartungsangst die Form einer »gesunden Belastung« für das Kind sei, also etwas durchaus Positives darstelle – im Unterschied zu dem von der Mutter ausgesprochenen Wunsch nach Hilfe, um dem Kind Erleichterung zu verschaffen. Meine ablehnende Haltung traf auf Unverständnis bei den besorgten Erziehungsberechtigten: Dass ich ihrem Kind nicht helfen wolle, sei unverständlich, man werde sich wohl anderswohin wenden müssen. Selbst in einer derart komplizierten Lage setzte ich darauf, mit Argumenten zu überzeugen. »Gesunder Stress« sei Kindern zumutbar und elterliche Zuwendung wohl das Wertvollste. Man könnte aufgeregten Kindern vor einem Auftritt etwa vermitteln, dass in derartigen Situationen auch bei uns Spannung vorhanden war, gelegentlich sogar Angst. Dies würde jedoch nicht Schwäche zeigen, sondern eher das Gegenteil.

Eine gewisse Spannung, Herausforderung in verschiedenen Lebensabschnitten ist wichtig zur Persönlichkeitsformung, denn sie lässt Pflicht, Verantwortung und sogar berufliche Drucksituationen entsprechend positiv verarbeiten. Die Chance, aus Belastung und Ausgleich den Körper und Geist reifen zu lassen, ist und wird ein wertvoller Trainingsverlauf für das (spätere) Leben! Der Aufbau von Anpassung, Stabilität und Gleichgewicht führt uns in einen harmonischen Zustand – modern bezeichnet als »Work-Life-Balance«.

Die größte Gefahr – und das versuchte ich eindringlich zu transportieren – sei die möglicherweise falsche »Programmierung« eines heranwachsenden jungen Menschen, die ihn zu der Annahme verleiten könnte, dass es gegen jede Form von Belastung (Stress, Exposition) ein entsprechendes Mittel gäbe. Aufgrund einer solchen Erwartungshaltung könnte in späteren Lebensabschnitten der Zugang zu »beruhigenden Hilfsmitteln« jeglicher Art von Alkohol, Medikamenten oder anderen abhängig machenden Substanzen vorgezeichnet sein. Leider musste ich dies bei manchen Jugendlichen, die ich über viele Jahre kannte, tatsächlich beobachten, daher die angesprochene Betroffenheit meinerseits. Wachsen Kinder mit der Information auf, dass sie in Belastungssituationen Globuli und bei leichtesten Infekten Vitaminsäfte oder propagierte immunstärkende »Aufbaumittel« erhalten, erliegen sie möglicherweise einer irreführenden Prägung.

Natürlich gesund mit Dr. Hans Gasperl

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