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4. Farbspiele

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Es konnte nicht ausbleiben, dass Lena eines Tages die ungewöhnliche Eigenschaft Kolberts bemerkte. Gerade hatte sie ihn gesäubert und war dabei, ihm eine neue Windel anzulegen, als sich sein ganzer Körper silbergrau färbte.

Nicht oft, aber von Zeit zu Zeit wechselte Kolberts Haut ohne sein Zutun zu einer Art Neutralgrau. Als müssten sich die Pigmentzellen neu justieren.

Und genau das erlebte Lena nun zum ersten Mal mit. Obwohl sie schon eine Weile als Kindermädchen bei der Familie Glaser war, hatte sich ein solcher Farbwechsel vor ihren Augen bislang nicht ergeben.

Es war zwar schon vorgekommen, dass sich Kolberts Standard-Hautton zu einem Blassrosa aufhellte oder fast bis zum Blutorange verdunkelte. Doch wenn Lena dies aufgefallen war, hatte sie es nicht als außergewöhnlich registriert.

Aber jetzt war es anders. Das erste Mal, dass Lena Kolbert in einer wirklich auffällig anderen Hautfarbe sah. Anfangs stieß sie einen kurzen Schrei aus, lachte zweimal schrill. Und stand dann wie versteinert vor ihm. Kolbert erstarrte ebenfalls, denn er hatte ihr Verhalten richtig interpretiert und auf seine Hautfarbe bezogen. Und nun bekam er plötzlich Angst, Lenas Zuneigung zu verlieren.

Da spürte er ihre Hände, die sie auf seinen nackten Bauch gelegt hatte. Zärtlich fuhr Lena auf seiner Haut auf und ab. Kolbert sah sie an und bemerkte ein zuerst kaum erkennbares, dann immer mehr ausgeprägtes Lächeln. Das schließlich Lenas ganzes Gesicht erfasste.

Sie verteilte ihr Streicheln mit beiden Händen auf Kolberts Kopf, dann über die Schultern auf seine Arme, und über die Hüften auf seine Beine. Damit wollte sie ihm zeigen, dass sie ihn auch mit anderer Hautfarbe akzeptierte.

Und Kolbert verstand dies wohl. Wenn sie diese Farbe zulassen konnte, gefiel ihr vielleicht auch eine andere? Und er dämpfte die Wirkung seiner Gelbzellen, um seine Hautfarbe vom hellen Grau in ein sanftes Himmelblau übergehen zu lassen.

Überrascht nahm Lena ihre Hände hoch, und Kolbert befürchtete nun es übertrieben zu haben. Doch dann lachte sie und senkte ihre Hände wieder, um mit dem Streicheln fortzufahren. Das veranlasste Kolbert, seine Haut ein weiteres Mal umzufärben. Nun verstärkte er die Wirkung der Gelbzellen wieder, und diesmal schwächte er die der Purpurzellen ab: Seine Haut glänzte leicht in einem zarten Grasgrün.

Erneut hoben sich Lenas Hände, und Kolbert hörte ihr Lachen. Dann berührte sie wieder behutsam seine Haut. Die Verfärbungen hatten Kolbert angestrengt, mit einem letzten Kraftaufwand ließ er seinen Hautton wieder in das übliche Orangerosa wechseln. Diesmal blieben Lenas Hände auf seinem Körper und fuhren mit dem Streicheln unvermindert fort.

»Grau, blau, grün«, hörte Kolbert sie sagen, »Hast du noch mehr Farben zu bieten?«

Doch Kolbert war müde geworden, seine Augen konnte er kaum noch offenhalten. Lena bemerkte das, gab ihm eilig seine Windel und zog ihn wieder an. Dann hob sie ihn vorsichtig auf und trug ihn zu seinem Bettchen. Kolbert spürte noch, wie sein Körper sanft auf der Matratze landete. Dann war er eingeschlafen.

Lena setzte sich auf einen Stuhl, der neben seinem Bett stand. Sie war ganz offensichtlich verwirrt. Dieser kleine Kerl, den sie in wenigen Wochen liebgewonnen hatte, besaß eine außergewöhnliche Fähigkeit. Eine Eigenschaft, von der sie nie zuvor etwas gehört oder gelesen hatte.

Sie wusste, dass es Tiere gab, die in der Lage waren, ihre Hautfarbe zu verändern. Das Chamäleon fiel ihr als erstes ein. Lena musste lächeln: Aber ein Chamäleon war Kolbert ganz gewiss nicht. Seine Haut war im Gegensatz zu der eines solchen Reptils sehr zart und fühlte sich wunderbar weich an. »Und das mit jeder Farbe«, sagte Lena vor sich hin.

Sie kam überhaupt nicht auf die Idee, Kolbert wegen seiner Hautverfärbungen als abstoßend zu empfinden. Sie war bereit, ihn anzunehmen wie er war – gleich welche Hautfarbe er hatte oder haben würde. Im Gegenteil: Sie bewunderte seine Fähigkeit.

Aber sie empfand diese Eigenschaft durchaus auch als Furcht einflößend. Möglicherweise konnte dieser kleine Kerl seiner Haut alle denkbaren Farben geben. Und einige davon wären für sie dann unangenehm oder gar abscheulich.

Lena begann sich auszumalen, welche Farben da in Betracht kommen würden: Rot wie geronnenes Blut? Braun wie übelriechender Kot? Gelb wie ekelerregender Eiter?

Sie hielt inne. Merkte, dass sie dabei war, aus ihrer anfänglichen Bewunderung für Kolberts neue Hautfarben eine mögliche Abneigung entstehen zu lassen. »Ich mag ihn«, betonte sie deshalb mit gedämpfter Stimme, »Und das mit jeder Farbe!«

Lena war und blieb fasziniert von Kolberts eigenartiger Fähigkeit. Und der merkte das und bemühte sich vor ihr um immer neue Farbmischungen. Bis er schließlich so erschöpft war, dass er abrupt aufhören musste. Und manchmal reichten seine Kräfte nicht einmal mehr, zur Standard-Hautfarbe zurückzukehren. Dann blieb er beim zuletzt erreichten Hautton, als er einschlief.

So kam es, dass seine Mutter eines Abends nach Hause kam und ihn schlafend mit fliederfarbener Haut vorfand. Johanna Glaser war unsicher, was Lena schon von der »Krankheit« ihres Sohnes wusste. Am liebsten hätte sie alles verschwiegen, aber irgendwann mussten Kolberts Hautveränderungen auch Lena auffallen – zumal sie ja häufig mit ihm zusammen war.

Und nun war wirklich eingetreten, was die Mutter befürchtet hatte. Aber Lena schaute auf den lilahäutigen schlafenden Kolbert und betonte, dass es ihr nichts ausmachen würde. Und Johanna Glaser war beruhigt, sie musste kein neues Kindermädchen suchen. Das war ihr sehr recht, zumal sie mit Lena zufrieden war.

Auch Lena wollte diesen Job behalten, was noch am selben Abend auf die Probe gestellt wurde. Es war noch hell, als sie auf dem Nachhauseweg war.

»Warte mal!«, hörte sie da plötzlich eine Stimme. Lena blieb nicht stehen und antwortete nicht. Zu oft war sie schon von Männern angemacht worden.

»Warte mal, ich will mit dir reden!« Nun blieb sie doch kurz stehen und drehte sich um. »Was wollen Sie?«, fragte sie, hob ihre Hand und streckte sie dann wie ein Stoppzeichen in seine Richtung. »Bleiben Sie auf Abstand.«

»Okay, okay«, sagte der Mann und stand jetzt in einigen Metern Entfernung vor ihr. Er war untersetzt und hatte eine Halbglatze. Und er versuchte vertrauenserweckend zu lächeln. Lena sah dass er etwas in der Hand hielt, das aussah wie eine kleine Karte.

Ein Ausweis? »Ich bin Journalist«, meinte der Mann, »ich will nur ein paar Informationen.« »Journalist?« »Ja, hier ist mein Ausweis.«

Nun kam Lena etwas näher, um den Ausweis als solchen erkennen zu können. »Amadeus?«, fragte sie und musste lächeln, »Wie Mozart?« Dann wurde sie wieder ernst: »Worum geht es?«

»Du arbeitest doch bei den Glasers?« »Woher wissen Sie das?« »Ich bin Journalist. Und ich recherchiere im Allgemeinen gut. Mich interessiert alles Außergewöhnliche.«

»Außergewöhnlich? Ich bin nicht außergewöhnlich«, erwiderte Lena, doch sie ahnte bereits, worum es ging. Irgendwie hatte dieser Mann herausgefunden, dass etwas mit Kolberts Haut war. Und die nächste Frage bestätigte, dass sie richtig vermutete.

»Was ist mit der Haut dieses Babys?«, fragte Amadeus direkt und zeigte ihr einen Geldschein, den sie als 100-Mark-Note erkannte. »Ich zahle gut für Informationen, und das wäre dann nur der Anfang.« Und er wedelte mit dem Schein.

Lena zögerte nur kurz. Geld konnte sie immer gebrauchen. Aber nicht so. »Was soll mit dem Baby sein?« »Man hört, dass es seine Hautfarbe ändern kann«, erwiderte Amadeus, »Das interessiert mich. Was weißt du darüber?«

Lena schüttelte den Kopf. »Hautfarbe ändern?«, wiederholte sie fragend und tat verwundert, »Wie kommen Sie darauf?« »Es gibt Leute, die es gesehen haben wollen. Du nicht?« Noch einmal schüttelte Lena ihren Kopf. »Davon weiß ich nichts.«

Der Mann wedelte erneut mit dem 100-Mark-Schein. »Das Baby kann seine Hautfarbe nicht verändern?« »Hören Sie«, sagte Lena, »ich könnte das Geld gut gebrauchen. Aber ich weiß nichts von dem, was Sie da sagen. Und wie soll das möglich sein, seine Hautfarbe zu ändern?«

Amadeus merkte wohl, dass er so nicht weiterkam. »Okay«, sagte er und steckt den Hunderter wieder ein, »Dann noch einen schönen Abend.« Drehte sich um und ging. Und ließ eine nachdenkliche Lena zurück.

In den folgenden Wochen und Monaten geschah es noch häufiger, dass Kolbert Lena mit neuen Hautfarben überraschte. Mit der Zeit hatte er gelernt, dass eine gleichmäßige Aktivierung aller Pigmentzellen die Farbe hervorbrachte, die Lena »Grau« nannte. Und je nachdem wie stark er die Pigmente einsetzte, sprach Lena mal von »Hell« und mal von »Dunkel«.

Immerhin vermochte Kolbert mit gut anderthalb Jahren, seine Hautfarbe nach Lenas Anweisung aufzuhellen oder abzudunkeln. Außerdem wusste er, wie er die Intensität für jede Gruppe von Farbzelltypen einzeln regeln konnte. Das befähigte ihn, einige Grundfarben gezielt zu erzeugen. Ihren Namen erfuhr er durch Lena, die sie immer und immer wiederholte, je nachdem welche Chromatophoren er einzeln oder paarweise eingesetzt hatte: Purpur, Rot, Gelb, Grün, Türkis und Blau.

Lena war vom Spiel mit den Farben derart fasziniert, dass sie sich Informationen aus einer Bibliothek besorgt hatte. Bisher war sie immer der Überzeugung, Rot, Blau und Gelb seien die drei Basisfarben. So jedenfalls hatte es ihr Kunstlehrer in der Schule erzählt. Nun erfuhr sie aber von Lichtfarben und von Körperfarben, bei denen jeweils eine andere Kombination von Grundtönen nötig war, um eine Mischfarbe zu erzeugen.

Im einen Falle ging es um die Farben, die von einer Lichtquelle wie der Sonne ausgestrahlt wurden. Hier mischten sich rote, grüne und blaue Strahlen zu weißem Licht. Gab es kein Licht, war es schwarz. Seltsam fand Lena, dass Gelb aus einer Mischung von rotem und grünem Licht entstehen sollte.

Körperfarben wurden die Farben genannt, mit denen man malen oder drucken konnte. Hier gab es zwar Gelb, aber kein echtes Rot und Blau, sondern ein bläuliches Rot und ein grünliches Blau. Die Namen klangen seltsam: Wie es schien entsprach Zyan am ehesten einem Türkisblau, und Magenta in etwa einem Purpurrot.

Mischte man Gelb und Zyan, so erhielt man eine grüne Farbe, Gelb und Magenta ergaben Rot, Zyan und Magenta Blau – also genau die drei Grundfarben des Lichts.

Sosehr Lena von dieser Farbenlehre beeindruckt war, ganz begreifen konnte sie sie nicht. Vielleicht hatte ihr Kunstlehrer doch recht? Von Licht- oder Körperfarben hatte er nie etwas erzählt, sondern nur von Malfarben. Und die waren eben Rot, Gelb und Blau.

Trotzdem vermutete Lena richtig, dass Kolbert wohl über drei verschiedene Gruppen von Farbzellen in seiner Haut verfügen musste. Und sie hatte vor ihn dazu zu bringen, immer mehr Farben gezielt zu erzeugen.

Vielleicht war er schließlich imstande, sich wie ein Chamäleon seiner Umgebung anzupassen? »Kamelion«, so nannte sie ihn deshalb zärtlich, »mein Kamelionbaby!«

So brachte Lena eines Tages Farbkarten mit, die sie Kolbert immer dann zeigte, wenn seine Haut eine bestimmte Grundfarbe annähernd erreicht hatte. Dazu sprach sie dann den zugehörigen Namen aus.

Später machte sie daraus ein Spiel: Sie zeigte Kolbert eine Karte, nannte den Farbnamen, und er versuchte seine Haut der Farbe dieser Karte anzupassen.

Dann holte sie einige Lebensmittel, die gerade da waren, um Kolbert zu animieren, seiner Haut die Farbe einer Zitrone oder Apfelsine, von grüner, gelber oder roter Paprika, das Lila einer Schokoladenpackung, das Braun des Inhalts, das Blau einer Milchtüte zu geben. Nur das Weiß von Milch wollte sich nicht einstellen, und ebenso wenig wie ein tieferes Schwarz.

Es dauerte einige Monate, bis Kolbert imstande war, zu einer Farbe, die Lena ihm zeigte, unmittelbar eine passende Einstellung seiner Pigmentzellen zu finden. Oft war seine Hautfarbe auch nur ähnlich (zarte Farbtöne gelangen ihm deutlich leichter als kräftige). Aber ihm machte dieses Spiel außerordentlichen Spaß.

Nach und nach fiel Kolbert das Anpassen seiner Haut an einen bestimmten Farbton leichter, Farbänderungen strengten ihn weniger an. Noch immer betraf jede Verfärbung aber die gesamte Haut.

Eines Tages jedoch war das anders. Kolbert hatte seiner Haut ein Tomatenrot verpasst. Lena wollte ihn gerade auskleiden und frisch wickeln. Da stellte sie fest, dass nur sein Kopf noch rot, sein übriger Körper aber türkisblau war. Zum ersten Mal erlebte Lena zwei verschiedene Stellen von Kolberts Haut in jeweils deutlich anderer Färbung.

Warum, dachte sie, sollte Kolbert nicht eines Tages in der Lage sein, jede Stelle seiner Haut mit jeder beliebigen Farbe zu versehen? Wie eine Art Flickenteppich, ging es Lena durch den Kopf, aber vielleicht auch wie ein richtiges Gemälde?

Und sie beschloss, sich noch mehr mit der Physik und Chemie der Farben auseinanderzusetzen. Warum sollte sie sich nicht zur Lehrerin von Kolbert machen, um dessen Fähigkeiten so weit wie möglich zu entwickeln?

Anfangs spielten sie das »Kamelionspiel« – offenbar musste Lena jedem Spiel einen Namen geben – noch, wenn Kolbert angekleidet war. Dann mit Kolberts völlig nacktem Körper, nachdem Lena ihn ausgezogen und ihm seine Windel abgenommen hatte.

War es Kolbert dreimal gelungen, seine Hauttönung einer vorgegebenen Farbe weitgehend anzupassen, ließ Lena die Liebkosung seines ganzen Körpers folgen. Dabei bekam Kolbert bei ihr den Hautkontakt, den er bei seiner Mutter so vermisste.

Lena streichelte seine Haut vom Gesicht bis zum Bauch hinunter, dann unter Aussparung des Genitalbereichs an den Vorderseiten der Beine abwärts bis zu den Fußrücken. Weiter ging es über die Sohlen, wo es Kolbert so kribbelte, dass er laut zu kichern begann.

Dann fuhren Lenas Hände die Rückseiten der Beine nach oben und außen, an den Seiten des Rumpfes bis zu den Achseln, die Innenseiten seiner Arme bis zu den Handflächen und Fingern, von den Handrücken die Armaußenseiten hinauf zu den Schultern, und endete dann über die Brust wieder auf dem Bauch.

Auf dem ließ Lena schließlich ihre Hände einen Moment ruhen, bevor sie sie ganz von Kolberts Körper hob.

Nach mehreren Spieldurchgängen folgte irgendwann wieder das Kolbert schon geläufige »Schluss jetzt!« von Lena. Womit er wusste, dass das Spiel vorerst zu Ende war. Abschließend bekam er eine frische Windel und wurde wieder angezogen.

Durch ein Missgeschick Kolberts änderte Lena eines Tages diesen Ablauf. Weil das ganze Spiel seine Zeit dauerte und Kolbert schon geraume Zeit vor dem Öffnen seiner Windel nicht mehr uriniert hatte, konnte er sein Wasser nicht mehr halten und bespritzte Lena, die sich gerade über ihn beugte, mit kräftigem Strahl von Brust bis Bauch.

Die sprang (halb lachend, halb verärgert) zurück. Von nun an würde sie Kolbert zuerst seine Windel verpassen, ehe sie ihn streichelte, und zum Schluss würde er dann seine restliche Kleidung bekommen.

Weil Lena keine Ersatzkleidung dabeihatte (vielleicht sollte sie beim nächsten Mal etwas mitnehmen?), zog sie sogleich alles aus, was nass geworden war, und stopfte es in die Waschmaschine. Dann setzte sie sich in einige Entfernung zu Kolbert, der sie anstarrte, weil er sie mit völlig entblößtem Oberkörper noch nie gesehen hatte.

Nach einer Weile kam er auf sie zu, streckte seine Hände aus und berührte ihre Brüste. »Mama!«, sagte er und lächelte sie an, »Mama!«

Lena war verunsichert, fasste seine Hände mit festem Griff und zog sie von ihrer Brust weg. »Nein!«, wollte sie antworten, »Ich bin nicht deine Mama!«

Aber sie schwieg, weil sie glaubte, Kolbert zu verstehen. Dennoch wollte sie nicht zulassen, dass er noch einmal ihre Brust berührte. Kolbert schien das einzusehen, denn er machte zunächst keinen zweiten Versuch, nach ihrem nackten Oberkörper zu greifen. Stattdessen musterte er aufmerksam ihre Hautfarbe, die in der Brustgegend deutlich heller als auf dem Hals darüber war.

Lena war das peinlich, denn noch niemals hatte sie jemand so angeschaut. Aber ihre Kleider waren in der Waschmaschine. Und es würde einige Zeit brauchen, bis alles sauber und getrocknet war. Bis dahin musste sie erst einmal so bleiben. Hilflos sah sie sich um, durchstöberte schließlich das Schlafzimmer von Kolberts Eltern auf der Suche nach wenigstens einem Unterhemd. Endlich wurde sie fündig.

Obgleich es ihr unangenehm war, einfach ein Kleidungsstück ihrer Arbeitgeberin zu benutzen, streifte sie das in der geöffneten Schublade obenliegende Hemd über. Nun fühlte sie sich wohler.

Sie setzte sich aufs Sofa und wandte sich Kolbert zu. Der schien durch das soeben angezogene Hemd hindurch weiter auf ihre Brust zu starren. Und mit einem Mal lenkte er erneut seine Hände genau dorthin, um Lenas Brust zu berühren.

»Mama!«, wiederholte er seine Worte, »Mama!« Und wieder lächelte er.

Lena schloss die Augen und ließ es zu, dass Kolberts kleine Hände auf ihren Brüsten ruhten. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie für Kolbert ein Mutterersatz werden oder schon sein könnte.

Sie öffnete ihre Augen, wollte Kolberts Hände von den Brüsten streifen, da sah sie sein verzückt lächelndes Gesicht. Eine Weile zögerte sie noch. Dann rutschte sie langsam ein Stück auf dem Sofa zurück. Kolberts Hände fielen herunter, sein Gesicht verlor den verklärten Ausdruck. Er wollte nachrücken, erneut mit den Händen nach ihr greifen.

»Nein!«, hörte er da Lenas Stimme, »Nein!« Und sie fasste seine Hände, dann zog sie ihn an sich und umarmte ihn sanft.

Als sie ihn wieder losließ, schaute Kolbert sie weiter an. Doch diesmal war das Ziel seiner Blicke ihr Gesicht. Er verfolgte die Bewegung ihrer Lippen, als sie sagte: »Ich bin Lena, nicht Mama!«

»Lena«, wiederholte Kolbert, »Lena.«

Dann ließ er sich vom Sofa herunter und widmete sich dem Spiel mit seinen Bauklötzen. Das tat er nun eine geraume Zeit lang.

Inzwischen waren Lenas Kleider im Trockner gelandet und eine Weile später konnte sie sie wieder anziehen. Das nur kurz verwendete Hemd legte sie fein säuberlich zusammen und verstaute es wieder zuoberst in der Schublade, in der es vorher gelegen hatte.

Sie stutzte einen Moment. Dann nahm sie das Hemd wieder heraus, bevor sie die Schublade schloss. Ging zum Wäschekorb und mischte das benutzte Hemd unter die anderen Wäschestücke. Am besten schien es ihr, Kolberts Mutter gar nichts von der »Kleidergeschichte« zu erzählen.

Unterdessen war es auch Zeit für Kolberts letzte Windel geworden. die Lena nun gegen die vorherige austauschte. Einen Moment zögerte sie, dann entschloss sie sich, auf eine letzte Wiederholung des »Kamelionspiels« zu verzichten.


Der Chamäleonmann

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