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8.

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In dem Kellerlokal beim rauhen Pierre ging es immer vergnügt zu. Hier traf sich allabendlich die Elite der Unterwelt, um lachend, trinkend, schwatzend und neue „Sachen“ ausheckend beieinanderzusitzen.

Das Lokal, eine ehemalige grosse Weinkellerei, zog sich unter zwei Häusern hin; es war ein niedriges Tonnengewölbe, aber stabil und fest. Die Seitenwände waren mit Holz verkleidet, versteckte Nischen mit Ampeln und Lampions bildeten besondere „Konferenzabteilungen“, wo man ungestört Dinge bereden konnte, bei denen Zeugen unerwünscht waren.

Der rauhe Pierre, ein stämmiger, vierschrötiger Kerl mit roter Knollennase und kleinen, immer verschmitzt blinzelnden Schweinsäugelchen, hielt ein scharfes Regiment unter den Gästen. Sinnlose Trunkenheit duldete er ebensowenig wie handgreifliche Auseinandersetzungen. Jedenfalls schritt er immer gleich ein, wenn es aus irgendeinem Grunde einmal zu stürmischen Szenen kam. Dabei unterstützte ihn dann gewöhnlich ein riesiger Neger, der an sich die Gutmütigkeit selbst war, aber zu einer Bestie wurde, wenn es galt, die Ehre des Ausschanks für seinen Herrn zu verteidigen. Dann öffneten sich seine breiten Lippen und zeigten in dunkler Höhlung das weisse Raubtiergebiss, die Augen quollen hervor und die ausladenden Backenknochen begannen zu zittern. Wer ihn so einmal gesehen, vergass dieses Bild niemals wieder. Bill brauchte manchmal nur aufzustehen und eine drohende Haltung anzunehmen, um aufsässige Gäste in ihre Schranken zurückzuweisen.

Wenn es für ihn nichts zu tun gab, sass er da wie ein Unschuldslämmchen.

Die Polizei duldete dieses Lokal, weil sie gerade hier manchen guten Fang machen konnte. Auch war der rauhe Pierre im Grunde genommen ein recht gutmütiger und der Polizei wohlgesinnter Herr, den man bloss richtig anfassen musste, um ihn wie ein Kind lenken zu können. Verpfeifen tat er ja keinen von seinen Gästen, das verbot ihm schon sein Geschäftsinteresse, aber er machte auch den Beamten keinerlei Schwierigkeiten, wenn sie einmal gewaltsam durchgreifen mussten, ja, mit den meisten von ihnen stand er sogar auf Du. Wenn seinen Moralbegriffen in bezug auf kleine Vergehen auch Grenzen gezogen waren, so verstand er bei ernstlichen Missetaten doch selbst keinen Spass mehr, und wo es um wirklich schwere Verbrechen ging, stand er sogar ganz auf seiten der Polizei. Aber auch in solchen Fällen beschränkte er sich auf bescheidene „Winke“, die leicht zur Ergreifung der Täter führten. Von dieser Einstellung wusste allerdings seine „Kundschaft“ nichts.

Seit einigen Tagen lief Pierre immer missmutig und mit gefurchter Stirn herum. Irgend etwas schien ihn stark zu beschäftigen. Es war seit dem Mord an Jean Didier. Der war ihm doch — wie er sich Bill, seinem einzigen Vertrauten, gegenüber ausdrückte — an die Nieren gegangen. Solfour hatte bei ihm verkehrt, und auf ihn richtete sich der Verdacht, wie ihm Kommissar Berreux gestern bereits andeutete. Pierre hatte ihn erst ganz entsetzt angestarrt, dann hatte er dem Kommissar vertraulich auf die Schulter geklopft und gesagt: „Du kannst auf mich rechnen, Léon!“

Das genügte Berreux.

Wenn Pierre sagte: „Du kannst auf mich rechnen!“, so konnte man sich darauf verlassen, dass er sein möglichstes tat, um der Polizei den Verbrecher unauffällig in die Hände zu spielen. Befriedigt goss der Kommissar daraufhin den von Pierre kredenzten Schnaps, einen furchtbaren Fusel, herunter.

Heute sass Berreux in Verkleidung da. Niemand wusste es, ausser Pierre und einem zweiten Beamten, der ebenfalls eine Maske trug. Der Kommissar, ein grosser Meister in der Verwandlungskunst, wusste sich so zu verändern, dass ihn selbst seine eigene Mutter kaum wiedererkannt haben würde. Jedesmal trat er anders auf. Heute stellte er einen alten Mann dar, der mit Streichhölzern handelte. Ein verfilzter, aus echten Haaren geflochtener Bart hing ihm wie ein Fusssack ums Kinn herum. Die Augen blickten müde und trübe durch zwei in Messing gefasste Brillengläser, und seine zittrige Hand fuhr immerzu über den Tisch.

Er sass mit einem anderen Mann zusammen, den er als Taschendieb kannte, gegen den im Augenblick aber nichts vorlag. Geschickt brachte er nach langen Umschweifen das Gespräch auf den Fall Didier. Es war ihm vorerst nur darum zu tun, einmal herauszuhorchen, wie man in Unterweltkreisen überhaupt über den Raubmord dachte.

Der Taschendieb kratzte mit seinen schlanken Fingern ein Stückchen verkrustetes Fett ab, das sich auf dem Holztisch festgesetzt hatte und sagte schlicht: „Das war eine grosse Gemeinheit.“

„Was?“ fragte Berreux.

„Nun, dieser Chauffeurmord natürlich. Ich glaube, die meisten meiner Kollegen denken auch so.“

„Kollegen? Was bist du denn von Beruf?“

Der Mann kniff die Augen zusammen. Ein schiefer Blick traf den „Bettler“. „Was ich bin? Gott, was ist man schon. Tagedieb, Schlachtenbummler. Man schlägt sich so schlecht und recht durch.“

„Aber mehr schlecht als recht.“

„Stimmt schon. Du nimmst es doch wohl mit der Ehrlichkeit auch nicht so ganz genau?“

Berreux kratzte sich an der Nase. „Nun ja — man nimmt, was man kriegen kann.“

Der andere lachte rauh und hohl. „Richtig — sehr gut gesagt: man nimmt, was man kriegen kann. Trinkst du noch einen?“

„Gewiss, warum nicht? Hier in der stickigen Luft wird einem die Kehle trocken.“

Der Taschendieb rief dem Kellner eine Bestellung zu. „He! Emile! Noch zwei Feuerwasser für zwei durstige Seelen!“ Er wandte sich wieder Berreux zu. „Du bist selbstverständlich mein Gast.“

„Hast wohl gute Geschäfte gemacht?“

„Na, geht so. Gestern am Nordbahnhof. Hast du auch schon mal am Nordbahnhof gestanden?“

„Natürlich. Da kommen doch immer die reichen Engländer an. Ich kann auf englisch ‚bitte‘ und ‚danke schön‘ sagen.“

„Ja, ja, es ist doch gut“, sagte der Taschendieb nachdenklich, „wenn man einige Sprachkenntnisse besitzt.“

„Na, und worin bestand dein Geschäft?“

„Ich half einem Fremden den Koffer tragen, sollte ihn zum Hotel bringen, sagte er. Aber weisst du, da war gerade so ein Gewühl auf dem Bahnhofsplatz, und da habe ich das Hotel nicht gefunden. Was sollte ich tun? Als ehrlicher Mensch habe ich dann eben den Koffer in Verwahrung genommen.“

„Sehr gut.“

„Nicht wahr? Leider war fast nur Wäsche darin. Gute Herrenwäsche. Und ein paar andere Sachen, die man zu Geld machen konnte. Vor allem ein prachtvolles Rennglas, für das ich achtzig Franken bekam.“

„Donnerwetter. Wo hast du das denn ‚verschärft‘?“

„Beim Lumpenjaques, weisst du, der in der Rue Madeleine die Monatsgarderobe hat.“

„Ach, in dem Keller, zu dem die klapprigen Stufen hinunterführen? Der nahm mir auch mal ein Fahrrad ab.“

„Machst du in Fahrrädern?“

„Hie und da. Du bist Kofferspezialist?“

„Nein, durchaus nicht. Es war nur mal eine Gelegenheit.“

„Na — und sonst?“ Berreux machte eine pfiffige Bewegung nach seiner Brusttasche und zwinkerte mit den Augen dazu. „So — was?“

Der andere nickte anerkennend. „Junge, Junge — du riechst aber auch alles!“

„Ja, das riecht man. Wenn einer so schlanke Finger hat, da ist er ja geradezu zu so was vorausbestimmt! Mit wem arbeitest du zusammen?“

„Das ist ganz verschieden. Mein letzter Kumpan ist vor einigen Tagen verschütt gegangen. Ich hatte ihm gerade was zugesteckt — im Warenhaus, weisst du — na, und da muss ihn wohl so ein Greifer von der Polizei beobachtet haben. Mit knapper Not konnte ich noch verduften.“

Berreux war der Fall bekannt, da er sich ja in letzter Zeit alles melden liess. „War das nicht der blasse François?“ fragte er lebhaft.

„Ah! Woher weisst du das?“

„Nun, ich habe davon gehört. Man kennt doch auch so verschiedene Leute. War sonst ein pfiffiger Bursche, der François.“

„Ja — schade um ihn. Weisst du — ich glaube, den hat auch wieder Luxauge auf dem Gewissen.“

Berreux musste innerlich lachen. Luxauge wurde er selber von den Verbrechern genannt. „Ah! Berreux!“ rief er aus.

„Ja, ganz bestimmt! Dem haben sie doch neulich auch das Taschendiebstahldezernat unterstellt.“

„Wirklich? Das wusste ich allerdings noch nicht! Aber ich denke, der ist jetzt hinter dem Mörder von Didier her.“

„Ja, da sollte er sich mal mehr darum kümmern. Die Kleinen hängt man — die Grossen lässt man laufen.“

„Wenn Berreux hinterher ist“, meinte der Kommissar, „wird er wohl nicht mehr weit laufen können.“

„Wir wollen es hoffen. Berreux ist allerdings sehr geschickt. Man sagt ihm ja nach, dass er sogar durch feste Gegenstände hindurchblicken könne.“

„Hast du auch schon mit ihm zu tun gehabt?“

„Nein — Gott sei Dank nicht! Dem möchte ich nicht in die Hände fallen. Der macht immer ganze Arbeit.“

„Sehr schmeichelhaft!“

„Wie?“

„Für Berreux. Hast du ihn übrigens schon einmal gesehen?“

„O ja. Ich würde ihn gleich erkennen, auch wenn er noch so verkleidet wäre.“

„Er verkleidet sich manchmal?“

„Jawohl, man sagt ihm das wenigstens nach. Hast du vielleicht eine Zigarette für mich?“

„Ja, bitte!“ Berreux zog eine ganz einfache Sorte aus seiner Tasche. Die Schachtel war schmierig und abgegriffen. Er reichte dem anderen Feuer hin.

Taxi 303

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