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Madame Didier räkelte sich, sah blinzelnd auf die Weckuhr und sprang aus dem Bett. Dreiviertel sieben.

„Erneste! He! Erneste! Aufstehen!“

Der kleine Erneste gab keine Antwort. Er schlief noch den glücklich-friedlichen Schlaf des Kindes. Das eine seiner Händchen hing über den Bettrand.

Neben Erneste lagen die beiden kleineren Kinder in einem Sonderbettchen. Sie brauchten noch nicht in die Schule zu gehen.

Madame Didier huschte nervös hin und her, lief zur Küche, setzte die Milch auf, wusch sich in der Küche flüchtig Gesicht und Hände und lief dann wieder ins Zimmer zurück.

„He! Erneste, kleines Kerlchen, nun wird es aber Zeit! — Wo der Vater nur heute bleibt?“

Wenn ihr Mann, der Taxichauffeur Jean Didier, Nachtdienst hatte, war sie stets etwas aufgeregt. Wie oft hatte man schon gehört, dass so ein Fahrer nachts überfallen, ja niedergeschossen wurde. Dagegen gab es bis heute noch keinen vollkommenen Schutz. Was nützte es schon, dass Didier eine Waffe bei sich trug, wenn der andere flinker war oder ihn gar von hinten heimtückisch überfiel?

Die kleine Frau nahm den Jungen hoch, stellte ihn auf einen Stuhl. Der Knabe rieb sich die Augen. Dann reckte er sich. Schliesslich schlang er die Arme um den Hals seiner Mutter und sagte:

„Ich habe so viel geträumt.“

„Was hast du geträumt, mein Kind?“ fragte Madame Didier. „Hast du etwas Schönes geträumt?“

Der Junge schlüpfte in seine Hosen.

„Von Papa, Mutti!“ berichtete er. „Ja, da kam ein Mann — und der hat Papa mit einem Knüppel gehaut!“

„Gehauen heisst das, mein Jungchen — gehauen. Aber ist das wahr? Der Mann hat den Papa gehauen? Na — und was hat der Papa gemacht?“

„Der Papa ist hingefallen ... und dann — ja, dann ist er ganz ruhig liegengeblieben.“

„Mein Gott!“ stöhnte die Frau. „Mein Gott! Ob ihm wirklich etwas zugestossen ist?“

Sie strich sich mit zitternden Fingern über das noch unordentliche Haar. Hastig eilte sie zur Küche zurück, sah aus dem Fenster. Kam er denn immer noch nicht? Er müsste längst hinter dem Neubau aufgetaucht sein. Wo er nur heute blieb?

Mit ihren Gedanken bei Jean, machte sie ihren Knaben fertig, wusch ihn, kämmte ihn, gab ihm die Milch zu trinken und ein Stückchen Schmalzbrot dazu. Dann musste er sich schon fertig machen, den Ranzen über die Schulter nehmen. Ein Kuss noch. — „Leb wohl, mein Junge!“

Schon stapfte er mit seinen kleinen Füssen die Treppe hinunter. Madame Didier blickte ihm nach.

„Wenn du den Vater siehst“, rief sie, „so sag ihm, er soll sich beeilen, hörst du?“

Ein schwaches „Ja, ja!“ kam zurück. Der Junge steuerte schon auf den Neubau zu.

Es war trübe draussen, regnerisch, dunkel, sehr kühl. Die jungen Blätter der Bäume waren von Tau benetzt. Ein Milchwagen fuhr klingelnd vorbei. Zwei Strassenkehrer schwatzten laut miteinander. Nebenan zog jemand mit grossem Getöse die Jalousien hoch.

Madame Didier setzte das Kaffeewasser auf. Wenn ihr Mann kam, wollte er immer erst einen starken Kaffee trinken. Er hatte gewiss gefroren in dieser kalten Nacht. Aber warum kam er noch nicht?

Sie warf einen Blick auf die Küchenuhr. Mittlerweile war es dreiviertel acht geworden. Jean musste längst hier sein.

Ihre Unruhe wuchs mit jeder Minute. Der Traum des Jungen ängstigte sie mehr, als sie sich eingestehen wollte. Unfähig, jetzt ihre gewohnte Arbeit zu erledigen, trat sie wieder ans Fenster und schaute auf die Strasse hinaus. Arbeitertrupps kamen vorüber. Wagen um Wagen rollte vorbei. Der Geschäftsverkehr setzte ein. An der Ecke sauste klingelnd und rasselnd die Strassenbahn über die Schienen. Ein Hund schlich mit eingezogenem Schwanz über den Damm. Der Müllabfuhrwagen hielt vor dem Nachbarhaus. Zwei gelblich bestaubte Männer schleppten die schweren Kästen aus dem Hause heraus.

Madame Didier sah das alles — und sah es doch nicht. Immer wieder glitt ihr Blick zu dem Neubau hinüber. Dort musste er um die Ecke kommen, jeden Augenblick. Der grosse, breitschultrige Mann stand ihr deutlich vor Augen, mit seinem etwas schwerfälligen, wiegenden Gang. Die Chauffeurmütze zog er meistens über das linke Ohr.

Da! War er das nicht ..?

Nein. Ein anderer. Ihre Erregung narrte sie schon.

Die Minuten verrannen. Es schlug bereits acht. Aus der Stube drang Kindergeschrei. Eglantine, das Mädchen, war wach geworden. Was hat sie nur? Warum schreit sie?

Madame Didier eilte zu dem Kind, nahm es auf und beruhigte es. Aber es liess sich lange nicht beruhigen. Es schrie nur noch mehr. Die Frau war ganz ausser sich. Sie konnte jetzt nicht einmal hören, wenn draussen die Wohnungstür knarrte. Jeden Augenblick musste sie doch knarren — meinte sie.

Aufgeregt legte sie die Kleine ins Bett zurück. Mag sie brüllen — mein Gott, sie wird Hunger haben. Madame Didier ging in die Küche zurück, um ein Süppchen zu kochen. Jetzt konnte sie auch von Zeit zu Zeit wieder einen Blick aus dem Fenster werfen.

Als die Kleine besorgt war, liess es ihr keine Ruhe mehr. Sie eilte zum Kaufmann hinunter. Ob sie mal telefonieren dürfe.

„Aber gewiss doch, Madame — was gibt’s denn? Sie sind ja so aufgeregt?“

„Mein Mann —!“ sagte sie nur und hob schon den Hörer auf; rief die Garage an.

„Wer ist dort? Madame Didier? Ihr Mann? Warten Sie einen Augenblick, ich will einmal nachschauen.“

Der Augenblick wurde zu einer Ewigkeit. Endlich — endlich kam der Mann wieder zurück an den Apparat. „Ja, bitte?“

„Ihr Mann ist noch nicht wieder da, Madame Didier. Vielleicht hat er noch eine weite Fahrt nach auswärts bekommen. Das wäre ja nichts Beunruhigendes.“

Madame Didier hängte ein. Sie war ausser sich.

Nichts Beunruhigendes!

Taxi 303

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