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1.3.3 Wirkung von Brandrauch auf den Menschen
ОглавлениеVon den in Deutschland jährlich zu beklagenden ca. 220 bis 300 BrandtoteBrandtotein Deutschlandn (Kaiser [1.37] und DFV [1.4]) sind nach neuerer allgemeiner Auffassung mindestens ca. 70 % eigentlich Rauchtote (Lessing et al. [1.38], Wilk et al. [1.68], andere Autoren geben bis 90 % an, Basmer et al. [1.32]).
Die Gefährlichkeit von Brandrauch für den Menschen beruht auf folgenden Wirkungsmechanismen:
narkotisierende Wirkung
reizende Wirkung
Sichtbehinderung
thermische Wirkung
psychologische Wirkung
Im Folgenden werden die wichtigsten Merkmale dieser Wirkungsmechanismen des Brandrauches kurz erläutert. Eine vertiefte Darstellung mit neueren Erkenntnissen und Modellen zur Berechnung der Wirkung von Rauch- und Heißgasen haben Wilk et al. 2019 vorgelegt [1.68], [1.69].
Die narkotisierende Wirkung des Brandrauches – Rauchgasintoxikation – führt dazu, dass betroffene Personen – selbst, wenn sie zum Brandzeitpunkt wach sein sollten – teilnahmslos und danach bewusstlos werden, so dass eine Selbstrettung nicht mehr stattfindet. Die narkotisierende Wirkung Rauchnarkotisierende Wirkunggeht im Wesentlichen von den Komponenten Kohlenmonoxid (CO) und Blausäure aus (vergl. Punkt 1.3.2). Wie bei allen Giften hängt die Wirkung von der Konzentration der Stoffe und der Expositionszeit und damit von der aufgenommenen Dosis ab. Da in allen Realbränden stets ein Schadstoffgemisch entsteht, ist der Organismus einer Vielzahl von Stoffen ausgesetzt, die sich in ihrer Wirkung verstärken. Der grundlegenden Arbeit von Purser [1.28] ist zu entnehmen, dass als vielen Stoffen gemeinsames ToxizitätspotentialToxizitätspotential ein Wert von 500 g/m³ min gelten kann, der bei 50 % der exponierten Versuchstiere zum Tod führt.
In Wohn- und Arbeitsräumen ist im Allgemeinen von einer Mischbrandlast auszugehen, die zu etwa 50 % aus Holz, zu ca. 10 % aus anderer Cellulose (Papier etc.), zu ca. 10 % aus Gummi und Leder und zu ca. 30 % aus Kunststoffen besteht (vergl. auch [1.32]). Eine vollständige Verbrennung liegt überwiegend nicht vor. Der obige Wert der Toxizität nach Purser kann dann zugrunde gelegt werden. Ein Mensch hat danach bei Einatmen von Luft mit einer Brandrauchkonzentration von ca. 2 % nach 30 Minuten noch eine Überlebenschance von 50 %. Eine sehr interessante Analyse toxikologischer Todesursachen beim Brand eines Altenheimes enthält [1.40].
Auf der Grundlage der Arbeiten von Purser wurde die Abbildung 1-2 entwickelt, die die Zeit bis zur Handlungsunfähigkeit von Menschen (time-to-incapacitation) für Kohlenmonoxid und Blausäureexposition zeigt.
Die reizende Wirkung des Brandrauches beruht im Wesentlichen auf Salzsäure und Aldehyden, hauptsächlich Formaldehyd, daneben auf Stickoxiden und Schwefeldioxid. Leicht wasserlösliche Reizstoffe beeinflussen vor allem die Augen und die oberen Atemwege. Schwerer lösliche Stoffe (insbesondere HCl und NOx) gelangen bis in die Lunge und können dort nach einigen Stunden zum Lungenödem führen. Weitere Ausführungen zur Wirkung von Reizgasen findet man bei Purser [1.28], zur Auswirkung auf die Selbstrettung von Betroffen in [1.40].
Abbildung 1-2:
Zeit bis zur Handlungsunfähigkeit für die Exposition mit Kohlenmonoxid und Blausäure (berechnet nach [1.28])
Handlungsunfähigkeitn. HCN- und CO-ExpositionToleranzzeitfür COToleranzzeitfür BlausäureBlausäureToleranzzeitDie Selbstrettung von Personen wird durch die akute Reizung der Augen und oberen Atemwege nachteilig beeinflusst. Dabei ist, anders als bei narkotisierenden Gasen, die Wirkung nicht von der aufgenommenen Dosis abhängig, sind Reizgase vorhanden, tritt die Wirkung sofort ein. Die Stärke der Irritation scheint in erster Linie von der Art des Brandgutes abzuhängen, so wird Rauch von Holzfeuern als deutlich weniger reizend eingestuft, als jener von Bränden von Plastikmaterialien. Der Schmerz kann durch Schließen der Augen oder starkes Augenzwinkern, durch Mundatmung oder Anhalten des Atems in seiner subjektiven Empfindung beeinflusst werden.
Reizgas | Handlungsunfähigkeit | Behinderung der Flucht |
HCI | 900 ppm | 200 ppm |
HB r | 900 ppm | 200 ppm |
HF | 900 ppm | 200 ppm |
SO 2 | 120 ppm | 24 ppm |
NO 2 | 350 ppm | 70 ppm |
Akrolein | 20 ppm | 4 ppm |
Formaldehyd | 30 ppm | 6 ppm |
Tabelle 1-2:
Konzentrationsgrenzwerte von Reizgasen (zusammengestellt nach [1.28])
Handlungsunfähigkeitdurch ReizgaseToleranzzeitfür ReizgaseReizgaseToleranzzeitWird der Schmerz zu groß, so kann die Selbstrettung extrem erschwert oder unmöglich werden. Die betroffenen Personen suchen dann häufig vermeintlich sichere Bereiche auf. Wenn sie dort weiterhin narkotisierenden Brandgasbestandteilen ausgesetzt sind, kann es zu den oben geschilderten Folgen kommen, obwohl die Person zunächst durchaus zur Selbstrettung in der Lage war. Hinsichtlich der Konzentration von Reizstoffen im Rauchgas, die zur Behinderung oder gar Handlungsunfähigkeit betroffener Personen führen, sind die in der Fachliteratur zu findenden Werte etwas uneinheitlich. In Tabelle 1-2 sind einige Werte aus [1.28] aufgeführt, die auf der sicheren Seite liegen, d.h. die Beeinträchtigung durch die Reizwirkung wird eher etwas überschätzt.
Dichter Rauch führt zu einer Beschränkung der SichtweiteSichtweiteBeschränkungRauchSichtweite, und damit der Wahrnehmung wichtiger Hinweise (z.B. Rettungswegbeschilderung, Punkt 13), die u.U. noch durch die oben beschriebene Reizwirkung der Rauchgase verschlechtert wird. Die lichttrübende Wirkung der Rauchgase beruht im Wesentlichen auf den enthaltenen Aerosolen und Feststoffen und wird durch die sog. Optische DichteOptische Dichtevon RauchRauchoptische Dichte pro Weglänge DL bzw. den ExtinktionskoeffizientExtinktionskoeffizientv. Rauchen RauchExtinktionskoeffizientRauchSchwächungskoeffizient(oder Schwächungskoeffizienten) k beschrieben (k = DL * ln 10). Eine optische Dichte pro Weglänge von 0,5/m heißt, dass die Sichtweite noch 2 m beträgt. Bei einer optischen Dichte pro Weglänge von ca. 0,05/m kann ein 25 m entferntes selbstleuchtendes Hinweisschild gerade noch erkannt werden. Detailliertere Ausführungen hierzu findet man bei Schneider [1.42] und Steinert [1.43] und unter Punkt 13.4.2.
Die durch Rauch reduzierte Sichtweite führt zu einer Verlangsamung flüchtender Personen sowie zu Schwierigkeiten bei der Orientierung, insbesondere in unvertrauten Gebäuden. Damit kann die Expositionszeit für Rauchgase entsprechend steigen, bekannt ist auch, dass sich Personen in unvertrauten verrauchten Gebäuden verirrt haben.
Die thermische Wirkung Rauchthermische Wirkungder Rauchgase, die auch außerhalb des Brandraumes durchaus Temperaturen zwischen 200 oC und 300 oC haben können, kann bei längerer Exposition zu einem Hitzeschock führen. Verbrennungen der Haut und der Atemwege sind zu erwarten, wenn die durch Konvektion oder Strahlung eingetragene Wärmestromdichte bestimmte Werte überschreitet.
Ein HitzeschockHitzeschock tritt ein, wenn Personen über längere Zeit erhöhten Temperaturen (80 oC bis 120 oC) ausgesetzt sind und dadurch die Körper-Kerntemperatur über 40 oC ansteigt. Die Folge sind zunächst Übelkeit und Bewusstseinseintrübung, bei weiter ansteigender Körper-Kerntemperatur kann ab ca. 42 oC innerhalb weniger Minuten der Tod eintreten. Werden Brandgase oder erhitzte Luft mit mehr als 180 oC eingeatmet, kommt es unmittelbar zur Blockierung der Atemfunktion durch irreversible Schädigung der Luftröhre und Lunge. Der Tod tritt nach wenigen Minuten ein.
Das Auftreten von VerbrennungenVerbrennungen hängt stark von der Temperatur und der ExpositionszeitExpositionszeit ab und wird daneben von der vorhandenen Kleidung, der Luftfeuchtigkeit und Luftströmung beeinflusst. Die Art des Wärmetransportes in die Haut – Konvektion oder Wärmestrahlung – ist dabei sekundär. Bei Temperaturen der Luft um 100 oC beträgt die Toleranzzeit ca. 15 Minuten bis 25 Minuten, diese sinkt jedoch bei Temperaturen um 200 oC auf nur noch 3 Minuten bis 4 Minuten ab. Wärmestrahlung von unter ca. 2 kW/m² können relativ lange ertragen werden, bei BestrahlungsintensitätenStrahlungsintensitätkritische bei Menschen von mehr als 10 kW/m² Wärmestromdichtekritische durch Strahlungtreten schon nach wenigen Sekunden Verbrennungen 2. Grades (Blasenbildung) auf. Bei großflächigen Verbrennungen 2. Grades kann es neben dem unmittelbaren intensiven Schmerz zu einem Schock aufgrund des Flüssigkeitsverlustes kommen.
Die Zeit bis zum Eintritt der HandlungsunfähigkeitHandlungsunfähigkeitbei Wärmeexposition von Personen bei starker WärmeexpositionWärmeexpositionToleranzzeit ist nach dem oben ausgeführten nicht einfach festlegbar, daher verwundert es nicht, dass die publizierten Werte starke Streuungen aufweisen. In Abbildung 1-3 sind zwei empirisch ermittelte Zusammenhänge dargestellt.Toleranzzeitfür Wärmeexpostion
Abbildung 1-3:
Toleranzzeiten für Wärmeexposition (nach [1.28] und [1.44])
Anmerkung: | Da in realen Brandfällen die physiologische Wirkung von Rauch immer auf einer Kombination der obigen Faktoren beruht, richten sich neuere Bemühungen auf die Erarbeitung einer integralen Beschreibung der Auswirkung von Rauch auf die Benutzbarkeit von Rettungswegen. Wilk et al. 2004 [1.45] haben erste Ergebnisse ihrer Untersuchungen vorgestellt und kommen zum Ergebnis, dass sich bei Mischbrandlasten, wie sie in Wohnungen, Büros und Hotels vorliegen, die Verringerung der Sichtweite (= Erhöhung der optischen Dichte, vergl. Punkt 13.4.2) und die toxisch bzw. reizend wirkenden Anteile im Rauch in einem bestimmten Verhältnis zueinander entwickeln. Daher ist es grundsätzlich möglich über die sich bei einem Brand in den Rettungswegen einstellende optische Dichte Aussagen über die Auswirkung von Rauch auf die Selbstrettungsmöglichkeit von Menschen abzuleiten. Als Ergebnis wird eine optische Dichte von 0,21 als der Wert angesehen, der in Rettungswegen über die für ungeschützte Personen erwartete Nutzungszeit (= Räumungszeit des Gebäudes) nicht überschritten werden darf. |
Auch die psychologische Wirkung von Brandrauch Rauchpsychologische Wirkungauf Personen, die im Verlaufe einer SelbstrettungSelbstrettungim Rauch mit verrauchten Räumen konfrontiert sind, ist nicht zu unterschätzen. Die Literatur berichtet von Gefühlen gesteigerter Beunruhigung und Sorge hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Situation, sowie emotionalem Stress,Stress durch Rauch der sich bis hin zur vollständigen Verwirrung mit der Folge irrationaler Handlungen steigern kann. HandlungsunfähigkeitPsychologieTatsache scheint zu sein, dass auch im Normalfall stabile Personen durch Rauch erheblich verunsichert werden können und u.U. sogar auf die Nutzung von nur mäßig verrauchten Rettungswegen verzichten. Das Verhalten von Personen in der Ausnahmesituation „Auftreten von Rauch“ wird stark durch die folgenden Faktoren beeinflusst: HandlungsunfähigkeitStress im Rauch
Entstehung, Farbe, Stärke und Ausbreitung des Rauches
Grad der Vertrautheit mit dem Gebäude
verfügbare zusätzliche Informationen(z.B. durch akustische Anweisungen)
Rollenverständnis das Betroffene von sich selbst haben(u.a. Geschlecht und Alter, „Macher“, „Macho“)
Verhalten anderer Menschen
Weitere Hinweise zum Verhalten von Menschen unter Stress infolge von Rauch findet man bei Bryan [1.46], der neben den Erkenntnissen kontrollierter Versuche auch die Ergebnisse von Befragungen betroffener Personen und sonstiger Auswertung von Realbränden präsentiert. Interessant ist insbesondere, dass das Eintreten von oftmals so bezeichneter „Panik“Panik infolge Rauch von Betroffenen – d.h. das irrationale, nicht situationsgerechte und antisoziale Flüchten, das die Überlebenschancen der Gruppe ebenso wie die des Individuums reduziert – anscheinend die Ausnahme ist. Dies wird durch Ergebnisse von Keating [1.47] sowie neuere Untersuchungen des Verhaltens von Menschen bei Großbränden – u. A. beim World Trade Center – unterstützt (Kuligowski [1.48], Künzel et al. [1.49]).