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Ohne Namen

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Anfang Februar bekamen wir in unserer Gruppe einen Neuzugang, er kam aus einem anderen Heim zu uns.

Noch bevor wir wussten, wie er hieß, sahen wir ihn nie wieder.

Was war passiert?

Frau Kaiser, Anfang dreißig, übergewichtig wie fast alle Erzieherinnen, so gut wie nie Schlüpfer tragend, ekelhaft, hysterisch, wild um sich schlagend, also eine Furie, wie sie im Buche steht. Der Umstand, dass sie existierte, könnte dem Spruch „Der möchte ich nicht im Dunkeln begegnen“ geschuldet sein.

Sie stank regelrecht nach Urin, der sogar ihren stark säuerlichen Schweißgeruch übertönte. Man sah sie auch nie ohne Kittelschürze, unter der sie, wie schon erwähnt, in den wärmeren Jahreszeiten nichts trug.

Diese Kittelschürzen gab es in verschiedenen Farben und aufgedruckten Mustern. Sie waren aus Dederon, auch als Nylon des Ostens bekannt, gefertigt. Man musste nicht einmal im Gegenlicht stehen, um zu sehen, was drunter getragen wurde. Einige, und gerade Frau Kaiser, haben ihre Kittelschürzen gekürzt, was das ganze Ensemble um einiges unansehnlicher machte, auf jeden Fall dann, wenn sie sich bückte und du gerade hinter ihr standest. Es ist ähnlich einem schweren Unfall, irgendwie kommt man nicht daran vorbei hinzuschauen, auch wenn man es nicht sehen will. Was man dann ungewollt zu sehen bekam, möchte ich lieber weglassen – auch, um jugendfrei zu bleiben.

Jene Frau Kaiser hatte den Neuzugang schon in den ersten Minuten seines Zugangs angewiesen, die Vorhalle zu reinigen. Er, der noch nicht dazu gekommen war, seine Sachen auszupacken, weigerte sich, ohne Angabe von Gründen, dem nachzugehen. Wir riefen ihm zu, in gebührendem Abstand zu Frau Kaiser zu treten und dass er diese Arbeit ausführen solle, weil die ihn sonst umhauen würde. Und sie schlug einen mächtigen Hammer, wenn sie sich mit ihren Massen in den Schlag begab.

Er stellte sich trotzig, mit verschränkten Armen, hin und reagierte auf gar nichts.

Selbst eine mächtige Backenplatte von Frau Kaiser, die er ohne Murren hinnahm, veranlasste ihn nicht, irgendetwas zu tun.

Dann passierte das Unfassbare … wild kreischend ging sie auf den Jungen los, griff in seine noch längeren Haare und riss ihn mit ihrer gewaltigen Körperfülle zu Boden. Sie schlug seinen kleinen Kopf mehrmals auf den Terrazzoboden. Das hörte sich nicht gut an. Schon nach dem zweiten Aufschlagen musste der Junge ohne Bewusstsein gewesen sein.

Dieser dumpfe Ton, mit gelegentlichem Knacken, geht dir lange nicht aus dem Kopf.

Der Junge hatte von Anfang an keinen Laut von sich gegeben und sie schlug immer weiter den Kopf auf den Boden. Er zeigte keine Regungen mehr, der Körper zuckte nicht einmal mehr beim Aufschlag.

Aus unseren Rufe wurden nun Bitten: „Aufhören, bitte hören sie auf“ – sie muss wohl so was wie einen Blutrausch gehabt haben.

Erst Herr Gerd konnte sie mit viel Mühe stoppen und von dem bewegungslosen Körper trennen.

Der Junge wurde erst nach Stunden seiner Misshandlung in ein Krankenhaus gebracht.

Auf dem Fußboden waren viel Blut und Haare, sogar mit Haut dran. Als sich niemand bereit erklärte, das Blutbad zu entfernen, tat es dann Herr Gerd selbst.

Den Jungen sahen wir, wie erwähnt, nicht wieder.

Auf mehrfache Anfragen, ob er tot sei, sagte man uns: „Nein, der Junge ist in einer anderen Einrichtung, einem Jugendwerkhof.“

Mein ganzer Körper zitterte. Ist das der Preis, den auch wir zahlen müssen, wenn wir ungehorsam sind?

Den Jungen kannte ich nicht, aber es hat mich hart getroffen. Immer wieder, und das über Jahre hinweg, musste ich an diesen Jungen denken.

Frau Kaiser nahm erst Wochen später ihren Dienst wieder auf.

Misshandelt, verraten und verkauft

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