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Vorwort

Freitag, 26. September 2014

Langsam fahre ich die schmale Wohnstraße entlang. Wie immer kein Parkplatz. Ich stelle den Wagen in die zweite Reihe, direkt vor die Mühlenbäckerei. Für Anna ist sie die beste Biobäckerei in der Stadt. Eines Tages war sie da, schräg gegenüber von unserem Mietshaus, sechs Wochen bevor wir auszogen. Wir kaufen dort immer noch ein, der Laden liegt auf unseren Wegen.

Ich betrete den kleinen Verkaufsraum. Vor mir noch vier Kunden. Gleich bin ich dran, eine kleine Frau mit grauen Haaren und einem altmodischen Mantel steht noch vor mir. Sie will bei jedem Laib genau wissen, welche Zusatzstoffe darin enthalten sind. Ich denke mir: Die arme Frau, was würde sie wohl tun, wenn sie in Sibirien oder Haiti leben würde. Die kleine Frau ist jetzt am fünften Laib Brot angelangt, einem Ur-Korn-Brot. Dieses Mal fragt sie, aus welchem Land das Getreide ursprünglich stammt. Gleich hupt einer, denke ich und schaue aus dem Ladenfenster nach meinem Auto. Ich stehe vor der Theke. Die Verkäuferin kennt mich. Sie zieht ihre Augenbrauen hoch, zuckt mit den Schultern und lächelt mich an: „Ein Laib Roggen pur, wie immer?“ Es ist Annas Lieblingsbrot. „Ja bitte, und zwei Stück von dem Käsekuchen. Packe mir den Käsekuchen bitte extra ein.“

Für das Brot benutze ich eine Stofftasche. Die Käsestücke balanciere ich auf der rechten flachen Hand nach draußen und lege sie vorsichtig auf den Beifahrersitz, damit sie nicht zerdrückt werden. Ein Blick auf die Uhr. Ich werde pünktlich sein.

In der Küche bereite ich alles vor, lege die Kuchenstücke auf die Teller und rufe durch die Durchreiche ins Esszimmer: „Möchtest du einen Espresso oder aufgebrühten Kaffee?“ Unser Gespräch verläuft zäh, die Stimmung ist angespannt. Ich sage zu Anna: „Warum bist du so wortkarg? Dich bedrückt doch etwas.“ Sie legt die Kuchengabel zur Seite, sieht mich an und sagt: „Jan. Ich habe eine existenzielle Entscheidung getroffen. Sie wird alles verändern.“

25 Jahre früher

Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir uns kenngelernt haben?

Eine Stunde bevor wir uns das erste Mal sehen werden, sitze ich an meinem Schreibtisch und blicke auf einen parkähnlich angelegten großen Innenhof. Bäume, Büsche, kleine Wege und zwei weißlackierte Holzbänke. Seltsamerweise denke ich an ein Eulenpärchen, das letzten Sommer in der Fichte direkt vor meinem Fenster saß und mich so penetrant angeglotzt hat, dass ich die Jalousien schloss.

Dabei komme ich gerade aus dem Zimmer des Geschäftsführers. Gerüchte über eine Strukturveränderung der Geschäftsstelle gab es schon länger. Dennoch hat er mich überrumpelt. „Es gibt eine neue Abteilung für das Marketing. Wir haben Sie für die Leitung vorgesehen. Es wurde auch diskutiert, eine neue Stelle einzurichten, aber dafür fehlen uns die Mittel. Keine Sorge, Ihre bisherige Tätigkeit bleibt erhalten und wird integriert. Sie bekommen jede Unterstützung, die Sie brauchen, einschließlich Weiterbildung.“

Ich bin Pädagoge und habe keine Ahnung von Marketing. Verdammt. Es interessiert mich nicht. Eingestellt wurde ich als Bildungsreferent. Aber aus der Nummer komme ich nicht raus. Keine Chance. Das bedeutet mehr Arbeit, mehr Verantwortung, aber vielleicht auch mehr Gehalt. Ich schaue in den Park. Die Eichhörnchen springen aus luftiger Höhe von Baum zu Baum und landen sicher. So mache ich es auch. Ich springe einfach und hoffe, sicher zu landen. Jetzt gehe ich erst einmal in die Mittagspause. Zum Stehitaliener.

Plötzlich stehst du neben mir und lachst mich frech an: „Ich glaube, Sie essen gerade meine Nudeln“. Ich sehe dich an, dein schönes Gesicht, die markant gebogene, lange Nase, die kurzgeschnittenen, rötlich-blonden Haare. Wie ein Junge.

Von den Stehtischen, erhöht auf einer Empore, haben die Gäste einen freien Blick in die offene Küche zu Theresa, der kleinen, untersetzten italienischen Köchin. Die Nudeln dauern etwas länger. Sobald sie al dente sind, stellt sie den Teller auf die Theke und bedient den Klingelknopf. Vertieft in ein Gespräch mit deiner Arbeitskollegin hast du den Klingelton überhört, und ich war zu voreilig.

In drei Stunden bist du nicht mehr da

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