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Der Vorschlag kam von Selma, der griechischen Frau eines Arbeitskollegen. Sie hatte uns zusammen mit anderen Freunden zum Abendessen eingeladen. Selma schwärmte von Sifnos, einer kleinen Insel in der südlichen Ägäis. Ihre Eltern besaßen dort ein Ferienhaus, in dem sie als Kind ihre Schulferien verbrachte.

„Wenn ihr einen schönen Liebesurlaub verbringen wollt, kann ich euch die Insel sehr empfehlen. Ein Kleinod, drei Stunden mit der Fähre von Athen entfernt. Touristisch nicht überlaufen, mit wunderschönen Stränden. Unser Ferienhaus lag im Ortsteil Artemonas. Dort besuchten wir immer ein Restaurant mit vorzüglicher lokaler Küche. Vor allem frischen Fisch. Den Namen des Restaurants habe ich vergessen, aber es liegt am Ende der Hauptstraße, die durch diesen Ortsteil führt, etwas tiefer gelegen. Steintreppen führen von der Straße hinunter zu der großen Terrasse. Leicht zu finden, falls es noch existiert.“

Ein halbes Jahr später landeten wir mit der Fähre von Athen in Sifnos und spazierten direkt ins Tourist-Office. Wir hörten Artemonas und freuten uns. Ein junger Grieche, der lässig hinter der Theke stand und leidlich gutes Englisch sprach: „I can offer you the windmill in Artemonas. A lovely place, three miles from here. You can take a taxi“.

Zur Windmühle, auf einer Anhöhe, führte eine schmale, gepflasterte Treppe. Die Vermieter, ein mittelaltes Pärchen, erwarteten uns mit frischer Bettwäsche samt Handtüchern. Sie waren sichtlich erfreut, uns als Gäste zu beherbergen und gaben uns zu verstehen, dass sie die Windmühle vor kurzem erworben hatten und wir ihre ersten Gäste waren.

Alles neu renoviert. Unten eine große Essküche, daneben ein noch größerer Wohnraum. Von dort führte eine hölzerne Wendeltreppe in eine Schlafkoje mit angeschlossenem Bad und Duschkabine.

In der Nacht wachte ich auf, hörte den Wind um die Mühle tanzen und spürte dich ruhig atmen. Ich drehte mich auf die andere Seite und schlief wieder ein. Am Morgen schlich ich mich zur Dusche, kam zurück und setzte mich auf den Bettrand. Durch die Jalousien fielen Lichtstreifen auf dein Gesicht, Du öffnetest die Augen und ich dachte: An diesem Morgen bist Du besonders schön. „Anna, wir machen uns fertig und frühstücken in einem Café am Marktplatz. Dort finden wir auch einen Motorradverleih.“

Wir saßen im Freien, und das hübsche, dunkelhaarige Mädchen brachte uns schwarzen Kaffee, Obst, griechischen Joghurt, Toast, Butter, Käse und Marmelade. Der Motorradverleih hatte vor allem Mopeds im Angebot, aber auch zwei Geländemaschinen und drei Motorroller. Ich liebäugelte mit einer Geländemaschine. Anna bevorzugte den Motorroller. Wegen der Farbe. Rot. „Sie passt zu unseren Flitterwochen, mein Liebling.“

Wir packten unsere Badesachen und fuhren die schwarz glänzende Serpentinenstraße hinunter zum Strand. Als wir ankamen, kurz vor Mittag, hatte die Hitze ihren Höhepunkt erreicht, und der Schatten des einzigen Baumes war schon lange von einem anderen Pärchen okkupiert. Es scherte uns nicht. Wir rannten gleich in die Brandung und schwammen um die Wette hinaus ins Meer. Bevor wir umdrehten, haben wir auf der Stelle Wasser getreten, uns umschlungen, geküsst, sind untergetaucht, prustend wieder hochgeschossen und zurückgeschwommen.

„Lass uns noch ein Sonnenbad nehmen, damit wir schön braun werden.“ „Das ist gut“, sagtest du, holtest tief Luft und strecktest dich auf dem Badelaken auf dem Sand aus, der warm war von der Mittagssonne. Ich sah dein klares Gesicht, dein nasses Haar, deine glatte Haut und deinen schönen Körper. Die Schlafkoje wurde unser Liebesnest. Wenn wir vom Strand und unseren Ausflügen zurückkamen, zogen wir schon auf der Wendeltreppe unsere T-Shirts aus, hüpften ins Bett und liebten uns. Manchmal waren wir zu müde und zu träge, um uns zu lieben, und wir kuschelten uns ein. Du lagst immer mit dem Gesicht zur Wand, hast das rechte Bein angewinkelt, und ich habe mich von hinten an dich gedrückt und dich umarmt. Wir schliefen ein.

Ich wachte auf, griff neben mich und spürte, dass du nicht da warst. Ich lief die Wendeltreppe nach unten, durch das Wohnzimmer, die Küche, und trat barfuß ins Freie auf die gepflasterte Terrasse. Mit dem Rücken zu mir standst du da, in einer langen Hose und dem blauen Leinenhemd, das ich so mochte, und decktest den kleinen runden Terrassentisch. Du blicktest dich um, kamst auf mich zu, hast mich umarmt und auf den Mund geküsst: „Alles Gute zum Geburtstag, Tiger.“ Tiger – der Kosename war plötzlich in der Welt. Bis heute weiß ich nicht woher, und was Du damit assoziiert hast. Aber er gefiel mir.

„Geh duschen und mach dich fertig, ich decke solange den Tisch für das Frühstück.“ Vom Meer her wehte eine leichte Brise. Wir saßen auf der kleinen Terrasse zwischen dem Treppenaufgang und dem Eingang zur Küche. Über das kleine Mäuerchen schauten wir zum Meer über die blauweißen Häuser der Inselbewohner hinweg. Du standst auf, bist mir mit der Hand durch das Haar gefahren und in der Wohnung verschwunden. Als du zurückgekommen warst, sagtest du: „Überraschung!“, und legtest mir ein in Geschenkpapier eingewickeltes Buch auf den Tisch. Ich packte es aus: Effi Briest von Fontane. „Oh, eine schöne Überraschung. Vielen Dank, meine Liebe.“ Ich gab dir einen Kuss und schlug vor, heute einen Lesetag einzulegen und am Abend bei dem Griechen zu feiern.

Wir gingen nicht jeden Tag zum Strand oder erkundeten die Insel. Wenn es uns zu heiß war oder wir einfach keine Lust auf Unternehmungen hatten, blieben wir zu Hause. Um die Windmühle wehte immer eine leichte Brise, die Kühle mitbrachte und die Mücken fernhielt. Ich erinnere mich noch, wie du dich lustig gemacht hast über meinen kleinen Koffer voller Fachliteratur über Marketing: „Oh mein Gott, ich dachte, wir machen hier Urlaub.“ Ich erläuterte dir, dass ich mir ja irgendwann Kompetenz aneignen müsse. Von meiner ungewollten Beförderung hatte ich erzählt. „Ich fange damit an, solange du bei mir bist. Wenn ich etwas nicht kapiere, frage ich dich. Du bist schließlich die Betriebswirtin.“ Du hast gelacht. „In meinem Studium spielte Marketing noch keine große Rolle, but I will try my very best. Aber so machen wir es. Du stellst die Fachfragen, und ich erzähle dir Geschichten aus meinen Romanen.“

Das Restaurant in Artemonas, das Selma empfohlen hatte, war immer noch in Betrieb, und wir hatten es schon ausprobiert. Es zog die Touristen an, von denen wir einige kennenlernten. Aber nur für ein, zwei Abende. Die meisten waren Inselhopper von den nahe gelegenen großen Inseln Mykonos, Milos und Naxos. Drei Wochen auf unserer kleinen, bezaubernden Insel. So lange verweilte niemand außer uns.

An diesem Abend hatten wir einen kleinen Tisch für uns reserviert, etwas abseits. Es war mein Tag, und ich wollte mit niemandem kommunizieren, außer mit Anna. Wir bestellten einen Vorspeisenteller für uns beide, mit Pita-Brot, Tsatsiki, Schafskäse und gefüllten Weintraubenblättern. Als Hauptspeise frischen lokalen Fisch. Dazu tranken wir kühlen Weißwein. Die Taverne lag nicht weit von unserer Windmühle entfernt. Wir hatten vorzüglich gespeist, fühlten uns gesättigt, und spazierten eng umschlungen die schmalen Mauergässchen entlang der mondänen Ferienhäuser von Artemonas, zurück zu unserer Windmühle. Auf unserer Terrasse bat ich dich, stehen zu bleiben und einen Moment zu verweilen. Ich hatte etwas vorbereitet. Ich ging in die Küche und holte die eisgekühlte Flasche Sekt aus dem Kühlschrank. Champagner wäre mir lieber gewesen, aber das hatte der Supermarkt nicht im Angebot. Ich dröselte den Draht des Verschlusses auf und drehte ganz vorsichtig den Korken aus der Flasche, weil ich nicht wollte, dass es knallt. Es sollte eine Überraschung sein. Es entsprach nicht meinem Stil, aber in Ermangelung von Sektgläsern füllte ich den Sekt in zwei Weingläser und betrat damit die Terrasse. Du hast mich bemerkt und angelächelt. Ich stellte mich vor dich, stieß mit dir an und sagte: „Es ist wunderschön mir dir.“ Wir stellten die Gläser auf das Mäuerchen und schauten hinunter auf die Häuser. Die Insel wurde noch nicht von der Beleuchtung der Straßen und Plätze heimgesucht. Ungehindert leuchteten der Sternenhimmel und der Mond. In ein paar vereinzelten Häusern brannte hinter den Fenstern ein Licht.

Du sagtest: „Ich kenne dich noch nicht lange, und trotzdem bist du mir so vertraut. Ich fühle mich aufgehoben bei dir. So ein Gefühl hatte ich noch nie. Wie zwei Lebenslinien, die sich treffen und von jetzt an in einem Strang weiterlaufen. Mein Ehemann war beim Bundesgrenzschutz, dann hatte ich eine kurze Affäre mit einem Architekten. Vielleicht liegt es daran, dass du Pädagoge bist.“ Ich umfasste Annas Taille und zog sie eng an mich.

Ich hatte mehrere wechselnde Beziehungen in den vergangenen Jahren. Die letzte hielt drei Jahre, immer wieder unterbrochen von mehr als einem Dutzend Trennungen. In meinem Freundeskreis avancierte dies zu einem amüsanten Gesprächsthema. Wir trafen uns immer wieder im Bett. Das war es nicht, was ich wollte. Ich wünschte mir einen Menschen, mit dem zusammen ich der Welt mein Leben abtrotzen konnte. Und plötzlich stand er vor mir. Anna.

In drei Stunden bist du nicht mehr da

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