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5.

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Vom Planeten Vigpander zu stammen, war eine besondere Auszeichnung. Eine weibliche Vertreterin des Volkes zu sein, die nächsthöhere. Sich aber mit dem Titel einer Parazeit-Historikerin schmücken zu dürfen, das war das höchste der Gefühle, und nach ihrer eigenen Aussage gab es nur ein Wesen, das dieses Titels würdig war.

Selbstverständlich redete Neithadl-Off von sich selbst. Sie war jedoch verschwiegen wie ein interstellares Grab und dunkel wie ein Schwarzes Loch, wenn sie gefragt wurde, was man unter einer Parazeit-Historikerin zu verstehen hatte.

Goman-Largos Schlussfolgerungen kamen der Problematik noch am nächsten. Parazeit war eine Zeit, die sich von der Realzeit unterschied und etwas mit Parafähigkeiten oder Paragenese zu tun hatte. Parazeit war folglich keine reale Zeit, sondern die Zeit in irgendeinem Pararaum. Die Definition eines Pararaums war jedoch auch dem Modulmann nicht möglich. Neithadl-Off brachte mit ihrer Berufsbezeichnung zum Ausdruck, dass sie die Vergangenheit einer solchen Parazeit erforschte und darüber Buch führte. Ob sie sich jemals in ihr aufgehalten hatte, konnte bezweifelt werden. Sie maß die Parazeit mit Sicherheit nur an winzigen, kaum sichtbaren oder spürbaren Relikten, die sie in der Realzeit gefunden hatte. Auch Historiker begnügten sich mit solchen Ausgrabungen und deren Interpretation, ohne selbst in der Vergangenheit gewesen zu sein.

Neithadl-Off jedenfalls gab keine Informationen über ihre Tätigkeit und denn Sinn der Parazeit-Historie preis.

Die Vigpanderin glich einem sechsbeinigen Metallrahmen, der mit graugrüner, lederartiger Haut bespannt war, die feucht schimmerte. Dieser Rahmen war rund neunzig Zentimeter hoch, zwei Meter und dreißig lang und einen Meter sechzig breit. Die Gestalt erinnerte an ein Trampolin. An ihrer vorderen Schmalseite konnte sie ein gutes Dutzend roter Sensorstäbchen ausfahren, die bei Erregung wie Lack glänzten. Hier befand sich auch eine schmale Mundleiste. Da sie weit herumgekommen war und ihr Leben darin bestand, dass sie als kosmische Anhalterin von Planet zu Planet reiste, ohne Zahlungsmittel zu benutzen, musste sie beredt sein. Sie beherrschte fast jede Sprache. Fremde Idiome lernte sie sehr schnell, und sie schaffte es fast in derselben Zeit wie ein Translator älterer Bauart.

»Ob die Fremden noch am Leben sind?«, fragte die Vigpanderin. Zu dritt hielten sie sich in der Zentrale auf. Alle Funktionen des Schiffes arbeiteten störungsfrei, doch noch immer wurden Reparaturratschläge und Fehlermeldungen mit der STERNSCHNUPPE ausgetauscht. Mrothyr tobte, weil er die richtigen Werkzeuge nicht fand oder das Schiff ihm den Zugang zu defekten Sektoren verweigerte. Das alles spielte sich auf mehreren Funkkanälen ab, und die Streuung war absichtlich erhöht worden, so dass der Funkverkehr überall in der Ebene bis weit hinter den Horizont mitzuhören war.

»Ihr Schiff befindet sich unter der Oberfläche«, sagte Goman-Largo, als habe er sich selbst davon überzeugt. »Was Atlan und Chipol entdeckt haben, wird nicht der einzige Hohlraum sein. Es ist nicht einmal gesagt, dass die Fremden in der ENTE sich absichtlich versteckt haben. Vielleicht sind sie eingebrochen. Dann besteht die Gefahr, dass unsere beiden Schiffe ebenfalls auf tönernem Boden ruhen.«

»Wir sollten sie suchen«, klang Animas Stimme auf. Sie hatte sich einen Ruck gegeben. Sie stand aus dem Sessel auf, in dem sie mit geschlossenen Augen verharrt hatte. »Vielleicht sind wir schuld daran, dass sie bei ihrer überstürzten Flucht einen Fehler gemacht haben.«

Goman-Largo verzog das hagere Gesicht. Die schmalen Lippen verschwanden vollständig. Er erkannte, dass Anima sich wieder in einer Phase des Tiefs befand. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis sie sich die Schuld an dem hypothetischen Unfall der Fremden gab.

»Da ist etwas«, sagte er schnell. Er hatte POSIMOLS Lichtzeichen entdeckt. Der Bildschirm wechselte die Perspektive, und sie erkannten mehrere dunkle Punkte, die sich der STERNENSEGLER näherten.

»Atlan kommt«, rief Anima freudig aus. Ihre Niedergeschlagenheit war übergangslos verflogen. »Er wird etwas entdeckt haben!«

»Atlan kommt«, bestätigte Neithadl-Off. »Und Chipol ist bei ihm. Und ein paar andere Freunde. Sie wollen uns besuchen!«

Die Punkte wurden deutlicher. Es handelte sich um acht Gestalten, die sich durch die Ebene auf das Schiff zu bewegten. Bisher hatte das Schiff sie nicht ausgemacht, und der Tigganoi trat an eine der Konsolen und befragte die Bordpositronik nach der Ursache. Die schriftliche Antwort alarmierte ihn. Er drückte einen Sensor und versetzte das Schiff übergangslos in Gefechtsbereitschaft. Anima verfolgte sein Tun mit weit aufgerissenen Augen.

»Was ist ...«, begann sie, doch Goman-Largo fiel ihr ins Wort.

»Liebreizende Seele, es ist nicht Atlan. Es handelt sich um Fremde, die sich nähern. Sie müssen schon längere Zeit im Anmarsch auf das Schiff sein, aber erst jetzt hat POSIMOL sie geortet. Das bedeutet, sie besitzen einen Antiortungsschutz.«

Es waren also die Fremden aus der ENTE. Oder Einheimische, die Bewohner des Planeten Orgro. Ihr Ziel war die STERNENSEGLER.

Die Fremden trugen hellrote Uniformen. Sie marschierten hintereinander, und zweihundert Meter vom Schiff entfernt blieben sie stehen. Sie bildeten einen Kreis und lagerten am Boden. Der Wind trieb Staub und Sand in ihre Richtung.

»Der erste Kontaktversuch«, erkannte der Modulmann. »Sie wollen sich uns zeigen, trauen sich jedoch nicht, näher an das Schiff heranzukommen.«

»Was sollen wir tun? Atlan ist nicht da!« Anima blickte ihre Gefährten ratlos an.

»Seit du deinen Ritter wieder hast, bist du nicht mehr in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen«, warf Goman ihr vor. »Neithadl-Off und ich werden hinausgehen und mit den Fremden sprechen. Du kannst von mir aus hierbleiben und auf deinen Atlan warten. Er untersucht irgendwelche Kavernen. Er ist jetzt wirklich ein Ritter der Tiefe.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte er zum nächsten Antigrav, der ihn nach unten in die Nähe der Bugschleuse brachte. Die Vigpanderin folgte ihm, und außerhalb des Schutzschirmwulsts holte sie ihn ein. Der Wind hatte ein wenig an Kraft verloren, und die beiden so unterschiedlichen Wesen stapften nebeneinander durch den Staub, bis sie von den Roten entdeckt wurden. Goman-Largo erkannte Rangabzeichen und interpretierte ihre Träger automatisch als Soldaten. Er blieb stehen und wartete. Aus der Gruppe der Lagernden erhoben sich zwei und kamen ihnen entgegen.

Der Modulmann betrachtete ihre Gestalten. Die Fremden waren hominid. Sie maßen weit über zwei Meter und waren rund um die Hälfte größer als der Tigganoi. Sie wirkten schlank, fast dürr. Ihre Schädel waren schmal und lang, das Kinn ging in den Hals über, der ebenso breit wie der Kopf war. Die Schultern fielen rund nach außen ab, und die Arme schlenkerten neben dem Körper.

Die Fremden trugen Waffen, aber sie hielten sie nicht in den Händen, sondern hatten sie in den Taschen stecken. Es war ein Zeichen des Friedens, dass sie sie auch dort ließen.

In der Mitte zwischen der STERNENSEGLER und den Lagernden trafen sie sich. Hellrote Augen mit gelben Pupillen starrten sie an, und Goman-Largo zeigte die leeren Handflächen, um seine friedlichen Absichten anzudeuten. Er schaltete den Translator ein.

»Wir grüßen euch. Wir sind Goman-Largo und Neithadl-Off. Uns gehört die STERNENSEGLER. Wir sind notgelandet und können vorläufig nicht starten. Seid ihr Mitglieder des kleinen Schiffes, das vor uns floh?«

Der Translator gab nichts von sich, und der Fremde begann langsam zu sprechen. Es war ein ungewohntes Kauderwelsch, eine Mischung aus gedehnten und genuschelten Silben, als würde ein Verzerrer die Worte in die Länge ziehen.

»Nauhau-uhghawwi bewheflahamrragg fulslitibwooorgh, bam bam!«, klang es, und die mageren Finger des Sprechers machten eine ausladende Geste in Richtung auf seinen Begleiter. »Sfeehedhulwurh Tehesswalawer.«

»Fehlanzeige«, rumpelte der Translator. »Erbitte weitere Informationen!«

»Sprecht weiter«, forderte Goman-Largo sie auf. Er warf einen Seitenblick auf Neithadl-Off. Sie stand reglos da, die Sensorstäbchen vollzählig und auf höchste Leistung ausgefahren. Sie sog die fremden Worte in sich auf.

Der Fremde redete wie ein Wasserfall. Er hatte offensichtlich begriffen, worum es ging. Gleichzeitig schaltete seine rechte Hand an einer Gürtelschnalle. Der Gürtel gab etwas wie ein Brummen von sich und sagte dann laut und deutlich: »Willikommang!«

»Willkommen!«, korrigierte der Modulmann. »Es heißt willkommen!«

»Dahangge!«, gab der Translator des Fremden heraus.

Neithadl-Off bewegte sich. Der Rahmen schwankte und beugte sich nach vorn.

»Flaham bwooorgh, bam bam«, pfiff die Vigpanderin irgendwo in der Nähe der Grenze zum Ultraschallbereich.

»Hajj, hajj«, machte der Fremde. »Babawhahewwehen, abhadraagheherr.«

Goman-Largo bekam einen Lachanfall. Sein Translator und der des Fremden plärrten gleichzeitig los und sagten dasselbe. Nur die Verwendung der Worte »Willkommen« und »Danke« erschien dem Tigganoi verdächtig. Sie waren im Lauf der Unterhaltung von ihrer Seite nicht gefallen.

Es bedeutete, dass die Fremden einen Teil des Funkverkehrs aufgefangen und analysiert hatten.

»Ghewheren Muhumbumizz«, ließ Neithadl-Off sich hören. Sie sagte mehrere Sätze in rascher Folge hintereinander, und nur zweimal griff der Sprecher der Fremden korrigierend ein. »Es ist gut, du bist sehr begabt«, stellte er fest, und der Translator übersetzte es für Goman-Largo.

»Sie ist ein Talent darin«, bestätigte er und wiederholte seine Begrüßungsworte. Diesmal übersetzten die beiden Maschinen einwandfrei und sogar synchron. Der Translator des Modulmanns gab dabei die Zischlaute der Fremden nicht so klar wieder wie deren eigener.

Sie erfuhren nun, dass sich die Fremden als Tessaler bezeichneten. Sie gehörten zur Besatzung der YOI 1, die kurz nach der Landung durch die Gesteinsdecke des Planeten gebrochen war. Jetzt lag sie inmitten der Felssäulen und wartete darauf, dass sie wieder starten konnte.

»Dann sind wir Schicksalsgenossen«, erkannte Goman-Largo. »Wenn wir euch helfen können, tun wir es gern.«

»Ihr seid hilfsbereit. Aber bestimmt können wir euch ebenso helfen. Dürfen wir an Bord kommen? Und was führt euch in das System dieser Sonne?«

»Das ist ganz einfach«, erklärte Neithadl-Off. »Wir sind auf einer Hochzeitsreise. Dieser da«, sie deutete auf den Tigganoi, »hat die reizende Anima geehelicht. Er besitzt einen guten Geschmack.«

Der Sprecher der Tessaler schwieg beeindruckt. Er redete im Kommandoton auf seinen Begleiter ein, und dieser entfernte sich und holte die übrigen sechs Uniformierten herbei.

»Das andere Schiff, woher kommt es?«, fragte er.

»Es gehört zu uns«, pfiff die Vigpanderin. Diesmal war es sogar die Wahrheit. »Es sind die Trauzeugen. Weißt du, was Trauzeugen sind, Fremder?«

»Ich bin Grablyn, Adjutant des hohen Derlag«, erwiderte er. »Nenne mich bei meinem Namen!«

»Also Grablyn, was sind Trauzeugen?«

»Sie müssen etwas Trauriges zeugen.«

Es dauerte gut zwei Minuten, bis die Vigpanderin das Missverständnis aufgeklärt hatte. Es stellte sich heraus, dass auch der Begriff Hochzeit bei den Tessalern nicht bekannt war. Goman-Largo dachte, dass es Zeit wurde, dass Atlan und Chipol wieder auftauchten. Der junge Daila konnte mit dem Namen Tessaler vielleicht etwas anfangen.

»Vorläufig sind wir alle auf Orgro gestrandet«, stellte der Tigganoi fest. »Euer Ziel scheint dabei eher der Nachbarplanet gewesen zu sein.«

»Eures auch!«

»Falsch. Wir beobachteten euren Flug und näherten uns Cirgro aus Neugier, um zu sehen, was euch von dort vertrieben hat. Inzwischen wissen wir, wie sich das unbegreifliche Abwehrsystem auswirkt.«

Das Gesicht des Tessalers wurde ein wenig breiter. Er klatschte in die Hände.

»Orgro, Cirgro, das sind die Namen beider Welten. Woher habt ihr sie?«

Der nüchtern denkende Modulmann war für einen kurzen Augenblick aus dem Gleichgewicht gebracht. Daran hatte er nicht gedacht. Neithadl-Off sprang für ihn ein. Sie war um eine Antwort nie verlegen.

»Wir haben sie ihnen selbst gegeben. Orgro und Cirgro sind die Namen zweier alter Götter aus dem Volk von Vigpander, Wesen aus der Parazeit. Wollt ihr die Geschichte der Historikerschule hören?«

Sie wartete die Antwort gar nicht ab, sondern legte los. Eine gute Viertelstunde redete sie auf die inzwischen acht Tessaler ein. Danach war sie sicher, dass diese Wesen überhaupt nichts verstanden hatten. Sie waren verwirrt, und die Vigpanderin war Psychologin genug, um das sofort auszunutzen.

»Was treibt euch in das Cirgro-System?«, stellte sie die Gegenfrage.

»Wir sind gekommen, weil wir nach Mineralien und Erzen suchen. Wir wussten nicht, was uns erwarten würde.«

»Dann seid ihr wirklich zu bedauern. Eure Mission ist gescheitert«, gab Neithadl-Off heraus.

An ihrem jovialen Pfeifton merkte der Tigganoi, dass sie den Tessalern kein Wort glaubte.

*

Ein Kichern und Gackern drang an ihre Ohren. Es hallte, und dazwischen hörten sie unregelmäßiges Kreischen, als würde Metall an Metall gerieben. Das Rauschen des Flusses war verhallt. Etwas oder jemand hatte sie über eine längere Strecke transportiert.

Sie lagen in einem engmaschigen Netz klebriger Fäden, die ihnen jede Bewegungsmöglichkeit nahmen.

»Chipol, kannst du etwas erkennen?«, fragte Atlan. Der Daila verneinte. Die Scheinwerfer ihrer Helme brannten, aber die Lichtkegel stachen ins Leere. Sie zeigten nur die Felsendecke mit den Säulen, deren Abstände sich noch immer nicht verändert hatten.

Ein Schmatzen war ganz in ihrer Nähe. Atlan bog den Kopf nach links, so weit es ging. Er renkte sich fast einen Halswirbel aus bei dem Versuch, etwas zu erkennen. Er entdeckte einen Schatten und ein dunkelrot leuchtendes Band, das quer über den Schatten lief. Der Schatten schob sich näher, und im nächsten Augenblick wurde Atlan emporgerissen. Sein Körper wurde herumgedreht, und das Licht der Lampe leuchtete waagerecht.

Der Arkonide sah Chipol. Der Körper des Jungen war von einem Kokon aus fast durchsichtigen Fäden umhüllt und eingewoben. Er pendelte hin und her, und ein armdicker Faden zog sich hinauf bis zur Felsdecke. Auch bei dem Arkoniden setzte die Baumelbewegung ein.

»Es muss ein spinnenartiges Lebewesen sein«, stellte er fest. »Es hat uns als Beute akzeptiert und hängt uns auf Vorrat.«

So sehr er sich auch mühte, er konnte keine weiteren Kokons erkennen. Und der Schatten unten am Boden verschwand in der Finsternis, die von den beiden Scheinwerfern unzureichend erhellt wurde. Langsam hörte die Pendelbewegung auf, die beiden Kokons kamen zum Stillstand.

»Es ist eine etwas makabre Beweisführung«, ließ Chipol sich hören. »Es hätte sich auch anders feststellen lassen, dass es hier unten Lebewesen gibt.«

»Suche lieber nach einer Idee, wie wir hier herauskommen. Kannst du dich wenigstens etwas bewegen?«

»Nicht den kleinen Finger. Und du?«

»Wesentlich weniger«, gestand der Arkonide ironisch. »Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen.«

Er versuchte, den Kokon in Schwingung zu versetzen, aber es gelang ihm nicht. Seine Glieder begannen unter Durchblutungsstörungen zu leiden, und die Füße schliefen ihm ein. Obwohl die Lufterneuerungsanlage seines Einsatzanzugs arbeitete, litt er unter Atemnot und wurde immer müder. Nach einer halben Stunde war er fast eingeschlafen. Zuvor hatten sie beide mehrmals versucht, mit einem der Schiffe in Kontakt zu kommen. Da ihre Funkgeräte auf geringe Reichweite eingestellt waren, gelang es ihnen nicht. Sie mussten warten, dass jemand kam und sie befreite.

»Gute Nacht«, sagte Chipol schließlich. »Ich will jetzt schlafen!«

Er holte tief Luft und war nicht mehr ansprechbar. Atlan rief und brüllte in das Mikrofon, aber der Daila reagierte nicht mehr.

Nicht den Mut verlieren, meldete sich der Extrasinn. Man wird euch vermissen und suchen. Und man wird euch finden.

»Wenn wir bis dahin nicht verspeist sind«, entgegnete der Arkonide sarkastisch. »Sonst noch Vorschläge?«

Wach bleiben, bis das Vieh euch auspackt, um euch zu verzehren. In dem Augenblick, in dem ihr euch bewegen könnt, müsst ihr fliehen.

Nichts war einfacher als das. Atlan fielen die Augen zu, und er dämmerte langsam hinüber und fand nicht die Kraft dazu, sich gegen die Müdigkeit zu wehren. Er schlief ein und schrak erst empor, als ein Ruf ihn weckte.

Chipol schrie um Hilfe. Atlan riss die Augen auf und versuchte, etwas zu erkennen. Täuschte er sich, oder war das Licht seines Helmscheinwerfers matter geworden? Chipols Kokon hing noch an seinem Platz.

»Was ist los? Hast du geträumt?«

»Atlan, endlich. Ich habe Gestalten gesehen. Sie müssen sich unter uns befinden!«

Jetzt begann auch der Arkonide zu schreien, so laut er konnte. Es blieb ihnen dabei nur die Hoffnung, dass die Sucher wenigstens ein leises Geräusch hörten und aufmerksam wurden.

Ein Strahl zuckte durch die Luft und schnitt in Chipols Kokon. Atlan hielt unwillkürlich die Luft an. Sie waren entdeckt worden. Mrothyr und die Insassen der STERNENSEGLER kamen, um sie zu befreien.

Doch die Strahlen, die jetzt beide Kokons trafen und sie von ihrer Aufhängung trennten, besaßen eine bläuliche Farbe. Sie konnten keinesfalls aus einer Waffe der STERNSCHNUPPE stammen.

»Könnt ihr mich hören?«, wollte er wissen. Er erhielt keine Antwort und fand sich schnell mit dem Gedanken ab, dass er es nicht mit Bekannten zu tun hatte, sondern mit Fremden.

Die Fremden aus der ENTE oder Einheimische von Orgro.

Was sonst!

Plötzlich setzte das Gefühl des freien Falls ein, und im nächsten Augenblick prallte er gegen den harten Boden. Der Kokon dämpfte den Schlag, und dann platzte er auseinander, und der Arkonide erhielt seine Bewegungsfreiheit zurück. Er richtete sich auf und half Chipol auf die Beine.

»Danke«, sagte er, und von einem der uniformierten Fremden kam die Antwort:

»Willkommen!«

Der Gruß hätte eigentlich bedeuten müssen, dass es sich bei den dürren, hochbeinigen Wesen in den roten Uniformen um Bewohner Orgros handelte. Die weiteren Worte zeigten das Gegenteil.

»Wir hatten bereits Kontakt zu euren Freunden in den Schiffen. Daher beherrscht unser Translator eure Sprache. Ein Bote hat uns die Speicher in die Katakomben gebracht. Sind Trauzeugen immer so abenteuerlustig?«

Mit Sicherheit machte Atlan in diesen Augenblicken gerade kein geistreiches Gesicht und Chipol noch weniger.

»Ihr seid es nicht minder«, entgegnete er. »Was hat euch auf diesen Planeten getrieben?«

»Das kann dir Soray am besten sagen. Soray ist unser Obmann, und er hat sich entschlossen, mit euch zu reden. Zwei von euch namens Goman-Largo und Neithadl-Off sind bereits zur YOI 1 unterwegs. Goman-Largo ist der Bräutigam, Neithadl-Off die Brautmutter.«

»Und wo steckt die Braut?«, rief Chipol amüsiert.

»Anima hält sich in der STERNENSEGLER auf«, gab der Uniformierte zur Antwort.

»Also gut, wir kommen mit euch«, entschied der Arkonide. »Habt ihr das Ungeheuer erlegt?«

»Es ist in einer Felsspalte verschwunden. Mehr konnten wir nicht herausfinden!«

Sie setzten sich in Bewegung und marschierten in Richtung Osten, bis sie den Einbruch erreichten. Draußen an der Oberfläche war es heller geworden, und die unterschiedlichen Wesen konnten sich gegenseitig besser betrachten. Die Uniformierten nannten sich Tessaler und wollten nicht verraten, woher sie stammten. Sie versteiften sich, als sie Chipol sahen. Atlan bemerkte es. Chipol war ein Daila, und es stand zu vermuten, dass die Tessaler bereits mit Daila zu tun gehabt hatten. Chipol aber schien diese Wesen noch nie gesehen zu haben.

Der Rumpf der ENTE ragte vor ihnen auf. Das Schiff hieß YOI 1 und war ein Schwerer Erkunder. Soviel hatte Atlan den Uniformierten entlockt. Er gewann den Eindruck, dass es Soldaten waren. Ihr Verhalten wies auf organisatorische Abhängigkeit und Befehlsstrukturen hin.

Die Tessaler öffneten das Schiff und betrachteten es. Sie luden ihre Gäste ein, und wenig später betraten Atlan und Chipol einen oval geformten Raum irgendwo in der Schiffsmitte. Ein Tessaler hielt sich darin auf. Er sprach mit Goman-Largo und Neithadl-Off.

Die Vigpanderin stürmte sofort auf den Daila zu.

»Chipol!«, rief sie aus. »Chipol aus der Familie Sayum! Was sagt dir der Name Tessaler?«

»Nichts!« Chipol hatte die Wesen weder gesehen noch jemals von ihnen gehört. Er konnte der Parazeit-Historikerin nicht helfen.

Atlan fixierte inzwischen den Tessaler, der ihnen als Obmann Soray vorgestellt wurde. Soray war unruhig geworden. Er starrte nur den jungen Daila an und beachtete den Arkoniden kaum. Plötzlich jedoch fuhr er herum. Er wusste, dass er beobachtet wurde.

»So sieht ein junger Daila aus«, sagte der Arkonide. »Es ist nicht das erste Mal, dass du einen Daila siehst, nicht wahr?«

»Du irrst dich!« Soray klatschte zweimal in die Hände. »Gerade, weil ich ein Wesen wie ihn noch nie gesehen habe, ruht meine ganze Aufmerksamkeit auf ihm. Wer bist du? Gehört dir das größere Schiff?«

»Ich habe es in meinem Besitz. Ich bin der Trauzeuge der Brautmutter!«

Er deutete auf die Vigpanderin, aber Neithadl-Off tat unbeteiligt, als ginge sie das alles nichts an.

»Die Tessaler sind so freundlich und wollen uns bei der Reparatur der Schiffsanlagen helfen«, verkündete Goman-Largo. »Wir haben das Angebot angenommen. Soray meint allerdings, dass es dauern wird. Er will helfen, doch ich glaube, er kann es nicht recht. Er schickt laufend Trupps in alle Richtungen aus. Es wird ihm gehen wie uns. Er muss nach seltenen Metallen suchen.«

»Wir sind gut ausgerüstet«, widersprach der Obmann. »Ihr werdet es bald sehen. Wir haben euch aus den Fängen eines gefährlichen Tieres gerettet. Wollt ihr undankbar sein?«

»Niemals!«, rief Chipol aus. Er tat, als sei er erzürnt.

»Kommen wir zum Geschäft«, meinte der Arkonide. Er ließ sich von dem Tigganoi berichten, was sich bei der STERNENSEGLER abgespielt hatte. Dann wandte er sich an Soray.

»Du willst uns helfen, und wir wollen dir helfen. Das ist ein fairer Ausgleich. Wenn ihr daran interessiert seid, Cirgro anzufliegen und darauf zu landen, sind wir euch gern behilflich. Ratsam ist ein Versuch jedoch nicht.«

»Wir werden es nicht tun. Sobald ihr das System verlassen habt, werden auch wir aufbrechen!«, sagte Soray.

Achte auf die Reihenfolge, Arkonide. Er will euch weghaben!

»Erst dann?«, bemerkte Atlan. »Warum nicht vorher? Wir fühlen uns geehrt, wenn ihr uns den Vortritt lassen wollt. Aber ist es nicht sinnvoller, wenn wir die Wahrheit nicht länger verschweigen?«

»Wie lautet sie?«

»Dass wir bereits auf Cirgro waren, und zwar mehrere Tage. Dass wir die dortigen Bewohner und Verhältnisse kennen. Und dass ihr die Absicht habt, diese Welt zu besuchen. Nur ist es euch bisher nicht gelungen, auf ihr zu landen. Welche Absichten führen euch hin?«

Schweigen war in den Raum eingekehrt. Soray war mehrere Schritte zurückgewichen. Er hielt die Arme und Handflächen abwehrend von sich gestreckt.

»Nein, du irrst«, widersprach er. »Deine Vermutungen sind nicht zutreffend. Wir sind bloß Händler. Wir haben mit Cirgro keine Absichten. Wir wollen keinen Handel mit seinen Bewohnern treiben!«

Atlan lachte laut. Er ließ sich in einem Sessel nieder und schlug die Beine übereinander. Der Obmann ragte wie eine riesige Stange vor ihm auf.

»Händler mit militärischem Gebaren«, sagte der Arkonide. »Ich will es dir glauben. Und dass du keinen Handel auf Cirgro treiben willst, glaube ich dir auch. Du willst dort etwas anderes. Glaubst du, ich habe nicht bemerkt, wie du und deine Soldaten auf das Erscheinen Chipols reagierten? Chipol ist ein Daila. Und die Daila sind euch bekannt.«

»Du kannst keine Gedanken lesen, Fremder. Sonst würdest du anders reden!« Soray kam auf ihn zu. »Du bist kein gerngesehener Gast an Bord der YOI 1. Ziehe deine Schlüsse daraus!«

Atlan sah zu Neithadl-Off. Die Vigpanderin hatte den Obmann die ganze Zeit aufmerksam gemustert. Der Arkonide wusste nicht, was sie tat. Aber er hatte gehört, dass sie ab und zu über leichte telepathische Fähigkeiten verfügte. Und da soeben von Gedankenlesen die Rede war ...

»Atlan ist ein Ritter der Tiefe«, pfiff die Parazeit-Historikerin. »Er dient einem hehren Orden, den einst die Kosmokraten gegründet haben. Er hat eine eigene Orbiterin und taucht überall dort auf, wo das Universum aus den Fugen gerät. Du kannst sicher sein, Tessaler, dass er deine Heimatwelt vorläufig nicht besuchen wird. Sie ist zu unbedeutend. Und Händler seid ihr nie gewesen. Was meinst du mit dem Gedanken, dass Lurquin nicht die volle Wahrheit gesagt hat? Ich bin überzeugt, Lurquin ist ein Daila, und er hat die Wahrheit gesagt. Er konnte nicht wissen, was sich in diesem Sonnensystem ereignete, dem ihr den Namen Außen-AX-1200 gegeben habt!«

Sorays Augen waren vor Schreck weiß geworden. Das Blut schien völlig aus seinem Kopf gewichen. Die hohe, magere Gestalt schwankte und fiel in einen Sessel. Der schmale Mund bewegte sich lautlos.

»Die Wahrheit ist, dass sie Gedanken lesen kann«, erklärte Atlan mit harter Stimme. »Es ist an dir, mit ihr gleichzuziehen. Sage auch du die Wahrheit. Dann darfst du uns vertrauen. Wir werden dir alles sagen, was du wissen willst!«

Minutenlang schwieg der Tessaler. Dann raffte er sich auf.

»Eines Tages erhielten wir auf Tessal den Besuch eines Fremden«, begann er. »Er nannte sich Lurquin!«

Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2)

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