Читать книгу Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2) - Hans Kneifel - Страница 127
7.
Оглавление»Lurquin tauchte plötzlich auf. Niemand konnte genau sagen, mit welchem Schiff er gelandet war und wo er es geschafft hatte, sich an Bord zu schleichen. Er wurde verhaftet und nach seinen Besitzverhältnissen befragt. Nun wäre es dem Hauptplaneten unseres Reiches nicht schwergefallen, einen Gestrandeten zu versorgen, aber Lurquin besaß etwas, woraus er Kapital schlagen wollte.«
»Er nannte es einen Glücksstein«, fiel Atlan dem Obmann ins Wort. »Es kann sich nur um einen der Steine handeln.«
»Wir Tessaler betrachteten den Daila plötzlich mit ganz anderen Augen«, bestätigte Soray. »Wir kannten diese Art von Steinen, denn es sind Heilige Steine. Wir wussten bis dahin nicht, dass mehr als einer existiert. Wir vermuteten es wohl, doch die Forschungen im Rahmen unseres expandierenden Reiches hatten bisher keine Hinweise gebracht. Nun war dieser Lurquin da, und er war nicht auf den Kopf gefallen. Er verstand es mit kaufmännischem Geschick, aus dieser Tatsache Kapital zu schlagen. Er erhielt Zugang zu höchsten politischen und wirtschaftlichen Kreisen, und er lieferte tröpfchenweise Informationen über die so genannten Glückssteine und ihre Wirksamkeit. Unser Volk war begeistert davon, und als Lurquin nach umgerechnet zwölf Tag-Nacht-Phasen Tessal verließ, da war er ein reicher Mann!«
Atlan und seine Begleiter hatten aufmerksam zugehört. Der Extrasinn meldete sich, aber er teilte nichts mit, was Atlan nicht selbst schon bemerkt hatte.
Die Tessaler entstammten einem Sternenreich, das expandierte. Und die Glückssteine waren für sie das gefundene Fressen.
Zum Glück vorläufig unerreichbar, wie der Arkonide dachte.
»Wohin flog Lurquin?«, fragte Chipol. »Ist er nach Aklard gegangen?«
»Wir wissen es nicht. Ein Schiff brachte ihn an die Peripherie des Reiches, wo ab und zu auch fremde Schiffe Landeerlaubnis erhalten. Er machte Andeutungen über seine eigentliche Heimat, aber er nannte die galaktische Position nicht. Wir wissen nur, dass sie sehr weit von Tessal entfernt sein muss.«
»Was hat es mit dem Stein auf sich, den ihr aufbewahrt?« Goman-Largo trat vor den Sessel, in dem Soray noch immer hing. Die Gestalt des Obmanns straffte sich ein wenig.
»Er ist unser Heiliger Stein seit altersher. Er wird als kostbare Reliquie in einem Tempel aufbewahrt. Einmal im Jahr wird er wenigen ausgesuchten Personen zur Ansicht freigegeben. Auch Lurquin gehörte zu ihnen. Er betrachtete ihn nur schweigend und bestätigte, dass es sich ebenfalls um einen Glücksstein handelte. Lurquin berichtete dann, dass es auf Cirgro solche Steine in rauen Mengen gab. Man brauchte sich nur zu bücken und sie aufzulesen. Er nannte uns die Koordinaten, und wir machten uns mit der YOI 1 auf den Weg.«
»Wie alt ist der Tempel?«, wollte der Tigganoi wissen. »Wie alt die Überlieferung über den Heiligen Stein?«
Soray nannte ein paar Zahlen und Daten, aber damit gab sich der Modulmann nicht zufrieden. Er hatte das Gespräch an sich gezogen und fragte den Tessaler Löcher in den Bauch, bis dieser erschöpft innehielt und mit den Armen abwehrte.
»Ich weiß nicht, was du willst«, rief er aus. »Wir haben ein religiöses Interesse an den Steinen. Deshalb sind wir in das Cirgro-System gekommen. Suchgruppen sind auf Orgro unterwegs, um den Planeten nach Heiligen Steinen abzusuchen.«
»Sie werden keinen Erfolg haben«, sagte Atlan. »Auf Orgro gibt es keine solchen Steine. Unsere ausgeschleusten Sonden beobachten euch. Sie haben auch Messungen vorgenommen. Ihr sucht umsonst.«
»Wir werden es sehen«, murmelte Soray und blickte den Tigganoi an. »Du fragst aus einem bestimmten Grund, nehme ich an.«
»Wenn ich Tempel höre, werde ich immer hellhörig«, bestätigte Goman-Largo. »Gibt es in eurer Überlieferung wirklich keine Hinweise darauf, woher der Stein stammt und in welchem Zusammenhang er steht? Kennt ihr den Begriff Zeitschule oder wisst ihr, was Zeitchirurgen sind? Habt ihr schon einmal von einer Zeitgruft gehört?«
Soray verneinte das alles, aber sein Interesse erwachte.
»Du glaubst, der Heilige Stein steht in einem größeren Zusammenhang?«
»Ich habe Beweise. Sie sind Bestandteil meiner brüchigen Erinnerung. Ich müsste die Gelegenheit haben, den Tempel und seinen Inhalt zu untersuchen. Wisse, dass ich ein Absolvent der Zeitschule bin.«
Soray ließ durchblicken, dass eine solche Gelegenheit möglicherweise gegeben sei, er jedoch keine Entscheidungsbefugnis besitze. Goman-Largo gab sich vorläufig damit zufrieden.
Atlan ergriff das Wort. Nachdem Neithadl-Off ihm durch ihr Verhalten zu verstehen gegeben hatte, dass der Tessaler nicht gelogen hatte, sah er keinen Grund, den Fremden die Wahrheit über Cirgro zu verheimlichen. Er berichtete, was mit den Glückssteinen dort geschehen war und wie sie sich auf die Entwicklung des Volkes der Krelquotten auswirkten. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen, eine Landung erzwingen zu wollen. Die Bewohner legten keinen Wert auf weitere Kontakte, und ihre Angst vor körperlichen Veränderungen war groß.
»Das ist es, was ihr unbedingt erfahren musstet«, schloss der Arkonide. »Wenn ihr in euer Reich zurückkehrt, dann berichtet davon, dass die Krelquotten in Ruhe gelassen werden wollen.«
»Wir werden es nicht vergessen«, stimmte der Obmann zu. »Ich werde Hauptmann Derlag ersuchen, die Suchtruppen zurückzurufen.«
»Dann steht unserem Abflug nichts mehr im Weg«, stellte Chipol fest. »Und eurem auch nicht. Die Reihenfolge spielt keine Rolle.«
»Wenn wir euch technisch irgendwie helfen können ...«, meinte Soray. Der Arkonide winkte ab.
»Alle drei Schiffe sind in bester Verfassung, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Die STERNSCHNUPPE und STERNENSEGLER sind jederzeit startbereit. Nichts hält uns auf. Wir wünschen euch einen guten Heimflug.«
»Wohin werdet ihr ziehen?«, erkundigte Soray sich.
»Nach Aklard«, sagte Chipol schnell. »Von dort kamen wir, und dorthin kehren wir zurück. Wir haben unser Ziel, mit den Krelquotten eine Übereinkunft zu erzielen, nicht erreicht. Nehmt es uns nicht übel, wenn wir euch die Position des dailanischen Mutterplaneten nicht verraten. Wir verlangen auch nicht von euch, dass ihr uns über Tessal informiert.«
Atlan erhob sich. Die Verabschiedung begann, und Soray begleitete die Gäste aus dem Schiff. Oben über dem Einbruch hingen zwei Beobachtungssonden der STERNENSEGLER.
Atlan schaltete sein Fluggerät ein und stieg auf. Chipol und Neithadl-Off folgten ihm. Nur Goman-Largo blieb noch kurz unten, und Atlan hörte ihn sagen:
»Da gibt es noch einige offene Fragen bezüglich des Heiligtums. Wir müssen sie unbedingt abklären, bevor die YOI 1 Orgro verlässt. Ich werde mich rechtzeitig mit euch in Verbindung setzen!«
»Das Interesse beruht auf Gegenseitigkeit!«, verabschiedete der Obmann den Modulmann.
Die Gefährten aus den beiden Schiffen flogen davon, und kurz darauf hob sich der Schwere Erkunder mit seinem Sockel aus dem Einbruch und landete ein paar Kilometer westlich, wo der Felsboden stabiler erschien. Irgendwo darunter befand sich der Fluss, wo Atlan und Chipol von dem Ungeheuer überrascht worden waren. Sie berichteten dem Tigganoi und der Vigpanderin über ihr Erlebnis. Danach erhielten sie Kontakt mit Anima.
»Mrothyr hat vor kurzer Zeit die STERNENSEGLER verlassen«, berichtete sie. »Er wollte euch aufsuchen. Er müsste längst mit euch zusammengetroffen sein.«
»Wir haben ihn nirgends gesehen«, sagte Atlan. »Die Sonden werden ihn finden. Falls nicht, können sie zurückgerufen werden. Die Angelegenheit mit den Tessalern ist geklärt.«
Sie flogen nach Nordwesten, auf die STERNENSEGLER zu. Fern am Horizont erkannten sie einen winzigen Schatten, der sich in die Luft hob und ebenfalls dem Schiff Animas entgegenstrebte. Das war die STERNSCHNUPPE, deren Standort weit südlich nun sinnlos geworden war. Das Schiff veränderte ihn in eigener Entscheidung. Es flog in seinem Schutzschirm, wie sie bei ihrer weiteren Annäherung feststellten, als wolle es damit dokumentieren, dass es vollständig einsatzbereit war.
Atlan und seine Begleiter betraten die STERNENSEGLER. Von Mrothyr war noch immer kein Lebenszeichen gekommen. Auch die STERNSCHNUPPE wusste nicht, wohin er sich gewandt hatte. Die Sonden hatten ihn nirgends entdeckt und wurden vorübergehend zurückbeordert und in ihre Boxen eingeschleust.
Und dann stand Atlan unter dem Torbogen in der Zentrale. Er sah das Mädchen an, und dieses erwiderte seinen Blick. Anima stieß einen lauten Ruf aus, dann lag die Orbiterin in seinen Armen und begann zu schluchzen. Atlan drückte sie fest an sich.
Das also war Anima, die Vardi. Nicht ANIMA, der Kristall. Wesen und Charakter stimmten überein, nur die Gestalt hatte sich geändert.
Eine Korrektur ist nötig, meldete sich der Extrasinn. Sie hat ihre ursprüngliche Gestalt angenommen.
Atlan lachte innerlich auf und schalt den Extrasinn einen Trottel. Was spielte es für eine Rolle, wie sie aussah. Zugegeben, die Tochter des Salzhändlers Ninnok war ein hübsches Mädchen, hübscher, als ihre Begabung erwarten ließ. Oder lag es vielleicht gerade daran? Hatte sie ein wenig nachgeholfen? Atlan wusste, dass Anima sehr eitel sein konnte, wenn sie wollte.
»Es ist gut«, flüsterte er mit bewegter Stimme. »Du hast deinen Ritter wieder!«
*
Mrothyr sah die Ebene überdeutlich vor sich. Die hypervisuelle Komponente, die EVOLO ihm eingeimpft hatte, ermöglichte ihm das. Es nützte ihm jedoch wenig, denn sein Ich konnte diese Fähigkeit nicht nutzen.
Der Zyrpher flog dicht über dem Sand dahin. Ab und zu wirbelte der Wind kleine Fontänen empor, und er flog durch sie hindurch, sie gleichermaßen als Deckung benutzend. Er sah jedes einzelne Sandkörnchen, und die Ebene lag unter ihm wie aufgerastert. Nicht die winzigste Bodenverwerfung entging ihm, und etwa in der Mitte zwischen dem Standort der STERNENSEGLER und dem der YOI 1 entdeckt er den kleinen Kreis aus fingergroßen Kuppen, die aus dem Sand ragten. Sie waren höchstens zwei Zentimeter hoch. Ein gewöhnliches Auge hätte sie übersehen.
Mrothyr konzentrierte sich auf die Erscheinung. Er verscheuchte die anderen Gedanken, die in ihm aufsteigen wollten. Er landete und fegte einen Teil des Sandes beiseite. Felsspitzen tauchten auf, und der Zyrpher stellte fest, dass sie gleichmäßig in einem Kreis aufgestellt worden waren. Er begann zu arbeiten.
Einem Beobachter wäre aufgefallen, dass ein Wesen wie Mrothyr sich in Wirklichkeit nie so schnell bewegen konnte. Der Sand flog zur Seite, als arbeiteten mehrere Gleiter mit Hochdruckdüsen daran. Innerhalb kürzester Zeit entstand eine Grube, die drei Meter tief war und zehn Meter Durchmesser besaß. In ihrer Mitte ragte der Steinkreis auf, ein Gebilde, das aus einzeln in den Untergrund gesteckten Felsnadeln bestand. Wer oder was sie auf diese Weise verankert hatten, war nicht ersichtlich. Mrothyr erkannte jedoch die grobe Arbeitsweise, die darauf schließen ließ, dass es sich um wenig intelligente Lebewesen gehandelt haben musste.
Der Zyrpher umfasste eine der Felsnadeln. Sie war etwa vier Meter hoch, und er konnte die Hände auf der gegenüberliegenden Seite nicht zusammenfalten. Er stemmte sich gegen den Untergrund, und die Nadel glitt nach oben, als sei sie aus Papier und bestünde nicht aus kompaktem Gestein mit einem Gewicht von mehreren Zentnern. Mrothyr zog die Felsnadel heraus und warf sie von sich. Sie prallte am Rand der Grube auf den Boden und zersprang klirrend.
In die übrigen Felssäulen kam Leben. Sie begannen sich zu biegen und im Wind zu bewegen. Sie trafen sich in der Mitte, und es entstand ein Ton, den Mrothyr noch nie gehört hatte.
»Dong« machte es, und wieder »Dong«.
Die Bewegung der Felsen hielt an, und Mrothyr richtete seine Aufmerksamkeit auf die Höhlung, aus der er den Stein gezogen hatte. Warme Luft trieb ihm entgegen, und seine übersensiblen Augen nahmen in der Finsternis einen roten Schimmer wahr.
Ein Kratzen und Schaben war zu hören. Etwas arbeitete sich aus dem Loch empor, das etwas mehr als einen Meter Durchmesser besaß.
Gespannt verharrte der Zyrpher. Er rührte sich nicht, und sein psionisches Programm gab ihm keine besondere Verhaltensmaßregel auf.
Etwas Schwarzes schob sich aus der Öffnung. Es ähnelte zunächst einem blinden Maulwurf, und der Körper zog sich in die Länge, damit es durch die Öffnung passte. Darüber wölbte sich der Körper zu einem dunkelblauen Rund, und mitten über ihn zog sich ein rot leuchtendes Augenband. Schillernde Facetten musterten die Umgebung, die sich gerade verdunkelte, weil in der Hochatmosphäre eine Staubwolke die Sonne verfinsterte.
Das Tier hatte sich ganz aus der Öffnung geschoben. Es fuhr ein Dutzend kurzer Beine aus, über die Schleim rann und kleine Pfützen im Sand bildete, der als dünner Hauch den Felsboden bedeckte. Der Wind hatte ihn in der kurzen Zeit abgelagert, seit der Mrothyr den Steinkreis freigelegt hatte.
Etwas knackte und ächzte. Ein Geräusch entstand, das an ein Kichern erinnerte.
Unter normalen Umständen hätte Mrothyr einen Schauer empfunden. Der scheußliche Geruch des Wesens hätte ihn in die Flucht getrieben. Mrothyr mochte Spinnen nicht leiden, und dieses Untier ähnelte einer ins Riesenhafte gewachsenen Schwarzen Witwe. So aber stand er breitbeinig da, die Arme leicht angewinkelt und die Hände zum Zupacken ausgestreckt.
Er stellte sich vor, dass dies Atlan war. Und er sagte sich, dass eine Generalprobe nicht schaden konnte.
Die Spinne streckte harte Fühler aus. Sie berührten seine Stiefel und schlangen sich um sie. Sie zerrten an ihm, und er ließ es zu und rührte sich nicht.
Plötzlich schnellte eines der Beinpaare nach vorn. Es umklammerte die Taille des Zyrphers und riss ihn mit einem Ruck von den Beinen.
Endlich reagierte Mrothyr. Es krachte und prasselte, die Überreste des Beinpaars flogen zur Seite und blieben zuckend auf dem Boden liegen. Mit einem Ruck entfernte Mrothyr die Fühler. Jetzt ging er zum Angriff über. Der wuchtige Leib des Tieres wurde emporgerissen und drei Meter durch die Luft gewirbelt. Er klatschte gegen den Boden, und ein Schlag mit der Handkante ließ den Leib auseinanderbrechen.
Der Zyrpher trat einen Schritt zurück. Es war schnell gegangen. Seiner Kraft war nichts gewachsen.
»Atlan, wir werden uns messen. Und ich werde dir zeigen, wer von uns der Stärkere ist«, flüsterte er.
Er wischte die Überreste der Riesenspinne in das Loch und steckte eine der benachbarten Felsnadeln hinein. Vor dem neuen Loch wartete er, aber diesmal geschah nichts. Kein Ungeheuer lauerte darauf, an das Tageslicht heraufzusteigen.
Mrothyr stellte sich über das Loch und aktivierte den Antigrav. Er schwebte hinab und leuchtete. Er befand sich in einem kurzen Schacht, der sich nach unten zu einer Kammer erweiterte. Eine Mulde, aus Geröll zusammengesetzt, enthielt violette, runde Bälle. Der Zyrpher hielt sie für die Eier des Ungetüms, das er getötet hatte. Offensichtlich sollte auf dem Wärme verstrahlenden Geröll der Nachwuchs ausgebrütet werden.
Mrothyr plante eine Falle und suchte nach Informationen, wie er sie am besten nutzen konnte. Wenn es ihm gelang, Atlan in eine der Kammern zusammen mit einer Riesenspinne zu sperren, dann musste der Arkonide so schwere Verletzungen davontragen, dass er sie nicht überleben würde. Auch dann nicht, wenn jemand ihm half. Im Gegenteil. Die Kammern unter der Gesteinsdecke würden dafür Sorge tragen, dass nichts von dem, was sich hier abspielte, in den Schiffen festgestellt werden konnte.
Der Zyrpher hatte die STERNENSEGLER allein verlassen. Anima war nicht bereit gewesen, ihn in Richtung der Fremden zu begleiten. Sie hatte verschlossen gewirkt, und Mrothyr wusste ungefähr, woran es lag. Er hatte seine Beobachtungen gemacht und kannte Animas Charakter durch Atlans Erzählungen.
Es blieb kein anderer Weg. Er musste die beiden zusammenbringen. Nur dann konnte er seinen Plan ausführen.
Absichtlich verzichtete er auf jeden Funkkontakt. Er wollte nicht gestört sein. Erst, wenn er seine Falle vorbereitet hatte, würde er sich melden und zur YOI 1 weiterfliegen.
Die steinerne Kammer besaß einen seitlichen Ausgang, und er war groß genug, um einer ausgewachsenen Spinne den Durchschlupf zu gestatten. Mrothyr setzte sich in Bewegung. Im Licht seines Scheinwerfers gelangte er in eine weitere Kammer, in der ebenfalls Eier lagen. Der Zyrpher nahm eines auf und ließ es fallen. Es zerplatzte am Boden, und auch das winzige Wesen mit seinem milchig weißen Panzer wurde dabei zerstört. Wieder verbreitete sich ein ekliger Geruch, auf den der Eindringling nicht reagierte. Es war, als sei sein Geruchs- und Geschmackssinn abgestorben.
Mrothyr schritt weiter. Er fand weitere Eikammern, und in jeder ragte von oben eine der Felsnadeln herein und endete zwei Meter über dem Boden. Zehn Kammern gab es, und in der elften ruhte der Leib eines Elterntiers. Es hatte bereits Witterung von ihm aufgenommen und erwartete ihn. Mrothyr wich zurück. Er durfte sich nicht hinreißen lassen, auch diese Spinne zu töten. Er benötigte sie noch. Schneller, als das Tier ihm folgen konnte, wich er zurück bis in die Kammer, die er geöffnet hatte. Er kehrte an die Oberfläche zurück.
Sein Instinkt sagte ihm, dass sich etwas verändert hatte. Er war ein Teil EVOLOS und als solcher empfänglich für psionisch spürbare Vorgänge. Er hatte die STERNENSEGLER unter ganz bestimmten Voraussetzungen verlassen, und diese stimmten nicht mehr. Es war etwas eingetreten, womit Mrothyr in dieser Schnelle nicht gerechnet hatte. Etwas in der YOI 1 war anders verlaufen, als er es sich vorgestellt hatte.
Und das hatte Einfluss auf die Falle, die er baute, und darauf, wer seinem Ruf folgen würde.
Mrothyrs Gedanken jagten sich. Es hatte keinen Sinn, wenn er jetzt zu seinem Ausgangsort zurückkehrte. Er musste da bleiben, wo er war. Hinter und unter sich vernahm er das Schaben, mit dem die Riesenspinne ihm ans Tageslicht folgen wollte. Er nahm den Stein aus dem Loch, in dem das getötete Tier lag, und setzte ihn in das Loch zurück, aus dem er ihn genommen hatte. Wichtig war, dass er zu jedem Zeitpunkt genau wusste, wo sich das Elterntier aufhielt.
Inzwischen glaubte er auch zu wissen, was sich verändert hatte. Atlan musste in die STERNSCHNUPPE oder in die STERNENSEGLER zurückgekehrt sein. Damit stand das Ereignis unmittelbar bevor.
Mrothyr fluchte lautlos. Es wäre so einfach gewesen. Er hätte nur zu warten brauchen. Keiner hätte ihn hindern können, wenn er vor versammelter Mannschaft zugeschlagen hätte. Aber da war noch etwas anderes. Es hing mit dem Bewusstsein in seinem Innern zusammen. Er nährte sich aus diesem Bewusstsein, und dennoch störte es ihn. Er empfand es als Fremdkörper, wie er auch die Gestalt als Fremdkörper empfand, die er angenommen hatte.
Er war Mrothyr und war es doch nicht. Er war das Bewusstsein und war es doch nicht.
Der Zyrpher schüttelte seinen Körper. Etwas in ihm wollte rufen und warnen, aber er ließ es nicht zu. Sein Programm wurde immer konkreter und deutlicher, und in dem Augenblick, in dem er ratlos dastand und nicht wusste, wie er sich weiter verhalten sollte, da drängten die Detailinformationen an die Oberfläche und setzten seinen Körper in Bewegung.
Es gab eine Lösung. Er musste als verschollen gelten und abwarten, bis man ihn suchte. Er musste warten, bis er Atlan allein vor sich hatte. Dann musste er sich ihm zeigen. Er würde ihn zu dem Steinkreis führen und dann alles tun, um auch Anima hierher zu locken.
Mrothyr wurde bewusst, dass es für ihn keine andere Möglichkeit gab, denn dies waren die Details des absoluten Befehls, dem er sich nicht entziehen konnte.
Er spähte über den Rand der Grube hinweg, die er ausgehoben hatte. Seine Augen erkannten auch noch Einzelheiten, die sich in einer Entfernung von zehn Kilometern befanden.
Er sah etwas.
Sie suchten nach ihm. Er wusste im Augenblick nicht, wie viele in welche Richtungen ausgeschwärmt waren. Aber eines wusste er. Dort vorn kam Atlan, und der Arkonide flog nach Osten in seine Richtung.
Mrothyr sah es und verstand, dass sein Plan aufging.
Aus dem Zyrpher wurde eine kalte und berechnende Mordmaschine. Mrothyr war EVOLOS Ungeheuer.
*
»Du bist kein Ritter der Tiefe, und doch bist du einer«, klang die leise Stimme Animas auf. »Du hast mich damals als deine Orbiterin akzeptiert, und ich bin es bis auf den heutigen Tag. Was kümmern mich Kosmokraten und andere Mächte. Hartmann vom Silberstern konnte ich nicht retten. Er fand einen Tod, den sich kein Ritter der Tiefe je gewünscht hatte. Und Verrin, sein früherer Orbiter? Er hat ...«
»Du solltest nicht an die Vergangenheit denken«, mahnte der Arkonide. »Vergalo wurde zum Erleuchteten, und der Erleuchtete ist nicht mehr. Sein Geschöpf hat ihn absorbiert.«
»Das ist es ja eben. Auch in EVOLO ist ein Stück Vergalos enthalten. EVOLO weiß genau, wer ich bin. Es weiß, woraus ich geworden bin und welche Fähigkeiten ich besitze. Und EVOLO ist darüber im Bild, dass ich mich in Manam-Turu aufhalte.«
Atlan nickte. Er ahnte es. Irgendwann würde Anima diesem Wesen begegnen, das eine Gefahr für alle Teile des Universums darstellte. Dass diese Begegnung unausweichlich war, das sollte er sogleich erfahren.
»Guray«, sagte Anima unvermittelt. »Es liegt an Guray.«
»Ich kenne den Schutzpatron der Piraten, Anima. Aber ich weiß nicht, wo ich ihn suchen soll. Ein einziges Mal war es mir möglich, mit Guray zu sprechen. Damals befand er sich in großer Angst und sprach davon, dass er sich verstecken müsse. Er wollte fliehen!«
»Er kann nicht fliehen. Erinnerst du dich an damals, als ich dir meine Geschichte erzählte? Vergalo war ein Wesen wie ich, mit meinen Fähigkeiten, nur dass er die seinen auf eine andere Weise einsetzte. Er wollte Macht, die über den Planeten hinausging. Sein Nachteil bestand darin, dass er zu groß geworden war. Er brauchte einen Großteil seiner Kraft, diesen gigantischen Organismus zu kontrollieren. Deshalb gelang es ihm nicht, mich zu eliminieren. Es gelang mir, mich von ihm zu lösen und zu fliehen. Ich nahm einen Teil seiner Materie mit, aber es war nicht genug. Ich verließ Barquass und ...«
»Barquass?«, rief der Arkonide. »Der Name Barquass fiel bei den Dienern Gurays, die seine Ableger sind!«
»Ich spürte es, als wir in die Zeitnähe von Barquass kamen«, sagte sie zusammenhanglos. »Als Goman-Largo es endlich schaffte, uns in die Realgegenwart zu bringen, da empfing ich Impulse meines Ritters. Ich war verwirrt, denn ich wusste nicht, ob sie mich an Hartmann oder an dich erinnerten. Ich kam nach Barquass und brachte die Erinnerung an eine mögliche Zukunft des Planeten mit. Ich fand dieses Wesen Guray vor, und es gelang mir, seine friedfertigen Teile zu aktivieren und einen Kontakt herzustellen. Seither weiß ich es.
Manam-Turu ist meine Heimatgalaxis, und Barquass ist mit jenem Planeten identisch, auf dem vor langer Zeit Vergalo herrschte. Ich verstand, dass Vergalo sich damals relativ rasch von den Folgen der Auseinandersetzung erholen konnte. Er verließ Barquass, um in einer anderen Galaxis seinen ehrgeizigen Plänen nachzukommen. Bei seinem Aufbruch ließ Vergalo alles zurück, was ihn behindern konnte.
Verga-Ray oder Verg-gu-ray. Verstehst du? Daher hat Guray seinen Namen, und in ihm war noch ein winziger Rest von Hartmann vom Silberstern enthalten. Vergalo aber hatte jenen Teil auf der Nachtseite des Planeten, Verga-Ray, abgestoßen, nachdem er sich zuvor lange bemüht hatte, mächtiger als dieses Wesen zu werden. Wie vieles gelang ihm dies.
Ich weiß nicht, ob der Erleuchtete jemals an seine Hinterlassenschaft dachte. Guray dachte daran. Er fürchtete sich vor dem FEIND, der kein anderer als der Erleuchtete war. Und diese Furcht bestimmte sein Wesen. Guray war der Wankelmütige und der Sensible, und Guray war der Entschlossene und Umsichtige. Und er schickte seine Diener aus.
Inzwischen haben alle Piraten Barquass verlassen. Sie kehren nicht zurück. Sie müssen erkannt haben, worum es sich bei ihrem Schutzpatron handelte. Guray war die Stadt, der Wald. Guray war die Festung und die Soldaten, die Geschütze und natürlich die Diener. Guray schickt keine Diener mehr aus. Er befindet sich in einem Zustand amnestischer Lähmung. Guray braucht Hilfe. Er braucht eine Aufgabe, um wieder zu sich selbst zu finden. Guray ist gewachsen. Er ist ein planetenumspannendes Wesen. Er hätte dem Erleuchteten die Stirn bieten können, wenn er psychisch stark genug gewesen wäre. Er konnte es nicht, und so haben wir es heute mit EVOLO zu tun.
Guray hat große Angst vor EVOLO, Atlan. Er spürt, dass er diesem Geschöpf nichts entgegenzusetzen hat.«
Der Arkonide nahm Anima in den Arm. Ihr Gesicht glühte vor Erregung. Es war heiß wie im Fieber, und er führte sie zum nächsten Sessel und drückte sie sanft hinein.
»Das alles ist kein Grund, den Mut zu verlieren. Deine Augen sprechen eine deutliche Sprache. Du willst über die Vergangenheit reden. Du musst dich von ihr befreien. Aber du schaffst es nicht richtig.«
»Es ist meine Schuld, dass es so gekommen ist. Hartmann und ich waren es, durch unser Verhalten haben wir die Entstehung und die Motivationen des Erleuchteten mitverschuldet. Ein Ritter der Tiefe tat etwas, wodurch eine Bedrohung eines Teils des Universums entstand. Ich habe damals versagt, als Hartmann erkannte, dass das Ding unter der Glocke das Gehirn Vergalos war, sein Steuer- und Nervenzentrum.«
»Du hast versagt, weil du gelernt hattest, mit deiner Gabe zu heilen. Du konntest nicht töten. Du versuchtest, die beiden unterschiedlichen Teile Vergalos zu einem Ganzen zusammenzufügen. Und da sprichst du von Versagen? Weil du nicht getötet hast?«
»Ich könnte es auch jetzt nicht tun. Aber ich weiß, dass ich Guray helfen muss. Er wartet auf EVOLO, und er ist nicht fähig, einen klaren Gedanken zu denken oder Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Guray wird sterben, wenn ihm nicht geholfen wird.«
Chipol, Goman-Largo und Neithadl-Off hatten der Unterhaltung schweigend und mit Aufmerksamkeit gelauscht. Für den Tigganoi und die Vigpanderin waren Animas Eröffnungen nichts Neues mehr. Sie hatten alles miterlebt. Nicht so jedoch Atlan, für den sich ein Kreis schloss, zu dessen Vollendung ihm bisher ein paar wesentliche Bausteine gefehlt hatten. Es hatte Vermutungen und vage Hinweise gegeben. Er hatte mehrmals in der Zeit seines Aufenthalts in Manam-Turu an Animas Geschichte denken müssen, vor allem in der Zeit seit dem Auftauchen Traykons.
Der Erleuchtete war nicht mehr, und Hartmann vom Silberstern konnte nichts mehr tun, um seine damalige Fehleinschätzung zu korrigieren. Die Kosmokraten hatten einen Mann namens Atlan nach Alkordoom und später nach Manam-Turu geschickt, damit er die Gefahr beseitigte.
Sinnend blickte der Arkonide auf einen Bildschirm, der die Umgebung der STERNENSEGLER mit der STERNSCHNUPPE zeigte.
Ging es wirklich noch um Guray und EVOLO? Oder war Guray längst kein Wesen mehr, das in der Auseinandersetzung um stellare und galaktische Machtposition eine Rolle spielte?
Er dachte daran, dass die Schachzüge des Neuen Konzils viel bedeutender waren, und doch lehrte ihn die Erfahrung, dass die eigentlich wichtigen Dinge manchmal in scheinbar unbedeutenden Ereignissen abliefen oder sich daraus entwickelten.
»Guray hat lange Zeit vor sich hingelebt«, sagte Atlan schließlich. »Er wird nicht so schnell sterben. Aber ich werde ihm eines Tages gegenübertreten und mein Hilfsangebot erneuern, das ich ihm auf Phurthul gab. Guray wird sich entscheiden müssen, ob er aktiv wird oder weiterhin den Ohnmächtigen spielt. Seine Passivität kann sein Untergang sein.«
»Ich weiß es«, hauchte Anima. »Aber kann ich es ihm übelnehmen? Nein. Er ist ein bedauernswertes Geschöpf.«
Atlans Gedanken kreisten bereits um Dinge, die weit in der Zukunft lagen. Er musste an die Krelquotten denken und daran, dass ihr psionisches Reservoir nicht ungenutzt bleiben durfte. Und Guray, war er in der Lage, mit Psi zu arbeiten und so etwas wie sinnvolle Gemeinschaftsarbeit zustande zu bringen?
Spekulationen über Spekulationen, warf der Extrasinn ein. Sie bringen nichts, denn es kommt doch völlig anders.
Und wenn schon, dachte Atlan. Flexibilität ist alles.
Eigentlich war ihm gar nicht zum Scherzen zumute. Er war enttäuscht, weil er sich von seinem Flug nach Cirgro mehr versprochen hatte.
Chipol deutete auf Anima.
»Du solltest wirklich mehr an die Zukunft denken als an die Vergangenheit«, meinte der junge Daila. »So wahr, wie ich meine Familie gefunden habe und hier stehe, werden wir auch deine Heimatwelt finden und das Volk der Vardi. Und du wirst sehen, dass es noch existiert!«
POSIMOL ließ eine Nachricht über alle Monitore flimmern. Die Sonden waren zurückgekehrt. Sie hatten keine Spur von Mrothyr gefunden. Der Zyrpher war vom Erdboden verschluckt worden.
Der Arkonide setzte sich mit der STERNSCHNUPPE in Verbindung. Das Bewusstsein des Schiffes konnte ihm auch nicht viel mehr als gute Ratschläge mit auf den Weg geben, und Atlan prüfte seinen Einsatzanzug durch und nickte den Gefährten zu.
»Weit kann er nicht sein. Wenn er uns gefolgt ist, ist er vielleicht den Tessalern in die Hände gefallen. Nicht jeder versteht seine manchmal raue Art, mit der er Fragen stellt.«
»Das können wir einfacher haben«, stellte Goman-Largo fest. Er ließ die Positronik eine Verbindung mit der YOI 1 schaffen und befragte den Obmann. Soray schwor heilige Eide, dass der Zyrpher nicht in der Nähe des Schweren Erkunders oder einer der Suchgruppen aufgetaucht war.
Atlan dachte an sein und Chipols Erlebnis mit der Riesenspinne. Auch die beiden seltsamen Felsnadeln fielen ihm wieder ein. War Mrothyr ein Opfer der Natur des Planeten geworden?
»Ich melde mich regelmäßig und gebe meine Position durch«, sagte er. »Es hat keinen Sinn, wenn wir alle suchen. Er kann nicht weit sein und muss doch von keinem von uns gefunden werden. Mit Spuren können wir nicht rechnen. Er hat sein Funkgerät, und wenn er bei Bewusstsein ist, wird er sich melden!«
»Es sei denn, er befindet sich in einem Kokon!«, wandte Chipol ein.
»Dann ist die Wahrscheinlichkeit, ihn zu finden, noch geringer. Wir können nicht das gesamte Höhlensystem durchsuchen.«
Inzwischen stand durch Erkundungen der Tessaler einwandfrei fest, dass die gesamte Ebene unterkellert war.
»Ich werde ein paar Wahrscheinlichkeitsberechnungen anstellen, wo er sich aufhält«, sagte Goman-Largo. Atlan nickte und verließ die Zentrale, nachdem er Anima einen letzten Blick der Aufmunterung zugeschickt hatte. Kurz darauf sahen sie auf dem Bildschirm, wie er die Schleuse verließ und in einer Höhe von zwanzig Metern über dem Boden davonraste.