Читать книгу Die Blondjäger - Hans Leip - Страница 13
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ОглавлениеHishwa trat ein, die Dorschangel an der Hand. Beide waren befangen, und die Schwingungen der Flips, durch eine Dusche in Hishwas Schlafzimmer schon herabgedrückt, verebbten gänzlich in diesem dämmernd bedrückenden, heizungsschwülen Raume, der überstark nach teuren Riechstoffen duftete, ohne damit den süßlich-pfefferigen Geruch einer fremdartigen Ausdünstung gänzlich aufzusaugen.
Sie nahmen auf Burns milde Einladung Platz. Ketty geziert und lauernd, ohne das Auge von Burns Gesicht zu wenden, das, wie Hiswha mit Genugtuung bemerkte, durch die Brille gehoben, und wenn man von der Farbe absah, geistvoll und dazu sportmäßig männlich zu nennen war, allerdings mit deutlichen Spuren überwundener Entbehrungen. Die Lippen waren weniger dick, die Nase weniger platt, als sie Kettys wegen, der sie im Eifer einen Ausbund an Verkündergestalt versprochen hatte, sich zu erinnern gefürchtet hatte, die Ohren wohlgebildet, das Haar lag in einem tadellosen Scheitel und obgleich glanzlos schwarz, so doch ohne Andeutung üppiger Krausheit über einer hohen, durcharbeiteten Stirn. Ehrwürden trug weiche seidene Wäsche zu einer schwarzen, eng und flott geschnittenen Hausjoppe, ein gut gestreiftes Beinkleid, hellgraue Seidensocken und Lackpumps. Und was man nicht sehen konnte, er war ein Redner, ein unerhört seliger Redner. Hishwa erschauerte bei dem Gedanken an die Wirkung seiner Rede auf ihr zerfranstes, schnippisches Studentinnengemüt von damals.
Sie setzte sich hübsch zurecht, mit gefalteten Händen, und die brave Ketty tat es ihr erwartungsvoll nach, indem sie ihre prächtigen Beine mit den dünnen Florstrümpfen so eng wie möglich an sich zog; sie ließ den besten Willen herüberleuchten, alles zu tun, um kein unliebsames Aufsehen zu erregen.
Hishwa hatte sich schon in das gewöhnliche Schwesternblau des Hauses umgezogen, der Stoff war kostbar, und die Spitzenkrause, auf der ihr kleiner, schön beleuchteter Kopf ruhte, war echtes Brüssel. Sie wußte wohl, daß die arme Ketty trotz ihrer körperlichen Herrlichkeiten in ihrem billigen Seegrün abfiel, aber dennoch mußte und sollte es dem Dr. Burn wohl aufgehen, welch treffliche Beute und mit welch prachtvollem, dickem, sandgelbem Haar sie der Schwarzen Sonne zu bieten habe.
Das Licht in diesem dunkelgetäfelten Raume kam hell bronzefarben durch den Pergamentschirm der Schreibtischlampe. Hishwa sah an ihrer Nachbarin, wie gut es der Haut zu statten kam. Burn, nach einem wägend verbindlichen Blick für beide, vertiefte sich mit einer leichten, maßvollen Geste noch für einige Sekunden in die Blätter, die vor ihm lagen. In Wahrheit aber sammelte er sich.
Sein Verhältnis zu Frauen, freiwillige Enthaltsamkeit, war vormals durch Sport, später geistiger begründet gewesen. Er war ohne körperliche Erfahrung geblieben bis auf die Zeit in Afrika. Klima und Umgebung, Fieber, Einsamkeit und aufbrechende Urpulse, Heimatadern seines Blutes, hatten ihn in fürchterliche Zweifel gestürzt an seiner Sendung, seinem Glauben und seinen Lebensformen. In den Bergen am Njakisisee hatte er die jungfräulichen Gastgeschenke der Stammeshäuptlinge nicht mehr abgelehnt. Himmel und Erde waren ihm erschüttert, er stürzte zurück in den Urgrund verschollener Vorfahren. Nach drei Wochen unerhörter, ausmergelnder Raserei packte das Fieber den Erschöpften und führte ihn, der sich tobend wehrte, an die Schwelle des Auslöschens. Zwei seiner Missionarinnen, von Boten aus entlegenen Bezirken herübergeholt, pflegten ihn gesund, aber, als hätten sie die Kraft der Seuche von ihm ab und opferfreudig in sich selber eingesogen, so raffte es sie, blühende und liebreizende Geschöpfe, beide fast zu gleicher Stunde dahin. Dieses Erlebnis hatte dem Abtrünnigen neue Macht über sich selber und den Teufel in sich gegeben. Seine Erziehung, seine weiße Erziehung, hatte noch einmal über ihn gesiegt. Seine Heimkunft war verzögert worden, aber er kam zurück. In seinen Hirtenbriefen an die Schwarze Sonne waren allerdings Schwierigkeiten äußerlicher Art als Gründe angegeben. Die inneren Kämpfe und den Tod der beiden Schwestern hatte er vorläufig zu verschweigen als ratsam befunden.
Nun angesichts der beiden Mädchen in seinem Zimmer brach die Erinnerung an jene Tage, die er überwunden geglaubt, wie ein spitzer Quell in seinem Innern auf, und er fühlte mit Unruhe, wie er nicht wehtat, sondern kühl und letzend seine Gedanken befiel.
Er wandte sich mit einem verhaltenen Aufatmen seinen Besucherinnen zu.
Ob Schwester Hishwa sich entschlossen habe zu bleiben, fragte er, und ob sie wahrhaft einer neuen Aufgabe aus sich selber bewußt geworden, worüber noch gelegentlich zu sprechen sei.
Er wartete nicht auf den Ablauf ihrer stotternd angesetzten Antworten. Er las ihr und Ketty bequem von der Miene ab, was sie sagen wollten. Er dozierte somit fast, als fürchte er eine Unterbrechung. Es sei die Schwarze Sonne keine unbedingt klösterliche Einrichtung. Nur die Erfahrung der Welt, die unabgeschnittene Verbindung mit dem wirklichen Leben mache geeignet, dieses Leben zu meistern, es zu durchschauen und es zu verbessern. Gewiß gäbe es von den uralten Regeln des Gehorsams und der Keuschheit keine ungesühnte Ausnahme in diesem Hause und unter seinem Schatten. Und in bezug auf persönlichen wie unpersönlichen Reichtum sei hier im allgemeinen alles das Gemeingut aller, ohne daß natürlich, falls sich irgendwelche Fragen darüber ergäben, die Rechtstitel des Besitzes verdreht oder angetastet werden sollten.
In einem Schranke standen mehrere vergoldete und versilberte Musikinstrumente. Es waren alles Saxophone. Hishwa blickte an Burns Kopf vorbei darauf hin. Die Empfindung von heiterer Musik mit dem Beiklang des Orchestrions im Goldkorn machte ihr kleines banges Herz beschwingter. Nein, Dr. Burn ist kein Menschenfresser, dachte sie ermunternd zu ihrer Nachbarin. Siehst du nicht, daß er wie David ein Spielmann des Herrn ist? Schlägt er die Harfe nicht, so bläst er doch himmlisch Saxophon.
Ketty rutschte auf ihrem Sitze verlegen hin und her. Sie hatte sicher nicht recht verstanden, um was alles es sich da handle.
„Frau Ketty Gesh“, sagte Burn, „Ihre Bedenkzeit beträgt vierundzwanzig Stunden, so schreibt es die Missionsregel vor!“ Er erforschte ihr Gesicht mit einem so durchdringenden Blicke, daß sie erst blaß wurde und dann purpurn aufglühte. Sie drängte ihre ganze in bitteren Zeiten erworbene Frechheit zusammen, sie vermochte wohl ihren üppigen Mund zu öffnen, brachte aber noch immer kein Wort hervor. Hishwa fühlte sich gepeinigt durch diese Stummheit und hauchte statt ihrer ein begeistertes „Ja“.
„Ich kenne Sie nun“, sagte Burn mit bodenloser Einfachheit. Er reichte ihr aufstehend die Hand und fügte hinzu, daß er hoffe, sie in diesem Hause wiederzusehen. Sich zu Hishwa neigend, die bebend vor dieser Stimme und dieser Art und Weise ebenfalls aufgestanden war, lenkte er jedoch seine Aufmerksamkeit plötzlich ab und zur Tür, wo sein Diener Sabsai hereinsah und salbungsvoll meldete: „Die Mutter des Herrn Missionsdirektors ist herbeigeeilt, ihren lieben Sohn zu begrüßen.“
Burn machte nun eine halb verlegene, halb segnende Bewegung und bat Hishwa um Verzeihung, daß sie ihr Gespräch erst später fortsetzen könnten. Nach dem Vortrage. „Wenn“, so fügte er mit einem prüfenden Lächeln hinzu, „der Makler, Herr Dulbort, nicht einen zu dicken Strich durch die Schwarze Sonne macht.“
Beschämt, aufgeregt und den Mund zum Übelwerden angefüllt von ungesagten Worten, ging Hishwa mit Ketty hinaus, während eine unwahrscheinlich dicke Negerin in einem schwarzen Flitterumhang und einem mit Straß und rotem Mohn überhäuften Florentiner wie eine tollgewordene Dampfwalze ins Zimmer brauste. Sie hörten, wie die Alte in zwitschernder Ekstase mit den stumpfen Lauten vorgewölbter Lippen und am Gaumen klebender Zunge hervorheulte: „Duddy, Duddily, mein Herzblatt, mein rosa Bambuchen, mein Zucker, mein Gottessöhnchen, kennst du dein klein süßes Mammi nicht mehr? Oh, wo bi— du denn, bi— du denn wieder da?“
Ketty starrte entgeistert auf den zuschwingenden Türflügel. Hishwa konnte dies nicht passen, sie fühlte sich bemüßigt, den Eindruck der dunstenden alten Negermutter nicht zu lange nachhallen zu lassen. Sie nahm ihre Beute mit hinauf und hatte hunderterlei Sächelchen in ihrem behaglichen Zimmer zu zeigen. Alles war mit Rosenmustern geziert. Aber Ketty schien etwas auf dem Herzen zu haben, sie war von der Negerin nicht abzubringen und rief schließlich aus: „Die Alte? Diese dicke Madame? Ich sah sie vor gar nicht langer Zeit, eben nachdem ich hier in Neuyork angelangt war, in einer Stellenvermittlung, in der sie Bedienerinnen, Aufwartemädchen und auch gewerbsmäßige Tanzmädchen für ihren Klub suchte, ja auch Barmädchen, wie man sie in Europa haben soll. Sie war auch scharf auf mich, sehr scharf sogar, aber eine Deutsche oder so, die das alles von drüben kannte, auch das mit dem Barbetrieb, blies mir zu, das sei nichts, das sei ein regelrechter Nachtklub mit allen Folgerungen und in Harlem. Man könne glatt sagen: Harem.“
Hishwa ließ sich näher erklären, was da gemeint sei. Sie versank in abgründige Strudel, schwang sich wieder hoch und sagte mit Bestimmtheit, es geschehe hier entweder ein Irrtum oder es sei alles Verleumdung. Ein Teil des großen verleumderischen Netzes, das überhaupt gegen alles Farbige und insbesondere gegen die Tüchtigsten, eben gegen Dr. Burn, gesponnen und ausgeworfen werde. Sie ereiferte sich nicht lange, streckte sich auf das spartanisch einfache Bett.
„Nachtfalter“ sei der Name des Klubs, dem Madame Burn vorstehe, fiel es Ketty bei. Aber nein, Burn? Burn habe sie nicht geheißen.
„Schäm dich also, aber Lehrer Ward hat vielleicht daher seine Mütze!“ antwortete Hishwa und schlief mit diesem dunklen und anklagenden Satze ein. Eine weiße Katze sprang zu ihr hinauf und kuschelte sich schnurrend zu Füßen der Schlummernden, die Besucherin hin und wieder verächtlich anblinzelnd. Ketty saß stumm und beschwerten Herzens da, sie wagte nicht recht, sich zu bewegen oder gar fortzugehen. Sie trank den Tee, den das zarte Mulattenkind Moali lautlos und immer wieder aufmerksam in die Tasse füllte, und richtete nachdenklich den Blick auf die netten Gegenstände ringsum und auf ihren mageren Frühlingsmantel, der neben Hishwas teurem hing, auf den Gummivorhang der Badewanne und auf das Magazinblatt, das nun hier in einem um so vieles traulicheren Raume als Tamps Logis an einer grün und rosa gemusterten Tapete festgemacht war, mit vier Stecknadeln, die aber nicht wie gewöhnliche waren, sondern Köpfe aus opalisierendem Glas trugen. Sie hörte auch die leise Weise eines Saxophons, lieblich und einschläfernd, bis schließlich Moali Bescheid sagte, es sei Zeit, zum Vortrag hinunterzugehen
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Merk’, Seele, auf
Der Stunde Lauf,
Kauf Gnade, eh’ Gott schließt!