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Es war noch auf freier See, das Wetter gut und lustig. Da erschnappte die „Merryland“ einen Funkspruch, die Vereinigten Staaten hätten den Krieg erklärt. Das war alles und genug. Die Sache mit Europa — mehr nicht.

Die Mannschaft schrie Joho. Die Offiziere streckten teils die Brust heraus, teils kratzten sie sich hinter den Ohren. Manches würde sich ändern. Der Kapitän betrank sich.

Immerhin, auf dem Kalender stand Karfreitag.

Den frühen Morgen darauf machte die „Merryland“ am Hobokenpier fest. Sie war ein Frachtdampfer, fünftausend Tonnen groß und hatte die Reise zum alten Erdteil oft genug erledigt, ohne mehr als die gewöhnliche Abnutzung zu erfahren, trotz der doppelten Unsicherheit der Meere. Dennoch begann sie höchst abgeschabt und räubermäßig auszusehen, hatte man ihr doch seit Jahren kaum ein Etmal Zeit zum ordentlichen Überholen gegönnt, und ihre Gestalt war schon von Natur etwas phantastisch, der lächerlich hohe blaue Schornstein mehr vorgeneigt als senkrecht, das Brunnendeck unnötig tief und der Bug einem fliehenden Kinne ähnlich. Sie war im Grunde verbraucht wie ein Maultier, dem die Zähne wackeln, rostig und reif für den Schindanger des Abwrackers, als jene große, weltbewegende Schicksalsstunde ihr kleines Schicksal anhielt und sie aufsparte für ein etwas ehrenvolleres Los.

Um den Hudson herum spürte man die Ungewöhnlichkeit des Tages. Lärm, Unerhörtheit, die Donner der Ereignisse zuckten in der Luft. Die Mannschaft lungerte aufgeregt an der Schanze. Abgegriffene Zeitungsblätter, mit dem Lotsen an Bord gekommen, wanderten wie Signalflaggen hin und her.

Manhattan, auf der anderen Seite des Flusses, glich an diesem Aprilmorgen einer riesenhaften, im Bau befindlichen mittelalterlichen Seefestung. Aus dem regellosen Getürm der Himmelslinie erhob sich zunehmend Stimmengewirr von Hunderttausenden; Glockengeläute, Gehupe, Sirenen, verwegene Böllerschüsse brachen dort empor, und der begeisterte Radau spritzte auf die Hafenfähren und bis nach New Jersey hinüber und auf jede der zahllosen Molen, die wie die Zähne ungeheurer Rechen zu beiden Seiten in den Hudson griffen.

Den Vormittag kam der Marinevertreter an Bord, ragend und schön in der Mitte zwischen dem nicht kleinen Reeder, einem dürren Yankee mit steifem Hut und schlechter Haltung, und dem Makler Dulbost, der aus einem ähnlichen, wenngleich fetteren Holze gehauen war. Sie wurden vom Kapitän an der Treppe empfangen, der schmunzelnd und anklagend zugleich, rot und untersetzt wie ein Gummischwamm und durchaus nicht mehr nüchtern, aller Hände schüttelte. Das Quartett begab sich auf die Brücke, gleichsam um das Ganze noch einmal zu überblicken; denn es schien ein kleiner Handel fällig zu sein.

Percy Tamp, der erste Offizier, hielt sich in der Nähe, falls man ihn rufen solle. Zu tun war nichts mehr, der Ballast war ausgeladen, das Deck, so gut es ging, geschniegelt und das Schiff klar zum Docken. Er trug daher schon seinen besten blauen Anzug und eine seidig glänzende Mütze, die ihm, und selbst heute, der Inbegriff des Landurlaubs und vieler angenehmer, einem unumgänglichen Kater bedingungslos zueilender Stunden war. Der zweite Steuermann war schon in aller Frühe mit der Proviantabrechnung aufs Reedereikontor gegangen und gleich an Land geblieben. Sicher war er alsbald in die Kriegsmarine eingetreten.

Ein englischer Dampfer mit der Flagge der Kapkolonie bugsierte stromauf. Auch eine hübsche Linie! dachte Tamp, die Zukunft bewegend. Dann sah er nach unten.

Auf der Rampe, neben der „Merryland“, wimmelte es von allerlei Händlern, Arbeitern, Hafenlöwen, wartenden Angehörigen und Mädchen. Viele schwenkten kleine Fahnen des Vaterlandes und der Verbündeten. Der Steuermann klopfte seine kurze Tabakspfeife an der Reling aus. Seine grauen Augen übernahmen den bedächtig saugenden Ausdruck seiner Lippen und hefteten sich auf eines der netten Gesichter dort unten. Das war ja eine verdammt niedliche Ratte, die ihm da mit ihrem Puppenbanner höchst ungeziert zuwedelte. Zeitungsverkäufer bellten mit neuen Meldungen heran. Die Back brüllte hinabgeworfenen Centstücken nach. Tamp schüttelte die Ohren. Der Rummel hinderte ihn, das nicht unwichtige Gespräch auf der Brücke zu verfolgen.

Das Schicksal dieser Dampfruine, die manche Kiste säuberlicher Konterbande nach drüben geschaukelt hatte, wurde da oben irgendwie besiegelt. Über zwei Jahre war er nun darauf gefahren; diese Matrone „Merryland“ war sozusagen seine zweite Heimat. Acht Jahre fuhr er zur See, und genau so lange war er von Nord-Dakota weg, von der guten alten Weizenfarm an der Strecke jenseits des Flusses, wo es „bei den Igelbergen“ heißt. Seit dem Morgen war er weg, einem Morgen wie diesem dem Wetter nach, als sie pflügten und sein Alter einen Acker weiter gegen die dampfende Sonne hin das vergnügte Lied von der blauen Bark Ambrosia gepfiffen hatte. Denn sein Alter war auch einst Seemann gewesen, und daher steckte es ihm im Blut, und so machte er über Minneapolis, wo seine Mutter her war und Verwandte hatte und er eine kleine Anleihe erreichte, seine erste große Reise und kam nach Neuyork, ein grüner, benommener Knabe. Und es mochte ungefähr die gleiche Stelle sein, wo er seine erste Planke betrat, in seine erste erbärmliche Koje kroch, und nun stand er da, erwachsen, erfahren, breitspurig, windgebräunt und ein Mann von Rang.

„Mac!“ rief er den Meßjungen an, der, die Jacke eng wie ein krosser Kuli um die Taille gezogen, die Mehlbeutelmütze in die Stirn gerückt, die gelben Haare steil auf Hinterkopf gebürstet, atemlos vorüberlief. Weiß Gott, er schien ihm ein Abbild seines einstigen Selbst.

„Bring meine Sachen zu Banders ins Goldkorn rüber. In einer halben Stunde, denk ich, kannst du damit abhauen!“

Der kleine alberne Mac riß die dünnen Knochen halsbrecherisch zusammen, brüllte laut und abgehackt: „Wohl, wohl!“ und rannte weiter. In der Frühe hatten zwei Kreuzer auf dem Hudson Reklame exerziert, das war ihm ins Gemüt geschossen.

Tamp warf einen Blick nach oben. Gerade tat der Reeder, er hieß Smithson, einen langsamen Flügelschlag mit den Ellenbogen. Seine Hosentaschen wölbten sich höher. Das Geschäft schien abgeschlossen. „Unser Land, Gottes Land!“ sagte er vernehmlich zu den anderen. Sein Kaugummi sprang ihm wie ein alter Zahn aus der Lippenspalte. Danach verschwanden die vier nach unten.

Tamp setzte seinen Brösel wieder in Gang. Er schielte dabei über den geschnitzten schwarzen Kopf und durch die blasse Zündholzflamme nach dem Pier hinab. Die Kleine, die mit der graukarierten Tuchkappe, sprach mit einem Zollbeamten. Sie tat sehr ungezwungen, sehr herausfordernd offenbar. Es mochte eine richtige kleine Hafenschwalbe sein. Das Streichholz wehte voreilig aus. Statt des süßen Tabaks schnüffelte der Steuermann den üblen Dunst der Lagerhäuser ein. Es gab schönere Düfte. Abgesehen von der See so etwas wie Gras, Weizen, Erde, Staub, Vieh und Stall. Es würde sich lohnen, einmal hinüberzurutschen, ehe alles drunter und drüber ging, und den alten Leuten zu zeigen, daß man noch lebe und ein anständiger Kerl geblieben sei und es zu diesem und jenem gebracht habe. Trotz aller salzigen Witterung hatte er noch immer die Sommersprossen um die Nase. Seine Mutter würde das mit Genuß erkennen. Und die kleinen deftigen Farmermädchen in der Runde waren sicherlich herangewachsen, und ihre Augen würden den Weitgereisten mit Achtung und vielleicht mit etwas mehr betrachten.

„Bring den Kram gleich zum Bahnhof, Mac!“ sagte er endlich, eine kleine Wolke hervorpaffend, die im Morgenlicht zartrosa davonquirlte.

Aber Mac war nicht in der Nähe. Die goldbetreßte Mütze des Kapitäns schob sich durch die Salonluke auf Deck. Und der Alte trug eine Flasche in der Hand und schwang sie mit einer einladenden Bewegung gegen seinen Offizier, stutzte auf halbem Wege, da sie leer war, und warf sie über Bord, was einen Springbrunnen von Geschrei und Flüchen von der Rampe herauf zur Folge hatte.

Tamp blickte ärgerlich bestürzt hinunter. Das süße Gesicht stand im empörten Beet der anderen zu ihm emporgewandt. Es lächelte, es war ihm nichts geschehen.

„Kapitän?“ sagte Tamp langsam und sich zurückwendend. „Das hätte eine nicht billige Flasche werden können!“

„Alter Querulant!“ entgegnete der Kapitän aufstoßend. „Es wird Zeit, daß Sie von Bord kommen! Sie haben Ansichten wie ein Kinderfräulein oder wie ein wurstfressender Deutschmann! Runter, Herr! Es wird ausgezahlt!“

Er wiederholte das letzte grölend und prustend in die Runde, sein von Schnaps verklebter roter Schnurrbart fegte gleichsam die Mannschaft in einen Haufen und in den Niedergang zum Salon hinein. „Runter, Jungs, überall, ins beste Zimmer, ihr mustert ab wie tote Heringe, eingewickelt in Bankschecks!“

Er stoppte seine Redekaskade, sog den Bart ein und versank in Nachdenken, hin- und herwippend auf den klotzkurzen Beinen, ein in die Breite gedrückter, rotflaumiger amerikanisierter Irländer mit kleinen, dicken, rechtwinklig abstehenden Ohren, an deren Farbwechsel man seine Stimmung ablesen konnte. Jetzt waren sie dunkelrot mit grauem Einschlag. „Wir wären das nächste Mal sowieso verbuddelt!“ sagte er an Tamp vorbei, der noch sozusagen an seinen Brösel geklammert dastand. „Und seit gestern zahlen die Versicherungen nicht mehr für unsereins! Der Krieg, mein Lieber, das ist der Krieg! Solange man ihn privat mitmacht, bringt er was ein. Jetzt heißt es als Kuli kuschen, Herr Tamp, das ist der Vorteil Ihrer Jahre. Wenn man Sie nicht einsperrt, heißt das! Wegen Ihrer Abstammung! Steuermann, wir haben uns immer gut vertragen, wenngleich Sie ein unausstehlicher Moralist sind. Kommen Sie runter, wir heben zum Abschied einen!“

Seine Stimme wurde schwermütig. „Tamp!“ winselte er, seinen Bauch dem Kinne zuwölbend, „ich schwöre Ihnen, mich kriegt keiner nüchtern von diesem alten Seepferd namens „Merryland“ herunter.“

„Was wird denn jetzt mit dem Kasten?“ fragte Tamp.

„Geheimnis, mein neugieriges Osterküken! Was glauben Sie, daß Smithson etwa Lust hätte, unsere liebe blonde Fracht von dunnemals wieder aufzunehmen? Oh, es war eine wärmere Strecke dort hinunter, eine schwülere sozusagen, eine tropische geradezu! Höhö, das könnte Ihnen passen, hier als Haremswächter anzuheuern! Oder etwa?“

Tamp schlug einen Bogen um den redebeflammten Zeigefinger seines Vorgesetzten. Dort unten winkte ihm das verflixte Mäuschen mit schnippischem Munde zu. Er warf einen tiefsinnigen Blick zurück und ging hinab in den Salon.

*

Das tut des Meeres Nicht-Unendlichkeit dir kund:

Dringst du nur tief genug, verbirgt sich dir kein Grund.

Die Blondjäger

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