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Sie fädelten sich durch das Getöse der Massen. Aus alter lieber Gewohnheit hielten sie, so gut es ging, geradeswegs auf den Salon zum Goldkorn zu, Tamp und der Koch. Und das Fräulein schlenkerte vergnügt zwischen ihnen und hieß Hishwa.

Bei Banders im Goldkorn nun war gewaltiger Betrieb. Alles, was um die Christopher-Fähre herum von Bord gegangen war, und das war nicht wenig, ließ den Anker erstmal für einige Glasen in diesem an den Hafenkanten der ganzen Welt berühmten Schnapsloch fallen. Hier traf man seine Freunde, tauschte sein Garn aus, entwarf seine Pläne und äußerte laut und nachdrücklich seine Meinung über die tolle Lage der durchgedrehten Weltkugel. Man war sich einig, daß einzig und allein Amerika sie wieder ins Lot bringen könne. Die Werbeplakate, auffordernd zum freiwilligen Eintritt in die Marine und in die Armee, marschierten zur Tür herein und verknallten stumm ein unwahrscheinliches Feuerwerk über den wogenden Schwall windverschabter Pfannkuchenmützen. Keiner wollte da zurückstehen, man drängte hinaus, neue Gäste fluteten herein, das nächste Meldeamt war keine Kabellänge stadtaufwärts. Ein Koloß von Trimmer brüllte empor, in Annapolis sei schon alles besetzt, man komme nur noch in die Liste für Sandkarnickel und Grabenwürmer.

Unermüdlich, Tag und Nacht, hackte das Orchester in den Krakehl. Es waren abgedroschene Reißer, manchem, der lange draußen war, dennoch neu. Zuweilen gab es sich wie eine Kirchenorgel. Niemand achtete darauf. Nur der Koch äußerte sich dahin zu Tamp, aber Tamp hatte mehr Aufmerksamkeit für das Mädchen, das plötzlich ganz sanft war und wohl vor Erstaunen nichts zu sagen wußte. Tamp empfand eine große und schöne Rührung. Dieses Fräulein saß da wie eine verlorene Blume und blühte in dieser dampfenden Männerhöhle. Selbstverständlich waren auch noch andere Mädchen da, manch helles Oval, manch geschingelte Locke schwebte dort durch den muffigen Qualm, lachend anvertraut und angelehnt den ehrlichen, aufrechten Seemannshäuten. Die Kellner flutschten wie besudelte Tanzmäuse durch die Labyrinthe, zielsicher glitten ihre Tellerbretter durch das Dschungel der Arme und Köpfe an den beorderten Platz. Die Berge der kostenlosen Butterbrote wurden zu Ebenen abgetragen, die Wirkung der scharfen Feuerwässer ein wenig hinauszögernd.

Der Wirt, ein See-Elefant in Hemdsärmeln, übersah ohne Wimperzucken das brodelnde Geschäft. Seine feuchten Flossen bedienten eine mit vielerlei Glühlämpchen und Klingelzeichen arbeitende Kontrollkasse, die magnetisch die Cent- und Dollarstücke aus den Taschen der Kundschaft zu saugen schien. Banders machte allerdings auch Bankangelegenheiten ohne viel Wesens in Ordnung. Hoggard beispielsweise schickte sogleich seinen Scheck von der „Merryland“ hinüber, nicht ohne Besorgnis. Aber der Kellner schwenkte ihm anstandslos und vollzählig das Eingelöste hin.

Tamp verzog keine Miene. Hoggard konnte ja nicht ahnen, was da im Salon der „Merryland“, als alle schon hinaufgegangen waren, für ein Unrecht ausgeübt worden war. Er stimmte in das Loblied auf den Wirt ein, und dann ging er unter einem Vorwand hin und lieh sich in der Kasse eine Summe. Banders gab sie ihm, ohne überhaupt auf die gemurmelte Erklärung zu achten, Tamp war ihm bekannt und für jede Summe gut, und die Anleihe ging so selbstredend und geschickt vor sich, daß keiner sie zu bemerken brauchte.

Doch plötzlich patschte sich der Wirt auf die rasiert bläuliche Backe.

„Heiliger Zickzack!“ grunzte er. „Wir haben ja Krieg. Was haben Sie als Sicherheit, Herr Leutnant?“

Aber als wäre es ihm selber peinlich, verdeckte er es leichthin damit, daß er aus einem in viele kleine Felder eingeteilten Gestell einen Brief zog und ihn Tamp reichte. Banders verwaltete nämlich nebenbei eine Art seemännischer Postlagerung.

Tamp blickte auf den Brief, sah, daß er von seiner Mutter sei, und riß ihn zögernd auf, im Gewühl hin und her geschoben. Es stand nur kurz darin, daß die Zeiten schlecht seien und daß sie die Farm wohl aufgeben müßten. In Südafrika gebe es jetzt gute Bedingungen, und der Vater träume von Diamantenfunden, er könne die Jugendtorheit von Alaska noch immer nicht vergessen.

Tamp faltete den Brief mit einem Ruck zusammen, er merkte, daß er im Wege stand. Der Gegensatz zwischen einer einsamen Farm und diesem tollen Lokal setzte ihn in dumpfes Erstaunen —, als sähe er es zum ersten Male, sah er voll Neugier, wie hinter Banders auf einer glühenden offenen Herdplatte, einem Halbnigger in Weiß unterstellt, die kleinen Maiskuchen zischten und in Unmengen, begleitet von Fleischspeisen, Salaten und endlosen Getränken, über die Theke den umgekehrten Weg wie die Dollars ihrer Verdauung entgegenwanderten. Geeiste, bittere wie süße Batterien gemischter Gläschen entsandten feurige Ströme in die aneinandergeballten Knäuel abenteuerlicher Gestalten. Tamp fädelte sich zurück, frei sah er um sich. Da ruhten die massigen Schultern einiger Männer von der Cap-Cod-Bay wie Felsblöcke im Gischt. Aus den funkelnden Rüben derer von den Chandeleur-Inseln brachen melodische Flüche. Ungestört ging ein bärtiges Bootsmannspoker seinen Gang. Auch Dänen und Holländer waren da. Mißtrauische Heizer gluckten eingeklemmt auf ihren Seesäcken, der Dunst ihrer öligen Blusen mischte sich mit dem der Transtiefel schwitzend rechnender Fischdampferkapitäne. Das spitze Gekreisch einer gekitzelten Braut ertrank augenblicks in der Hochflut dieser Menschenschleuse. Niemand war da, der sich nicht wohlfühlte. Das Dasein ging hier ohne viel Umstände und Formen vor sich, der Gegensatz zu Back und Logis trat nicht so scheußlich übergangslos in die Erscheinung, hier erst war die eigentliche und gangbare Planke, von der aus das feste Land ohne Hemmung zu betreten war, und zumal in diesen tollen Tagen.

„Oho!“ sagte Tamp, als er wieder saß, zu seiner Nachbarin. „Hishwa heißt du?“

Sie nickte und warf ihren Blick angeregt umher, während ihm eine Erinnerung dämmerte an das Gespräch zwischen Makler und Reeder im Salon der „Merryland“, das an seiner Empörung, und da es mit seiner Sache nichts zu tun hatte, fast ganz vorbeigeglitten war. Nun verknüpfte er den Rest mit dem, was dieses Mädchen anging.

„Ihr Papa ist gegen die Mission!“ sagte er vorwurfsvoll, und er fühlte in sich, obwohl es gegen den Makler sein sollte, eine gewisse Finsternis betreffs jener Anstalt und ihres Negerdirektors.

„Der ist gegen alles, er hat einen Herzfehler!“ lachte sie sanft zurück.

Da konnte keine Dunkelheit standhalten. Tamp rückte ihr näher. Das war ein Spaß, dieses kleine vornehme Honigfleisch ließ die lieblose Abmusterung fast vergessen. Geradezu hübsch war dieses Kind ja eigentlich nicht, im Gegenteil, noch etwas unentwickelt war es, blaß und überspannt, mit ein wenig schrägen, grünbraunen, schwarzbewimperten Augen, einer spitzlichen Nase und einem Mund, der wohl schmal, aber nicht klein war. Ihre Haut jedoch, obwohl gelblich, sah frisch und gesund aus. Tamp betrachtete sich unverhohlen das sonderbare Geschöpf, das nunmehr, einen Flip mit Bedacht saugend, nachdenklich die tosend laute und dunstende Runde beobachtete. Es war klar, ihr ganzer Ausdruck überstrahlte die Einzelheiten ihres Gesichtes mit Lieblichkeit, ja Lustigkeit, obwohl sie gerade mit gekrausten Brauen und ernsthaft einem jener Seemannstäubchen zusah, die, wie in jedem Hafen der Welt, auch hier in Glanz und Glimmer anzutreffen waren.

„Das ist die Billige Dorschangel, wie sie hier genannt wird, eine Verlorene!“ erklärte der Koch zuvorkommend.

„Gut!“ nickte die kleine Hishwa. „Der Name ist nicht schlecht. Nur sollte sie ihn anders anwenden!“

Sie streifte ihren Babyhut ab. Ihr Haarknoten wölbte sich gelblich und blank wie ein Messingpoller.

„Nein,“ sagte Tamp, „du bist nicht indianisch oder farbig.“

Sie lachte ihn an, nicht ohne Spott: „Wissen Sie das so genau, was Ihre oder meine lieben Ahnen trieben? Oder fühlen Sie sich behindert, ohne aufgeschlagenen Stammbaum einem vernünftigen Mädchen Freundlichkeit entgegenzubringen? Sind Sie etwa ebenso beschränkt wie manche in diesem schönen Lande, welche die Menschen nach der Hautfarbe anstatt nach dem Herzen, der Gesinnung und der Tüchtigkeit beurteilen? Meine Urahne hieß Hishwa, eine Mohikanerfürstin, lange vor der May-flower, sagt meine Mutter. Und die „Maienblüte“? Das war ein Schiff, mit dem die Blaßgesichter kamen, die ersten Yankee doodles, ein Segelboot voll Taugenichtse und Freudenmädchen, die los zu sein, Europa heilfroh war, sagt mein Vater, und das sei eine wissenschaftliche Grundlage, sagt er.“

Tamp war verlegen ob dieser so gelehrt und flüssig geformten Sätze. Er beeilte sich, den Kopf zu schütteln. Seine Ohren waren voll dicken Lärms, und nun drangen diese Bemerkungen wie silberne Nadeln in sein Gehirn.

„Außerdem habe ich wenig geschlafen!“ fügte sie hinzu, nicht ohne sich zu ärgern über ihre eigene eitle Verkleinerung einer soeben gut vertretenen Überzeugung.

Der Koch legte seine breiige Pranke auf ihre blassen Knöchel, noch immer die whiskygurgelnde Dorschangel im Auge. Er mußte schreien, um sich verständlich zu machen, denn soeben spülte ein gröhlender Trupp schon Eingekleideter herein.

„Diese wissen ja nicht, was sie tun!“ hörte Hishwa den dicken Mann sagen. „Sie gehen schlechten Tagen entgegen, vielleicht dem Tode. Dies sollte die Gelegenheit sein der Wiedergeburt. Aber sie ertränken ihre Seligkeit in Schnaps und Gelächter.“

„Diese Dorschangel werde ich mir fischen!“ sagte Hishwa energisch, von Tamps Schulter beengt.

Er legte den Arm um sie. Ihr kleiner Nacken bebte plötzlich unter dem schwarzweißen Kragen. Sein Knie fühlte ihren Schenkel. Sie verbarg die Berührung nicht, wie jede andere es getan haben würde. Sie ergriff vielmehr seine Hand und sagte freimütig: „Fühlen Sie, meine Beine sind hart. Ich nehme es mit jedem Kuhjungen auf. Pferde und Schiffe, das liebe ich und das, was damit zu tun hat. Und Afrika. Und den Himmel.“

In Tamp begann der Ingwersprit zu kreisen. Unversehens küßte er seine Nachbarin auf die Wange. Sie drehte sich ein wenig, sie bog sich zurück, purpurn überschattet, ihr Mund wölbte sich flüchtig und verlangend zu ihm auf. Aber ebenso flüchtig verschwand die holde Anbietung. Tamp war verblüfft über sich selbst und über sie. Es war wirklich nicht gerade üblich, was hier geschehen war, selbst bei Banders nicht. Aber war die Welt nicht anders geworden? Eine heißere, üppigere Luft wehte ringsum. Die Dorschangel hing am Halse eines betrunkenen Kulis, und dort saß der Heizer Swutt und küßte des Teufels leibhaftige Großmutter. Überall ging man in den Krieg und feierte Abschied. Das war es.

Tamp zog wie gewöhnlich, wenn seine Empfindungen arbeiteten, die Tabakspfeife aus der Tasche. Hishwa tippte mit dem Finger auf den geschnitzten Kopf. Ihre Stimme glitzerte. Sie sagte, sie sei beschwipst. Aber der Pfeifenkopf sehe aus wie Josua Burn, und Tamp müsse mit, ihn reden hören. Diesen Abend noch. Der „Ohio“ aus ihrem Munde duftete wie ein junges Frühlingsbeet durch den Kneipenschwalch. Sie hatte schöne Zähne, und sie war prächtig angezogen.

Sie neigte sich zu Hoggard hinüber.

„Sie sind gut und fromm!“ sagte sie milde. Der Koch riß verlegen den speckigen Filz von seinem kahlen Haupte. Aber das Fräulein wandte sich schon wieder an Tamp, unerwartet rasch, wie in manchen ihrer Bewegungen. „Gehen Sie auch an die Front?“ fragte sie. Ihr Blick flog leuchtend über die blutrünstigen Werbeblätter.

„Ich?“ entgegnete der Koch, obwohl er nicht gemeint war. „Ich töte keine Menschen. Mein Amt war ja vielmehr, sie am Leben zu erhalten.“

Er wiegte verzweifelt den massigen Schädel. Vor der aufgesperrten Tür erschollen Posaunenklänge in greller Tonspaltung zur Bumsorgel. Tamp wollte antworten, aber Hoggard hob beschwörend drei Finger. „Seht!“ schmetterte seine Kopfstimme. „Die Heilsarmee! Gott ist noch nicht gestorben!“

„Sie nehmen vielleicht keinen mehr bei der Marine!“ entgegnete nun Tamp, ein wenig verspätet. Sein Satz fiel unter den Tisch. Er zog die Karte des Kommissars aus der Brusttasche und legte sie neben die ungefüllt gebliebene Pfeife. Hishwa schüttelte den Kopf. Sie kenne den Mann nicht. Sie fragte auch nach Tamps Kreuzer und ob er Leutnant sei und versprach, als Hilfsschwester einzutreten, falls er verwundet werde. Aber diesen Abend predige Burn, und Josua Burn müßten sie noch hören, ehe sie in den Tod zögen.

„Ich bin zu alt zum Morden!“ antwortete der Koch.

Tamp ärgerte sich. Es wehte trotz aller schönen Worte eine unbequeme und kühle Zone um dieses Mädchen, das er soeben geküßt und das ihn fast wiedergeküßt hatte.

„Kennen Sie auch den Reeder Smithson?“ fragte er.

Sie nickte und meinte, weswegen—?

„Oh, nichts weiter“, antwortete er, ob es wohl wahr sei, was man so höre, und ob Smithson sich mit Mädchenhandel befasse.

Hishwa sah ihn neugierig an.

„Was ist das?“ fragte sie.

Aber Tamp war es nicht gegeben, sich auf nähere Erklärungen über solch kitzliges Thema einer Dame gegenüber einzulassen. Er brachte es nur zu einer Handbewegung in die Runde, indem er mit leichtem Ton hinwarf: „So mit diesen hier!“

Er erhob sich. Er müsse endlich zur Werbestelle. Wenn sie Lust habe, solle sie hier auf ihn warten, Hoggard werde sie beschützen.

„Gut!“ sagte Hishwa und hielt ihn am Ärmel fest. „Sie gehen drüben am Tisch vorbei. Sagen Sie dieser Dorschangel, ich wolle sie sprechen, und machen Sie ihr hübsche Augen, daß sie auch wirklich herüberkommt. Ich bin doch Schwester bei der Mission, ich muß über alles Aufklärung haben. Aber das sagen Sie ihr bitte nicht!“

Tamp, so sehr es ihm widerstrebte, führte den Auftrag rasch und nicht sehr freundlich aus. Die Billige Dorschangel, eine unverwüstlich zähe und noch junge Kalifornierin, erhob sich betroffen. Dann sagte sie, indem sie die Arme ihres Kavaliers unwiderruflich von sich streifte: „Ich sah es längst, daß ihr dort eine zu wenig habt und daß es eine Dame ist, die man nicht teilen kann.“

Als Tamp nun durch den Ausgang kam, sah er von weitem Kapitän Patternell mit dem Yankeereeder und dem Makler zur Stadt schwanken. Die Aasgeier! dachte er. Er hätte sich gerne auf sie gestürzt, aber die Hallelujamädchen standen davor und sangen, von Posaunen begleitet:

O Dornenblut, Kommandowort,

O palmenreicher Seelenport.

Ich neig mein Haupt dir, geb es hin,

Der Liebe süßestem Beginn.

Tamp ging durch den geräuschvollen Mittag hinab zur Battery, vorbei an dem Häuserblock zwei Straßen weiter, wo Patternell, wie ein halbtoter Luftballon hinter seinen Freunden, dem Reeder und dem Makler herschleifend, soeben in ein Lokal einlief, das besser war als das Goldkorn, aber auch langweiliger und teurer. Tamp bedauerte dennoch, daß er nicht gerade dort saß mit einer feinen Dame, die einem dieser Brüder höchst sonderbar und amtlich nahestand, und sich Innigkeiten erlaubte, die ihm gewährt und sozusagen erwidert wurden.

*

Dreifach ist der Engel Angesicht:

Satan, Mensch und ewiges Licht.

Die Blondjäger

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