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III
ОглавлениеDer Mariner war schon von Bord. Tamp kletterte, ohne klaren Gedanken, in sein Logis. Der Meßjunge zuckte von dem kleinen Spiegel zurück, der da noch hing, und stürzte mit der blaugestrichenen Seekiste hinaus, die seit früh fertig gepackt war.
Tamp hakte den halbblinden Spiegel herunter. Sein Gesicht blickte ihn grau und böse an. Er sah darüber hinweg und auf den Rahmen. Es war ein für Logisgebrauch höchst sonderbarer Spiegel, mit einem einst goldenen, barockartigen Rahmen, eine wahre Schlafzimmersache, und war schon am Ort gewesen, als er diese Kabine bezog. Seine Hand zitterte. Der Spiegel fiel zu Boden und überzog sich klirrend mit einem Spinngewebe. Tamp brüllte auf. Dann stoppte er seinen gotteslästerlichen Fluch.
„Unglück! Das ist es!“ würgte er. „Glatte Gemeinheit, Betrug! Bin ich etwa mein Vater? Was kotzt mich der ganze europäische Dreck!“
Er keuchte, zerschlug die Glühbirne, zertrampelte die Spiegelsplitter zu Atomen, zerhackte den Rahmen. Unter seinen Fäusten zerkrachten die Kojenbretter. Er wurde ruhiger, riß die aus in- und ausländischen Monatsblättern geschnittenen hübschen Bilder von Schiffen und Mädchen von den Kajütswänden, zerknüllte sie und schleuderte sie durchs Bullauge. Dabei knurrte er immer wieder, halb unbewußt, ein deutsches Wort, das er von seinem Alten bei verdrießlichen Anlässen die Kindheit über oft genug gehört hatte.
„Verdammten Schiet!“ Das war es, das war ein gutes Wort, das machte ihm Luft.
Auf einmal fiel ihm etwas ein. Er stürzte nach oben und erwischte Mac, der mit zwei armen Kailöwen und Nickelschluckern unter einem Hagel von niederträchtigen Donnerwettern das beauftragte Gepäck, darunter sich auch die blaue Kiste befand, von Bord beförderte.
„Du verfluchter Korporal!“ pfefferte Tamp ihn an. „Meinen Koffer, den bringst du mir direkt ins Goldkorn, du gottverlassener Hampelmann!“
Von unterhalb der Treppe stach ein glitzerndes Gelächter auf. Tamp ermannte sich. Er schüttelte den Kopf oder vielmehr die Ohren auf die gewohnte Weise, wenn er seinen Grips freihaben wollte. Der karierte Hut befand sich noch immer da unten, und was dazugehörte, hatte noch immer die Fahne und außerdem ein zerknülltes Blatt Zeitschrift in der Hand.
Aus der offenen Luke zum Salon hörte Tamp ebenfalls Gelächter, aber es war eine andere Art, grob, unflätig und knatternd. Er wandte sich nicht um. Zwei Jahre war dieser verdorbene Kasten seine Heimat gewesen, und er dachte noch einmal an den zertrampelten Spiegel und daran, daß er beim Einzug in seine Koje eine Haarnadel an der Wandkante gefunden habe, eine aus Messing, also wohl für eine, die blond war. Und wie Kapitän Patternell ihm grinsend erklärt habe, es sei nun vorbei mit der Südamerikafahrt-Fracht: Dreschmaschinen und Tanzmädchen, denn der niedliche Krieg drüben begann ein besseres Geschäft zu werden; somit war Tamp mit der „Merryland“ auf die Europafahrt gekommen, von Anfang an, und hatte somit beigetragen, den Scheiterhaufen dort, wie die Zeitungen so hübsch sagten, mit Brennstoff zu versorgen. Oh, er erinnerte sich sehr gut, daß man damals einige Kabinen zusammenschlug, die zahlreich und neuer als das alte Schiff an Bord vorhanden waren und die noch nach Puder und Parfüm rochen. Aber einige hatte man stehen lassen und immerhin so reichlich, daß die Offiziere und Maschinisten jeder eine eigene beziehen konnten. Nun würden sich vielleicht die kleinen Generäle in Feldgrau darin teilen. Aber in seiner Kammer würde in dem Bett keiner und keine mehr schlafen. Er lachte ingrimmig. Hinter ihm in der Salonluke wurde es salbungsvoll. Der Yankee redete von Heimat und Ehre.
Alter öliger Mädchenhändler! dachte Tamp (denn diese Bezeichnung hing dem Reeder Smithson in der Hafenschenke an, keiner wußte allerdings, ob zu Recht). Er reckte sich und betrat die schräge Laufplanke. Die hübsche Kappe war nicht zu entdecken. Der Lärm um den Hudson herum schien ins Unerträgliche zu wachsen. Zwischen den schrägen Rauchwimpeln, die sich aus den violett schattenden Wolkenkratzern und tief darunter aus den Schloten der Fahrzeuge wurmten, tänzelten wahre Vogelschwärme der gesternten und gestreiften Flaggen. Auf dem Pier standen noch einige der abgemusterten Matrosen, bebuckelt mit ihren Seesäcken, umringt von Zöllnern, Händlern, Gesindel und Juchhei, und die Mädchen ließen ihre kleinen Fahnen flattern, als sei es ein angenehmes Fest.
Der Schwall hängte sich auch an Tamp und schloß ihn ein. Unfreundlich schob er den Knäuel auseinander. Er wurde grob, seine Fäuste hoben sich. Auf einmal stand vor ihm das Mädchen in der grauen Kappe.
Sie lächelte und biß gerade in eine Waffel, die sie die Sekunde vorher einem dieser zudringlichen Bauchladenkrämer abgekauft haben mochte. Sie berührte ihn mit der freien, in graues Leder gekleideten Hand leicht am Arm und sagte, indem sie ihn freimütig anblickte: „Ist denn Pa endlich bald fertig auf eurer alten Barke da oben?“
„Wieso?“ antwortete er, etwas überrumpelt. „Wer ist denn Ihr Papa?“
„Der Große, Dicke natürlich.“
„Der Makler?“
„Klar! Und ich sollte mit hinauf wegen der Militärgeheimnisse, weil sie einen Panzerkreuzer aus diesem Ewer machen wollen. Gehen Sie jetzt in die Stadt? Dann gehe ich mit, Sie sehen groß und ordentlich aus. Ich will Ihnen gleich sagen, Sie erinnern mich an meinen Bruder. Ich habe nämlich keine Lust mehr, zu warten, und Burns Dampfer wird wohl wieder mal nicht kommen. Oder ist er das etwa?“
Sie hielt sich an seiner Seite. Die Menge hatte es nunmehr auf einen Dampfer abgesehen, der im Begriff war, auf der anderen Kante der Mole anzulegen.
Es war unmöglich, stehenzubleiben. Das Fräulein fragte hastig, ob es der Afrikadampfer sei.
„Nein!“ entgegnete er. „Weiter oben. Vor einer halben Stunde kam ein Afrikaner auf.“
Sie schrie, unwillig, indianerhaft. Ihr Vater habe dann also entweder geflunkert oder keine Ahnung gehabt. Und die Beamten hier auch, die nichts könnten, als mit ihr wie mit einem lächerlichen Küken zu schäkern! Ob sie denn nicht ernsthaft genug aussehe. Sie werde sich eine Brille zulegen müssen. Sie sei zweiundzwanzig und ein Mammut an Erfahrung. Und deswegen nur habe sie hier herumgestanden, um den berühmten Ehrwürden Burn von Bord kommen zu sehen. Der sei nämlich auf Besuch bei den schwarzen Brüdern gewesen. Ja, mit dem ersten Transport der Schwarzen Sonne.
Tamp fand, daß sie dichtbei lange nicht so niedlich aussehe wie aus der Entfernung. Sie hatte ein etwas spitzes Gesicht, wie ein tatsächliches Mäuschen, und eine bräunlichgelbe Haut, aber der Ausdruck war es, der machte es ganz und gar kindlich und einnehmend. Und jedenfalls war sie eine Dame. Sie trug einen kostbaren Schwarzfuchskragen. Ihr Vater hatte übrigens nicht farbig ausgesehen.
Sie gingen durch den Zoll und auf die Straße.
„Rasch! rasch!“ zwitscherte sie laut.
Einen zufälligen Augenblick lang verstärkte sich draußen das Tuten großer Dampfer. Sie riß vor Aufregung an seinem Arm.
Im gleichen Zuck fuhr ein geschlossenes Auto an ihnen vorbei, das in dem gewöhnlichen, heute allerdings besonders lebhaften Verkehr durch seine Schnittigkeit und vor allem durch zwei weiße, um das Kutschendach herumlaufende Streifen auffallen mußte.
Die kleine Maklerstochter warf beide Arme zu Tamps Schulter hoch und klammerte sich fest.
„Das war er!“ brachte sie mit einem Aufschrei hervor.
„Hoho!“ sagte Tamp, von der Erregung des seltsamen Mädchens ohne viel Behagen angesteckt. In dem Wagen, hinter dem in Khakigelb gekleideten schwarzen Fahrer hatte ein Schwarzer in Pelzmantel und Seidenhut gesessen. Ein Weißer mit schwarzem Vollbart daneben.
„Ja, das war er!“ sagte sie noch einmal, und das voller Andacht und fast verzückt. „Josua Burn war das! Der größte Prediger des Jahrhunderts! Und der neben ihm, das war Pjoff, unser Hausmeister.“ Ein Mann mit Vollbart! dachte Tamp. Er begriff ihre Begeisterung nicht. „Ob wir ihn auf der Fähre noch erreichen?“ erflammte sie plötzlich wieder und zog den Steuermann, der sich nie so schwerfällig vorgekommen war, kurzerhand mit sich fort. Aber es ging durchaus nicht sehr rasch, mitten in der von allen Seiten anstauenden Menge auf das Fährboot zu gelangen. Und dort wieder war es so gestopft voll, daß es ihnen nicht möglich war, trotz Tamps rücksichtsloser Schulter, vor dem andern Ufer in den Wagengang hinunter zu kommen. Der schwarze Wagen entwischte ihnen lautlos.
Dafür jedoch — und Tamp empfand eine Erleichterung — trafen sie den Koch, der trübsinnig dastand und der verlassenen „Merryland“ nachpeilte, die da ziemlich unansehnlich hinter den Schuppen und größeren Dampfern versank.
Tamp machte sich bemerkbar.
„Dies ist die Tochter unseres Hafenmaklers“, sagte er, ein wenig unsicher betreffs des Tonfalls.
„O weh!“ antwortete der Koch, und sein Gesicht wurde einen Strich heller. „Ihr habt unsere alte Dampfnudel gefrühstückt, und wir stehen da mit ausgepumptem Magen.“
Sie lachte zuvorkommend, aber ihre Züge blieben auf einer anderen Gedankenstrecke stecken. Sie erwiderte: „Ich heiße Hishwa, Schwester Hishwa, und bin unschuldig daran.“ Nein, fügte sie, zu dem zurückkehrend, was ihre Seele bewegte, hinzu, sie habe keine Lust, hinter Burns Wagen herzutigern; er hätte sie taktvollerweise erkennen und mitnehmen sollen, sie, eine der besten Strahlen der Schwarzen Sonne.
Sie sah flüchtig über die beiden Männer empor, die ohne rechte Ahnung ihr zuhörten.
„Strahl? Das ist ein Titel bei uns. Zuerst ist man nur Funke“, erklärte sie sanft in das auflebende Drängeln, welches das nahende Ufer anzeigte.
„Und Burn, das ist so eine Art Missionar, so einer mit Vollbart“, setzte Tamp die Erläuterung dem Koch gegenüber fort.
„Burn?“ wiederholte sie erstaunt. „Dr. Burn ist ein Neger. Und der berühmteste Missionar und nicht nur so eine Art, und er ist bartlos. Und die Schwarze Sonne ist die wichtigste und schönste Afrikamission der ganzen Welt! Wir sind dort alle blond, wir Strahlen und Funken.“
Sie blickte den Koch strafend an, als habe er den Fehler gemacht.
„Und ich hab den Nigger für den Portier gehalten!“ murmelte Tamp betreten.
Aber sie tat, als vernähme sie es nicht, lächelte ihn an und nickte: Es sei wirklich ein blendender Gedanke, ein bißchen zu frühstücken.
Beide Männer schlugen aufatmend, wie mit einer Zunge, das Goldkorn vor, und sie mußten gestehen, ein anderes Lokal hatten sie ihr lebelang weder recht kennen noch schätzen gelernt.
Hishwa schob in Hinsicht auf diese berüchtigte Hafenschenke begeistert ihre schmalen Arme links unter den harten Arm Tamps und rechts unter den feisten des Kochs, ungeachtet der Handtasche und der kleinen Flagge und trotz des Gedränges. Beiden Männern war die ungewöhnliche Verknüpfung ihrer Rangstufen nicht ganz behaglich. Aber die Dame ließ nicht locker. Und so betraten sie die Weststraße Manhattans, die große, von Gemüsekörben, Plakaten, Fahnentuch, Lastautos, feiernden Arbeitern, abgemusterten Matrosen und betrunkenen Rekruten brandende Hudsonkante Neuyorks.
*
Die Spiegel dieser Welt beweisen jedermann,
daß links mit rechts vertauscht, an ihm nichts ändern kann.