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VI

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Die Dorschangel überragte Hishwa um einen halben Kopf. Sie war auffällig in Seegrün und Zitronengelb gekleidet und trug einen voreiligen blauen, mit einem Hühnerflügel besetzten Frühlingshut aus Maisstroh und roch nach Mohnpuder. Sie tippte sofort unneidisch auf den schwarzen Fuchskragen Hishwas, setzte sich auf Tamps Platz, begrüßte von da aus den Koch mit der Miene einer Dame, die schon vergeben ist, und bestellte nach kurzem Kennerblick den gleichen Flip wie ihre neue Nachbarin. Diese offene Höflichkeit erwiderte Hishwa damit, ihr Aussehen und ihre Wirkung zu loben. Sie kamen bald auf ein gemeinsames Gebiet, das der Pferde. Die Dorschangel stammte aus einem kleinen Fuhrwerksgeschäft in Sacramento in Kalifornien, das durch die Entwicklung des Motorbetriebes eingegangen war. Ihre Familie geriet in Armut, entzweite sich und fiel auseinander. Sie persönlich sei einem blutjungen früheren Kutscher und nachmaligen Trambahnschaffner nach Frisco gefolgt, habe dann, als es ihr nicht mehr paßte, auf einem Schiff als Stewardeß angemustert und sei auf Umwegen nach Neuyork gelangt, wo sie durch eine Ablehnung, die sie einem Maschinisten zuteil werden ließ, ihre Stellung bei der Linie verlor und nun seit einem Vierteljahr hier bei Banders bald diesen, bald jenen kennenlerne und sich über Wasser halte. Heute nachmittag vier Uhr beispielsweise habe sie ein Stelldichein gleich zu mehreren nebenan in dem feinen Lokal von Ostlers.

Der Koch, der sich abseits fühlte, warf hier mit großartiger Geste ein, sie hätten auch einmal eine Stewardeß an Bord gehabt, ein vertracktes Weibsbild, aber keiner habe es gewagt. Außer dem Bootsmann, aber der sei denn auch ertrunken.

Hishwa lächelte. Sie erfaßte urplötzlich in sich eine neue, weitreichende Aufgabe. Die kleine Laune, ein Mädchen zu sich an den Tisch zu bitten, eigentlich hauptsächlich, um die Wirkung des von ihr gesandten Boten zu prüfen, erweiterte sich wie ein heranbrausendes Licht in ihr. Dieses prächtige Stück war weiß Gott eine Beute, ja sozusagen ein herrlicher Dorsch an der Seelenangel. Der Begriff Mädchenhandel, an dieser Ware gemessen, war klar, ohne daß sie zu fragen brauchte. Hier galt es nunmehr nicht nur, dem frommen Snobtum verwöhnter Töchter zu frönen — und sie schloß sich selbst in diesem raschen Gedankengange gerechterweise nicht aus — hier galt es, von Grund auf ein Geschöpf zu retten und dem wahren Heile, und zum Segen dieses Heiles, zuzuführen. Außendienst? Sollte es da nicht noch eine andere Art geben als die leicht romantische Sache mit Afrika?

Hishwa ergriff die Handtasche, entnahm ihr die offenbar zerknüllt gewesene, aber wieder geglättete und zusammengelegte Seite einer Zeitschrift und entfaltete sie mit bedeutungsvoller Miene. Das Bild zeigte eine puppenhafte Ballettänzerin zwischen zwei auf Edelplantage bekleideten Negern. Es war aus einem französischen Magazin, eine Abbildung aus einer Pariser Revue.

Tamp hatte das Heft in Cherbourg gekauft und die Seite, die ihm wegen des süßen, halbnackten Mädchens gefiel, in seinem Logis zwischen seine sonstige Sammlung an die Wand gepinnt. Durch das Bullauge hatte es den unbeabsichtigten Weg zu Hishwa gefunden. Das Schaumäuschen darauf schien der Dorschangel sonderbare Ähnlichkeit mit Hishwa zu haben. Und Hishwa entgegnete, obgleich es Zufall sei, sei es doch hübsch und wie ein Gleichnis für das, was geleistet werden solle. Dann löste sie die kleine schwarze Sonne mit den beiden weißen Querstreifen und den beiden silbernen Buchstaben und heftete sie der erstaunten und ein wenig betretenen Kalifornierin wie eine geheimnisvolle und hochwertige Verleihung an die zitronengelbe Kante ihres Mantels. Aber nur zur Probe, dann steckte sie die geliebte Nadel an den alten Platz zurück und nahm auch die Magazinseite wieder an sich.

„Eines Tages fahren wir nach Afrika, die Heiden zu bekehren!“ sagte sie mit heißen Augen.

Hoggard, der Koch, hatte inzwischen, da er so ganz außer Kurs zu geraten drohte, ebenfalls verschiedene Gläser auftischen lassen. Als er aber mit seinen unzureichenden Fahrtkenntnissen in den Fluten des Feuerwassers nur lächelnde Ablehnung bei den Damen fand, trank er sie betrübt allein. Er winkte auch einen Händler heran, der seinen Kasten mit allerlei soldatischem Bedarf durch die Menge zwängte ... Ob er den Damen dann wenigstens ein Messerchen oder eine hübsche Taschenlampe widmen dürfe, fragte er, voll Drang nach ritterlichen Taten.

Hishwa tätschelte kurz und unverbindlich über den geröteten Kürbis seines Hauptes. Im Gegenteil, meinte sie, er solle dem Steuermann Tamp gerade von ihr etwas als Erinnerung und als Talisman geben.

Damit erstand sie einen kleinen Herzpanzer, der, an einer Lederschnur getragen, dem Schutze der in den Kugelregen ziehenden Helden dienen sollte.

„War er hübsch?“ fragte Hishwa ihre Nachbarin und hauchte einen Kuß auf das gewichtige Eisenblech, das heißt, sie tat im nächsten Augenblick wirklich, als habe sie nur daraufgehaucht, und wischte mit dem Handschuh darüber hin, als wolle sie den Glanz erhöhen.

Die Dorschangel sah überlegend auf eine winzige Uhr, die sie aus der Öffnung ihres Perlbeutels herausdrückte. „Ich mache mir nichts aus alledem,“ erwiderte sie, „ich gehe jetzt sogar und sage den dreien ab bei Ostlers.“

Wie ein schüchterner Backfisch reichte sie dem Koch die Hand. Sie nickte dem Matrosen zu, den sie vorher verlassen, als bemitleide sie tief, daß er je ihr Opfer gewesen sei.

„Um neun also in der Schwarzen Sonne!“ schärfte Hishwa noch einmal dem begossen zurücksinkenden Hoggard ein. Sie fühlte den Rausch einer Sendung. Sie sammelte ihre Schäfchen, sie hielt Fischzug, sie hatte ihr Netz auf der Höhe ausgeworfen, und die Weisung dazu war geheim und unbewußt ergangen. Nun galt es, der Billigen Dorschangel, der schönen, leichtsinnigen Ketty behilflich zu sein, den Fallstricken des Bösen auszuweichen und nicht von neuem zu straucheln.

Ihre eigene Sache aber lag so: Sie hatte nach Hause gewollt. Erstens gingen viele. Zweitens war sie der Mission etwas überdrüssig. Drittens hatte sie eine ungeklärte Angst vor Dr. Burn, der sie sicher auf ihre Fähigkeiten prüfen würde. Zudem ließ sich nicht leugnen: ihr Missionsdirektor war ein Nigger. Aber erstens war es zu Hause auch nicht erfreulich. Zweitens war und blieb Burn der unerhörteste Prediger seines Jahrhunderts. (Wie denn hätte sie sonst überhaupt in diese Schwarze Sonne geraten können!) Drittens würde sie mit einer Beute kommen. Zudem schien eine neue, erfrischende Aufgabe möglich: Seelenfischerei in Neuyork selber, und das an höchst lustigen Orten.

*

Das Lokal von Ostlers strebte, wenigstens in den hinteren Teilen, eine gewisse anheimelnde und mit Lorbeerbäumen verzierte Lauschigkeit an. Es war wegen dieser Seltenheit und trotz der hohen Preise ein begehrter, aber auch verrufener Treffpunkt und war heute gefüllt von abschiednehmenden Paaren. Die beiden gingen hindurch, beide ziemlich beklommen, Hishwa wegen der Ungewohnheit, Ketty wegen der vorgenommenen Absage. Neben der Statue einer bronzenen Flötenbläserin erkannte Hishwa plötzlich ihren Vater.

Sie wollte sich ungesehen ein wenig verziehen. Denn betreffs der Rückkehr in den Schoß der Familie hatte sie es sich schon wieder überlegt. Ketty hingegen steuerte gerade auf den und keinen anderen Tisch zu, an dem noch mehrere Herren in höchster Ausgelassenheit tafelten.

Hishwa hielt ihre Begleiterin zurück. Blaß fragte sie, wer von denen es denn sei.

„Der mit der Melone, der Graue, der Yankee, der mit dem langen Hals“, sagte die Dorschangel achselzuckend, als verberge sie, sich zu schämen.

„Komm mit hinaus!“ flüsterte Hishwa. „Die drei also sind es, mehr sind nicht am Tisch. Laß sie einfach sitzen, sie sind es nicht besser wert!“

Sie hatte auch den Reeder und den Kapitän von der „Merryland“ erkannt. Ihr war gegenwärtig, was Tamp von Smithson gesagt hatte. Und ihr ehrenwerter Papa war der dritte im Bunde? Und die drei, und er mit, standen im Begriff, dieses unglückliche, gefallene Geschöpf namens Ketty noch tiefer in den Sumpf zu stoßen!

„Der Herr hat mich gestern verpflichtet, ein großer Schiffsverkauf oder so etwas soll mit mir auf eine nette Weise gefeiert werden. Es ist nicht anständig, zu kneifen, andere werden es zu büßen haben“, antwortete Ketty und sandte bedenklich lange Blicke in Richtung der munteren Runde.

„Anständig? Ich will dir etwas sagen!“ sagte Hishwa ruhig, aber bleich wie die Kelche der Mattglaslampen. „Mein Vater ist dabei.“

Die Dorschangel war nicht wenig erstaunt. Dann lachte sie breit und meinte, nicht ohne dunkle Überlegenheit: „Das macht nichts. Deinen eigenen Vater brauchst du ja nicht gerade zu übernehmen. Bleib da und tu mir einen Gefallen, du übernimmst etwa den mit dem roten Schnurrbart.“

Hishwa drehte sich um. Ihre Kraft versagte. Das Böse war eine grausig schwierige Sache, und sie war im Begriff, sich geschlagen zu fühlen und zu flüchten. Ketty hielt sie fest, mit angstvoll grob zupackenden Fingern: „Halt! Ich habe es nur aus Jux gesagt. Es sind drei schreckliche alte Bambusen. Das heißt, über deinen Papi will ich nichts gemeckert haben!“

Somit wollten sie sich beide gerade zurückpirschen, als der Makler zufällig ein spähendes Auge durchs Lokal schickte und seine Tochter sah. Und diese merkte es. — Er zuckte deutlich zusammen. Aber die beabsichtigte Verdeckung auf beiden Seiten führte zu einem unecht freudigen Aufleuchten beider Gesichter. Der Vater sprang unsicher empor.

Inzwischen hatte auch der Yankeereeder seine bestellte Freundin erkannt und rückte steif, gebläht und kullernd heran wie ein alter Puthahn. Hishwa schanzte sich, ein feuriger Cherub, vor die verlegene Dorschangel. Es gab eine so lächerliche als mißbehagliche Szene, da sowohl der Makler wie der Reeder in ihrem hochprozentigen Glimmer weder schnell noch klar die Zusammenhänge zu erfassen vermochten.

Hishwa wandelte sich in ein sprühendes Tier der Offenbarung.

Ihr Papa, der ahnungsweise einen dummen Verrat oder fromme Schnüffelei zu wittern glaubte, zudem von ihrer nun ihm sichtbar werdenden Bekanntschaft mit einer als anstößig verschrienen Person befremdet, drohte herantretend mit dem Finger, lud sie ärgerlich ein, doch höflicherweise wenigstens eine Tasse Tee mitzutrinken. Der Reeder fügte unter Schluckauf hinzu, es dürfe auch Hock oder französischer Champagner sein, und der übervolle Kapitän sang, an seinen Platz gelötet, lauthals einen Schlagerkehrreim, der die höchst eindeutige Aufforderung zu einer süßen Stunde „Traum der Liebe“ enthielt.

„Wir haben edlere Aufgaben vor uns und müssen es verschmähen, den verabscheuungswürdigen Absichten dieser Herren zu willfahren! Wir haben hier nichts zu suchen, wir wollten nur absagen! Und das ist alles!“ eiferte Hishwa, und die kleinen Flips, die sie getrunken, stiegen ihr glühend in die Wangen.

Der lange Reeder verstand es einigermaßen. Er ruckte den Geierhals vor und zurück, trillernd: „Huch, ihr kleinen Mäuse, nun seid doch nicht so spröde!“ Er hatte diesen Satz vor Zeiten in einem verfänglichen Roman gelesen und lange, von früher verwöhnt, auf eine Anwendung gelauert. Denn die Polizei hatte in seine einstigen Tanzmädchenfrachten nach Rio eine höchst taktlose Einsicht genommen, was ihn damals geraten sein hieß, Fracht und Kurs zu ändern. Und Gott schickte ihm zur rechten Zeit den europäischen Großkrieg, mit dem ein gleich gutes Geld zu verdienen, es sich gnädig ergeben hatte, ohne daß seine einstige Neigung für hübschere Verladungen unter den Schießkisten erstickt worden wäre.

Hishwas Vater nun verstand die tochterliche Absage anders, wenngleich auch nicht falsch, als er aufrichtig bestürzt antwortete: „Kind, du kommst also wirklich nicht zurück zu deinen flehenden Eltern? Kindchen, Hishwa, was ist wieder in dich gefahren, ich flehe dich an um alles in der Welt, es ist Krieg, und du verläßt uns wieder, kaum daß wir dich neu an unserem Herzen gespürt und zurückgewonnen? Gehst du etwa wieder in deine schwarze Höhle, ist dein Niggerpastor, verflucht sei sein Kadaver, etwa wirklich gekommen? Kind, ich warne dich, ich entziehe dir mein Konto, höre auf deinen armen Vater, es ist etwas im Geschehen! Lieber melde dich zum Dienst an unserm Vaterlande, an unserm weißen Lande! Amerika ist weiß, alles andere ist Dreck und Stiefelwichse!“

„Hick!“ krächzte der Reeder. „Habt ihr es mit Schokolade getrieben? So kehrt zurück, ihr kleinen süßen Leckerzähne! Hier fließt die wahre Sahne, Gottes schneeweiße Milch, das sind wir!“

Der Makler, auch über den albernen Smithson wenig erbaut, fuhr, dem Schlagfluß nahe, fort: „Hishwa, ich sage dir, geh fort aus dem Schandloch, aus dem Niggerstall! Oder du sollst erfahren, es ist hundsgefährlich da, Todesgefahr für euch alle! Wir werden beschließen — der Klub wird — wir werden den Stall ausmisten, wir werden dich befreien müssen, verlorenes Kind!“

„Der große Türke! Hihi!“ kullerte Reeder Smithson, mit einem kameradschaftlich drohenden Seitenblick auf den Makler: „Er soll sie wohl mal ein bißchen umrühren, eure Schokolade! Laßt uns nicht allein, ihr zuckersüßen Tautropfen, oder wir müssen uns entschädigen mit Teer und Federn an euren Haremswächtern! Hupp!“

Die Gäste des Betriebes waren aufmerksam geworden. Jemand, der etwas von Niggern fallen hörte, rief zum allgemeinen Genuß: „Kuklux!“, wie eine Kuckucksuhr.

Hishwa und die papageienhaft gekleidete Ketty eilten beide unglücklich genug hinaus, nahmen, so rasch es ging, ein Mietsauto und fuhren davon, Harlem zu, zur Schwarzen Sonne.

*

Nachschrei und schleich

Der Dirne gleich,

Reich dich dem Geiste hin!

Die Blondjäger

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