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Der grosse Bauernfilm
ОглавлениеIm Filmgeschäft aber begann es lebhafter zu werden. Und die Suche nach den grossen Themen begann. Da ist zum Beispiel das Gebirge. Und, nicht wahr, das deutschsprachige Gebirgsbauerntum ist seit jeher beliebt gewesen, teils wegen der Tracht, teils wegen des freiheitlichen Charakters und teils als Musikkapelle für bürgerliche Bierlokale.
In Norddeutschland singen schon die ganz kleinen Mädchen, wenn sie im Kreis auf der Strasse spielen:
„Die Tiroler sind lustig, die Tiroler sind froh.“
Peter Rosegger hat uns, da wir noch jung waren, mit den Geschichten vom Waldbauernbuben ans Herz gegriffen, Ludwig Thoma vermochte es auf bayrischer Grundlage später, als wir erwachsen waren (für andere war es Ludwig Ganghofer). Der grossen Literatur und Bühne aber hatte Karl Schönherr die Söhne der Berge entdeckt und hatte ihnen dort Raum und Gehör geschaffen schon vor dem Kriege.
Was Wunder, dass nach dem Dauererfolg von „Glaube und Heimat“, „Volk in Not“ und „Weibsteufel“ unruhige Gehirne auf den Gedanken kamen, mit solch zügigen Themen auch im Film auf Erfolg zu pirschen.
Eines Tages tauchte in Prag ein unternehmungslustiger Regisseur aus Wien auf. Er gedachte — lange vor Luis Trenker — das Gebirge nun auch für den Film zu entdecken und ein Tiroler Lustspiel zu drehen. Im Café Rococo, wo sich alles traf, was mit dem Film zu tun hatte, zeigte der kühne Mann stolz eine Filmzeitung herum, deren Titelseite er in vielversprechender Pose schmückte. Das erregte allseitiges Aufsehen, Wohlwollen und Vertrauen.
Der Mann schien wirklich etwas zu verstehen, denn er vermochte in kurzer Zeit einen Geldgeber für sein gewagtes Unternehmen aufzutreiben, und zwar war es sinngemäss ein gutgläubiger Grossbauer, der die glänzenden Versprechungen des künstlerischen Herrn ernst nahm und hoffte, durch Förderung einer ihm halb unverständlichen flimmrigen Errungenschaft nicht nur dem Ansehen seines altehrwürdigen Standes, sondern auch seinem Geldbeutel dienen zu können.
Anny durfte sich glücklich preisen, mit der Hauptrolle beauftragt zu werden. Das grollende Andenken an Wien wandelte sich in eitel Sonne. Freudestrahlend teilt sie es ihrer Mutter mit. Bei der schwankenden Valuta schien es ihr ein fürstliches Angebot zu sein, obwohl es nur sechshundert tschechische Kronen Honorar sein sollten. Es war gesagt worden, dass sie sich überdies ein Dirndlkleid nähen lassen dürfe.
Der Film wurde in einem Bretterverschlag gedreht, die Kulissen aus Leinwand waren von einem Theater geliehen; die Ausstattung sollte nämlich kein unnützes Kapital verschlingen.
Die Darstellung ist die Hauptsache, sagt der smarte Wiener.
Anny tat, was sie konnte, aber es war doch keine rechte Freude für sie; die richtigen Partner fehlten, die Leitung versagte, der Hauch der Armseligkeit lag von Anfang an über dem Unternehmen. Vorschuss gab es nicht; aber die Gelder verschwanden trotzdem.
Sehnsüchtig wartete Anny auf den letzten Drehtag. Nach der letzten Szene stürzte sie in das sogenannte Büro dieser zwischen Acker und Asphalt gegründeten Filmgesellschaft. Das „Büro“ befand sich in einem alten Hutladen und wurde von der Tochter des bäuerlichen Hauptgeldgebers geführt. Aber wie gross war Annys Schreck und Enttäuschung, als ihr erklärt wurde, sie habe nichts zu bekommen, sondern im Gegenteil. Das Dirndlkleid habe sechshundertfünfzig Kronen gekostet, folglich schulde sie der Firma noch fünfzig. Da half kein Bitten, kein Flehen. Der Bauer, der sein Geld hatte davonrinnen sehen und ahnungsvoll fühlte, dass es auf Nimmerwiedersehen zum Teufel sei, blieb unerweichlich. Und Anny brauchte so notwendig neue Schuhe, und die Mutter würde sie nie wieder filmen lassen, und die grossen Brüder sähen es überhaupt schon längst nicht mehr gern ...
Anny schlief die ganze Nacht nicht, sie überlegte, wo sie das Geld herleihen könne, um die Mutter nicht zu enttäuschen.
Es fiel ihr kein anderer Ausweg ein als Lamač. Lamač musste helfen. Zwar war sie ihm sozusagen weggelaufen, war den Lockungen der unbekannten Wiener Kanone erlegen; nun sass sie reumütig weinend in den Kissen.
Lamač spielte nicht lange den Gekränkten. Er, der selbst nie verstand, den Vogel Pinkus als zahmen Kanarienvogel bei Haus zu halten, brachte es dennoch fertig, Anny in diesem entscheidenden Fall unter die Arme zu greifen. Wer weiss, ob sie nicht sonst irgendeinen der biederen Berufe ergriffen hätte, die sie in manchen ihrer Filme spielt, und ob der Aufstieg, der in diesen Filmen sich so freundlich zur Höhe zu ergeben pflegt, auch in der harten Wirklichkeit sich dann noch eingestellt hätte.
So aber war die Familie Ondra angenehm davon zu überzeugen, es sei mit dem Firlefanz des Filmens vielleicht eines Tages schlicht und bürgerlich tatsächlich ein Auskommen für die liebe kleine Anny zu erzielen.
Der grosse Wiener Tiroler Bauernfilm hat übrigens das Licht der Uraufführung nie erlebt. Doch hatte er ein Nachspiel. Der Grossbauer und seine Freunde, die derzeit fast ihr ganzes Vermögen verloren hatten, boten viele Jahre später, als Anny schon einen Namen hatte, besagten unglücklichen Film verschiedenen Gesellschaften an. Sie wurden überall abgewiesen und kamen auf den Einfall, alle Schuld auf die Hauptdarstellerin zu schieben, wollten alles ersetzt haben und behaupteten, nur durch gerade diesen Film sei Anny so gross geworden.
Noch heute haben die Tiroler Bedrohungen nicht ganz aufgehört.